Alice Schwarzer, so war gerade in der FAZ zu lesen, sei deswegen nach wie vor die zentrale Leitfigur des Feminismus in Deutschland, weil der Nachwuchs einfach nichts einstecken könne. Kaum bekämen die jungen Dinger neuen Feministinnen Gegenwind, zögen sie sich zurück. Alice mag dagegen zwar einen anachronistischen Feminismus vertreten, aber immerhin habe sie Sitzfleisch.
Ich mag dem Artikel nicht zustimmen, obwohl die anhaltende Dominanz von Schwarzer natürlich eine richtige Beobachtung ist. Ich habe dazu aber eine andere Erklärung:
Alice Schwarzer ist Teil einer strukturellen Gesamtheit, die man vielleicht am ehesten als „Altherren und (ein bisschen) -Damenclub der Medienelite“ nennen könnte. Das sind alte, bisweilen sehr alte Menschen (Babyboomer aufwärts), die sich bereits in den Zeiten der guten alten BRD rekrutierten und seitdem als Gesamtgefüge ein mittlerweile perfekt eingespieltes Kammerspiel darbieten, das man unvorsichtiger Weise mit „Diskurs“ verwechseln könnte.
Man sieht sie sich in Talkshows streiten, in Feuilletondebatten duellieren und die Parteien als Spitzenpolitiker an den Realitäten vorbei führen. Sie kennen sich untereinander, ihre Positionen und ihre jeweilige Rolle im Zirkus oft seit mehreren Jahrzehnten, weswegen die Choreographie so wunderschön ineinander greift. In dieser Struktur haben es Neuankömmlinge schwer. Vor allem, wenn ihre Thesen und Ansätze aus irgendwelchen Gründen aus dem Raster fallen. Und das Raster ist sehr eng in einem Spiel das aus rituellen Konfrontationen der immer gleichen Akteure und entlang der immer gleichen Demarkationslinien gespielt wird.
Wenn, wie zu der #Aufschrei-Zeit des häufigeren passiert, doch mal jemand Neues dazwischen sitzt, wirkt sie/er wie ein Fremdkörper. Die anderen Talkshowgäste wissen weder etwas gegen, noch wirklich für diese merkwürdigen, neuen Positionen zu sagen, die oft außerhalb der gewohnten Diskursformationen verlaufen, weswegen die Debatten schnell wieder in bekannteres Terrain zurückgeroutet werden: „Ist Brüderle nun ein notgeiler, alter Sack und wie schlimm ist das eigentlich?“
Alice Schwarzers Feminsimus ist rückschrittlich. Sie hat all die Debatten um Intersektionalität, Consent Culture und Feminismus im Kontext des Kapitalismus schlicht nicht in den Ihren integriert und zieht ihre Konfliktlinien deswegen dort, wo von den Beteiligten längst eine viel differenziertere und aufgeklärtere Debatte geführt wird. Mit ihrer Unterkomplexität und Undifferenziertheit produziert sie ständig Ausschlüsse gegenüber Musliminnen, Sexarbeiterinnen, Fetischliebhaberinnen und anderen Menschen, deren Selbstbestimmung sie nicht anerkennt.
Schwarzer ist unterkomplex und undifferenziert und deswegen auch gleichzeitig total anschlussfähig. Ihr Feminismus ist einfacher, weniger erklärungsbedürftig und deswegen Talkshowtauglich. Zudem blickt ihre Art des Feminismus auf einige Jahrzehnte Aufkläungsarbeit (Talkshowauftritte) zurück und ist deswegen angekommen in der Gesellschaft. Ihre grundsätzlichen Thesen sind bekannt und anerkannt, was die (sowohl zustimmende als auch ablehenende) Anschlussfähigkeit zusätzlich erhöht. Jeder hat eine Position zu Schwarzers Feminismus.
