Wir mussten dann doch mal wieder reden

Max und ich haben es geschafft, endlich eine neue Folge Wir müssen reden rauszuhauen.

„Wir besprechen diesmal einen Shitload von Themen. Vom Essen in New York schwenken wir ein zur Sarrazindebatte, unterbrechen für eine halbstündige Werbesendung, besprechen die Freiheit statt Angst Demo, entwerfen die Idee einer positiven Netzpolitik, verlieren uns in dem Begriff der Öffentlichkeit und stapeln steile These um steile These, um am Schluss die großen Knacker Urheberrecht und so einfach auf die nächste Folge zu schieben.“

Viel Spaß!

PS: Klickt bitte auf den Likebutton bei dort für Twitkrit, weil toll!

Die Rückhaltlose Urheberschaft (twitkrit)

Zur Abwechselung habe ich mal einen ernsthaften Blogpost auf veröffentlicht. Die Plagiate (übernommene Tweets ohne Quellenangabe) nehmen auf Twitter immer weiter zu. Und rechtlich ist da nichts gegen zu machen. Ich finde das spannend, denn die Twitterer müssen mit der Kopie und der „Verletztung“ ihres „geistigen Eigentums“ umgehen, ohne sich auf eine „Sollensordnung“ (Recht) zurückfallen lassen zu können. Es entsteht also eine „rückhaltlose Urheberschaft“ und damit eine Blaupause des Kontrollverlusts. Und damit wird Twitter ein bisschen zum Versuchsfeld für die Überwindung der sozialdemokratisch-neoliberalen Leistungsethik.

Twitkrit: Geistige Eigentümlichkeiten

„Wir haben hier auf Twitter die Chance auszuprobieren, wie eine Welt ohne Urheberrecht funktioniert, weil es das hier tatsächlich nicht gibt. Wir können hier proben, wie wir mit unserer Eifersucht und Missgust umgehen können und ob wir es überhaupt können. Und wann und warum wir daran scheitern.“

Es ist eine ziemlich wilde und lange Diskussion entstanden, die den innersten Kern der Konflikte darstellt, die die Moralität des einzelnen auf die Probe stellt. Interessant auch, was @Zeitweise dazu zu sagen hat.

Leistungsschutzrecht und die sozialdemokratische Ideologie des Neoliberalismus

Wer liberal ist, verteidigt geistiges Eigentum“ sagte Mathias Döpfner, Verlagschef von Axel Springer in der NZZ. Ich finde das hinreichend lustig und gleichzeitig folgerichtig, um da ein wenig weiter zu denken. Immerhin geht es um das Leistungsschutzrecht und das, wovor das Urheberrecht verteidigt werden muss, ist der Markt. Vom, klar, Staat. Das ganze kam zu uns über die Koalitionsvereinbarung, also auch über die FDP. Diese neoliberal… Ähhm.

Der Neoliberalismus ist ein politischer Kampfbegriff und – wie immer wieder richtig angeführt wird – geht die Bezeichnung schon vom Ursprung her völlig fehl. Da ich aber liberal bin, vor allem in sprachlichen Dingen, finde ich diese Kritik kleinlich. Die Menschen haben sich hierzulande nun mal entschlossen, diese gewisse politische Haltung so zu nennen. So ist sie halt, die Sprache, die räudige. Ich finde den Begriff aus einem ganz anderen Grund problematisch. Denn der Neoliberalismus – wie er hierzulande verstanden wird – ist gar nicht eine Ideologie. Sondern zwei.

Zum einen ist da, ganz klassisch, die Marktideologie: Es wird angenommen, dass der Markt in seinem Spiel um Angebot und Nachfrage für die beste Verteilung der Güter sorgt.

Zweitens ist da ein weiteres Dogma: Arbeit muss bezahlt werden! Im Grunde seines Herzens ist dieses Dogma ein Sozialdemokrat. Es entstammt der Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten im Industriezeitalter, hat seine denkerischen Wurzeln sicher im Protestantismus und gilt bis heute tief in alle Parteien hinein. Heute spukt diese Ideologie am liebsten im Begriff der „Leistung“ herum.

Der Witz ist, dass diese beiden Ideologien überhaupt kaum kompatibel sind. Und dennoch werden sie meist als ein einziger Denkansatz wahrgenommen. Vieles, was man heute Neoliberal nennt, ist in Wirklichkeit sozialdemokratisch.

Es ist kein Zufall, dass es die Sozialdemokraten waren, die Hartz IV einführten. Wer arbeitet, soll Lohn haben, wer viel arbeitet soll viel Lohn haben, wer nicht arbeitet, soll auch nicht … naja, vielleicht ein bisschen was, aber jetzt husch! such dir eine Arbeit!

