Willkommen zu Krasse Links No 67. Called den LockIn und lasst den Purge downstream fließen, heute redefinieren wir Netzwerkmacht als öffentliche Opfergabe an die Graphnahme der Verschwörungstheorie.
Benjamin Netanjahu hat beunruhigend gute Laune, weil Tiktok demnächst von einem yet another rechtsradikalen US-Milliardär gekauft wird.
Man kann die Freude verstehen. Zwar hatte Tiktok bereit lange Bemühungen gezeigt, den westlichen Entscheidern nicht auf die Füße zu treten und brav propalästinensische Inhalte unterdrückt, doch das war nicht genug. Bei Tiktok ging es nie wirklich um China, sondern immer schon um Gaza.
Der yet another rechtsradikale Tech-Milliardär ist Larry Ellison, der neulich in einem öffentlichen Meeting seine Zukunftsvision teilte:
“Citizens will be on their best behavior, because we’re constantly recording and reporting everything that is going on,” Ellison said in an hour-long Q&A during Oracle’s Financial Analyst Meeting last week.
Ellison ist Gründer von Oracle, battelt sich seit neustem mit Musk um Platz 1 der reichsten Menschen der Welt, ist ein enger Trumpvertrauerter und früher Unterstützer und vor allem ist er best Buddy mit Netanjahu und das zionistische Projekt liegt ihm so am Herzen, dass er erst kürzlich, ganz persönlich viele Millionen Dollar an die IDF spendete.
Netanjahus gute Laune ist mehr als verständlich.
Alex Rollins Berg in The Point mit einem enorm lesenswerten Essay über Shooterkultur als sinnentleertes Medienspektakel im Kontext der Hollywood-Tradition von Gewaltdarstellungen.
In Empty Moments, the film scholar Leo Charney argues that “drift”—the inability to hold onto a stable present—is the defining feature of modernity. Violent spectacle jolts us into momentary contact with something that feels real, however horrifying it might be. Social media, like Edison’s cinema of attractions, doles out violence as a stimulant. By discarding context and moral frameworks, the violence is aestheticized and reduced to slop—slickly produced yet strangely hollow, gesturing at importance without actually achieving it. What matters most isn’t what the violence means or why it was perpetrated, only that it draws attention. Its shallowness invites viewers to project their own interpretations—or just enjoy the show.
Ich hab auch einiges gelernt, unter anderem, dass die Colombine Attentäter, damals 1999, im Vorfeld Videotapes aufgenommen haben – die „Basement Tapes“, die nie an die Öffentlichkeit kamen und nach der Auswertung und der Sichtung durch die Angehörigen vernichtet wurden. Damit reiht sich schon Columbine als frühe Pfadsetzung in die Shooterkultur ein.
Aber für Berg beginnt Geschichte noch viel früher: bei den Kinetoskopien von Thomas Edison, in dem er einen Elefanten durch elektrischen Strom töten lässt.
In 1903, Thomas Edison produced Electrocuting an Elephant, a film just over a minute long that documents the execution of Topsy, a Coney Island circus elephant that trampled a jeering spectator.
Was Berg nicht schreibt, ist, warum Edison den Film produzierte. Er ließ den Elefanten mit Wechselstrom töten, um den Menschen zu demonstrieren, wie gefährlich der ist, im Gegensatz zum Gleichstrom, den er damals als bisher einziger Strom-Oligarch anbot und dem George Westinghouse mit seinem immer erfolgreicher werdenden Wechselstrom-System zunehmend Konkurrenz machte.
„Die ersten Opfer der Plattformkriege sind Tiere.“ so begann ich die Geschichte dieses ersten Plattformkriegs, den „War of currents“, im Plattformbuch. Plattformkriege sind Kriege um die Pfadsetzung zur Hegemonie des eigenen Standards: Gleich- vs. Wechselstrom, VHS vs. Beta, Apple vs. PC, Netscape vs. Internet Explorer, Tiktok vs. Instagram, etc. Wer den Pfad zur richtigen Zeit setzt und mit den Netzwerkeffekten schwimmt, kontrolliert das Ökosystem.
