Krasse Links No 71

Willkommen zu Krasse Links No 71. Verschandelt eure Stadtbilder, heute tarnen wir den Killswitch der Kontrollsucht als Honigbrot und frönen der Politik des Flaschenhals jenseits des Chokepoints.


Jonas Schaible dekliniert in seinem Newsletter all die Möglichkeiten durch, die deutsche Migrationspolitik zu interpretieren: Überlastung durch zu viele Geflüchtete (Theorie 1), mediale Überdramatisierung des Problems (Theorie 2), Überdruß der Deutschen gegenüber Regelverletzung (Theorie 3) und stößt mit Merz‘ Stadtbildäußerung auf Theorie 4:

Was Merz jetzt geäußert hat, ganz unabhängig davon, was er selbst glaubt und was man ihm selbst unterstellen will oder nicht, das ist im Grunde eine vierte Theorie. Es ist die düsterste, die bislang vielleicht auch deshalb in der Debatte kaum eine Rolle gespielt hat.

Man kann sie so zusammenfassen: Es gibt aus Sicht der Deutschen ein Problem, unabhängig von Berichterstattung und Ausstattung der Kommunen und Regelbruch und es liegt darin, dass zu viele Menschen im Land sind, die anders heißen, aussehen und sprechen.

Sie läuft darauf hinaus, die Gesellschaft für in hohem Maße xenophob und rassistisch zu erklären.

Um das gleich zu sagen: Ich halte Theorie 4 für falsch. Klar, es gibt eine bestimmte Klientel von Vorstadt-Boomern, die nach Berlin oder in andere Städte fährt und sich sofort ethnische Säuberungen wünscht und ich glaube sofort, dass Friedrich Merz die Hälfte davon persönlich kennt. Aber es ist sicher nicht die Mehrheit und ganz besonders nicht dort, wo die meisten Migrant*innen wohnen?

Jedenfalls wissen wir jetzt, warum die Correktiv-Enthüllungen von Sellners Remigrationsplänen so zurückhaltend aus dem bürgerlichen Lager kommentiert wurden.

Jonas weist darauf hin, dass, wenn die CDU dieser Interpretation folgt, sie sich in eine „politische Sackgasse“ manövriert.

Wenn es wirklich so wäre, dass das Stadtbild das Problem wäre, dass viele Menschen sich nicht mehr daheim fühlen in ihrer Stadt, wenn sie aussieht, wie eine deutsche Stadt heute aussieht – dann wäre demokratische Politik wahrscheinlich am Ende ihrer Möglichkeiten.

Man könnte diesem Gefühl nämlich nur begegnen, indem man Homogenität erzwingt, und das ginge in der real existierenden deutschen Gesellschaft nur mit autoritären Mitteln, mit schrankenloser Willkür und unvorstellbarer Gewalt.

Die Politik kann mehr Unterkünfte bauen, sie kann Kommunen mehr Geld geben und für schnellere Verfahren sorgen. Sie kann Patrouillen an die Grenze schicken, Abkommen mit Nachbarstaaten schließen und Geflüchteten weniger Geld zahlen. Sie kann den Görlitzer Park umzäunen.

Sie kann schneller und im großen Stil abschieben, wobei das, wenn man es ernst meinte, wahrscheinlich irgendwann so ähnlich aussehen muss wie in den USA derzeit, und da ist demokratische Politik dann auch am Ende. Sie kann falsch finden, wie früher Zuwanderung organisiert wurde. Ändern kann sie es nur sehr, sehr, sehr begrenzt.

Kurz gesagt: Sie kann entscheiden, wer neu ins Land kommt, aber sie muss in den allermeisten Fällen mit denen leben, die schon im Land sind.

Was sie niemals kann, ist ein Heimatgefühl herzustellen, das von der realen Heimat völlig entkoppelt ist. Was sie niemals kann, ist ein Stadtbild zu schaffen, das für jene ordentlich und sicher aussieht, für die Städte derzeit unordentlich und unsicher aussehen. Oder zu wenig Deutsch.

Kann sie das nicht? Vielleicht. Aber sie wird es dennoch versuchen?

Deswegen ist Merz’ Nebensatzentgleisung eben nicht der übliche „Onkel Erwin nach dem dritten Schnaps“-Rassismus, den man sonst von Merz und Konsorten kennt, der zwar auch schrecklich, aber vor allem schrecklich peinlich ist.

Das hier ist eine besonders deutsche Artikulation von Rassismus, die explizit auf „Reinheit“ abzielt und dabei Menschen als Fremdkörper markiert. Es ist die offene Artikulation eines rassistischen Begehrens, das nicht zu befriedigen ist, ohne eine monströse Infrastruktur der Gewalt zu errichten, deren Entstehung wir derzeit in den USA beobachten können.

Es ist klar, dass auch Trump es in Wirklichkeit auf das „Stadtbild“ abgesehen hat, auch wenn er es sich nicht traut, so offen auszusprechen, wie Merz. Aber hier ist das Ding: auch ICE wird das Stadtbild nicht genug „reinigen“, denn wann ist überhaupt „genug“? Nach wessen Maßstab?

Deswegen wird das Bedürfnis mit den Infrastrukturen – den Lagern, den Paramilitärs, der Armee in den Städten, den Sonderbefugnissen und rechtlichen Ausnahmezuständen – nicht gestillt werden, sondern wird weiter wachsen, gemeinsam mit den Erlaubnisstrukturen, mit Menschen auf bestimmte Weise zu verfahren.

Es gibt Forderungen, die kann eine liberale Demokratie nicht erfüllen. Es wäre deshalb weise, sie nicht auch noch selbst zu formulieren.

Vorsicht, Jonas. „Liberale Demokratie“ könnte ein Preis sein, den die CDU zu bezahlen bereit ist.


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LowerClassJane ordnet Merz‘ Stadtbildäußerung in den größeren Rassismuskontext dieses Landes ein.

Die Wahrheit ist: Wir leben in einem Land, das seit Jahren nach rechts rutscht, ohne jemals nach links geschaut zu haben. Ein Land, das sich selbst als „wehrhaft“ bezeichnet – aber immer nur gegen die Schwächsten aufrüstet.

Ein Land, in dem Geflüchtete in Lagern gehalten werden, unter Bedingungen, für die man in anderen Ländern diplomatische Noten verschicken würde. Ein Land, in dem die Polizei Menschen erschießt, die Schutz bräuchten – und der Innenminister dann über Vertrauen redet. Ein Land, das Sozialhilfe kürzt, aber Aufrüstung finanziert, als wäre Krieg die bessere Fürsorge.

In diesem Land sind Menschen nun mal nicht gleichviel Wert und es gibt – jenseits der Sonntagsreden – keinen Willen, das zu ändern.

Es ist das Schweigen der Institutionen. Es ist der Reflex, lieber Palästina zu zensieren als die eigene Geschichte zu hinterfragen. Es ist das Weggucken, wenn Geflüchtete erfrieren. Es ist das Wegmoderieren, wenn jemand sagt: „Das ist Rassismus.“

Vielleicht war es nie anders. Vielleicht ist das die eigentliche Wahrheit über Deutschland: Dass es immer nur bis zum Punkt der Bequemlichkeit kämpft. Und dann wieder „zurückrutscht“ in den Konsens der weißen Mitte.

Ich früchte, es ist mit den Bekenntnissen zum Antirassismus genauso wie mit den Bekenntnissen beim Klimaschutz: Die Deutschen würden ja gerne so sein, wie sie sich erzählen, aber nur so lang es sie nichts kostet.


Henry Farrell über die Ironie der Geschichte, dass China mit dem Ausfuhrstopp der seltenen Erden jetzt dieselbe Politik des Flaschenhals – oder wie Farrell es nennt „weaponized Interdependence“ – gegenüber den USA fährt, wie sie selbst gegenüber China, Russland und Iran gefahren sind.

First, and most simply: China seems to be moving from one mode of exercising its power to another. China has exercised effective control over rare earths and other critical minerals for years, but when it has used or threaten to use it, it has done so implicitly and indirectly. Specifically, it has used informal restrictions: mysterious blockages, strange frictions and other means to hamper other countries’ access to China’s internal markets, and Japan’s access to rare earths in 2010. This led some observers even to doubt that China had introduced systematic restrictions on exports. […]

It has created an entire regulatory infrastructure to underpin this claim, and has effectively banned the export of rare earth processing equipment abroad, to try to maintain its chokepoint as long as possible.