Das alles passt besser zusammen, als viele SPDler es sich eingestehen wollen. Und auch, wenn die Fackelträger dieser „neoliberalen“ Denke mitsamt seinem sozialdemokratischen Unterbau jetzt am ehesten bei der FDP zu finden sind, ändert das nichts an der Tatsache, dass diese Denke überhaupt nichts mit einer Marktideologie zu tun hat, im Gegenteil.

Aber zurück zu Hartz4. In einer idealen Marktsituation begegnen sich die Marktteilnehmer auf Augenhöhe. Dazu gehört auch immer die Option, einen Handel nicht eingehen zu müssen. Hartz IV hat genau diese Option für Arbeitnehmer extrem eingeschränkt. Ein Arbeitnehmer wird durch die Hartzreform mehr als je in den nächst besten Handel (Arbeitsangebot) hinein gezwungen. Verfechter einer reinen Marktideologie hätten gegen Hartz IV Sturm laufen müssen. Aber da war … nichts.

Die sozialdemokratische Ideologie des „Arbeit muss bezahlt werden“ findet sich heute überall. Bei dem parteiübergreifenden Ziel der Vollbeschäftigung, über „Leistung muss sich wieder lohnen!„-Parolen, genauso wie bei der Forderung nach dem Mindestlohn. Überall steht die Vorstellung, dass sich „Arbeit“ in einer „Leistung“ ausdrückt, die der „Gerechtigkeit“ wegen so und so entlohnt werden muss. Materielle Existenz hat gefälligst untrennbar an Arbeiten und Leistung geknüpft zu sein – obwohl das in Wirklichkeit noch nie so war. Die Parteien streiten sich nur, was „Leistung“ ist. Ob der Markt jetzt Ausdruck der Leistung ist oder die Arbeitszeit oder die Anstrengung, die Nachhaltigkeit der Anstrengung oder was auch immer. Diese Denke steckt tief im inneren unseres Denkens, viel tiefer als die Idee des Marktes. Sie ist unsere Sklavenmoral.

Und sie steckt auch im Urheberrecht und im Leistungsschutzrecht im besonderen. Da soll also eine Branche vom Staat vor dem Markt beschützt werden und das soll man dann „liberal“ nennen.

Ich bin übrigens nicht dagegen, dass der Journalismus überlebt und meinetwegen kann er das auch entgegen des Marktes tun. Wenn uns der Journalismus etwas wert ist, werden wir auch jenseits des Marktgeschehens dafür sorgen, dass er seinen Platz hat. Aber das Leistungsschutzrecht ist ein Feigenblatt feiger Verleger, die darauf Pochen, nur und ausschließlich vom freien Markt bezahlt zu werden und ihn deswegen gesetzlich nötigen wollen, seine Produkte nach aufgezwungenen Konditionen zu kaufen. Leistungsschutzrecht und Hartz IV sind zwei Seiten der selben Unlogik und Stolpersteine auf dem Weg in die Zukunft.

Wie ich schon vor einiger Zeit geschrieben habe: uns von der Ideologie der Leistung zu befreien ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe, die uns bevor steht. Im Informationszeitalter steht genau diese Ideologie jeder Innovation entgegen. Sie verhindert ein Neudenken des Urheberrechts, hält blind an der Vollbeschäftigung als Ziel fest, statt ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ermöglichen, gegen dass die Leistungsideologie sowieso Sturm läuft, hat sogar Angst vor der Automatisierung, weil Arbeitsplätze verloren gehen und wacht Eifersüchtig über alle Informationen und will nichts teilen. Sie sitzt auch als hässlicher, grüner Gnom in unserem Kopf und schreit eifersüchtig: „das hat der gar nicht verdient!„, wenn jemand auf ein eingebundenes Video Flattrklicks bekommt. Ja, auch in deinem Kopf!

Nachtrag: Andy hat in den Kommentaren richtig darauf hingewiesen, dass Thilo Sarrazins Denken die in Reinform gesteigerte sozialdemokratische Ideologie ist. Der Mensch ist nur noch wert, was er für die Volkswirtschaft beizusteuern weiß. Am besten sortiert man die Menschen nach diesen Kriterien schon im Vorfeld anhand statistischer Merkmale aus.

Das Ausschlussverfahren ist somit tatsächlich völlig ungerechtfertigt. Besser sollte die SPD überprüfen, in wie weit ihre an Arbeit über alles stellende Denke konsequent in den Sarrazinismus führen kann.