Dass aber die öffentliche Opfergabe zur Plattformkultur seit Edisons Zeiten dazugehört, und offenbar die ganze Zeit mitgewachsen ist, finde ich eine bemerkenswerte Beobachtung, von der ich noch nicht so recht weiß, was ich damit anstelle.
In meinem Plattformbuch ist ein zentraler Begriff die Graphnahme.
So wie die Landnahme die Ordnung eines Staates auf einem Territorium begründet, begründet die Einnahme eines Graphen die Ordnung einer Plattform. Der Medienwissenschaftler Christoph Engemann hat die Macht, einen Graphen zu kontrollieren, deswegen auf den Akt der „Graphnahme“ zurückgeführt. Engemann hält die Graphnahme für eine übersehene, aber nichtsdestoweniger entscheidende machtpolitische Komponente zeitgenössischer Geopolitik. Seit Edward Snowden wissen wir, dass vor den Plattformen bereits die Geheimdienste, insbesondere die NSA, an einem Weltgraphen gearbeitet haben – also an der Idee, alle stattfindenden Verbindungen der Welt zu kartographieren. Auch das US-Militär arbeitete bereits seit dem letzten Irakkrieg mit sozialen Graphen, um Verbindungsmänner zu Terrorzellen zu identifizieren, Kommandostrukturen feindlicher Kämpfer zu analysieren und in diese Verbindungen durch diverse taktische Manöver einzugreifen – eine Praxis, die auch „graph shaping“ genannt wird.
Graphen sind ebenjene unterliegende Architektur, die eine Plattform nicht selbst herstellen kann. Eine Plattform kann die Voraussetzungen schaffen, um die Verbindungen zu ermöglichen – als erwartete Selektion potentieller Verbindungen. Aber der Graph einer Plattform ist nur zu etwas nütze, wenn er in den konkreten Verbindungen mit einer Realität außerhalb der Plattform korreliert: “echte” Musikleidenschaften, bedeutende Freundschaften, bedeutende Bedürfnisse, bedeutende Interessen, bedeutende Orte, Wege oder Leidenschaften.
Und hier ergibt sich eine weitere Parallele zwischen Graph und Raum. Durch die ungleiche Verteilung der Verbindungen, etwa bei skalenfreien oder Small-World-Netzwerken, kommen vor allem die lokalen Netzwerkeffekte zum Tragen. Ein Cluster oder ein Hub sind immer auch Amplituden lokaler Netzwerkmacht. Stellt man sich die Netzwerkmacht als Höhen vor, bzw. deren Abwesenheit als Tiefen, dann wird aus der Topologie eine Topographie. Der Graph bildet dann durch das Zusammenspiel von lokalen und negativen Netzwerkeffekten widerständige, zerklüftete Landschaften ab, mit Bergen, Tälern, Schluchten, schwer überwindbaren Flüssen und Küsten. Wie die Strategien der Landnahme müssen sich auch Strategien der Graphnahme an solchen Gegebenheiten orientieren. Im Musikgraph können Hip-Hop-Fans und ihre Musik zum Beispiel so einen Cluster/Hügel bilden, der neben anderen Hügel wie Metal oder Klassik existiert und nur wenig Überschneidungen aufweist. Einen solchen Hügel zu erobern ist schwer, ihn zu halten einfach. Er ist zudem eine gute Ausgangsbasis, um von dort weitere Eroberungen vorzunehmen. Unverbundene Teile des Netzwerkes bilden dagegen so was wie eine natürliche Grenze, die die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs minimiert, und ein Territorium leichter abgrenzbar macht.206 Alle Hügel und Täler zusammen bilden dann den jeweiligen globalen Graphen eines Interaktionszusammenhangs.
Heute würde ich es anders malen: Der Graph ist ein weit verzweigter Strom aus Pfadgelegenheiten und die Hügel sind Flaschenhälse, wo sich die Flüsse durch Engstellen zwängen. Weil jede Person auf einer Plattform eine potentielle Pfadgelegenheit für die anderen ist, gilt auf Plattformen eine Art Metcalfe’s Law, d.h. die Pfadgelegenheiten entwickeln sich exponentiell zum Nutzerzuwachs, nur dass in der Realität die Pfadgelegenheiten aus Sicht des Einzelnen eben nicht gleichwertvoll sind (99,99 Prozent der Inhalte jeder Plattform interessiert einen ja nicht).
