Geständnis

Zunächst ein Geständnis: ich glaube an die Selbstregulierung der Märkte. Ja, Ich. Jetzt seid ihr baff, oder? Dabei kommt das tollste ja noch.

Selbst jetzt, wo sogar die eingefleischtesten Neoliberalen ihre Meinung anzuzweifeln beginnen, glaube ich weiterhin an die Selbstheilungskräfte des Marktes.

Ich glaube, das was wir derzeit erleben, ist eine Marktbereinigung gigantischen Ausmaßes. Aber eben nicht das Ende des Kapitalismus. Der wird sich, nach ein paar Jahren stetiger Bettruhe, wieder in alter Frische erheben. Verändert, sicher. Aber auf jeden Fall wieder da.

Ich glaube das auch dann noch, wenn die Regierungen nicht eingreifen und einfach alles vor die Hunde gehen lassen. Selbst wenn alles crasht und die Weltwirtschaft so richtig nachhaltig im Arsch ist, wird sich der Markt erholen.

Woran ich aber nie geglaubt habe, ist, dass der Markt nur gut für den Menschen ist. Ich glaube, wenn der Markt jetzt unkontrolliert crashen würde, dann würde durch die weltweite Depression Elend, Hunger und Bürgerkrieg herrschen. Viele Jahre lang. Vielleicht auch schlimmeres. ich glaube fest daran, dass wir wieder Krieg hätten, auch in Europa. Dass Menschen verhungern würden, dass radikale Ideologien und verzweifelte Verteilungskämpfe Millionen von Toten weltweit fordern würden.

Was die Neoliberalen nie erkannt haben, ist, dass es nicht um den Markt geht. Der Markt mag sich selber regulieren und der Markt mag auch alles überleben, sich selber heilen usw.

Aber es geht doch um den Menschen!

Die paar BWL- und VWLvorleseungen denen ich beiwohnen konnte, vermittelten mir eines sehr genau: Das kalte Bild des Homo Ökonomikus. Der seinen Nutzen kühl kalkuliert und ihn stets maximieren will. Er will möglichst wenig Kosten aufwenden, um einen möglichst hohen Ertrag zu erlangen. Die Strategien zu diesem Ziel, sind der größte Teil jedes BWLstudiums. Man bekommt tatsächlich in Vorlesungen die Vorteile von Sollbruchstellen in Produkten gepriesen. Unter anderem.

Was komischer Weise nie Teil der BWL war, ist folgende Strategie: Jemand hat Geld, also haue ich ihn um und nehme es mir. Gibt es ein besseres, das heißt kostengünstigeres Verfahren seinen Nutzen zu maximieren? Ich denke kaum. Warum wird es dann nicht gelehrt? Es wird einfach daran liegen, dass es hier verboten ist. Vom Staat. Im Gegensatz zu Sollbruchstellen in Produkten oder dem Weiterverkauf von faulen Krediten.

Ich glaube an den Markt. Und ich glaube genau deshalb, dass er reguliert werden muss. Dass im Zentrum jeder Politik nicht der Markt, nicht die Exportweltmeisterschaft, nicht der Standort oder die Investitionen oder die Konjunktur stehen sollte, sondern der Mensch. Und die Gerechtigkeit.

Ohrhörer

riot36 (bekannt aus vielen Partys, so ab mitte 90er irgendwo in Berlin) und mspro (bekannt aus seinem Heimatdorf, irgendwo in Niedersachsen) in dem wohl aufregendsten Spielfilm seit vom Winde verweht. Sehen sie Verzweiflung, Leidenschaft und Ohrhörer und lassen Sie sich mitreißen in eine Welt, die der Ihren nicht so völlig abseitig ist, als es eine Welt sein könnte, wenn sie denn wollte und von Designern zu diesem Zweck so gestaltet worden wäre. Aber nicht bei uns!


Ohrhörer from ms pro on Vimeo.

Cui Bono

Man sagt ja immer, Geld werde „verbrannt“. Andere werfen dann ein, dass das ja nicht stimme. Das Geld lande halt irgendwo anders. Was logisch erscheint.

Was mich also interessieren würde: Wo? Also wer ist das, der bei diesem ganzen Debakel gewinnt. Ich will keine Verschwörungstheorie anleiern (Verschwörungstheorien beginnen oft mit dieser Frage), nein, ich hab ein ganz anderes Anliegen.

Ich hab da nämlich eine Bitte:

Wenn Du, lieber Finanzkatastrophengewinnler hier mitließt (Was ich annnehme, wir Gewinnertypen sind ja untereinander gut vernetzt), dann will ich Dir zunächst einmal gratulieren! Du hast es geschafft! Ja, Du hast gewonnen!