Kontrollverlust, Sarrazin und OkCupid

Eines der ersten Opfer des Kontrollverlusts ist die Wahrheit. Wahrheit – hier als die eine, objektive, von allen geteilten und unzweifelhafte Wahrheit verstanden. (die es – klar – eh nie wirklich gab)

Ich will mich hier gar nicht erst in die Tiefen der Epistemologie verstricken, sondern es nur bei der Anmerkung belassen, dass wenn alle Daten mit allen anderen Daten verknüpfbar sind und die Art der Verknüpfung für jede Abfrage offen bleibt (der Kern der Kontrollverlustthese), werden Korrelationen aller Art herstellbar sein. Korrelationen die in den Händen dieses oder jenes Menschen, mal diese und mal jene These stützen. (Von der informationellen Segmentierung des gesellschaftlichen Diskurses durch bessere Filtertools mal ganz abgesehen. Hier wäre allerdings noch einiges zu sagen.)

Wir kennen das schon. „Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden…„. Die Welt ist komplex. Sie ist mitunter so komplex, dass selbst in einem speziellen Fachgebiet ausgebildete Menschen Schwierigkeiten haben, jede Studie nachvollziehen zu können, geschweige denn, sie verifizieren, falsifizieren, peereviewen etc. zu können. Was sie allerdings auch heute nicht mehr brauchen. Schließlich gibt es ja eine andere Studie, die das Gegenteil der jeweilig angezweifelten besagt.

Ganz unabhängig davon, wie viele und welche Zahlen Thilo Sarrazin nun wirklich frei erfunden, welche er tatsächlich recherchiert hat: der Fall zeigt sehr gut, wie man in diesem Wirrwarr eines Grundrauschens der Zahlen, in denen wir leben, einfach die sich selbst genehme Korrelation herauspicken und damit Politik machen kann. Wahrheit – gesellschaftlich betrachtet – ist schon ziemlich am Ende. Aber der Todesstoß steht noch bevor.

Dass das alles erst der Anfang ist, zeigt nun OkCupid. Diese Flirtplattform für Statistiknerds fragt eine schier unendlich wirkende Kaskade an Fragen ab. Der Katalog von Fragen zählt bereits 4000. Der Nutzen für die User: es werden „Matches“ zu allen anderen Usern berechnet, so dass sich findet, was zusammen gehört. So lautet zumindest das Versprechen.

Diese Plattform, die nun so viele persönliche Daten von den Nutzern hat, wie Google sich in seinen kühnsten Träumen nicht erhoffen wagt, stellt damit regelmäßig lustige statistische Dinge an, die sie in ihrem Blog veröffentlichen.

Jetzt haben die Macher den Thilo 2.0. gemacht und die Vorlieben, Qualitäten und Nichtqualitäten nach den (von den Unsern selbst einzustellenden) ethnischen und religiösen Kriterien her aufgeschlüsselt – und haben dabei einige rassistische – zumindest stereotype – Klischees bestätigt und manche widerlegt. (Link via Kathrin Passig ihre Shared Items.)

Jetzt kann sich jeder selbst ein Bild machen und sich fragen, was er davon halten will. Für mich steht etwas anderes fest: Das hier ist nur der Anfang. Und: bösartiger aufbereitet können mit solchen Dingen schlimme rassistische Konflikte heraufbeschworen werden. Wie wird eine Gesellschaft demnächst damit umgehen?

Jeder kann sich aus dem immer schneller wachsenden Wust der Daten seine eigene Wahrheit formen. „Menschen mit langen Fußnägeln werden öfters von Regentropfen getroffen – mit anderen Worten: sie sind heilig!“ – Warum also nicht gleich eine Fußnagelsekte gründen?

Und das Ende der Wahrheit ist das Ende der Öffentlichkeit, denn diese war sowieso nur ein ausgedachtes Projektionswesen der Massenmedien, als eine Reflexion über sich selbst und ihr Publikum.

Sind die Daten rassistisch, oder sind es die Abfragen? Die neue Öffentlichkeit ist nicht mehr in den Daten selbst zu suchen und ihrem wie auch immer gearteten Sichtbarkeitsstatus – sondern in ihrer Abfrage. Und damit beim Anderen. Braucht es eine Ethik Abfrage? Oder muss sich die Gesellschaft (sofern es die unter diesen Umständen überhaupt noch gibt) immunisieren, gegen solche Provokationen. Indem sie einsieht, dass die publizierten Antworten eben keine „Wahrheit“ sind, dass sie zwar nicht beliebig, aber eben nur eine Sicht auf Dinge darstellen. Eine von unendlich vielen möglichen Sichten, bei dem die Macher nun mal die rassistische Variante wählten.

Wir sind auch hier – wie in der Frage der Kreativitätsentlohnung und der Privatsphäre – dem Anderen hilflos ausgeliefert. Der Andere, als die ganz andere Abfrage der Daten (die nicht in den Daten ausgeschlossen werden kann, die überhaupt nicht voraussehbar ist).