In der politischen Ökonomie der Pfadgelegenheiten (Ich benenne sie hiermit um) ist Macht relative Netzwerkzentralität im Netzwerk der Pfadgelegenheiten. Genauer: eine Kombination verschiedener Netzwerkzentralitäten: relative Betweenness-Netzwerkzentralität (schwer austauschbar) bei gleichzeitig nomineller Degree-Netzwerkzentralität (hohe Popularität) und/oder hoher Eigenvektor-Netzwerkzentralität (z. B. mächtige Kund*innen, Geschäfspartner*innen). Das erreichbare Maximum in diesem Spiel ist folglich das Monopol über alle Pfadgelegenheiten, aber man kann auch gute Margen verdienen, wenn man nur einfach eine relativ hohe Betweenness-Netzwerkzentralität im Vergleich zu seinem lokalen Umfeld erlangt.
D.h. Daraus könnte man grob annähren, dass die Macht der Plattform gegenüber einem Nutzer die Summe des „Werts“ der von ihr für ihn zur Verfügung gestellten Pfadgelegenheiten ist, geteilt durch die Anzahl der Pfadalternativen für dieselben oder (leidlich) gleichwertigen Pfadgelegenheiten zur Plattform + 1. (So in etwa hatte ich es in meiner Doktorarbeit)
Und dann kam die Twitterübernahme durch Musk. Für Dividuen wie mich stellte sich die Frage, welchen Wert – im Sinne von Pfadgelegenheiten (Zugang zu News, Spezialinformation, eigene Reichweite, Unterhaltung, Promis, Diskurse, etc) – wir bereit waren zurückzulassen, um den zugegebener Maßen mit bislang viel weniger Pfadgelegenheiten ausgestatteten Netzwerken wie Mastodon oder Bluesky eine Chance zu geben.
Das verschaffte mir zwei Datenpunkte:
- Ja, es gab einige Austrittswellen, die am Anfang vor allem auf Mastodon und seit letztem Jahr mehr auf Bluesky aufrauschten und immer wieder ein bisschen Leben in die Buden brachten, aber das meiste fließt immer wieder zurück ins Meer. Das absolute Worstcase Szenario, dass ein völlig durchgeknallter Faschist an die Macht der Plattform kommt und sie gezielt als Nazipropagandawaffe einsetzt, reichte nicht aus, um genug Leute zum Gehen zu bewegen. Ich behaupte: wir sehen hier nicht das Versagen des Individuums, sondern die sichtbare und monströse Wirkung von Netzwerkmacht. Die meisten wollen weg, aber halten sich gegenseitig auf X als Geisel.
- Der andere Datenpunkt: Der Twitterverlust tat scheiße weh. Ich glaube, es gibt nicht so viele Menschen, die verstehen können, wie tief Twitter in meine informationellen Alltagsroutinen verwoben war, wie meine Karriere und auf eine Art auch meine Identität an meinem Twitteraccount hang.
Und dieser zweite Datenpunkt – der Netzwerkschmerz – bringt mich nun dazu, die Formel anzupassen.
Die Macht der Plattform gegenüber einem Nutzer ist die Summe des „Werts“ der von ihr für ihn zur Verfügung gestellten Pfadgelegenheiten plus die Summe aller Pfadgelegenheiten, die sich pfadabhängig aus diesen Pfadgelegenheiten ergeben, geteilt durch die Anzahl der Pfadalternativen für dieselben oder (leidlich) gleichwertigen Pfadgelegenheiten zur Plattform + 1.
Es ist eben nicht nur Zugang zu News, Spezialinformation, eigene Reichweite, Unterhaltung, Promis, Diskurse, etc. Der Großteil des „Werts“ liegt downstream der Engstelle, sonst würde es gar nicht funktionieren. Vor allem bei den halbwegs großen und aktiven Accounts liegt der Wert vor allem um Anerkennung, um das eigene Geschäftsmodell, Sozialität, den sich ständig ergebenden beruflichen Kontakten und irgendwann dem eigenen Identitätsmodell – kurz: es geht um Existenzen.