Man könnte meinen, China hat sich strategisch vom dem Shock der Trumpzölle berappelt und nimmt den Handelskrieg ernsthaft auf. Allerdings nicht so amateurhaft wie Trump.

China appears to be better placed than the U.S. to use its powers of economic coercion intelligently in pursuit of its own long term interests. The Trump administration has junked the systems that allow the U.S. government to calibrate economic coercion and to anticipate possible downsides. The National Security Council – which had come to play a crucial role in coordinating and setting policy under the Biden administration – has lost more than half of its personnel, on the theory that it is the ultimate representative of the “Deep State.” Its key China people have been Loomered. Careful bureaucratic process has been replaced by the whimsical decision making of Trump himself, as in his infamous meeting with Jensen Huang. Bessent’s criticisms of officials “gone rogue” might better have been aimed at his own boss.

Wenn eine Netzwerkzentralität ihre Macht mißbraucht, wie es USA über ihre Infrastrukturen immer wieder getan haben und mit Trump radikaler denn je tun, verändert das zwangsläufig auch das gesamte Abhängigigkeits-Netzwerk.

When interdependence is used by privileged states for strategic ends, other states are likely to start considering economic networks in strategic terms too. Targeted states—or states that fear they will be targeted—may attempt to isolate themselves from networks, look to turn network effects back on their more powerful adversaries, and even, under some circumstances, reshape networks so as to minimize their vulnerabilities or increase the vulnerabilities of others.

China hat sich gerüstet und mißbraucht seinerseits die Pfadabhängigkeit der USA und des Westens von seltenen Erden, um zurückzuschlagen.

China has indeed reshaped networks so as to maximize the vulnerabilities of the US, creating a much more dangerous and unpredictable set of dynamics. The U.S. is currently very poorly positioned to manage these complex problems. The Trump administration is more concerned with attacking perceived internal enemies than the outside world, and has stripped the bureaucracies that would allow it to begin to think straight about the problem.

Wir alle müssen jetzt ganz schnell Netzwerkmacht lernen.


Dieses Tiktok-Video fasst kurz und verständlich die Politik des Flaschenhals der trumpifizierten FCC-Behörde mit dem Frequenzband zusammmen, die hinter der Kimmel-Feuerung und Disneys Einknicken steckt und die den eigentlichen Sinn hat, mehr mediale Infrastrukturmacht zur Broligarchie zu schaufeln.

Aus dieser Richtung dürften noch einige Angriffe auf die Öffentlichkeit kommen.


Signal war kurz offline, weil Amazon Webserives down war und wenn ihr jetzt so „Hä? Ich dachte Singal wäre diese mega-sichere Hackerapp, was hat die denn mit Amazon zu tun?!?“ seid, dann hat Tech policy Press einen Artikel für euch.

On Monday, a global technical failure at Amazon Web Services (AWS), Amazon’s cloud computing division, sent hundreds of applications and services from Snapchat and Signal to Fortnite and Lloyds Bank offline. Even a range of British government services were crippled by the fault.

While precise technical details have yet to be reported, here is what we know now: There was a significant technical issue beginning in Amazon Web Services’ ‘us-east-1’ region that brought down large portions of the internet, including services like Signal. Us-east-1 is one of AWS’s key geographic regions—a cluster of data centers where companies can host their cloud infrastructure. It is located in Northern Virginia, near the United States capitol.

Deswegen steht dieses Ereignis für mehr, als uns lieb sein kann.

The “open” internet, it turns out, rests on a remarkably closed foundation. Cloud providers control information access. When AWS or other cloud behemoths, like Google and Microsoft, are down, so is the rest of the internet.


Cory Doctorow über den Killswitch des „Mad Kings“.

Remember when we were all worried that Huawei had filled our telecoms infrastructure with listening devices and killswitches? It sure would be dangerous if a corporation beholden to a brutal autocrat became structurally essential to your country’s continued operations, huh?

Wir alle leben im Territorium des verrückten Königs und er hat längst angefangen unsere Möglichkeiten zu beschneiden.

Apple and Google capitulated. Apple also capitulated to Trump by removing apps that collect hand-verified, double-checked videos of ICE violence. Apple declared ICE’s thugs to be a „protected class“ that may not be disparaged in apps available to Apple’s customers

Es gibt aber auch einen literal „Killswitch“, bzw. Abhörmechanismus namens CALEA, der in all unseren Netzwerken verbaut ist.

Take CALEA, a Clinton-era law that requires all network switches to be equipped with law-enforcement back-doors that allow anyone who holds the right credential to take over the switch and listen in, block, or spoof its data. Virtually every network switch manufactured is CALEA-compliant, which is how the NSA was able to listen in on the Greek Prime Minister’s phone calls to gain competitive advantage for the competing Salt Lake City Olympic bid […]

CALEA backdoors are a single point of failure for the world’s networking systems. Nominally, CALEA backdoors are under US control, but the reality is that lots of hackers have exploited CALEA to attack governments and corporations, inside the US and abroad. Remember Salt Typhoon, the worst-ever hacking attack on US government agencies and large corporations? The Salt Typhoon hackers used CALEA as their entry point into those networks

Leider haben wir uns vor Jahren die Möglichkeit genommen, diese Mechanismen zu umgehen, als Techfirmen und Urheberrechtslobbyisten darauf drängten, kommerzielle Systeme vor ihrer technischen Umgehbarkeit zu schützen.

These anti-jailbreaking laws were designed as a tool of economic extraction, a way to protect American tech companies‘ sky-high fees and rampant privacy invasions by making it illegal, everywhere, for anyone to alter how these devices work without the manufacturer’s permission.

But today, these laws have created clusters of deep-seated infrastructural vulnerabilities that reach into all our digital devices and services, including the digital devices that harvest our crops, supply oxygen to our lungs, or tell us when Trump’s masked shock-troops are hunting people in our vicinity.

Ganz heruntergebrochen stehen wir als Europa vor demselben Problem, wie 2022 mit den russischen Gaspipelines. Nur ist alles viel komplexer, lebenswichtiger und schwieriger zu tauschen.

When Putin invaded Ukraine, he inadvertently pushed the EU to accelerate its solarization efforts, to escape their reliance on Russian gas, and now Europe is a decade ahead of schedule in meeting its zero-emissions goals

Today, another mad dictator is threatening the world’s infrastructure. For the rest of the world to escape dictators‘ demands, they will have to accelerate their independence from American tech – not just Russian gas. A post-American internet starts with abandoning the laws that give US companies – and therefore Trump – a veto over how your technology works.

Ich kenn ja auch die Zukunft nicht, aber ich sehe derzeit keinen plausiblen Pfad, wie das irgendwie gut geht.


Diese Zeichnung von XKCD ist insbesondere innerhalb der Open Source Communities beliebt, weil es die Realität unserer digitalen Infrastrukturen so schön beschreibt.

Es wird Zeit, es umzuinterpretieren. Das größere Problem ist nicht mehr das kleine Projekt mit kaum Entwickler*innen, der Chokepoint sind heute die großen, kommerziellen Infrastrukturen, die sich mit dem verrückten König verbündet haben.


Nafeez Ahmed über die geleakten Papiere des Gaza International Transitional Authority (GITA) und wie Peter Thiel und Larry Ellison wohl dafür die Überwachungsinfrastruktur liefern werden.

A Byline Times review of the leaked Gaza International Transitional Authority (GITA) framework, procurement guidance documents, and FEC filings shows that its digital-governance backbone – covering identity, border control, aid logistics and donor coordination – matches the Oracle-Palantir technology ‘stack’ of digital technologies currently used in Israel’s defence network. They further suggest that the GITA board structure is planned to allow this stack an easy entry-point into reconstruction contracts.

The plan was drafted by the Tony Blair Institute for Global Change (TBI), whose biggest financial backer is Larry Ellison, the billionaire co-founder and executive chairman of tech giant Oracle Corporation. Since 2021, the institute received donations or pledges of at least £257 million from the Larry Ellison Foundation, an amount that dwarfs all other donors combined.

Natürlich sind Thiel und Ellisons Firmen, Oracle und Palantir genauso wie Microsoft, Google und andere bereits knietief im Genozid eingebunden.

Über Peter Thiel ist ja bereits viel bekannt, aber Ellison macht ihm und Elon Musk wie kein anderer den Platz als „Worlds biggest Tech-Supervillan“ streitig.

