Ich habe wirklich sehr gehofft, diesen Text niemals veröffentlichen zu müssen und lange sah es so aus, als ob das auch nicht nötig ist. Doch nun beschuldigt mich Michael Kreil öffentlich, seine Ergebnisse, Daten und Grafiken „geklaut“ zu haben.
Um es vorweg zu sagen: Die Anschuldigungen sind symptomatisch für seine Haltung gegenüber den Wert meiner Arbeit.
Konkret geht es um den Text „Digitaler Tribalismus und Fake News“ bzw. die erst kürzlich herausgekommene englische Übersetzung „Digital Tribalism – The Real Story about Fake News“.
Die Wahrheit ist, dass das unser gemeinsames Projekt war. Und zwar so ziemlich von Anfang an. Nur die allererste Grafik ist komplett ohne meinen Einfluss zustande gekommen (die Geschichte dazu erzähle ich auch im Text). Ansonsten haben wir alles andere gemeinsam erarbeitet. Die Fragestellungen, die wir entwickelt haben, die Auswahl der Beispiele, die wir untersucht haben. All das war unsere gemeinsame Arbeit, nichts davon kann Michael für sich alleine verbuchen.
Richtig ist jedoch: ich habe unsere gemeinsame Arbeit zunächst ohne und später gegen seinen ausdrücklichen Willen veröffentlicht. Das ist nicht nett, aber ich hatte keine andere Wahl.
Um das zu erklären, muss ich die ganze Geschichte erzählen.
Anfang April kam Michael mit der Grafik zur Schweden-Fake-News zu mir und fragte, ob ich nicht Lust hätte was dazu zu schreiben. Es handele sich hier eine Filterblase und ich sollte quasi nur ein Erklärstück darüber schreiben, was die Filterblase ist. Ein kurzer Text sollte es werden und es musste schnell gehen, bis nächste nächste Woche muss das fertig sein. Honorar gebe es leider nicht, denn Budget habe er keines dafür. (Zur Erklärung: damals arbeitete Michael beim Tagesspiegel im Data, Science & Stories-Team).
Ich sagte dennoch zu, denn die Grafik faszinierte mich tatsächlich. Aber von Anfang an hatte ich Zweifel an der Filterblasenthese. Ich war zu dieser Zeit mitten drin in der Recherche und Aufarbeitung der Trumpwahl die ich in der Reihe „Das Regime der Demokratischen Wahrheit“ verarbeitete. Aus der Beschäftigung mit dem Support von Trump und mit der Alt-Right-Bewegung hatte ich bereits eine ganze Reihe Ansatzpunkten für eine genauere Untersuchung des Phänomens an der Hand.
Gemeinsam machten wir uns ans Werk und untersuchten die unterschiedlichen Fälle, testeten die ungeklärten Fragen, während ich mich in meterweise Literatur eingrub. Die Zusammenarbeit war nicht immer einfach, aber auf jedenfall fruchtbar und inspirierend. Und an dieser Stelle sei angemerkt, dass wir kaum inhaltliche Auseinandersetzungen führten. Wir hatten – wie ich damals fand – eine außerordentlich produktiven intellektuellen Austausch auf sehr hohem Niveau und wenn es denn gerade zeitlich und organisatorisch lief, war es eine Freude mit Michael zusammenzuarbeiten.