Adam Raz und Assaf Bondy in Geschichte der Gegenwart über die semantisch und materiell hergestellte Komplizenschaft der Israelis mit dem Genozid in Gaza.
Die Komplizenschaft wird auf zwei Ebenen hergestellt: der materiellen und der semantischen. Zunächst zur semantischen Ebene:
In unserem Buch „Lexikon der Brutalität: Schlüsselbegriffe aus dem Gaza-Krieg“ (auf Hebräisch im Pardes-Verlag, 2025) haben wir die diskursiven Mechanismen untersucht, die es der Öffentlichkeit gestatten, die in Gaza begangenen Verbrechen zu unterstützen oder sich gar daran zu beteiligen – die sprachlichen und kulturellen Instrumente, die das Unvorstellbare normalisieren und Massengräuel gesellschaftlich akzeptabel machen. Die gesellschaftliche Unterstützung und Beteiligung wird durch die Übernahme des Regierungsdiskurses gefördert, der anschließend in alltäglichen Interaktionen reproduziert und verbreitet wird, sei es am Esstisch, in Lehrerzimmern, in Supermärkten und so weiter.
Die verharmlosende Sprache bezieht nicht nur die Öffentlichkeit in staatliche Gewalt ein, sondern erleichtert auch die Umsetzung der Regierungspolitik. In diesem Sinne wird der gesellschaftliche Diskurs zu einem ‚Käfig‘, der das Denken einengt und den Raum für Dissens einschränkt. […]
Wir haben es mit einer systematischen semantischen Verschleierung gewalttätiger Handlungen zu tun. Sie fand in den letzten zwei Jahren in Israel in extremer Weise statt und kann als bewusste Strategie angesehen werden, sich gegen das stattfindende menschliche Leid zu immunisieren. Wenn Minister dazu aufrufen, „Gaza dem Erdboden gleichzumachen“, verbirgt sich hinter dieser Redewendung die reale Möglichkeit, Gebäude über den Köpfen ihrer Bewohner:innen zu zerstören. Wenn Politiker:innen aus Mitte- und Rechtsparteien von „freiwilliger Migration“ sprechen, dem derzeit gebräuchlichen technisch-demografischen Begriff, oder von der Errichtung einer „Riviera“ in Gaza, so sind dies letztlich Umschreibungen des Vorhabens, eine ganze Bevölkerung aus ihren im Krieg zerstörten Häusern zu vertreiben. Hinter dem Begriff „Kollateralschaden“ verbergen sich die Gesichter toter Frauen, Männer und Kinder. Die sprachliche Neutralisierung von Brutalität ermöglicht die Ausweitung und Eskalation des Krieges. Wie George Orwell in seinem Essay „Politics and the English Language“ (1946) bemerkte: „Die politische Sprache – und mit Abweichungen gilt dies für alle politischen Parteien, von den Konservativen bis zu den Anarchisten – ist darauf ausgelegt, Lügen wahrhaftig und Mord respektabel klingen zu lassen und reinem Geschwätz den Anschein von Solidität zu verleihen.“
Wie immer ist materielle Ebene ist aber noch relevanter.
Während des Gaza-Krieges entstand in Israel eine neue wirtschaftliche Währung, bekannt als „reserve duty day“ (RDD), eine staatliche Vergütung für einen Tag Reservedienst. Der RDD ist nicht nur eine Zeiteinheit, sondern eine Form von Währung, mit der der Staat die aktive Partnerschaft seiner Bürger:innen bei seinem Projekt der Zerstörung und Vernichtung im Gazastreifen erkauft.