Ellison himself is a Trump supporter and Republican Party megadonor, who has given tens of millions of dollars to the party and embedded Oracle across the American federal government following extensive lobbying. Oracle is also poised to oversee TikTok’s US algorithm after the completion of its US sale, under Trump’s deal with China.

Ellison has close ties to fellow pro-Trump billionaire Peter Thiel, through a little-known partnership between Oracle and Palantir, the surveillance and defence-analytics firm co-founded by Thiel.

Both companies have directly supported Israel’s military operations in the Gaza Strip. But the same companies are also in prime position to profit from the technocratic management of Gaza after the war.

Seit letztem Jahr sind Oracle und Palantir eine stratgeische Partnerschaft eingegangen, die sich wie ein Bewerbungsschreiben für Nachkriegsordnung des Gazastreifens liest.

In April 2024 Oracle and Palantir announced a deep “strategic partnership” to deliver “mission-critical AI solutions to governments and businesses.” It was a relationship nearly a decade in the making – back in 2017 Ellison had held exploratory talks with Peter Thiel about acquiring Palantir outright.

By July, Palantir and Oracle jointly unveiled deployment guides showing its Foundry and AI platforms running on Oracle’s sovereign, government and “air-gapped” clouds, tailored for national security clients. In June 2025 Oracle launched its Defence Ecosystem including “Palantir for Builders.”

In dem geleakten GITA-Framework findet sich folgende Ausschreibung dazu.

That vision, which proposes a “Gaza Reconstitution, Economic Acceleration and Transformation (GREAT) Trust”, envisages creating a “blockchain registry for land” to underpin the construction of up to eight “AI-powered, smart planned cities on the inner side of the Gaza Ring. All services and economy in these cities will be done through ID-based digital system.” It even mentions an “Elon Musk Smart Manufacturing Zone” – Musk’s companies such as xAI have cultivated close partnerships with both Oracle and Palantir. Ellison invested $1 billion to support Musk’s purchase of Twitter in 2022, and sits on his board at Tesla.

Ich interpretiere das so: In Gaza entstehen die Infrastrukturen einer neuen Form von Staatlichkeit im Zeitalter der Digitalisierung. Als integrierter Tech-Faschismus.

Larry Ellison’s Oracle and Peter Thiel’s Palantir now form a single operational spine for digital governance and defence, from cloud infrastructure to predictive analytics. And Trump’s Gaza peace plan looks like the vehicle through which that spine could extend into Gaza’s reconstruction.

The technologies that mapped, targeted and managed Gaza in wartime are now the same ones perfectly positioned to administer it during peace. Which means the Gaza International Transitional Authority risks becoming not a clear break from the conflict, but a potential continuation of it by digital means.

Unsere Polizei nutzt bereits fleißig Palantir und verlangt mehr davon und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der gesamte Stack auch hier implementiert wird.

Unter anderem das meine ich, wenn ich sage: Gaza ist bald überall.

Aber ich meine auch etwas anderes. Es ist eben nicht nur die Technologie, sondern die Technologie als Soziotechnisches System, oder wie wir hier sagen: als Materiell-Semantischer Komplex.

Mit den Infrastrukturen kommen bestimmte Pfadabhängigkeiten in die Zukunft. Sie implenentieren eine bestimme Art auf Menschen zu schauen und damit verbunden die Erlaubnis, mit Menschen auf eine bestimmte Weise umzugehen. Und das wichtigste: Diese Infrastrukturen stillen kein Bedürfnis, sondern entfachen es: das Bedürfnis nach Kontrolle.

Ob wir es wollen oder nicht, diese Infrastrukturen werden, allein dadurch, dass wir ihre Existenz erlauben, Gesellschaften weltweit verändern und damit schließlich auch uns.


Ich war in Fatih Akins Amrum und finde, es ist sein bester Film bisher. Und wer ihn noch nicht gesehen hat, hier eine Besprechung mit **** MEGA SPOILERS ****.

Als wäre es das leichteste der Welt, verwebt Akin die Themen Migration und Indentität, Familie und Depression, das Ende des Nazireichs, Ideologie und Erziehung zu einer Erzählung aus der Sicht eines kleinen Jungen, Nanning, der sich nichts anderes wünscht, als das seine Mutter wieder lacht.

Der Höhepunkt ist m.E. die Unterhaltung von Nanning mit seinem Freund, wo dieser erzählt, jemand habe Hitler mit Captain Ahab aus Mobby Dick verglichen und zusammen raissonieren sie, dass Deutschland dann ja das Schiff und die Deutschen die Crew seien, aber … so fragen sie, wer oder was ist dann der weiße Wal? Sie probieren „die Amerikaner“, „Churchill“ und „Gott“, aber so richtig zufriedenstellend wird die Frage nicht beantwortet.

Das hat mich nicht mehr losgelassen: Was woll(t)en Faschisten wirklich? Einfach alle Juden umbringen? „Lebensraum im Osten“? Weltherrschaft? Ja sicher, aber wozu? Was war der eigentliche weiße Wal, den sie jagten?

Vielleicht Kontrolle? Den Wunsch nach Kontrolle hegen wir alle, doch in einer Welt, in der manche Menschen unbegrenzte Macht über andere durch die Kontrolle von Infrastrukturen erlangen können, ergeben sich aus ihrer Sicht auch Pfadgelegenheiten zur Kontrolle des Unverfügbaren.

Kontrolle des Gegners, Kontrolle der Massen, Kontrolle über andere „Rassen“, über „die Welt“, Kontrolle über Grenzen, Kontrolle der Öffentlichkeit, Kontrolle der Sexualität, Kontrolle über das „Stadtbild“, etc. Aber auch Kontrolle über das Leben, Kontrolle über den eigenen Körper und, vielleicht am entscheidensten: Kontrolle über die eigenen Gefühle?

Doch je unverfügbarer etwas ist, desto eher führt der Versuch seiner Kontrolle zur Kontrollsucht. Je mehr man kontrolliert, desto mehr will man kontrollieren, usw. Faschismus ist in seinem im Kern keine Ideologie, sondern eskallierende Kontrollsucht.

Nachdem Nanning den ganzen Film über etliche Abenteuer durchlebt hatte, um die bizarren Pfadabhängigkeits-Ketten von Weizenmehl, Butter und Honig unter den Bedingungen des Nazi-Kollaps zu navigieren und schließlich der Mutter das Honigbrot präsentiert, das sie definitiv und auf jedenfall gesund machen wird, reagiert sie mit einem kalten „Stells in die Küche“ und der kleine Ahab bricht weinend zusammen.

Aber wenn der eigentliche Weiße Wal das Trauma der abwesenden Liebe ist und seine Ersetzung durch Honigbrot teil desselben Traumas wird, wenn also Trauma zu Konsum, Konsum zu Kultur und Kultur wieder zu Trauma wird, dann ist Fatih Akins „Amrum“ eigentlich eine Inszenierung von „Schrei nach Liebe“, aber als intergenerationale Traumaarchitektur.

Annäherung an Arendts Gedankenwelt – Zeitgeister – Das Kulturmagazin des Goethe-Instituts

Susann und ich wurden nach unserem re:publica Talk gefragt, die Idee mit Bezug auf Hannah Arendt für eine Spezial des Goethe-Instituts als Text zu formulieren, was uns sofort einleuchtete. Die größte Herausforderung war allerdings den Einstundenvortrag auf weniger als 10.000 Zeichen zu komprimieren. Ich hatte schon nicht mehr an die Machbarkeit geglaubt, aber Susann gab nicht auf und jetzt ist das wahrscheinlich der dichteste Text, den wir beide je veröffentlicht haben.

Beide Serien, Andor und Sense8 zeigen, dass Widerstand möglich ist. Widerstand fängt mit Empathie und Hinsehen an und wird mit der Zeugenschaft real – und manchmal kostspielig. Egal ob der Kampf gegen ein materielles Imperium, oder in der Selbstverteidigung gegen eine hegemoniale Gesellschaftsordnung; ein Mittel gegen die Banalität des Bösen ist Zeugenschaft – semantischer Widerstand gegen Wegsehen und Ignoranz.

Quelle: Annäherung an Arendts Gedankenwelt – Zeitgeister – Das Kulturmagazin des Goethe-Instituts

Hier auch der Text auf Englisch.

Krasse Links No 70

Willkommen zu Krasse Links No 70. Holt den Leviathan aus dem Markow-Modell, heute stellen wir den Thanos-Effekt auf den Kipppunkt und kollabieren die Constraints zum „Superorganism“ des Antichrist.