Und dass trotz der Antiquertheit ihrer Ansätze auch die von ihr aufgemachten Konfliktlinien weiterhin anschlussfähig sind, liegt daran, dass sie Teil dieses sich ständig selbstbestätigenden Gesamtgefüges in den Medien ist. Da auch die anderen Talkshowgäste in der Mehrzahl aus der Zeit stammen, in denen diese Konfliktlinien relevant waren, können sie die idealen Counterparts spielen. Indem ihr Karasek und andere Altherrenwitzler gegenübergesetzt werden, können sie gemeinsam für die Kameras das alte Spiel der alten Feindbilder reproduzieren, als hätte sich die Welt die letzten 30 Jahre nicht weiter gedreht. Alles greift ineinander, Argument und Gegenargument, Zote und Beispiel. Und vor allem das Publikum verliert dabei nie den Anschluss, ist mal auf der einen, mal auf der anderen Seite aber niemals überfordert. Außer wenn da so ein junges Ding irgendwas von diesem „Twitter“ erzählt. Aber das geht ja schnell vorbei.
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Eine Zeitlang sah es so aus, als ob es die Piraten und andere Netzmenschen schaffen könnten, eine Schneise in diese eingeschleifte Struktur zu schlagen. Mit dem politischen Erfolg der Piraten sah man deren Repräsentanten als junge Vertreter ihrer Generation häufiger in den Talkshowsesseln sitzen und mit der zunehmenden Relevanz des Internets konnten beispielsweise Markus Beckedahl und Sascha Lobo oftmals den Interneterklärbären spielen und dabei netzpolitische Anliegen vermitteln.
Es deutet aber vieles darauf hin, dass dieser Vorstoß vorerst – zumindest gedämpft wurde. Und zwar ausgerechnet von der Späh-Affaire.
Das zum Wahlkampf immer wieder hervorgeholte Narrativ, dass die Affaire ja ein Elfmeter mit Rückenwind für die Piraten sei, die als die digitale Bürgerrechtspartei quasi der natürliche Ansprechpartner in diesen Angelegenheiten sei, muss angesichts des Wahlergebnis gründlich revidiert werden. Vielmehr ist das Gegenteil eingetreten.
In dieser lesenswerten Analyse zur Bundestagswahl der Bundeszentrale für politische Bildung wird das wirkliche Narrativ, das schließlich beim Wähler ankam, so ausgedrückt:
„Denn die Piraten sind nicht dafür angetreten, bürgerliche Freiheitsrechte im digitalen Zeitalter zu verteidigen, sondern dafür, die Gesellschaft weiter zu digitalisieren – und dies schien, nachdem die Unsicherheit jeglicher digitaler Daten bekannt geworden war, nicht das gewesen zu sein, was sich die Bürger gewünscht haben.“
Die Piraten mit ihrer offensiv zur Schau gestellten Affinität zum Digitalen wurden viel mehr als Teil des Problems angesehen. Die NSA-Affaire hat nicht den Wunsch nach Sachverstand und Kernkompetenz geweckt, sondern lediglich den Verdacht bestätigt, dass das alles Teufelszeug ist, das mit den Daten und dem Internet. Statt „das Digitale ist da, wie können wir es verantwortungsvoll nutzen?„, zu dessen Beantwortung die Piraten angetreten waren, fragten die Leute: „Ist digital nun gut oder böse?“ – eine Frage auf die die Piraten keine eindeutige Antwort geben.
Diese jungen Leute können das halt nicht mit dem „Einfach„. Und genau deswegen musste auch hier wieder die alte Garde ran. Schirrmacher und Yogeschwar sind deswegen die neuen Netzpolitik-Erklärbären, weil sie, bezogen auf die Fragestellung der Bevölkerung „Ist digital nun gut oder böse?“, deutlich anschlussfähiger sind.
Auch ihre Lösungsstrategien „Facebook verbieten!“ und Schlandnet sind ebenfalls viel besser vermittelbar, als das achselzuckende „Krypto ist wichtig und die Politik muss dringend irgendwie handeln“ der Piraten und Netzaktivisten. Und deswegen ist der Netzpolitikdiskurs der Netzgemeinde und den Piraten entglitten und hat Eingang gefunden in die Strukturen der etablierten Medienelelite. Netzpolitik wird nun endlich mit ungeahntem Erfolg in die Mitte der Gesellschaft getragen, nur halt nicht von uns. Dem Yogeschwar kann man so gut zuhören, er ist so klug und weiß auf alles eine Antwort, die mir in den Kram passt. Warum also nicht auch in Sachen Netzpolitik?