Dieser Mechanismus funktioniert wie folgt: Der Staat zahlt einzelnen Reservist:innen fast 29.000 israelische Schekel (etwa 7.400 Euro) pro Monat, damit sie sich „freiwillig“ zum Reservedienst melden. Zum Vergleich: Der Mindestlohn in Israel betrug 2025 pro Monat 6.248 Schekel (1.596 Euro), während das Durchschnittsgehalt aller Branchen 14.800 Schekel (3.781 Euro) erreichte. Der RDD bietet somit fast das Fünffache des Mindestlohns und fast das Doppelte des nationalen Durchschnitts. Er konkurriert damit direkt mit den Hightech-Gehältern, die seit langem den Goldstandard für prestigeträchtige israelische Jobs bilden.[…]
Die praktische Umsetzung dieses Systems führt zu einer Art „militärischer Gig-Economy“. Diese stellt eine bedeutende Neuerung in der modernen Kriegswirtschaft dar (oder was in der Vergangenheit als militärischer Keynesianismus angesehen wurde): RDD als öffentliche Bestechung von Privatpersonen. Die Flexibilität dieses Systems der „offenen Befehle“ wird durch die Erfahrung eines 34-jährigen Reservisten veranschaulicht: Dieser beschrieb, wie Soldaten RDDs nutzten, um Vorräte für die Grillparty der Einheit zu kaufen. Dafür registrierten sie den Metzger, von dem sie das Fleisch bezogen, als Reservisten, so dass dieser einen Anspruch auf 30 Tage Reservistenbezüge erhielt. Anstatt ihn in Schekel zu bezahlen, bezahlten sie ihn in RDD.
Diese Komplizenarchitektur wirkt wie ein materiell-semantischer Käfig, der die Interessen der Bevölkerung mit den Kriegen der Regierung alignt.
Dieses System schafft ein Netzwerk von Interessen, das wachsende Teile der Bevölkerung erfasst und ein kollektives Mitwirken an der Regierungspolitik intensiviert. Der Umfang dieses Netzwerks ist beträchtlich. Schätzungen zufolge waren im ersten Kriegsjahr über 300.000 israelische Reservist:innen im Einsatz, von denen viele noch immer für längere Zeit dienen und direkt in die Kriegswirtschaft eingebunden sind. Laut Militärdaten leisteten diese 300.000 Personen im Jahr 2024 einen durchschnittlichen Dienst von 120 Tagen, was einer Beteiligungsquote von bis zu 16 % der relevanten Bevölkerung entspricht (jüdische Männer im Alter von 21 bis 45 Jahren, abzüglich der Ultraorthodoxen, die keinen Militärdienst leisten). Der Anteil ist so groß, dass er einen wesentlichen Teil der Gesellschaft mit einbezieht.
Die psychologischen und sozialen Dimensionen dieses ‚ökonomischen Käfigs‘ sind ebenfalls wichtig. Für den Reservisten, der ein hohes Monatsgehalt bezieht, wird es psychologisch und wirtschaftlich schwierig sein, die Kriegsverbrechen zu kritisieren, an denen er beteiligt ist oder die er miterlebt. Seine Familie, die in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit von einem stabilen und respektablen Einkommen profitiert, wird weniger Motivation haben, sich gegen Militäroperationen, einschließlich systematischer Gräueltaten, zu stellen. Seine Freund:innen werden weniger geneigt sein, jemanden zu kritisieren, der sein Privatleben opfert, auch wenn er davon finanziell profitiert. Die sozialen Kreise jedes Reservisten – Familie, Freund:innen, Kolleg:innen und Nachbarn – werden zu indirekten Beteiligten an der Kriegswirtschaft und damit auch an deren Verbrechen. Dadurch entsteht ein Netz der Kompliz:innenschaft, das weit über die direkte militärische Beteiligung hinausgeht und ganze Gemeinschaften umfasst, deren wirtschaftliches Wohlergehen von der Fortsetzung dieser Verbrechen abhängt. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, in der Widerstand gegen kriminelle Politiken nicht nur politisch schwierig, sondern auch wirtschaftlich riskant wird.
Dieses System ist nicht temporär, sondern wird die israelische Gesellschaft auf Dauer prägen.