Liebe Fahrgäste, wir erreichen soeben den ersten klimatischen Kipppunkt: das Absterben der Korallenriffe.

Mit dem weltweiten Absterben der Warmwasser-Korallenriffe hat die Erde den ersten Klima-Kipppunkt erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt der internationale Forschungsbericht »Global Tipping Points Report 2025«. Damit sei die Welt in eine neue Realität eingetreten, heißt es in dem Bericht, den 160 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 87 Institutionen in 23 Ländern verfasst haben. […]

Der »Global Tipping Points Report 2025« stellt fest, dass die Warmwasserkorallenriffe – von denen ein Viertel aller Meereslebewesen sowie fast eine Milliarde Menschen abhängen – ihren Kipppunkt erreicht haben. Diese Strukturen würden weit verbreitet absterben, heißt es. Der wichtigste Faktor dabei sind Korallenbleichen. Bei hohen Wassertemperaturen stoßen die Korallen ihre lebenswichtigen symbiotischen Algen aus, die sie mit Nährstoffen versorgen.[…]

Mit der bereits erreichten globalen Erwärmung von rund 1,4 Grad sehen die Fachleute die Grenze zu dieser sich selbst beschleunigenden Riffzerstörung überschritten. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich die menschengemachte Erderwärmung künftig bei 1,5 Grad stabilisieren lasse, sei ein weitreichender Verlust dieser Ökosysteme praktisch sicher.

Die nächsten Haltestellen sind

  • „großflächiges Absterben des Amazonas-Regenwalds“ (bei 1,5 Grad) und
  • das Kippen des Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) bei irgendwo unter 2 Grad.

Vielen Dank für ihre Vertrauen in den Kapitalismus und auch weiterhin eine angenehme Reise.


Relational Materialism“ is all about Constraints. Die Idee ist, dass uns das „freie Denken“ übelst in die Irre geführt hat und dass wir das Denken durch das Einsperren in „Constraints“ wieder produktiv machen können. Die Inspiration dafür ist Donna Haraways Einwand gegen die „Perspektive von Nirgendwo“, die als „Objektivität“ nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in unserer Alltagssprache ihr Unwesen treibt.

Aber weil ich gleichzeitig nicht glaube, dass mit der Objektivität auch die Möglichkeit und Notwendigkeit verschwindet, Aussagen mit Allgemeingültigkeitsanspruch zu formulieren, sammle diese Constraints und behaupte:

Der Mensch ist ein situiertes, pfadabhängiges und sequenzielles Wesen.

Als Erkenntnis ist das im Einzelnen nichts wirklich neues, sogar trivial, klar, aber die eigene Sicht auf die Welt ändert sich, wenn man diese Constraints wirklich ernst nimmt und übt, mit diesen Beschränkungen zu denken und zu sprechen und meine Hoffnung war zunächst, dann weniger Unsinn zu reden. Aber nach und nach merke ich, wie diese Sichtweise auch neue sprachliche und damit gedankliche Pfade öffnet.


Peter Thiel gab vier Vorlesungen zum Antichrist. Mir behagt es nicht wirklich, seine Gedanken widerzugeben, als wären sie etwas, was man irgendwie intellektuell ernst nehmen müsste. Weil Peter Thiel aber leider enorme Macht hat – ja, über uns alle – müssen wir alles, was er sagt und schreibt, als mehr oder minder konkret formulierte Drohung interpretieren. The Guardian hat in die geleakten Mitschnitte reingehört.

Der Constraint gegen die „Objektivität“ zwingt mich z.b. dazu, Dinge multiperspektiv zu denken und das hört sich gleichzeitig banaler und anstrengender an, als es ist: Klar, jede Perspektive ist „Einzigartig“ und so, aber dann halt auch doch nicht?

Hier kommt nämlich eine der zweite Constraint produktiv zum Tragen: wir sind materielle Wesen in einer materiellen Welt, also zweifache Weise pfadabhängig: Wir kommen immer irgendwo her und wollen/müssen immer irgendwo hin. Als Menschen sind wir abhängig von Nahrung, Sauerstoff, Wasser, körperliche Sicherheit, ein Dach über den Kopf, Gesundheit, einem Einkommen, der Kanalisation, Freunden und Familie, dass ich den Bus noch erwische und diesen Newsletter endlich fertig kriege. Aber alle Abhängigkeiten haben eine Geschichte, sind also ihrerseits pfadabhängig und zu einem früheren Zeitpunkt waren die Pfadabhängigkeiten einmal Pfadgelegenheiten, usw.

Der Constraint wird produktiv, wenn wir daraus ableiten, dass jeder Mensch in jeder Situation ebenso eingeschränkt ist, wie ich, nur anders, d.h. ein endliches, plausibles Set an materiellen Pfadgelegenheiten hat.

Nehmen wir hier Peter Thiel als nur scheinbar schwieriges Beispiel (ich hatte das bereits mal grob ausgeführt). Er ist sehr, sehr reich, er ist tief konservativ geprägt und er ist ständig nur unter seinesgleichen: weiße, reiche, mächtige Männer aus Silicon Valley und kaum jemand darunter, der „nein“ zu ihm sagt. Turns out: Es ist gar nicht so schwer, sich in jemanden hineinzuversetzen, der gleichzeitig so viel und so wenig Pfadgelegenheitsvielfalt genießt.

Thiel said that international financial bodies, which make it more difficult for people to shelter their wealth in tax havens, are one sign the antichrist may be amassing power and hastening Armageddon, saying: “It’s become quite difficult to hide one’s money.”

Thiels Gebrabbel ist nicht wirklich eine Reflexion über die Welt, sondern ein unwillkürlicher Ausdruck seiner pfadabhängigen Perspektive: Alles, was ihn, Christus, äh, Thiel an der Ausübung seiner unbeschränkten Macht (und die seiner Freunde) hindert – ja was soll das schon anderes sein, als der Antichrist?

In the 21st century, the antichrist is a luddite who wants to stop all science. It’s someone like Greta or Eliezer.

Peter Thiel hat einfach den intellektuellen Hosenstall offen, ist aber zu mächtig, als das jemand lacht. Das macht ihn aber nicht ungefährlich, im Gegenteil. Und speziell angepasste Religiosität als Erlaubnisstruktur zur Weltherrschaft ist jetzt nicht wirklich was neues.


Nach dem Raussenden des letzten Newsletters hat mich das Thema Purge-Koalition nicht losgelassen und daher habe ich immer weitergeschrieben, meine Formel zu Netzwerkmacht aktualisiert und anhand einer Beispielrechnung versucht, vorstellbar zu machen, welche Effekte eine solche Purge-Koalition zwischen allen großen Plattformen hätte.

Ich bin danach noch weitergegangen und habe extra den Thanos-Effekt erklärt und versucht, den Effekt der Zusammenarbeit großer Plattformen auf ihre Plattformmacht anhand einer editierbaren Beispielrechunung plausibel zu machen.

Auch wenn das alles quick und dirty war, stehe ich zu den Schlussfolgerungen, weswegen ich mich mit den verhaltenen Reaktionen immer noch nicht abfinden will. Deswegen ist dieser Newsletter auch der Versuch, den dahinterstehenden und zugegebenermaßen ideosynkratischen Begriffs- und Methodenapparat nochmal etwas besser zu erklären.


Die hier schon mal behandelte neuerliche Parteinahme Ezra Kleins für den Faschismus wird immer genauer aufgearbeitet. Der aktuelle neue beste Text dazu kommt jetzt von A.R. Moxon.

Er analysiert zwei Zitate von Klein, unter anderem „we are going to have to live here with each other“ aus dem Monolog vor dem Interview mit Ben Shapiro und arbeitet exakt heraus, was daran so falsch ist. Das andere Zitat ist nicht so wichtig, aber kommt aus dem absolut hörenswerten Gespräch mit Ta-Nehisi Coates, ein Podcast, den ich wirklich jedem ans Herz legen kann.

Moxon schreibt:

This is the grain of sand at the center of the pearl of my ire, because „we are going to have to live here with each other“ is the exact premise that Republicans do not agree with any of us about, and while Klein in his remarks pays lip service to some of the recent proofs of this clear fact, in his analysis of what to do about it, he excises this reality entirely. In his mind, he and Kirk were just two guys, both trying to change the country for what they thought was good. It’s a bond. Never mind that what Kirk thought was good was the American military in the streets of Chicago, and mass kidnapping in service of a white ethnostate, and the end of bodily autonomy for women and queer people, and so forth. In the Klein world, moral clarity about abuse is polarizing, and polarization, not abuse, is the problem to solve.