Irgendwann – wir waren bestimmt schon seit einem Monat dabei – fiel mir auf, dass ich unter der anfänglichen Bedingung, dass es kein Geld gibt, nicht monatelang weiterarbeiten kann. Surprise! Auch Michael sah das ein und so verabredeten wir, dass er das Thema beim Tagesspiegel ansprechen solle. Das war allerdings nicht ganz einfach, denn zu diesem Zeitpunkt war all unsere Arbeit eher ein Pet-Projekt von Michael, denn ein Tagesspiegelprojekt, der von seinem Glück noch gar nichts wusste. Ich nehme an, dass auch das der Grund war, warum Michael das dann sehr, sehr lange nicht hinbekommen hat und ich ihn monatelang in Ohren liegen musste. (Mich hat das damals schon geärgert. Er bekam die ganze Zeit über Gehalt und ich musste ihn ständig anbetteln, damit ich überhaupt Aussicht auf Kompensation bekomme …)
Erst Mitte Juli, direkt an meinem Geburtstag, sollte es ein Treffen mit einer Redaktionsvertreterin geben und ich hatte im vorhinein die Aufgabe, zu schätzen, wie viel ich denn nun für meine Arbeit haben wolle.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon monatelang unentgeldlich Arbeit in das Projekt gesteckt. Meinen üblichen Tagessatz abzurechnen hätte mich locker in den fünfstelligen Bereich katapultiert und natürlich war mir klar, dass das keine Option ist. Ich wusste: hier kann es nur um eine Aufwandsentschädigung gehen. Meine erste Annäherung waren also 1000 pro Monat, bei denen ich dann also bei etwa 3000 Euro rausgekommen wäre. Eine bescheidene Summe für viele die Arbeit, wie ich fand und nach wie vor finde.
Michael Kreil jedoch warnte mich im vorhinein, dass das viel zu hoch sei. Ok, 2000 Euro, sagte ich. Das sei immer noch zu viel, meinte er. An solchen Budget-Fragen scheiterten ständig Projekte und so. Ok, 1000 Euro. Mir war das Projekt wichtig, nicht die Bezahlung. 1000 Euro sind nicht mal eine Aufwandsentschädigung. Es ist ein rein symbolischer Betrag unter den ich – das sagte ich Michael mehrmals – niemals gehen würde. Es ist die absolute Untergrenze der Zusammenarbeit.
Das Gespräch mit der Redakteurin lief gut und die 1000 Euro-Forderung wurde ohne Murren zur Kenntnis genommen. Wir planten die Veröffentlichung im August.
Doch daraus wurde nichts. Die Zeit zog und zog sich und ich bekam keine Nachricht. Ich hatte keinen Einblick, was da los war, woran es hängt, und wer da was mit wem beredet. Michael war meine einzige Schnittstelle nach innen und so nervte ich ihn mit Fragen nach dem Fortschritt des Projektes. Und Michael wies mich wieder und wieder darauf hin, dass es vor allem an meiner 1000 Euro-Forderung hänge. Das würde alles verkomplizieren, sagte er. Ich machte ihm daraufhin immer wieder klar, dass das nun mal die absolute Untergrenze ist und ich es darunter nicht machen würde. Ich blieb hart und konnte ehrlich gesagt auch nicht fassen, dass es nun an 1000 Euro scheitern soll.
Schließlich kam Michael mit einem Vorschlag: Der Tagesspiegel wolle 250 Euro zahlen, aber er und sein Data-Team würden aus ihren privaten Taschen auf die 1000 Euro aufstocken.
Das war dann der Punkt, an dem mir der Kragen platzte. Natürlich würde ich das private Geld von Michael und seinen Kolleg/innen nicht anrühren. Wie gesagt, es ging mir nicht ums Geld. Es ging mir ums Prinzip, um Anerkennung meiner Arbeit. 250 Euro für monatelange Recherchearbeit und einen sehr, sehr, sehr langen, prägnanten Text zum aktuellen Aufregerthema Nummer 1 … mir fehlen wirklich Worte, wie man sowas noch nennen soll. Aber Unverschämtheit trifft es meines Erachtens schon nicht mehr.
Ich äußerte Michael gegenüber meinen Unmut über das Angebot. Michael konnte oder wollte meine Aufregung über diese Respektlosigkeit seines Arbeitgebers nicht nachvollziehen. Anscheinend hielt er 250 für die monatelange Arbeit, die ich gemacht habe absolut für angemessen. (Zu dem Zeitpunkt hätte ich vielleicht schon stutzig werden müssen …)
Ich sagte Michael, dass wenn der Tagespiegel nicht bereit ist, die 1000 Euro zu zahlen, das Projekt eben nicht mit dem Tagesspiegel stattfinden wird.