Der derzeitige Wandel ist mehr als nur eine vorübergehende Anpassung an die Kriegszeit. Er ist eine potenziell dauerhafte Veränderung des Sozialvertrags zwischen den israelischen Bürger:innen und dem Staat. Die israelische Politik wird von diesen Mechanismen weiterhin geprägt bleiben, während gleichzeitig die wirtschaftliche Abhängigkeit von militärischen Operationen normalisiert wird. Für Israel wirft diese Entwicklung grundlegende Fragen hinsichtlich des Weiterbestehens seiner Demokratie auf: Immerhin hat ein erheblicher Teil der Bevölkerung ein direktes wirtschaftliches Interesse an der Fortsetzung von Kriegsverbrechen.
Die Regierungen haben von den Plattformen gelernt: LockIn ist eine der effektivsten Regierungsmethoden.
Der Grund, warum Netanjahu zwar über Elon und Ellison spricht, aber nicht über Zuckerberg, liegt daran, dass Meta schon lange an Board ist. Schon 2023 veröffentlichte Humand Rights Watch einen Report darüber, wie Meta systematisch israelkritische und propalästinensische Stimmen zensiert, die BBC zeigte 2024, wie propalästinensische Stimmen algorithmis gedimmt werden, Dropsite News 2025 und der EFF wies u.a. darauf hin, dass Israelische Behörden – die Israeli Cyber Unit – einen privilegierten einen Löschzugriff auf Metaplattformen haben. Wer lieber Video schaut: Al Jazeera hat eine Doku zum Thema.
Aber das ist nicht alles. Bei Meta sind über 100 ehemalige IDF-Soldaten und Mossad-Agenten auf hohen Positionen.
Als geleakt wurde, dass Jordana Cutler, Metas aktuelle „policy chief for Israel and the Jewish Diaspora“ eine friedliche Studentengruppe, die „Students for Justice in Palestine“ als „Dangerous Organizations and Individuals“ flaggen wollte, war der Aufschrei groß.
Her resumé includes several years at the Israeli Embassy in Washington, D.C., where she worked in public affairs and as its chief of staff from 2013 to 2016, as well as a stint as a campaign adviser for the right-wing Likud party and nearly five years as an adviser to Prime Minister Benjamin Netanyahu. Upon her hiring in 2016, Gilad Erdan, then minister of public security, strategic affairs and information, celebrated the move, saying it marked “an advance in dialogue between the State of Israel and Facebook.”
Der strategische Wert des Verkaufs von Tiktok an die amerikanische Oligarchie ist nicht nur eine Pfadgelegenheit, bei Tiktok dasselbe harsche Regime einzuführen (das existiert dort schon), sondern geht weit darüber hinaus. Netanjahu und Trump haben jetzt die Pfadgelegenheit mit drei ihrer Tech-Buddies die gesamte westliche Öffentlichkeit zu umstellen.
Was heißt das?
Hier, was ich glaube, was passieren wird, sobald der Deal durch ist: Es wird einen plattformübergreifenden „Purge“ auf alle linken, trans- und vor allem propalästinensischen Accounts geben. Das war vorher technisch schon möglich und ich bin mir sicher, dass die Listen längst existieren, aber die Situation war noch nicht bereit.
Meta konnte seine Zensurbemühungen bislang nur sehr vorsichtig umsetzen, weil offen propalästinensische Accounts erstens verdammt viele sind, die zweitens eine teils erhebliche Reichweite haben (siehe Hasan Piker), aber vor allem, weil sie bei einer so brutalen Maßnahme erwarten müssen, jede Vertrauenswürdigkeit bei ihren Nutzer*innen zu verlieren, was zu einer Massenflucht zu Tiktok oder anderen Plattformen führen würde.
Sowas geht nur koordiniert. Auch Musk „ist ein Freund“, wie Netanjahu sagt und mit Druck aus dem Weißen Haus bekommen sie auch Youtube auf Linie. Aber all das geht nicht, solange Tiktok daraus Gewinn schlagen kann und schließlich den Plattformkrieg gewinnt.
Kurz: Mit Ellison an den Tiktok-Hebeln tun sich völlig andere Pfadgelegenheiten auf.