„we are going to have to live here with each other“. Dieser Satz hört sich so richtig und absolut unverfänglich an, jeder Mensch bei Verstand würde ihm zustimmen, aber er ist eben kein allgemeingültiger Satz. Der Satz ist teil eines konkreten Sprechaktes an einem konkreten Ort und konkret an jemanden gerichtet. „Living together“ ist niemals nicht relational und niemals nicht pfadabhängig.

We are going to have to live here with each other. Not an option if you are trans, as long as supremacists (or those who would capitulate to them in the name of winning) are still permitted to wield the levers of power. Not an option if you are an immigrant. Not an option if you are pregnant with a complication. Not an option if you are sick, or out of work. Not an option if you are homeless. And eventually not an option if you are in opposition in any way to the dictator president and his coterie of supremacists, or if you just happen to fall afoul of somebody with a grudge and a trigger finger and not much to lose. Not even an option if you are Charlie Kirk, it turns out.

Damit entlarvt Moxon Ezra Kleins Kirk und Shapiro-Apopologien als das, was sie sind: als persönliche Pfadentscheidung darüber, mit wem er „going to live together“ praktizieren will und mit wem nicht.

By his own admission, Kirk’s murder affected Ezra Klein in a personal way that all the previous acts of supremacist violence committed against all its other targets across the span of history did not. So we see that Klein recognizes a „we“ in Charlie Kirk that he does not recognize in trans people or in any of the other people I listed in the previous paragraph. In this, he reveals to us—perhaps without even knowing he is doing so—that for him, the disagreements he has with Charlie Kirk and Ben Shapiro are window dressing compared to the fundamental kinship he feels to them, three princes of public discourse, just trying their best to do what’s best, whether „what’s best“ is feeding a hungry kid or blowing him up or zip-tying his hands behind his back in the middle of the Chicago night.

When Klein scolds that „we have to live here with each other“ he is making a statement about who it is he is getting ready to live with and who he is getting ready to live without, and most gallingly he is ignoring the fact that when it comes to supremacists all of us have been living with them already all along. Nobody is suggesting mass deportation of white supremacists, or the dissolution of straight marriages, or stripping away health care for conservatives. The troops and the cops weren’t ever sent down primarily white streets, masked kidnappers aren’t terrorizing white churches or corporate boardrooms or white-collar courts. These supremacist hatemongers are being criticized, yes, and opposed, yes, and yes the culture of violence they have created sometimes ricochets back on them, but we are living in the country they demanded on having. We are all now experiencing the Republican proposition for humanity.

Eine plausible Möglichkeit, den Menschen in seinen Constraits zu modellieren, ist es, sich ihn als Pfadopportunisten vorzustellen. Das was Menschen sind, sagen, denken, glauben und tun ist weniger eine Reflexion ihrer individuellen „Persönlichkeit“ (wobei: das spielt sicher auch mit rein), als ihrer materiellen und semantischen Pfadabhängigkeiten. Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Klein ist weiß, Staatsbürger, wohlhabend, mit hoher gesellschaftlicher Stellung – er hat etwas zu verlieren. Gleichzeitig ist er als vornehmlich linksintellektuell wahrgenommener Vordenker auch sehr angreifbar gegenüber dem Trumpfaschismus. Kirk und dann Shapiro, waren für ihn jeweils Pfadgelegenheiten diese Vulnerabilität, wenn nicht aufzuheben, so doch abzuschwächen? Auf Kosten von wem auch immer. Coates war eingeladen, um ihm die Erlaubnis dafür zu geben. Er bekam sie nicht.


Macht ist ein Potential und daher äußert sie sich abseits von konkreten Gewaltakten nie direkt, sondern meist indirekt über aggregierte Effekte auf Dividuen (wie Ezra Klein oder Peter Thiel) und ihren Pfadentscheidungen. Man kann sich das besonders gut an der Netzwerkmacht klar machen.

Von der Wikipedia gibt es diese Darstellung von Netzwerkeffekten.

Stellen wir uns vor, diese Netzwerke repräsentieren unterschiedliche Kommunikationsstandards mit verschieden großen „installed bases“ – Netzwerk A, B und C –die qua Größe unterschiedliche Netzwerkmacht inne haben.

Der relationale Materialismus (und Richard M. Emerson) zwingt uns, Macht als relationales Verhältnis zu denken: Macht ist immer Macht von jemanden über jemanden. Genauer: sie ist die Kehrseite von Abhängigkeit und damit ist sie integraler, aber genau deswegen unsichtbarer Teil unserer Perspektive auf die Welt.

Um sich das vorzustellen, muss man sich von einem mechanischen, kausal determinierten Abhängigkeits- und Machtbegriff lösen und zu einem kleinteiligen, alltäglicheren und bezogeneren Machtbegriff kommen. Macht ist eine soziale Tatsache, in der wir alle auf vielfältige Arten einbegriffen sind, ob wir es merken oder nicht, oder ob es uns das passt oder nicht.

Wie Netzwerkmacht in der jeweiligen konkreten Wirklichkeit aussieht, kann man sich an einer plausiblen Entscheidungsmatrix eines Nutzenden klar machen.

Klar, kann ich Netzwerk A oder B nehmen, aber C beinhaltet die wichtigsten Pfadgelegenheiten? Die Substitutionsmatrix sieht dann so aus.

Weil Netzwerk C so netzwerkzentral für meine Pfadgelegenheiten ist, fällt meine Entscheidung auf C. Aber hier die Preisfrage: Habe ich das nun „frei“ entschieden?

Die relativ hohe Netzwerkmacht des Netzwerks C bedeutet weder, dass ich zu Netzwerk C gezwungen werde, noch, dass alle zu Netzwerk C rennen, sondern „nur“, dass es wahrscheinlich ist, dass viele zu Netzwerk C rennen, weil das ihre je relational materielle Sicht auf das Netzwerk nunmal nahe legt.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die „plausible Entscheidungsmatrix“ auch ganz anders aussehen könnte. Manche haben alles was sie brauchen in Netzwerk B, manche brauchen eh nicht viel und nutzen A, manche sehen keinen Nutzen in irgendwas davon. Aber das sind wahrscheinlich weniger. Aber diese unterschiedliche Wahrscheinlichkeit – diese Nichtzufälligkeit – ist Ausdruck der relativen Netzwerkmacht von Plattform C.

Dieser Unterschied ist real und hat Effekte auf die Welt und bei entsprechend großen Netzwerken sind die aggregierten Effekte eben so groß, dass du von dem, was dort passiert, selbst dann betroffen bist, wenn du dort gar keinen Account hast.


Schon 2020 schrieb N.J. Hagens ein Paper namens Beyond the superorganism, in dem er eine, wie ich finde plausible Erzählung unseres Wirtschaftssystems als „self-organized, mindless, energy seeking Superorganism, functioning in similar ways to a brainless amoeba using simple tropisms“ vertritt.

Diese Superstruktur – oder wie wir hier sagen: der materiell-semantische Komplex des Kapitalismus, ernährt sich nicht nur, wie Marx analysierte, von Menschenblut (Arbeit), sondern vor allem auch von Energie, vorrangig fossile Energie.

Major transitions in human societies over the past 10,000 years were linked to the benefits from different energy types and availability (Day et al., 2018). Industrialization changed the historic human relationship of energy capture from using the daily flows of nature to using technology fueled by large amounts of cheap fossil energy.

One barrel of crude oil can perform about 1700 kW h of work. A human laborer can perform about 0.6 kW h in one workday (IIER, 2011). Simple arithmetic reveals it takes over 11 years of human labor to do the same work potential in a barrel of oil. Even if humans are 2.5x more efficient at converting energy to work, the energy in one barrel of oil substitutes approximately 4.5 years of physical human labor.