Anschlussfähigkeit roulez und das Fernsehen bestimmt, was das ist. Die Netzpolitikdebatte ist zu wichtig, als dass sie von uns medienunerfahrenen und fernsehuntauglichen Totaldifferenzierern geführt werden darf. Und so wie Schwarzer immer noch für alles, was es zum Feminismus zu sagen gibt, steht und ein 75jähriger Götz George eine neue Actionserie bekommt, wird der Netzpolitikdiskurs von nun an von altgedienten Fernseh- und Zeitungsmenschen bestimmt, die ja gleich gesagt haben, dass das alles ein Holzweg ist.
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Der implizite Vorwurf an die Netzgemeinde, sie sei abgehoben (was ja nichts anderes als mangelnde Anschlussfähigkeit meint) ist aber durchaus berechtigt. Das gilt nicht nur dem Fernsehen, sondern auch den jungen Bewegungen im Netz selbst gegenüber. Der Trend der Digital Natives, sich weniger durch kluge Wortbeiträge, als durch fotografische Selbtdarstellungen („Seflie„) zu profilieren, wird aus unserer Filterbubble gerne herablassend belächelt. Mit #Shelfie poppte nun ein Twitter-Mem mit ironischer Referenz dazu auf, das aber dazu aufforderte statt des eigenen Gesichts, das eigene Bücherregal (englisch: „shelf“) zu präsentieren. Diese klare Abgrenzungsbewegung gegen das Gebaren der jungen Nutzer ist ohne Frage snobistisch und bis ins peinliche Bildungsbürgerlich. Oder auch „klassistisch„, wie miinaaa und schließlich antiprodukt einwarfen.
Klassismus bezeichnet eine dem Sexismus und Rassismus nicht unähnliche Struktur der tagtäglichen Reproduktion von Vorurteilen und gesellschaftlichen Machtungleichgewichten durch Abgrenzung der jeweils Privilegierten. Das Diskriminierungsmerkmal ist hier nur die Klasse, also die sozioökonomischen Umstände der eigenen Herkunft. Von den Privilegierten wird eine symbolische Grenze oder eine Grenze anhand von Symbolen gezogen, die ausdrücken sollen, dass man sich als etwas besseres betrachtet, als der ungewaschene und geistlose Pöbel auf der anderen Seite. Eine solche Abgrenzungsbewegung und damit Ausschluss ist bei #shelfie ohne Frage zu unterstellen. Jedoch drängt sich bei dem Vorwurf sofort auch ein Re-Entry auf: ist der „Klassismusvorwurf“ nicht ebenfalls eine bildungsbürgerliche Abgrenzungsbewegung?
Eine Information ist immer dann anschlussfähig, wenn man bereits das Wissen hat, an das die Information sich knüpfen kann. Das muss kein „richtiges“ Wissen sein, auch Rassismus ist ein Wissen das Anschlussfähigkeit gewährleistet – für Rassismen. Wissen ist sehr unterschiedlich verteilt und diese Ungleichverteilung führt in der Massenkommnunikation immer auch zu Ausschlüssen. Dass die Piraten nicht mit ihrer Expertise in Netzfragen gehör finden, liegt daran, dass ihre Fragestellung ein Wissen und eine Akzeptanz des Netzes vorraussetzen, das in der Breite der Bevölkerung schlicht nicht vorhanden ist. Dass die neuen femistische Bewegungen sich so schwer gegen Schwarzer durchsetzen können, liegt daran, dass sie ihr Wissen über Diskriminierung und deren strukturelle Ursachen auf ein Niveau gehoben haben, bei dem die meisten Leute nicht mehr mitkommen. Und wenn der Klassismusvorwurf fällt, fällt er nicht – nicht mal in unserer Filterblase – nur auf bourdieugeschulte Ohren. Auf einmal finden sich Leute mit einem Vorwurf konfrontiert, den sie gar nicht verstehen, nicht verstehen können, weil ihnen das Vorwissen fehlt. So produziert der Klassismusvorwurf paradoxer Weise selbst Ausschlüsse. Er besagt implizit (und sicher ohne es zu wollen): „Ich hab da ne Theorie mehr gelesen als Du und kann Dir deswegen das Fachwort Deiner moralischen Verfehlung an den Kopf werfen und wenn Du das nicht kapierst, dann lies das halt nach!“
Eine unauflösbare Aporie der Theorie des Ausschlusses ist, dass je ausgefeilter und weiter entwickelt sie ist, sie selbst dazu neigt, auszuschließen. Das macht sie nicht falsch oder weniger legitim. Sie muss aber den Akt ihrer eigenen Ausschlussbewegung stets mitreflektieren, wenn sich sich nicht in Selbstgerechtigkeit ergehen will.