Wenn die Macht der Plattform gegenüber einem Nutzer die Summe des „Werts“ der von ihr für ihn zur Verfügung gestellten Pfadgelegenheiten + die all die Pfadgelegenheiten, die dadurch möglich werden ist, geteilt durch die Anzahl der Pfadalternativen für dieselben oder gleichwertigen Pfadgelgenheiten zur Plattform + 1 ist, dann ist die Öffentlichkeit jetzt umstellt. Denn wenn einem Pfadalternativen ausgehen, dann ist man gefangen und der LockIn entspricht im Zweifel dem Wert der eignen Existenz.
Ich kann die Zukunft nicht vorhersehen, aber ausgehend von den Beobachtungen nach Elons Musks Twitterkauf, bin ich skeptisch, ob so ein dreister, offener Purge ausreichen wird, dass die Leute in Scharen fliehen. Und die, die fliehen – davon wird es viele Millionen geben – werden sich, wie wir damals, in alle möglichen heterogenen Netzwerken verstreuen oder Offline gehen.
Was uns bevorsteht, ist die endgültige Graphnahme und Gleichschaltung der digitalen Öffentlichkeit durch Trump, Netanjahu und ihre Tech-Oligarchenfreunde.
Christian Stöcker mit einem interessanten fachlichen Blick auf die psychologisch falschen Annahmen der KI-Forschung.
Die Entwicklung des menschlichen Denkens vollzieht sich nicht unabhängig von unseren Körpern, im Gegenteil: Wir lernen, über die Welt nachzudenken, indem wir mit ihr interagieren. Dabei können wir irgendwann enorme Abstraktionslevel erreichen: Astrophysikerinnen oder Bioinformatiker sind permanent mit Dingen beschäftigt, die sie weder sehen noch anfassen können. Anfangen aber müssen wir alle mit Interaktionen mit der Umwelt. Unser Denken basiert darauf, genau wie unser Handeln. Wir verknüpfen in unseren Köpfen Sinneswahrnehmungen – Sensorik also – mit Handlungen – Motorik also. »Denken« ist zunächst einmal die interne Simulation dieser Verknüpfung. […]
Um Begriffe wie »Freiheit«, »Krankenversicherung« oder »Hypotenuse« lernen und verstehen zu können, müssen wir zunächst einmal Begriffe wie »Löffel«, »Stuhl« oder »Schuh« gelernt haben, und zwar auf Basis des physischen Umgangs mit ihnen. Abstraktes Denken ist eine Weiterentwicklung konkreten Denkens, keine davon unabhängige Funktion des menschlichen Geistes.
Ich finde das total logisch. Wir werden immer schon in ganz konkrete materielle und semantische Strukturen hineingeboren und deswegen begegnen uns alle Dinge und Worte als immer schon in materiell funktionale Pfade (Löffel als Pfadgelegenheit zum Brei essen), und ihre Pfadabhängigkeiten (Schüssel, Tisch, Essen), sowie in soziale Netzwerke (Mama füttert mich mich Löffel) und in semantischen Pfade („Will Löffel!“) eingebunden.
Weil wir keine Individuen sind, die sich der Welt gegenüberstellen, sondern relationale Materialist*innen, denken wir weder in „Objekten“ noch in „Begriffen“, sondern in Pfaden.
Denkt mal über das Denken nach und beobachtet euch selbst: Nachhausefinden, Planen, Sprechen, Kuchenbacken, Singen, Erzählen, Nachdenken, Erinnern, Kopfrechnen, Forschen, ein Wissenschaftlicher Versuch – all das sind Pfade. Um uns unsere Schuhe zuzubinden, müssen wir zuerst in die Hocke gehen, dann mit der einen hand den einen und mit der anderen den anderen Schnürsenkel greifen und so weiter. Jeder Schritt ist notwendig, also eine Pfadabhängigkeit für den nächsten Schritt.
Dieselben Bewegungs-Pfadabhängigkeiten sind aber selbst wiederum in andere Kontexte eingewoben. Wenn z.B jemand im Trainingsanzug in die Hocke geht, gibt es diesen Moment der Unsicherheit, ob er sich die Schnürsenkel binden will, oder in den „Slav Squat“ geht.