This energy/labor relationship was the foundation of the industrial revolution. Most technological processes requires hundreds to thousands of calories of fossil energy to replace each human calorie previously used to do the same tasks manually. Consider milking a cow using three methods (see Fig. 2): manual (human labor energy only), semi-automated electric milking machines (1100 kW h per cow per year), and fully au- tomated milking (3000 kW h per cow-year). The manual milker, working alone, requires 120 h of human labor per year per cow; semi-automated machines require 27 h of labor; and full automation, 12 h. We’ll estimate that the human milker generates economic value of $5 an hour working alone. Using electric milkers at $0.05 per kWh, output rises significantly and—because cheap electricity substitutes for so many human hours of labor—the revenue increases to $19 per hour with semi-automated milkers and to $25 per hour with the fully automated technologies.[…]

At 4.5 years per barrel, this equates to the labor equivalent of more than 500 billion human workers (compared to ∼4 billion actual human workers). The economic story of the 20th century was one of adding ancient solar productivity from underground to the agricultural productivity of the land. These fossil ‘armies’ are the foundation of the modern global economy and work tirelessly in thousands of industrial processes and transportation vectors. We didn’t pay for the creation of these armies of workers, only their liberation. Transitioning away from them, either via taxation or depletion, will necessarily mean less ‘benefits.’

Ein gehöriger Teil der ökonomischen Blindheit, die die Hegemonie der Neoklassischen Wirtschaftstheorie in die gesellschaftlichen Diskurse injiziert hat, ist die Verdrängung von Pfadabhängigkeiten. Das Gleichsetzen aller Güter und Rohstoffe über ihren Preis erschafft die Illusion einer allgemeinen Austauschbarkeit aller Güter. Daher fiel gar nicht auf, dass wir Energie einfach als „yet another Production Input“ behandelt haben, statt als pfadentscheidenden Anker aller Produktion.

Today, energy is still treated as merely another input into our economic system – $10 of gasoline is considered to have the same contribution to human output as $10 of Pokemon cards. This is in spite of the fact that: a) energy is needed to create and transform all material inputs and b) energy can only be substituted by other energy.

However, biophysical analysis of all production inputs shows that the economic importance of energy is substantially larger than energy’s share in total factor cost, with the opposite being true for labor. This means that energy has a significantly greater role in our wealth and productivity than its nominal cost share signal. In the case of Japan and Germany over 60% of economic productivity is explained by energy input (Kümmel and Lindenberger, 2014)

Interessanterweise gibt es von Anfang an bis in die 1970er eine enge Korrelation zwischen Enegergiehunger und Wirtschaftswachstum.

Until the 1970s, energy and GDP were nearly perfectly correlated; a 5% in- crease in GDP required a 5% rise in energy consumption (Cleveland) […]

Soaring GDP in the 20th century was tightly linked to soaring burning of fossil hydrocarbons. Society doesn’t yet recognize these links because we conflate the dollar cost of energy extraction (tiny) with the work value (huge). Energy is only substitutable with other similar quality energy. Increasingly, advanced technology is achieved with energy, and most technological advances increase future energy requirements.

Das Paper geht noch tiefer und hat auch eine interessante Betrachtung von Schulden, aber mir geht es um die Totalitätsbetrachtung des Kapitalismus ansich.

Wir alle sitzen in unseren je unterschiedlichen Nischen dieses materiell-semantischen Komplexes und so haben wir erstmal völlig unterschiedliche Perspektiven darauf. Weil wir sequenzielle Wesen sind, nehmen wir von diesem Ort aus immer nur eine Pfadgelegenheit nach der anderen wahr. ein Wort, ein Schritt, ein Gedanke, eine Handlung nach der anderen. Egal, in welchem Netzwerk wir unterwegs sind: Wir sind Pfadwesen.

Und das gilt für die Gesamtheit des materiell-semantische Komplex des Kapitalismus eben auch? Seine Pfadabhängigkeiten sind unsere Pfadabhängigkeiten, unsere Pfadentscheidungen schreiben seine Pfadgelegenheiten fort; er bewegt sich wie wir und mit uns und durch uns pfadopportunistisch durch seine Umwelt. Wir sind mit dieser Struktur verwachsen und das macht das Problem so vertrackt.

Dazu kommt, dass wir darüber kaum reden können, weil wir keine Sprache dafür entwickelt haben. Unsere Semantiken des „Marktes“, des „Geldes“ und des „Individuums“ stehen unserem Nachdenken über unsere Pfadabhängigkeiten aktiv im Weg. Aus demselben Grund, warum wir Macht ausblenden, verpassen wir unseren eigenen Untergang.

Weil Netzwerkeffekte/Netzwerkmacht Infrastruktureffekte sind, muss man zuerst eine Menge Unsinn verlernen und dann erstmal seine eigene Vulnerabilität gegenüber den eigenen Infrastrukturen eingestehen, also nicht nur eingestehen, dass man abhängig ist, dass man beeinflussbar ist, sondern dass man immer schon beeinflusst war. Man muss sich als abhängiges, immer schon in den Strukturen anderer eingezwängtes und allerlei Machteinflüssen ausgesetztes Wesen begreifen.

Ja, das tut weh. Sorry, aber ich fürchte, da kommen wir eh nicht mehr dran vorbei?


Jane Goodall ist tot und erst letztens lief auf Netflix eine Doku-Serie über und mit ihr und jetzt, nach ihrem Tod, veröffentlichen die Macherer*innen Ausschnitte des Interviews, die Goodall erst nach ihrem Tod veröffentlicht sehen wollte.

Ich finde, man merkt ihr beim Sprechen die Angst an. Das ist nicht die Angst vorm Tod, sondern die Angst um uns, die Angst um das Projekt Menschheit.


Um meinen Überlegungen zur Plattformmacht etwas mehr Kontext zu verleihen, habe ich auch an einer dynamischen, zeitbasierten Simulation gearbeitet (in Zusammenarbeit mit ChatGPT und Claude).

In der Simulation haben wir ein Haufen der bekannten Social Media Netzwerke, aber auch „Offline“ als eigene Sektion. Das Modell rechnet damit, dass ca. 5 % der User ständig das Netzwerk wechseln und die Subsititionsmatrix entscheidet in jeder Iteration darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit die User von einem Netzwerk ins andere wechseln. Es ist also quasi eine Markow-Simulation.

Markow-Modelle sind deswegen so gut geeignet, Macht zu modellieren, weil sich Macht nie direkt, sondern wie jede Struktur, immer nur als verknüpfte Wahrscheinlichkeit äußert. Wenn wir zwischen Netzwerk A, B und C mit unterschiedlicher Netzwerkmacht wählen, bedeutet Cs Machtvorsprung nicht, dass wir gezwungen sind, zu Netzwerk C zu wählen, aber dass wir wahrscheinlicher zu C wechseln, als zu A. und wenn ich zwischen den Netzwerken wechsle, dann ist eben nicht gleichwahrscheinlich, in welches Netzwerk ich wechsle, usw.

Ich habe versucht einen Feedback von der errechneten Plattformmacht auf die Subsitutionsmatrix mit einzubeziehen, also die Matrix bei jeder Iteration zu aktualisieren. Über die genaue Berechnung müsste man nochmal brüten, aber auf diese Weise zeigen die Userströme sowohl Machtakkumulationeffekte, als auch die Angreifbarkeiten von Plattformmacht.

Man kann die Purge-Koalition ein- und ausschalten, einzelne Netzwerke dabei ein- oder ausschließen. Außerdem kann man in jedem Netzwerk eine „böse Sache“ tun – denkt an die Twitterübernahme von Elon Musk oder den Cambridge Analytica Skandal bei Facebook. In diesen Fällen springen ein signifikanter Teil (ich glaub 10 %?) der User von der Plattform ab, und der Nutzen – γ – sinkt für drei Iterationen, erholt sich aber knapp unterhalb des vorherigen Werts wieder.

Auch die Purge-Koaliton ist in diesem Modell ein „Böses Event“ und lässt viele User von den betroffenen Plattformen fliehen, was den Thanos-Effekt logischer und erwartbarer Weise etwas mitigiert (nur doch knapp Verdopplung, statt Verdreifachung der Plattformmacht). Außerdem kann man Enshittyfication ausprobieren: dabei sinkt der γ-Wert weniger aber dauerhaft. So schöpft die Plattform „Wert“ ab.

γ ist wie in allen vorherigen Rechnungen aus Verlegenheit einfach überall auf 1 gesetzt und γ‘ – also der Wert der unerwarteten Pfadgelegenheiten wird bei jeder Iteration anhand von γ mit einem festen Prozentsatz errechnet, das heißt also, eine Plattform, die γ verliert, verliert auch an Pfadgelegeneheits-Wachstum. Ansonsten ist die Veränderung γ fest an das Nutzerwachstum gekoppelt.