Es gibt nur zwei Dinge, die wir tun können. Entweder, wir entwaffnen den Anderen (nehmen ihm die Macht uns wirklich zu schaden: Plattformneutralität), oder wir sind seiner Ethik ausgeliefert, die wir nur erbitten können, weil es keine Hebel gibt, sie durchzusetzen. (jedenfalls keine, ohne die Freiheit abzuschaffen).

PS: Nach etwas Nachdenken, bin ich übrigens darauf gekommen, dass Sascha Lobo in der Filesharingdebatte genau das tut: an die Ethik des Anderen appellieren. Und ja, das kann eine (Teil-)lösung sein. (Weshalb ich noch weniger verstehe, warum er Flattr nicht mag.)

KAUFEN!

Auf der „Twitterbuch statt Angst„-Demo – unserer inoffizielle Vorreleaseparty – habe ich dem Kollegen Bjoern Grau ein paar Fragen beantwortet, die vielleicht auch dem ein oder anderen Konsumenten, der hier mitliest, ein paar kaufentscheidungserleichternde Produktinformationen zukommen lassen. Sehen Sie selbst:

Ich kann an dieser Stelle nur wiederholen: Kaufen! Denn ab heute ist das Buch im Handel (Affilidings-Link).

taz: Die Transparenz der Anderen

In meinem Vortragspaper zur openmind10 habe ich die Widersprüche in der netzpolitischen Szene erwähnt. Ganz neu sind sie den Lesern dieses Blogs eh nicht. Aber im Vorfeld der Freiheit statt Angst habe ich sie noch mal gesondert aufgeschrieben:

Die Transparenz der Anderen

„Denn transparent soll immer nur der andere sein. Der Staat, nicht der Bürger, der Geschäftsmensch nicht der Privatmensch, der Profi, nicht der Amateur. Und gleichzeitig verschwinden genau diese Grenzen, soll Politik mehr von Bürgern gemacht werden, machen Amateure den Profis Konkurrenz. Schunkeln sie jetzt, aber bitte nur jeder zweite.“

Das Grundproblem, die Frage nach der Öffentlichkeit immer aus der Subjektivität heraus zu stellen, scheint hier nur auf, wird aber Gegenstand aller weiterer Überlegungen sein.

Ethiken

Am Montag war ich auch bei der Diskussion Lobo vs. Weiss zugegen, in der es um Filesharing ging. Die Debatte hatte eine Blogvorgeschichte und wer die gelesen hat, hat eigentlich nichts verpasst. Eher im Gegenteil.

Ich will das hier jetzt nicht im Detail wiedergeben, das haben andere bereits getan. Interessant fand ich vor allem einen Aspekt: Die Hilflosigkeit von Marcel gegenüber der moralischen Fragestellung von Sascha. Sascha war sich seiner Ethik sicher und versuchte Marcel auf diesen Punkt festzuklopfen und Marcel wollte partout nicht über diese Frage diskutieren.

So sehr ich verstehen kann, dass Marcel lieber seine eigenen Überlegungen über die Ökonomie der Filesharingmärkte ausbreiten wollte, konnte man jedoch gut beobachten, dass die Haltung von Marcel – und damit die all derer, die Filesharing legitimieren wollen – ein krasses Rechtfertigungsproblem hat. (Und das geht weit über die unfitte Perfomance von Marcel hinaus)

Die Ethik, die Sascha vertritt, ist nämlich die vorherrschende. „Kapitalistische Ethik“ meinte irgendwer im Gespräch zu mir. So würde ich sie jetzt nicht allzu vorschnell nennen, aber man kann durchaus von einer „industriellen Ethik“ oder gar einer „materialistischen Ethik“ sprechen. Diese Ethik ist eine Ethik der Autorenschaft und die an der Autorenschaft geknüpfte „Leistung“. Sie fasst den kreativen Prozess als „Arbeit“ auf, die wie jede Arbeit bitte abgegolten werden solle. Wenn jetzt diese Leistung, die in dem Kulturgut steckt (so wie die kinetische Energie in einer auf einen Berg geschafften Kugel) von jemanden „erschlichen“ wird, dann wird das – ich sag mal – dem Diebstahl ähnlich empfunden, zumindest aber das selbe wie Schwarzfahren, denn der Leister wird ja um seine Entlohnung gebracht.