Handlungen und ihre Infrastrukturen sind als materielle Pfadgelegenheiten mit dem Raum der semantischen Pfdgelegenheiten rhizomatisch verwoben. Oder anders: Semantik und materieller Weltbezug bilden einen gemeinsamen Latent Space, den wir nur von innen und immer nur entlang konkreter Pfade kennenlernen. Alles ist eins. Ja, doch, Spinoza, aber mit Übergangswahrscheinlichkeitsmatrix statt Kausalitätsketten.
Manche Pfade erweisen sich als Holzweg. So ist z.B einer unserer ererbten semantischen Pfade die Vorstellung, wir seien „Subjekte“ unter „Objekten“. Diese Vorstellung ist – ihr werdet es erraten – pfadabhängig von der Selbsterzählung als Individuum, also als insich abgeschlossene Entität, die sich als Geist (Intelligenz/Res Cogitans) der Welt (den Objekten/Res Extensa) gegenüberstellt.
Was der beschriebene Google-Roboter tut, wenn er unbeholfen Stofflappen in Plastikwannen hievt, ist menschlichem »Denken« tatsächlich näher als das, was ChatGPT tut, wenn man es auffordert, ein Gedicht über kartenspielende Hunde zu schreiben. Die Maschine muss »Begriffe« im engeren Sinn bilden. Sie muss die Worte in ihrem Sprachkorpus in Verbindung bringen mit Objekten und Konzepten in der realen Welt, etwa mit den Farben der Stoffstücke und Wannen; mit Objekten, die sie mit ihren Sensoren wahrnehmen kann und mit denen ihre Effektoren, in diesem Fall ihre »Hände«, interagieren können.
Ich bin da glaube ich noch etwas skeptisch, denn unsere menschliche Semantik ist immer in unseren materiellen Erfahrungsrahmen situiert und damit feingranular und tief verwoben. Was passiert, wenn man voneinander unabhängig erworbene Latent Spaces – den Latent Space der LLMs (Texte) und den Latent Space der materiellen Pfadgelegenheiten des Robotertrainings – einfach miteinander verbindet? So rein intuitiv kommt mir das sehr wacklig vor.
Aber ich gebe Stöcker recht, dass der weitere Weg zur KI über dem Weltbezug kommen wird und das das unschön wird.
Das ist, psychologisch betrachtet, so folgerichtig wie Furcht einflößend. Wenn die künstlichen Intelligenzen der Zukunft physisch oder anderweitig in die reale Welt eingreifen können – sei es als Haushaltsroboter mit übermenschlichen Kräften, als ultraschnelle, autonome Handelsmaschinen an den Börsen der Welt, oder gar als Drohnenschwarm , der selbstständig Ziele angreift –, dann werden die bislang teils hysterischen Warnungen vor den Gefahren durch Maschinen , die gewaltige Schäden anrichten, plötzlich viel plausibler.
Hier ein Vorschlag: Als „Intelligent“ bezeichnen wir die je nach Kriterium als erfolgreich beurteilte Navigation des Latentspace. Die Erfolgskritierien können dabei sehr unterschiedlich sein: konkrete Kompetenzen und Fertigkeiten, akademischer Grad, Feindlichem Feuer ausweichen, Effizienz, die erfolgreiche Absolvierung von IQ-Tests, monetärer Erfolg, erschoßene Kombattanten, Humor, Eleganz, Höflichkeit, gehackte Infrastrukturen, soziales Geschick, Charisma, Eloquenz, „Thoughtleadership“, Agieren als autonome Kampfformation, oder einfach, wenn wir jemanden als besonders Aufmerksam für Bedürfnisse anderer wahrnehmen. „Intelligenz“ ist „erfolgreiche Navigation“ in der Metrik, die dir gerade wichtig ist.
Das „Individuum“ hat uns in sein Reich der Unverbundenheit gelockt, ins Reich der Objekte und unverbundenen Handlungen, wo die Infrastruktur immer schon da war und wir immer schon „frei“, „autonom“ und „intelligent“ waren. Ich finde, es ist Zeit, erwachsen zu werden und aus dieser kindischen Superheldenerzählung auszusteigen und uns unsere relational materiell situierte und dadurch notwendig sequenzielle Natur einfach mal einzugestehen.