Ihr merkt, das ist keine Simulation, um konkrete Ergebnisse zu errechnen, oder Zukunftsvorhersagen zu machen, sondern dient dazu, sich Effekte, Verhältnisse und Systematiken plausibel zu machen. Es ist voller willkürlicher Designentscheidungen und Pi mal Daumen Werten (die man aber perspektivisch durchaus mit besseren Daten ersetzen kann). Es ist ein Prototyp, der ein paar Dinge zeigen kann aber vor allem das generelle Konzept und die Funktionsweise von Plattformmacht erklärt.

Auch wenn das nur ein Prototyp ist, kann man viele Dinge ausprobieren und bekommt halbwegs plausible Ergebnisse. Das Modell auszubauen wäre ein echtes Forschungsprojekt und das kann ich gerade nicht so nebenbei leisten, deswegen belass ich das erstmal so. Have fun.


Luke Kemp vom Centre for the Study of Existential Risk in Cambridge schreibt im Guardian über den Kollaps.

“I’m pessimistic about the future,” he says. “But I’m optimistic about people.” Kemp’s new book covers the rise and collapse of more than 400 societies over 5,000 years and took seven years to write. The lessons he has drawn are often striking: people are fundamentally egalitarian but are led to collapses by enriched, status-obsessed elites, while past collapses often improved the lives of ordinary citizens.

Today’s global civilisation, however, is deeply interconnected and unequal and could lead to the worst societal collapse yet, he says. The threat is from leaders who are “walking versions of the dark triad” – narcissism, psychopathy and Machiavellianism – in a world menaced by the climate crisis, nuclear weapons, artificial intelligence and killer robots.

Jaja, man sollte bei Leuten aus derartigen Zukunftsinstitute vorsichtig sein, aber ich mag seine Gedanken. Unsere Historie, unsere Erzählungen, Selbsterzählungen und Begriffe sind von Beginn an bis zum Bersten vollgestopft mit Propaganda der jeweils Mächtigen und sie grundlegend zu hinterfragen muss der erste Schritt sein, wenn man sie verstehen will.

His first step was to ditch the word civilisation, a term he argues is really propaganda by rulers. “When you look at the near east, China, Mesoamerica or the Andes, where the first kingdoms and empires arose, you don’t see civilised conduct, you see war, patriarchy and human sacrifice,” he says. This was a form of evolutionary backsliding from the egalitarian and mobile hunter-gatherer societies which shared tools and culture widely and survived for hundreds of thousands of years. “Instead, we started to resemble the hierarchies of chimpanzees and the harems of gorillas.”

Instead Kemp uses the term Goliaths to describe kingdoms and empires, meaning a society built on domination, such as the Roman empire: state over citizen, rich over poor, master over slave and men over women. He says that, like the biblical warrior slain by David’s slingshot, Goliaths began in the bronze age, were steeped in violence and often surprisingly fragile.

Goliath states do not simply emerge as dominant cliques that loot surplus food and resources, he argues, but need three specific types of “Goliath fuel”. The first is a particular type of surplus food: grain. That can be “seen, stolen and stored”, Kemp says, unlike perishable foods. […]

The second Goliath fuel is weaponry monopolised by one group. Bronze swords and axes were far superior to stone and wooden axes, and the first Goliaths in Mesopotamia followed their development, he says. Kemp calls the final Goliath fuel “caged land”, meaning places where oceans, rivers, deserts and mountains meant people could not simply migrate away from rising tyrants. Early Egyptians, trapped between the Red Sea and the Nile, fell prey to the pharaohs, for example.

“History is best told as a story of organised crime,” Kemp says. “It is one group creating a monopoly on resources through the use of violence over a certain territory and population.”


Der wunderbare Videoessay Leviathan von Alexander Beiner wurde mir von kaa Faensen empfohlen und ich sehe mich mal wieder darin bestätigt, dass ich hier nichts neues oder außergewöhnliches erzähle, sondern vielmehr sammle und konzentriere, was „in der Luft liegt“.

Zumindest sieht auch Beiner in den aktuellen politischen Unruheherden den Anfang vom Ende des Individuums. Ich gehe nicht alle seine geschichtlichen Eindordnungen mit, aber im Großen und Ganzen kann ich den Film als Einführung in die dividuelle Weltsicht nur empfehlen.

Der Thanos-Effekt

Ich bin gerade etwas in einer Ausnahmesituation. Mit Krasse Links 69 hatte ich einen Durchbruch im Verständnis von Netzwerkeffekten, bzw. Plattformmacht, ein Thema über das ich seit 15 bis 20 Jahren nachdenke und über das ich promoviert habe. Auf der anderen Seite war die neuerliche Motivation, die Plattformforschung wieder aufzunehmen und sie mit dem relationalen Materialismus weiterzuentwickeln, Angst. Wirkliche Angst vor einer Graphnahme und effektiven Gleichschaltung der digitalen Öffentlichkeit.

Ich hatte schon lange ein flaues Gefühl im Magen, seit es um den Tiktok-Verkauf ging, mehr noch, als Larry Ellison als Käufer ins Gespräch kam aber ich hatte genug Themen, die schlimm waren, also habe ich das Thema trotzdem eher nebenbei verfolgt.

Erst beim Schreiben des letzten Newsletters stieß ich auf den tieferen Grund für das flaue Gefühl: ich sah die Möglichkeit einer Koalition aller großen Plattformen: Genauer: eine Purge-Koalition auf pro-palästinensische (und im Endeffekt alle linke) Accounts.

Ich denke, jeder von euch versteht auf Anhieb, dass das ein Problem ist und dass die personellen und deren ideologischen Parameter der Bieterkonstellation alles andere als Grund zur Beruhigung gibt, ist hoffentlich auch allen klar. Wir reden hier über ein sehr wahrscheinliches Szenario – ich würde fast sagen, ein unumgängliches, wenn der Deal durchgeht.

Aber was ich glaube, was noch nicht verstanden wird, ist die Skalierung des Problems. Mir war sie jedenfalls nicht wirklich bewusst, bevor ich sie mir selbst, Schritt für Schritt, plausibel gemacht habe.

Der Grund, warum der Purge in der Koalition möglich wird und vorher aber nicht, liegt daran, dass ihre Macht durch die Koalition nicht additiv wächst, sondern sich vervielfacht. Ich nenne das den Thanos-Effekt. Aus dem Newsletter:

Wie die Infinity Stones haben die einzelnen Plattformen jeweils eine enorme Plattformmacht, aber wenn man sie kombiniert – so dass die Alternativen wegfallen, explodiert die entstandene Macht weit über die kombinierte Plattformmacht der Einzelplattformen hinaus.

Im Newsletter habe ich versucht, die Plattformmacht der Purge-Koalition ins Verhältnis zur Twitterübernahme durch Elon Musk zu setzen und dabei so grob überschlagen, dass die akkumulierte Plattformmacht der Purge-Koalition irgendwo zwischen 90 und 180 mal so groß, wie die Plattformmacht von Twitter 2022 sein wird. Der fucking Todesstern.

Aber hier will ich den Thanos-Effekt selbst plausibel machen.

Dafür nehmen wir die Formel für Plattformmacht und modellieren die Purge-Koalition mit möglichst realistischen Daten.

Ich habe die Schritte mit Chat-GPT als editierbare Modell-Rechnung auf dieser Website nachvollziehbar gemacht.

Zunächst bauen wir uns eine Subsitutionsmatrix der involvierten Plattformen. Darin geben wir an, wie sehr oder nicht, eine Plattform für die andere austauschbar ist, also eine grobe Annäherung an die Idee der Wechselkosten, nur relational zwischen den Plattformen. Das sind Schätzwerte, aber ich finde sie in sich plausibel?

Die Idee ist einfach. Instagram ist nett, aber wenn die doof werden, kann ich relativ günstig zu Tiktok wechseln, aber weniger einfach zu Youtube. Oder Elon macht Ärger, dann ist Threads nicht weit, aber Tiktok ist weniger eine Alternative, etc. Die Plattformen sind einander keine vollen Substitute, aber … something to work with – in unterschiedlichem Maße.

Indem wir die Zeilen aufaddieren, können wir damit den Wert für die Pfadalternative (γ,x), also die durchschnittliche Austauschbarkeit der jeweiligen Plattform errechnen.

Danach holen wir uns die Monthly Active Users (MAUs) der Plattformen und setzen die erwarteten und unerwarteten Pfadgelegenheiten (γx + γ‘x) – wie im Rechenbeispiel im Newsletter – auf 1.