Und ich gönne es Dir aus ganzem Herzen. Obwohl ich doch glaube, dass das Spiel eher „Mensch ärgere Dich nicht“ (Glück) ist, als Schach (Können). Das soll Deinen Erfolg aber nicht im mindesten schmälern, und ich will Dir die Anerkennung auch nicht verweigern. Wir alle nicht.

Nur. Es gibt da ein Problem. Du hast jetzt alle Spielfiguren. Wir anderen können nicht weiterspielen. Und – jetzt kommt’s – Du auch nicht.

Was willst Du mit Deinem Geld, wenn es keine Wirtschaft mehr gibt, die Dir eine subkontinentgroße Yacht mit 25 Swimmingpools noch bauen kann? Wer soll den Wein für Deinen Champagner anbauen? Wo willst Du die exotischen Zierpflanzen für Deinen Schloßgarten kaufen? Und auch Monaco macht keinen Spass mehr, wenn dort alle nur bettelnd auf den Straßen liegen. Na eben!

Deshalb sei Dir unserer Anerkennung sicher, und bitte, bitte, bitte, gib das Geld wieder zurück. Wenigstens ein bisschen. Danke!

Obama: Yes We Can weiterwurschteln!

Zunächst mal ein Update. So. Und wer hat’s gesagt?

Aber: Was mich derzeit am meisten desillusioniert, ist Obama. Bisher konnte er, im Gegensatz zu dem, was viele schreiben, nicht nur schöne Reden halten. Er hatte auch konkrete Konzepte und gute Ideen, die durch detaillierte Sachkenntnis gestützt wurden, überzeugen. Etwa beim Gesundheitsprogramm, in Sachen Netneurality und der Rückkehr zum Multilateralismus in der Außenpolitik. Das waren nicht nur schöne Worte, das hatte alles Hand und Fuß und ist bitter notwendig.
Zu Beginn der Finanzkrise, jedenfalls als das Ausmaß in etwa ersichtlich wurde, twitterte ich folgendes

„naheliegende vorhersage: wer als erstes einen ausgefeilten plan zur neustrukturierung des finanzsystems vorlegt, wird präsident.

Meine Hoffnungen waren da natürlich eher auf Obama bezogen, als auf McCain. Von dem war ja bekanntlich in Sachen Wirtschaftskompetenz nicht viel zu erwarten. Naja, auch er hat ja Berater, vielleicht also doch, aber Obama hat sich in dem Wahlkampf viel eher wirtschaftskompetent positioniert. Zudem hätte ein wirklicher Neuanfang an der Wall Street in das große Ganze seines „Change“-Pathos gepasst, wie sonst kaum etwas.

Egal. Denn alles was man aus beiden Mündern bisher hörte und vor allem gestern, war ein unsicheres „Ja, aber“. 
Paulsons Notfallrettungsplan, der mithilfe von Steuergeldern einfach den Status Quo wieder herstellen will, wird derzeit aus allen Ecken kritisiert. Es werden längst Alternativen erarbeitet, die weit aus glaubwürdiger, transparenter und gerechter sind, als der bisherige Plan. Aber aus den Lagern der beiden Präsidentschaftskanditaten ist man merkwürdig still.
Keiner kommt auch nur mit der groben Richtung eines Konzeptes. Niemand will über Regulierungen sprechen, niemand scheint eine Neuordnung für sinnvoll zu halten. Das einzige was man hört, ist ein populistisches Draufhauen auf zu hohe Managerabfindungen, die es jetzt zu verhindern gelte. Das mag dem Gerechtigkeitsempfinden des Wählers ja entgegenkommen, aber lösen tut dies gar nichts.
Die Krise der Finanzmärkte ist eine Strukturkrise. Es bei der Mutter aller Bail Outs zu belassen, hieße an den Symptomen herumzudoktern und redselig auf den nächsten Crash zu warten.
Der einzige Grund, den ich mir tatsächlich vorstellen kann, dass dort keiner seinen Masterplan zückt, ist: Es hat keiner einen! Die beiden Präsidentschaftsbewerber sind genau so ratlos, wie sie dasitzen. Und das macht mir wirklich angst.

too big to fail

Wo kommen eigentlich die 700.000.000.000 Dollar her?

Gelddrucken ginge nicht, sagen manche. Weil, wer würde denen denn dann noch Dollar leihen?

Aber: Die USA sind für die Weltfinanz, was die Finanzbanken für die USA sind: nämlich too big to fail!

Schon mal drüber nachgedacht?

(Hey, das müssen wir doch jetzt auch mal einsehen. Das ist doch besser für uns, als die USA vor die Hunde gehen zu lassen. Sonst gehen wir doch eh nur mit. Die ganze Welt meine ich.)