Das war der Stand: Gridlock. Kein vor und kein zurück. Michael und ich waren verstritten.
Ich unternahm einen ersten Rettungsversuch.
Rettungsversuch 1
Michael und ich hatten einige Wochen zuvor bereits über mögliche andere Wege der Publikation gesprochen und es war – zumindest zwischen uns – immer auch eine Option gewesen, das Projekt bei anderen Häusern zu veröffentlichen. Ich machte mich also auf die Suche nach alternativen Veröffentlichungswegen und sprach mit einigen gut vernetzten Medienleuten, was man nun tun könne. Eine Person, mit der ich sprach, hatte gute Kontakte nach ganz oben zum Tagesspiegel und genug Geld über und schlug vor, dass er das Projekt einfach rauskaufen könne. Dann wären wir frei und könnten es überall veröffentlichen. Ich hielt das für eine sehr interessante Idee und kontaktierte Michael mit dem Vorschlag.
Er war nicht begeistert, um es vorsichtig auszudrücken. Genau genommen war er außer sich. Allein der Vorschlag – niemand hatte bis dahin irgendwelche Schritte eingeleitet – empfand er als Verrat, als „Schlag in die Fresse“. Hier wiederum verstand ich ihn nicht. Er blockierte jedes Angebot, sogar sich eines anzuhören. (Wie gesagt, niemand wollte da was über seinen Kopf hinweg unternehmen. Natürlich wollten wir ihn einbeziehen.)
Also wieder Gridlock. Aber dieses mal war es Michael Kreil der das Problem elegant löste, indem er mich einfach vor die Tür setze. „ich beende unsere Zusammenarbeit hiermit.“ Ja, das schrieb er wirklich, so als ob ich sein (unbezahlter) Angestellter gewesen wäre und er mich einfach aus dem gemeinsamen Projekt feuern könnte.
Da stand ich also da. Ich hatte fast vier Monate massiv Arbeit in ein Herzensprojekt investiert, in all der Zeit kein Geld bekommen, stattdessen werde ich vom Tagesspiegel beleidigt und von Michael dann vor die Tür gesetzt. Und das schlimmste: ich konnte das Projekt nicht veröffentlichen. Darum ging es mir. Eigentlich doch nur darum.
Ich sag mal so, im August ging es mir nicht so gut.
An dieser Stelle habe ich bereits mit dem Gedanken gespielt, die Studie einfach auf meinem Blog zu veröffentlichen. Doch ich hatte noch Skrupel, denn noch hatte ich nicht alles versucht.
Rettungsversuch 2
Ich gab mir einen Ruck und schrieb Michael eine Mail, die die abgerissenen Brücken wieder aufbauen sollte. Ich entschuldigte mich für in der Hitze des Gefechts gemachte Formulierungen („Du hast mich verarscht!“) und schlug vor, dass wir gemeinsam einen Weg finden sollten, das Projekt doch noch irgendwie abzuschließen.
Tatsächlich war Michael gesprächsbereit. Im Telefonat erzählte er mir, dass er bereits mit einer Stiftung im Gespräch sei, die Interesse an dem Projekt geäußert hatte. Ich war etwas perplex. Auf einmal geht eine Veröffentlichung außerhalb des Tagesspiegels also? Seine Erklärung dazu fand ich erstaunlich: das Projekt herauszukaufen hätten wir uns ja gar nicht leisten können. Wie er auf diese Idee komme, fragte ich. Und dann fing er an, mir vorzurechnen, dass alleine für seine geleistete Arbeit etwa 50.000 Euro fällig würden …
Vielleicht versteht ihr meine Irritation. Erstens, dass er wirklich glaubt, dass eine Stiftung (und es handelt sich um eine nicht sonderlich reiche Stiftung) 50.000 Euro für das Projekt ausgeben würde, erschien mir … unwahrscheinlich. Und zweitens: ist das wirklich die Relation mit der er den Wert unserer Arbeit gewichtet? 50.000 zu 250?