Erklärung dazu: Ja, dass die Plattformen alle ähnlich wertvolle Pfadgelegenheiten bieten ist unrealistisch, aber es ist quasi unmöglich den Wert von Pfadgelegenheiten zu messen, jedenfalls fallen mir keine überzeugenden Proxis ein. Wer eine Idee hat, ist willkommen. Das Ist aber in diesem Fall auch nicht so wichtig, denn die Veranschaulichung der Rechnung funktioniert auch unter der Annahme, einheitlicher Pfadgelegenheitswerte und ich gehe sogar fest davon aus, dass der Effekt bei realistischeren Werten für (γx + γ‘x) derselbe wäre, und im Verhältnis zu anderen Plattformen außerhalb der Koalition (die ich hier der Einfachheit halber jetzt weggelassen habe) eher stärker wird, als schwächer.

Damit haben wir jetzt alles zusammen, um die Plattformmacht der einzelnen Plattformen zu berechnen.

Im Falle der Koalition passiert nun folgendes: Es bildet sich quasi eine neue Plattform mit der MAU-Größe der aufaddierten Einzelplattformen, aber statt dass die akkumulierten Pfadgelegenheiten durch ihre Pfadalternativen (γ,x + 1) aus der Subsitutionsmatrix dividiert werden, setzen wir γ,x = 0,1 und dividieren also durch (0,1 + 1 = 1,1). Weil plötzlich (fast) alle Pfadalternativen wegbrechen. Die User sind gefangen.

Was man hier sieht: Die Plattformmacht der einzelnen Plattformen aufaddiert ergibt bereits unglaubliche 3.596, aber die Plattformmacht der Koalition ist 2,82 mal so groß wie die aufaddierten Plattformmächte und liegt bei 10.137.

Das ist der Thanos-Effekt. Nur durch die Eliminierung der Pfadalternativen hat jede Plattform jetzt fast drei mal mehr Macht über dich, als vorher. Und ja, wenn du mehrere Accounts auf den betreffenden Plattformen hast, musst du den Effekt auf dich entsprechend multiplizieren. Wenn du die Purge-Koalition verlassen willst, musst du nicht nur dein Instagram und dein X Konto aufgeben, sondern eigentlich alles von big Tech: Google, Tiktok und alle Metadienste. Das ist ne Menge Lockin.

Was bedeutet das für dich?

Das bedeutet, dass die Koalition dadurch bemächtigt ist, mehr und schlimmere Dinge zu tun, die gegen deine Interessen, Erwartungen und Prinzipien verstoßen, bevor du die Abhängigkeit auflöst. Effekt: Der Purge wird als Pfadgelegenheit für die Koalitionäre real. Und was ihnen sonst noch so einfällt.

Wenn du die Werte für unrealistisch hälst, oder Dinge ausprobieren willst, kannst du auf diese Website gehen und an allen Werten rumspielen.

Die Möglichkeit der Purge-Koalition ist real und katastrophal gleichzeitig. Wie ich im Newsletter schreibe:

Was uns bevorsteht, ist die endgültige Graphnahme und Gleichschaltung der digitalen Öffentlichkeit durch Trump, Netanjahu und ihre Tech-Oligarchenfreunde.

Der Newsletter hat leider die Message nicht rüberbringen können, das Feedback war zwar positiv, aber auch nicht tiefgehend oder kritisch. Daher ein extra Aufruf: Bei Kritik, Fragen und Unklarheiten, schreibt gerne in die Kommentare oder schreibt mir ne Mail.

Um aber einem Einwand vorauszukommen: Nein, die Pfadalternativen werden sich nicht schon von allein bilden, „wenn der Markt dafür da ist“. Das ist neoliberal gebrainwashter Bullshit.

Ich hab früher immer gesagt: Der Markt sind drei Oligarchen im Trenchcoat und ich weiß, dass das eine etwas unterkomplexe Sichtweise ist. Was ich eigentlich meine: Der Markt ist Infrastrukturrelational materielle Infrastruktur: In diesem Fall Datencenter, Glasfaserleitungen, aber eben auch: pfadabhängige Beziehungen, Verbindungen, Bedürfnisse, soziale Kontakte, berufliche Chancen, etc. die außerhalb der Plattform erst mühsam wieder aufgebaut werden müssen – wenn das überhaupt geht.

Mit der politischen Ökonomie der Pfadgelegenheiten können wir deswegen weniger unterkomplex sagen:

„Der Markt“, aus Usersicht, ist die beliebig fein granular aufschlüsselbare Subsitutionsmatrix von oligarchenabhängigen Pfadgelegenheiten im Trenchcoat.

Natürlich werden freie Konkurrenzplattformen – wie bei der Twitterübernahme – im Falle des Purge enormen Zulauf haben und unten am Boden sieht es dann manchmal so aus, als würde man das Spiel gewinnen. Aber schau, was es bei der Twitter-Übernahme geschehen ist: die meisten sind geblieben und Mastodon, Bluesky und Threads haben X nur eine Delle verpasst, aber seine Hegemonie als öffentlichen Diskursraum nicht wirklich angegriffen.

Netzwerkeffekte sind real. Es wird Zeit, sich mit ihnen zu befassen.

Edit 5.10.25: Ein weiterer Einwand zum einfangen: Warum betrifft mich das? Ich bin gar nicht auf diesen Plattformen, nutze Bluesky/Mastodon, zur not les ich ein Buch?

Das ist das, was ich auf meiner langen Reise herausgefunden habe: man kann Netzwerkeffekte nur verstehen, wenn man aus der individualistischen Perspektive aussteigt und versucht, das Dividuum zu denken. Also zunächst sich selbst als Dividuum zu denken und dann von sich auf andere zu schließen und anschließen versuchen, mit dieser anderen Perspektive die Welt zu interpretieren. Bei dieser Übung bekomm ich dann nach und nach ein besseres Gespür dafür, wie die Dinge, wie z.B. Diskurs, Medien, Öffentlichkeit, Technologie, Macht, Kultur, Politik, etc. miteinander zusammenhängen und all das auch mit mir. Es ist tatsächlich mehr ein Einüben, als ein Verstehen. Ich selbst hab es bei Donna Haraway gelernt, aber es gibt auch andere Einstiege. Spinoza, Nikolaus von Kues, Deleuze, Guttari aber das haben mir nur andere berichtet.

Der Grund, warum es eher eine Übung ist, als ein Verstehen, ist natürlich, dass wir allesamt die Subjektperspektive des „Invididuums“ seit unserer Kindheit eingeübt (bekommen) haben, denn zumindest hier im Westen ist sie seit Anfang des 20sten Jahrhunderts die hegemoniale Perspektive auf die Welt und wie alle Standards haben Metaphysiken Switching Costs. Im Fall des Individuums sind es erhebliche Switching Costs, weil es als Pfadsetzung so tief in unserem dividuell kulturellen Koordinatensystem verankert ist und viele ihre Identitäten pfadabhängig darauf aufgebaut haben.

Aber wenn man sich an vielen Beispielen immer wieder plausibel macht, wie wie oft das Individuum als plausible Erzählung nicht funktioniert und stattdessen aufzeigt, auf wie vielfältige Arten wir immer schon miteinander verbunden sind und diese Beziehungen für sich und andere sichtbar macht, dann – das hab ich jedenfalls so erlebt – wird es stellenweise möglich, die Infrastrukturvergessenheit des individualistischen Blicks zu überwinden und naja, zu sehen, was vor einem liegt. Ich sags gleich: Das was man dann sieht, ist nicht schön, aber darum geht es: trotzdem hinsehen. Verstehen. Ein Stückweit ehrliche Verantwortung übernehmen für die Gesamtscheiße, denn ob wir wollen oder nicht: auch wir sind Komplizen, denn auch wir sind pfadabhängige Profiteure. Das ist das Projekt, dass ich in meinem Newsletter eigentlich verfolge: Die eilige Konstruktion einer Off-Ramp aus einem toxisch gewordenen Individualismus. Für mich selbst, aber auch für alle, die mitkommen wollen.

Anderes Beispiel: Klimawandel. Wir können ewig über individuelle „Footprints“ streiten, aber das lenkt nur von der Wahrheit ab, die zwar klar vor uns liegt, die aber nur wenige sehen wollen: wir haben unsere Infrastruktur – den Kapitalismus – so eskalieren lassen, dass sie uns erwürgt.

Das heißt, der Einwand: „Warum betrifft mich das?“ klingt bei mir ungefähr so, wie: Klimawandel muss mich nicht interessieren, ich kauf ja Bio.