In dieser Logik ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Filesharing eine „egoistische Arschlochnummer“ ist und Marcel Weiss hatte dem wenig entgegen zu setzten. Andererseits gibt es ja durchaus Ansätze für eine andere Ethik. Die Bewegung hinter dem Opensourcegedanken hält das Teilen von Wissen hoch. Und gerade liegt (übrigens aufgrund des Tipps von Marcel Weiss) das Buch „Cognitive Sureplus“ von Clay Shirky an meinem Bett, in dem es um den wahnsinnigen gesellschaftlichen Nutzen geht, der entsteht, wenn die Menschen ihre kreative Kraft über die neuen Medien aggregieren. Es gibt also durchaus Ansätze für eine andere, eine neue Ethik, die sich auf den gesellschaftlichen Nutzen von möglichst frei geteilter Information berufen kann. Auf dem Pannel habe ich das vorsichtig eingeworfen, indem ich auf den utilaristischen Vorteil hinwies, der alleine dadurch entsteht, dass mehr Leute über mehr Information verfügen, als vorher. (Das ist natürlich ausbaufähig, hätte aber ansonsten umständlich verargumentiert werden müssen)

Diese Ethik ist bis heute alles andere als Mainstream, aber jeder, der sich länger im Internet aufhält, spürt den konkreten Nutzen des Teilens von Information am eigenen Leib. Und zwar im kleinen wie im großen. Und alles deutet für mich darauf hin, dass eine solche Ethik, wenn man sie denn mal formalisiert, exakt auf den Begriff einer digitalen Öffentlichkeit zusteuert, den ausgerechnet Sascha Lobo in die Runde geworfen hat.

Über das Thema denke ich jetzt schon seit geraumer Zeit nach und glaube, dass es an der Zeit wird, es einmal zu fundieren. Das geht allerdings nicht so einfach, indem man ein „digital“ vor die Öffentlichkeit schreibt. Ich bin mir sicher, dass man da sehr viel tiefer schauen muss, von was für einer Öffentlichkeit wir hier eigentlich reden. Wenn man es schaffen würde, diesen bestimmten Begriff von Öffentlichkeit zu definieren, hätte man ein abstraktes Ziel, auf das man eine solche neue Ethik ausrichten und begründen kann. Eine Ethik, die man dann selbstbewusster einer „industriellen Ethik“ entgegensetzen kann, wo immer man mit ihr konfrontiert wird.

Genau das werde ich auf der Openmind 2010 versuchen. Mein Vortrag hat den Titel: „Das radikale Recht des Anderen

„Ich bin überzeugt, wir müssen Öffentlichkeit völlig neu denken. Ich möchte dem tieferen Grund dieses Wandels nach gehen und einen neuen Begriff von Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. Einen Begriff der den digitalen Paradigmen gerecht wird, um schließlich eine neue Ethik daran knüpfen zu können und der vielleicht sogar eine Chance bietet, die Widersprüche und Idiosynkrasien des netzpolitischen Diskurses aufzuzeigen.“

Bis dahin gibt es noch einiges zu tun.

Antworten für die Öffentlichkeit

Gestern habe ich zwei Artikel gefunden, die ich unbedingt kommentieren wollte, es aber gestern nicht geschafft habe. Also mach ich es einfach hier.

Daniel Leisegang hat einen langen Artikel auf Carta veröffentlicht, in dem er den Begriff der digitalen Öffentlichkeit empfindlich angreift. Kernthese: Google könne keine digitale Öffentlichkeit bereitstellen, denn es ist eben ein Privatunternehmen. Im Gegenteil, Google privatisiere öffentliches Gut.

Darauf will ich mehrstufig Antworten:

1. Die Christoph Kappes Antwort: Das ist völliger Quatsch! Nix wird privatisiert, denn der öffentliche Raum ist ja schließlich noch da – und bleibt auch da. Dazu die Sixtus Entgegnung: da Google den digitalen Street View Raum öffentlich zugänglich macht, ist er jetzt zumindest mehr öffentlich als vorher. Das ist doch zumindest ein Fortschritt hin, zu einer digitalen Öffentlichkeit. Dazu die Marcel Weiss Antwort: Klar, ist der digitale Öffentliche Raum dann immer noch in privater Hand, aber Wettbewerber und so und der Markt regelt das schon.

2. Meine eigene Antwort, wie sie bisher ausgefallen ist, ist durchaus zustimmend. Ja, das Problem existiert und ich habe mich damit nicht erst seit gestern beschäftigt. In den Street View Artikeln selbst hatte ich den Aspekt ausgeklammert, weil er mir derzeit nicht ganz so dringlich erscheint (weil: siehe oben). Insgesamt sehe ich das Problem aber schon, und zwar allgemein. Ich nenne es mal: Die privatwirtschaftlichen Grundlagen der neuen Öffentlichkeit. Das Internet und fast alle seine Dienste sind auf die Willkürherrschaft privater Konzerne aufgebaut. Dass das ein Problem ist, sieht man nicht nur an der sich in Gefahr befindenden Netzneutralität. Dieses Problem habe ich bei meinem Umreißen des Begriffs der digitalen Öffentlichkeit auch angeschnitten und insgesamt und schon länger habe ich versucht dem Problem mit meinem Konzept der Plattformneutralität zu begegnen.