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Informationen erzeugen immer beides: Anschlussfähigkeit und Ausschlüsse und da wir in einer Welt leben, in der die Informationen sich in einem so rasanten Tempo vermehren, werden die Anschluss-/Ausschlussbwegungen noch für viele weitere Konflikte sorgen. Ich habe das vor einiger Zeit in meinem Vortrag „Why we fight (each other)“ (Video) zu fassen versucht. Eine der Thesen war, dass die Post-Privacy (hier verstanden als der Trend, traditionell eher private Information nun öffentlich zu verhandeln) eine der Triebherde der ständigen Streitereien im Netz sind. Ich bediene mich hierfür einer These von Clay Shirky, dass verbesserte Medientechnologien, statt den erhofften Weltfrieden zu bringen, stets „more Ideas to disagree with“ gebracht hätten, also Gründe sich zu streiten. Und es sind ja nicht nur Ideen, sondern auch Verhaltensweisen, Alltagsrassismen, unsolidarisches Tun oder schlicht dumme Sprüche, „to disagree with„. Durch die stärkere Vernetzung und der Referenzierbarkeit jeder einzelnen dieser kommunikativen Handlungen brodelt es nur noch so vor Ein-, An- und Ausschlüssen und den jeweiligen Aufgeregtheiten darüber und den Aufgeregtheiten über die Aufgeregtheiten und so weiter.
Sanczny jedenfalls fühlt sich bei der Post-Privacy als realer Praxis immer stärker ausgeschlossen. Denn all die Handlungen, die unreflektiert dokumentiert und veröffentlicht werden zeugen oft – nicht nur bei den eigenen Bücherregalmetern – von den jeweiligen Privilegien ihrer Uploader. Das gilt nicht nur für das gefahrlose Öffentlichmachen der Informaltionen selbst (ein alter und berechtigter Vorwurf an die Post-Privacy), sondern auch für das dargestellte selbst: der eigene Urlaub, das eigene tolle Sozialleben, mein Haus, mein Auto, meine heteronormative Beziehung. Und Flausch. Auch die zunehemend öffentlich ausgelebte Zuneigung untereinander produziert soziale Ausschlüsse. Es gibt Menschen, die von vielen Zuneigung bekommen und welche die gar keine bekommen. Einsamkeit verschlimmert sich bisweilen in dieser Aufmerksamkeitsökonomie, weil sich die Diskrepanzen deutlicher darstellen, einem sogar aufgedrängt werden. Die neue Transparenz erhöht den Sozialdarwinismus am Liebesmarkt.
Aber sollen Inhaber gut gehender Privilegien nun aus Solidarität auf Öffentlichkeit verzichten? (Siehe Knutschdiskussion). Kann Unsichtbarmachung von Ungleichheit überhaupt eine Lösung für irgendwas sein?
Vermutlich werden die Ausschlussbewegungen auch in Zukunft noch zu viel Reibereien führen und vermutlich wird man Filtersouveränität – auch wenn sie, wie Sanczny zurecht einwirft, niemals einen perfekten Schutz bieten wird – durch immer weitere Saturierung und Rückzug in die eigene Filterblase herstellen. Wir werden uns Anhand anhaltender Ein- und Ausschlussbewegungen immer weiter differenzieren und spezialisieren, denn wir brauchen ein Umfeld das wahlweise weiß, was Klassismus ist oder wahlweise lieber mit Büchern statt mit Makeup prahlt (oder andersrum), wo man flauscht oder es ein Flauschverbot gibt, wo man das Netz ablehnt oder nur die NSA darin – kurz: wo wir uns verstanden fühlen und uns nicht ständig erklären müssen, sondern nur jedes zweite Mal.
All das wird unser aller Talkshowfähigkeit nicht gerade zu gute kommen, aber dann sind wir eben viele einzelne Parallelwelten, so wie die Talkshowwelt ja selbst eine ist. Und so leben wir nebeneinander her und versuchen verzweifelt uns gegeneinander abzugrenzen oder zu ignorieren, die Clashes werden nicht aufhören, aber seltener und unsere Shitstorms werden ausgesuchter (hoffentlich).
Eine Utopie? Nö. Aber vielleicht funktionabel.