Auf der Suche nach dem Indian Summer

Als ich vor knapp einem Jahr mit Mate in den USA herumtourte, erwarteten wir nicht weniger als am farbenprächtigen Spiel des nordamerikanischen Herbstes teilzuhaben. Dem „Indian Summer“. Die roten Blätterwälder kannten wir nur aus den Medien. Um so enttäuschter waren wir, als wir nach vergeblicher Suche zu dem zu Schluss kommen mussten, dass es ihn wohl nicht mehr gibt, den Indian Summer. Jedenfalls nicht in den USA. Es gab nur eine einzige Erklärung dafür: Präsident Bush muss schuld sein! Also schulterten wir unsere Millionen Dollar teure Filmausrüstung und begannen mit den Recherchen, die uns bis nach Canada führen sollten.

Nach fast einem Jahr aufwändigster Postproduction ist der Streifen nun endlich fertig. Sehen Sie selbst:


Indian Summer from mate on Vimeo.

Marktliberalismus 2.0

Marktliberalismus ist einfach: Man schreit nach Steuersenkungen mit der Begründung, dass der Markt den Rest schon erledigen werde. Das mit dem Menschheitsglück natürlich. Aus irgendeinem Grund ist diese Meinung die letzen paar Jahre recht populär geworden. Je weniger die so genannten „Leistungsträger“ von ihrem Kuchen abgeben müssen, um so besser für uns alle. Denn es geht auch um die Wettbewerbsfähigkeit, international versteht sich.

In sofern finde ich tatsächlich das fulminante Eingreifen des amerikanischen Staates in die Finanzwirtschaft eben nicht sozialistisch wie jetzt viele meinen. Es ist eine folgerichtige Weiterentwicklung des bisherigen Konzeptes. Eine Art Marktliberalismus 2.0 sozusagen. (Oder auch Hypermarktliberalismus)

Die USA haben eine ganze Reihe Banken, wenn nicht beinahe alle, die sich mit faulen Krediten ganz schön in die Scheiße geritten haben. Der Staat zeigt sich gnädig und übernimmt jetzt die faulen Kredite einfach auf die eigene Schulter. Ich schätze die angepeilten Kosten von einer halben Billionen Dollar (200 Millarden sind ja schon versenkt) für optimistisch geschätzt. Verstaatlichung rufen da einige, und haben teils recht. Aber im Gro wird jetzt nur eines verstaatlicht: nämlich die Risiken von Krediten.

Aber: man kann das durchaus in einer Linie mit den Forderungen nach Steuersenkungen betrachten: Denn, nach der Null hört die Skala schließlich nicht auf. Nennen wir es einfach eine Art negative Steuer für Finanzhäuser.

Was wir nämlich erleben werden, ist, dass das Bankensystem in den USA sich wieder aufrappeln wird. Und in dem Bewusstsein, dass die Risiken ja nicht man selber, sondern im Notfall der amerikanische Steuerzahler trägt, werden die Banken in den USA international derart Wettbewerbsfähig sein, dass sie alle anderen das fürchten lehren werden. Es winken Traumbilanzen: Abschreibungen auf Forderungen können getrost gestrichen, Rückstellungen zurück in die Assets gebucht werden. Also krass gesagt: Man muss nur „too Big to Fail“ sein. Dann lässt sich jeder Staat erpressen.

Ich höre schon die Stimmen aus Deutschland: Das brauchen wir auch! Wir müssen ja international Wettbewerbsfähig sein und mit den amerikanischen Superbanken die auch ohne eigenes Risiko arbeiten, konkurrieren! Ackermann wird das nicht schreien. Er hat es teilweise bereits. Alle anderen werden folgen. Denn die Amis sind nicht zurückgefallen durch die Krise, sie sind nur wie immer einen Schritt weiter.

Es ist naiv anzunehmen, dass das marktliberale Gewäsch, dass vorher abgesondert wurde, tatsächlich von den Apologeten selbst geglaubt wurde. Man fordert nur konsequent weiter, wenn man die Null hinter sich gelassen hat. Dummerweise braucht das Kind jetzt einen neuen Namen. Wörter mit „liberal“ nimmt man denen wohl erstmal nicht mehr ab.

Weitergehen

Wer es immer noch nicht mitbekommen hat (das scheinen einige zu sein: Feedabonnenten hier: 165, Feedabonnenten dort: 7): dort ist mein neues Hauptblog. Also: gehen sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen!