3. Die eigentliche Antwort ist aber: Ja. Der Begriff der „digitalen Öffentlichkeit“ ist problematisch. Das habe ich jetzt auch gesehen. Vor ein paar Tagen habe ich genau zu diesem Thema ein Paper für einen Vortrag abgeschickt. Öffentlichkeit ist ein sehr tradierter mit einem derart langen Rattenschwanz von Bedeutungen, Konnotationen und Implikationen durchzogener Begriff, dass man ihn nicht einfach ohne weiteres auf das Internet anwenden kann. Leisegang hat einige Probleme aufgezeigt, Tina Pickhardt hat unlängst Hannah Arendt in’s Spiel gebracht. Aber insgesamt, so bin ich zu dem Schluss gekommen, braucht es einen völlig neuen Begriff. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob es reicht, das, was man Öffentlichkeit nennt, einfach klar zu definieren, oder ob man sich gleich von dem Begriff verabschieden sollte.

Und da sind wir bereits bei dem nächsten Artikel, den ich hier noch kommentieren wollte. Der Postdramatiker hat eine sehr schöne Grundlage für die Diskussion der digitalen Öffentlichkeit geliefert und anhand verschiedener Theorien den ganzen Komplex um
Überwachung, Beobachtung, Wahrgenommensein“ auseinander genommen.

„Eine Webseite, ein Chatpartner, ein Mailpartner, ein Blog, der mehr Wahrnehmung hat bekommt mehr Realität und damit wiederum mehr “Wirkung”. Das hat Kant so nicht gemeint – versteht sich. Kant sprach von physischen Objekten, nicht von Kommunikationsgrößen. Dennoch lässt sich das Prinzip “rauben”. Ein Webinhalt, der nicht wahrgenommen wird, “ist” nicht. Ein Webinhalt der oft wahrgenommen wird, “ist” mehr. Dieses Phänomen kennt jeder, der ein Blog betreibt und auf die Stats schielt, jeder Werbetreibende, der Visits misst, jeder Video-Uploader, Musik-Uploader, Bild-Uploader. „

Aber auch:

„Wer sich auf die Singebörse stellt, möchte von möglichst vielen anderen infrage kommenden Singles betrachtet werden – aber zugleich nicht von Freunden, Eltern, Kollegen oder Ehepartnern dabei “erwischt” werden.“

Ich glaube, hier liegt genau die Spannungsbreite des Begriffs der Öffentlichkeit begraben. Einerseits gibt es den monolithischen Begriff der „Alle können sehen und je mehr Leute (Quantität!) sehen können desto öffentlicher“-Öffentlichkeit. Aus dem ist auch genau dieses Monstrum der „Öffentlichen Meinung“ entsprungen, dass uns vorschreiben will, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht. Zum anderen gibt es, wie ja auch Leisegang sagt, das „Private“ als Gegenentwurf, als Rückzugsraum gegen diese Öffentlichkeit.

Ich glaube, das alles ist völlig falsch gedacht. Wie sich schon mehrfach angedeutet hat, ist „das Private“ nicht so privat wie man es gemeinhin annimmt und das öffentliche ist nicht so öffentlich, wie man glaubt. Das Private ist immer nur privat in Bezug zu einem bestimmten oder unbestimmten Gegenüber. Ich habe jeweils Privates gegenüber meiner Familie, das ich meinen Freunden erzähle und ich habe Privates gegenüber meinen Freunden, das ich meiner Familie erzähle. Das ganze verkompliziert sich entsprechend mit Hinzunahme der Gruppen Kegelverein, Arbeitskollegen, Chef, Twitterfollower etc. Wir beginnen gerade erst zu merken, was für ein kompliziertes Gebilde das ist, was wir „privat“ und „öffentlich“ nannten, wie viele Privatheiten wie vielen Öffentlichkeiten gegenüberstehen. Und wenn man noch genauer schaut, dann gibt es Freund A, dem man X erzählt und Freund B nicht und umgekehrt und überhaupt und alles fliegt einem dann mit einem lauten Knall um die Ohren.