Nach unserem Telefonat ließ ich das noch mal sacken. So langsam kam mir der Gedanke, dass all das kein Unfall war. Dass Michael Kreil den Wert unserer Arbeit wirklich in genau dieser Relation sieht. Dass er mich nur als Handlager, Textdienstleister oder ähnliches betrachtet. Einer den man mit 5 Cent pro Stunde abspeisen und feuern kann, wann es einem beliebt und dessen kreativer Einfluss auf das Projekt so niedrig einzuschätzen ist, dass er es ohne rot zu werden sein Projekt, seine Ergebnisse, seine Daten und seine Grafiken nennen kann.
Ich schrieb ihm eine Mail, in der ich ihn mit der 50.000 Euroforderung aufzog und – da ich finde, wir sollten Einnahmen halbe/halbe teilen – pauschal dasselbe für meine Arbeit einforderte, was er für seine veranschlagt.
Michael ist ein weiteres mal komplett ausgeflippt und hat mich ein zweites Mal vor die Tür gesetzt. Er kündigte außerdem an, sich jemand anderes zu suchen, um das Projekt fertig zu machen.
Und wieder stand ich da. Aber dieses mal wusste ich, dass es mit Michael keine Einigung geben würde. An diesem Punkt war mir klar, dass ich niemals einen fairen Anteil bekommen würde, denn das Problem war nicht (nur) der Tagesspiegel. Es war Michael, der mir eine faire Bezahlung schlicht nicht gönnte.
Ich bin da anderer Meinung. Und deshalb habe ich das Projekt in dem Stadium, in dem ich es verlassen habe, einfach auf eigene Faust und unentgeltlich auf meinem eigenen Blog veröffentlicht. Die Hälfte von 0 Euro ist 0 Euro. Ein fairer Deal, wie ich finde.
Außerdem finde ich, dass ich ein Recht darauf habe, dass unsere Ergebnisse veröffentlicht werden. Und dass Michael in seinem Tweet von „meinen Ergebnissen, Daten und Grafiken“ sprechen kann zeigt nur symptomatisch, wie gering er meine Arbeit schätzt. Denn bis auf die erste Grafik ist kein Ergebnis, sind keine Daten und Grafiken ohne meine Mitarbeit entstanden. Es waren meine Theorien, die größtenteils zu meinen Fragenstellungen führten, die diese Ergebnisse, Daten und Grafiken möglich gemacht haben. (Und hier und da habe ich auch direkt in der Datenauswertung selbst mitgearbeitet). Für Michael zählt das alles nicht.
Man kann mein Verhalten sicherlich trotzdem scheiße finden und einige Freunde in meinem Umfeld empfanden es so. Allerdings konnte mir niemand von ihnen eine Alternative nennen, wie ich die Sache anders hätte handhaben können. Die einzige Alternative wäre gewesen, zurückzustecken. Dreieinhalb Monate Arbeit und wie ich finde wichtige Erkenntnisse einfach in den Wind zu schlagen und einfach weiterzuleben als wäre nichts gewesen. Das war keine Option. Wirklich. Ich habe alles versucht. Und zwar mehrmals. Diese Entscheidung ist mir alles andere als leicht gefallen, aber ich glaube, ich musste sie so treffen, wie ich sie getroffen habe.
Und um das nochmal klarzustellen: Ich wollte Michael zu keinem Zeitpunkt schädigen. Ich habe immer darauf geachtet, dass er als Studienautor entsprechend mit gewürdigt wird. Diesen Text hier wollte ich nie veröffentlichen, aber Michaels öffentliche Anschuldigungen lassen mir leider keine andere Wahl, mich zu erklären. Michael ist ein begnadeter Datenanalyst. Leider haperts bei ihm an anderer Stelle.