Deswegen braucht es eben einen völligen Neuansatz für Öffentlichkeit und Privat und bevor wir den nicht haben, macht es kaum Sinn, damit auf das Internet los zu gehen. Das ist in Arbeit wie gesagt und einen Ansatzpunkt habe ich auch schon. Für eine Definition, nicht für eine Lösung des Problems, wohl gemerkt. Wir werden nicht umhinkommen uns von allerlei Tand zu verabschieden, der sich um die all die Verallgemeinerungen schart, die wir mit den Kategorien heraufbeschworen haben: All die Gruppenidentitäten wie Familie, Freunde, Arbeitskollegen etc. Vor allem auch das Monster „Öffentliche Meinung“ ist rücksichtslos zu sprengen (Ging eh nur auf die Nerven, oder?). Wir müssen uns von all diesen Kategorien der immaginierten Vergemeinschaftung und Versammlung befreien und die menschliche Beziehung wieder auf das einzige zurückführen, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass es sie gibt: Nämlich der Beziehung zum Anderen. Es gibt nur mich und den Anderen, den anderen und mich. Alles andere sind eingebildete Kategorien.

Man wird also versuchen müssen, die Öffentlichkeit (und die Privatheit) vom Anderen her zu denken, was sowohl den Anderen betreffen kann, der mir Nahe steht, der aber auch der unbekannte Andere sein kann, der liest, was ich schreibe (zum Beispiel Du!) und es wird vor allem auch der zukünftige Andere sein, der mit dem man nicht rechnet, der deswegen aber um so sicher in mein Leben treten wird. Wie gesagt, ich arbeite dran.

Warum ich die ‚Freiheit statt Angst‘ unterstütze

Ich werde am 11. September wieder bei der Freiheit statt Angst Demonstration mitlaufen. Wie bereits 2008 und 2009 auch schon. Nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern weil ich diese Demonstration für extrem wichtig halte und weil ich mich insgesamt sowohl repräsentiert, als auch verstanden fühle.

Das mag den einen oder anderen verwundern. Immerhin schreibe ich doch dauernd vom Ende des Datenschutzes und so. So zum Beispiel Julius Endert, der sich über meine Bannerunterstützung für die Demo auf meinem Blog mokiert. mspro, der alte Datenschutzverweigerer auf einer Datenschutzdemo?

In der tat bin ich nicht mit allen Zielen und Einstellungen, die die Demo transportiert hundertprozent einverstanden. Aber erstens ist es keinesfalls so, dass ich nicht auch Probleme bei der Datennutzung sehe, dass es da Gefahren gibt, die wir überwinden müssen. Zweitens bin ich aus dem Alter raus, dass ich bei wichtigen Themen einen auf Prinzessin mache, wenn mir das eine oder andere nicht passt, wie man das zuhauf bei der Pro-Netzneutralitätskampagne bei einigen Bloggern beobachten konnte.

Dass der netzpolitische Diskurs heute unter einigen innerlichen Spannungen leidet, ist offensichtlich. Der Mythos, man könne die Vorteile der Transparenz und mit den Erfordernissen des Datenschutzes unter einen Hut bringen, dekonstruiert sich an allen möglichen Themen selber. Sehr hörenswert in diesem Zusammenhang das letzte Chaosradio, bei dem – ich glaube es war Nibbler dazu aufrief doch Kameras mitzubringen und auf der Demonstration zu filmen. Aber bitte nur wen Polizisten Probleme machen und nur online stellen, wenn man vorher alle Gesichter außer die der Polizisten geblurt hat. Das alles kurz nachdem man sich aufgeregt hat, dass der Berliner Polizeipräsident angekündigt hat, bei der Demo auch filmen zu lassen.

Transparenz und Technik sind toll, so lange nur die richtige Seite sie einsetzt. Der nicht zu ende gedachte Wunsch eines semipermeablen Überwachungsfilters wirkt bis heute in der Netzpolitischen Szene, obwohl er immer absurdere Blüten treibt. Der Diskurs um die eine wünschenswerte und realistische Zukunftsvision hat gerade erst begonnen. Ich versuche diesen Diskurs zu forcieren, indem ich auf die Stellen drücke bei denen es weh tut, weshalb ich sicher nicht nur Freunde in der Szene mache. Aber damit kann ich leben, denn ich sehe die Demonstration in einem viel größeren Kontext.

Wir leben in einer sich zunehmend digitalisiernden Welt, die uns immer mehr über den Kopf wächst. Die technische Entwicklung ist so schnell, dass die Diskurse – sogar hier an der fordersten Front der Internetenthusiasten – kaum mehr mitkommen. Die Politik und der allgemeine gesellschaftliche Diskurs sind indes völlig abgehängt, wie man an der Street View Debatte deutlich gemerkt hat. Und doch sind es genau diese Leute, die die Gesetze für unsere Zukunft machen.

Ich glaube, wir leben in einer Achsenzeit, einer Zeit, in der sich die Weichen in eine neue Welt stellen. Das was der Buchdruck mit der Gesellschaft in 200 Jahren gemacht hat, macht das Internet gerade jetzt mit uns – und zwar innerhalb von 20 Jahren. Wir haben ein relativ kurzes Zeitfenster unsere Gesellschaft darauf vorzubereiten. Für innergesellschaftliche Notlügen ist da keine Zeit. Ja, es gibt die Gefahren, die durch eine transparente Gesellschaft entstehen, aber die gibt es nicht durch die Transparenz selbst, sondern durch Menschen, die mit Wahrheit nicht umgehen können. Sei es, weil intolerant sind, sei es, weil sie böse Dinge tun, sei es, weil sie um ihren Besitz oder ihre Macht fürchten, die in unserer Gesellschaft oft genug auf Intransparenz aufgebaut ist.

Wenn wir nicht unsere Freiheitsrechte aufgeben wollen, müssen wir auch die Freiheit im Zeitalter ihrer technischen Ausnutzbarkeit verteidigen. Und statt aus Angst die Freiheit zu beschränken, sollten wir lieber schleunigst lernen, wie wir einen Umgang miteinander pflegen können, der Geheimhaltung so weit es geht obsolet macht. (Davon abgesehen, dass das sowieso die bessere Welt wäre)

Diese Ziele scheinen utopisch, aber wir haben es auch mit einem utopischen Medium zu tun. Und so utopisch wie die Vision, ist die Gefahr dystopisch. Die Überlegung, irgendjemanden (vielleicht sogar den Staat) die Position und die Technik anzuvertrauen, um entscheiden zu dürfen, welche Informationen legitim und welche illegitim sind – egal ob es um Filesharing, Leistungsschutzrecht, Internetsperren oder Datenschutz – schwört ein Szenario herauf, das vor Machtasymmetrie kaum mehr laufen kann.

Ja, der Kontrollverlust ist total. Wir verlieren alle die Kontrolle. Und in dieser Hinsicht ist er zutiefst demokratisch. Er nivelliert alle Machtgefüge, er baut alle Kompetenzvorsprünge ab, er zerstört Deutungs- und Diskurshoheiten. Der Versuch, den Kontrollverlust aufzuhalten – so temporär er auch wäre – würde ein brachiales Regime heraufbeschwören, denn nur durch Gewalt könnte man – kurzfristig – die Illusion von Kontrolle wieder herstellen.

Es gibt Kräfte, die das versuchen und diese Kräfte sind extrem finanzstark und politisch vernetzt. Es sind Regierungen aller Länder, riesige Branchen mit Milliardenumsätzen und publizistische Schwergewichte mit Millionenpublikum, denen wir immer doller in die Suppe spucken. Der Kontrollverlust hat die mächtigsten Gegner, die man sich vorstellen kann. Die Kämpfe werden derzeit noch moderat und nicht offen ausgetragen. Aber das muss nicht so bleiben.

Die Kämpfe gegen SWIFT, ACTA, der Angriff auf die Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren verstehe ich nicht als dräuende Datenschutzprobleme, sondern als Kampf gegen einzuführende Kontrollstrukturen einer zunehmend hilflosen Politik und Wirtschaft, die mit brachialen Mitteln die Regierbarkeit und finanzielle Ausschlachtbarkeit der Leute und ihrer Daten zurück gewinnen möchte.

Wenn ich am 11. also auf der Demo spaziere, bringe ich zum Ausdruck, dass ich das nicht zulassen werde. Ich werde klar machen, dass Angst nicht die Lösungen für die Probleme der Zukunft diktieren darf. Dass die Freiheit, die wir heute haben, nicht verhandelbar ist, dass wir ganz im Gegenteil noch viel mehr Freiheit brauchen, um in einer zunehmend transparenten Welt nicht erpressbar zu sein. „Freiheit statt Angst“ – das kann ich jederzeit unterschreiben.

Here be Humans – Das Ende des Opt-In-Internets (bei Zeit.de)

Für Zeit Online habe ich meine These vom Ende des Opt-In-Internets, die sich in dem Carta-Artikel schon angedeutet hat, nochmal präzisiert: Here be Humans. (war der von mir vorgeschlagene Titel)

„Die Zeit des Opt-In-Internets ist vorbei und auf das Opt-Out ist kein Verlass. Der Kontrollverlust macht keinen Halt vor Internet-Nicht-Nutzern. Im Netz existiert bald eine Repräsentation von jedem, ob wir wollen, oder nicht. Man kann das ignorieren. Verschwinden aber wird das virtuelle Profil dadurch nicht. Es wird wachsen und immer wichtiger werden, auch für das Offline-Leben. Man kann versuchen, mit Anwälten und vielen Briefen dagegen anzukämpfen, aber diesen Kampf wird man auf lange Frist verlieren. Wer Teil der Welt ist, wird Teil des Internets sein.“

Viel Spaß