Oskar Lafontaine und SpOn

Oskar Lafontaine. Quelle: WikipediaIch kenne Oskar Lafontaine nicht. Ich kenne wenig von ihm. Ein paar Daten, klar. Aber sonst? Ich glaube, ich kenne Oskar Lafontaine weniger als die meisten anderen deutschen Politiker der ersten Reihe. Und das, obwohl er in den Medien zu den präsentesten Politikern gehört. Er ist überall Thema, er wird dauernd genannt, es wird viel über ihn gesprochen. Dort wird unter anderem behauptet, er spreche viel. Aus irgend einem Grund, bekomme ich das selten mit. Ich sehe viele politiker sprechen, aber Lafontaine sehr selten. Ich bekomme selten mit, was er genau sagt, was seine Meinung zu bestimmten politischen Dingen ist. Worüber dann zwar berichtet wird. Aber meist nur, dass das ja alles wieder ein riesen Skandal sei, und dass er eh nur Unfug erzähle, wenn der Tag lang ist. Welchen Unfug genau, ist selten Thema des Berichtes. Ich gebe mich dann damit zufrieden, denke mir, der Lafontaine erzählt viel wenn der Tag lang ist und bin froh, dass mir die Medien langen Tag ein, langen Tag aus darüber berichten. Und dass sie mir abnehmen, mich damit inhaltlich auseinander zu setzen, weil es eben vergeudete Zeit ist, weil es Unfug ist, was er erzählt. Ich danke dem Journalismus, der sich Passionsgleich als Stellvertreter an meiner Stelle opfert, sich den Unfug anzuhören.

Nun ist es aber meine Erfahrung, dass alle Politiker viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Demagogen, die Unfug erzählen, irgendwann aus dem Blickfeld verschwinden, nicht so Lafontaine. Und ich habe mich gewundert, warum ich trotz des medialen Dauerfeuers über und gegen Lafontaine, nach wie vor nicht weiß, wie seine Demagogie genau aussieht. Dass ich ihn nicht kenne, wie gesagt.

Darauf scheint man sich geeinigt zu haben. Lafontaine ist ein Demagoge. Ende der Diskussion. Dann braucht man sich ja gott sei dank gar nicht damit befassen. Und gerade als ich anfing, mich etwas näher zu interessieren für den Lafontaine als – sagen wir – mediales Phänomen, bricht Spiegel Online das Schweigen. „Oskars wundersame Welt“ (Gestern hieß es noch „Oskars Märchenstunde“) soll die „Halbwahrheiten, Trugschlüssen und Irreführungen“ zusammenführen und entkräften. Ich finde das gut. Endlich lese ich nicht nur, dass Oskar Mist redet, sondern was für einen Mist er redet. So genannte FactChecks gibt es im amerikanischen Wahlkampf schon lange und ich halte sie für eine sinnvolle Institution. In den USA gibt es das für alle Beteilgiten eines Wahlkampfes, in Deutschland nur für Oskar Lafontaine. Aber ich bin mir sicher, das wird noch kommen.

Jedenfalls erfahre ich dort unter anderem, das Oskar das lateinische „privare“ mit „berauben“ übersetzt, wobei es auch als „befreien“ übersetzt werden kann. Wer sich über diesen Umstand jetzt wundert, der sollte sich daran erinnern, dass beinahe alle militärischen Besetzungen von der einen Seite als „Befreiung“ und von der anderen Seite als „Beraubung der Autonomie“ verstanden wurden.

Dann wird Lafonataine vorgeworfen, die eine Statistik zu zitieren, die in seinem Sinne ist, die andere, die nicht in seinem Sinne ist, aber nicht zu nennen. Ich war erschüttert. Ich wette, Lafontaine ist der  allererste Politiker, der, ach lasen wir das.

Ansonsten: Ökonomische Behauptungen Lafontaines werden mit ökonomischen Gegenbehauptungen des Autors „widerlegt“. Wer sich etwas in der ökonomischen Theorie auskennt, weiß um den faktischen Wert einer jeder solchen Behauptung. Es ist ein Glaubenskampf. Hinterher ist man immer schlauer.

Gegen Lafontaines Beispiele der missglückten Privatisierung von Strom, Wasser und Gas, wird die geglückte Privatisierung des Telekommunikationsmarktes angeführt. Ach ja. Und so weiter und so fort.

Ich war enttäuscht von der Zahnlosigkeit der Argumente. Ich würde Lafontaines Aussagen nichtmal populistisch nennen. Sondern eher „Politikerhaft“. Im eigenen Sinne halt. 

Ich fühlte mich aber auch schlecht informiert. So behauptet der Autor Lafontaine würde den Rückgang der Arbeitslosigkeit auf die Ein-Euro-Jobber zurückführen, was der Autor dann leicht widerlegen kann. Die wenigen Gelegenheiten, die ich Lafontaine ungefiltert argumentieren sah, machte er dies aber vor allem an den Billiglohnjobs fest, die mit der neuen Klasse der „Working Poor“ zwar die Arbeitslosenzahlen vermiderte, denen es dadurch aber nicht besser, sondern schlechter ging. Was nur wenige bestreiten würden.

Alles also halb so heiß, wie es gekocht wurde. Ich wette, einen solchen Artikel kann man über jeden Politiker schreiben mit dem man politisch nicht übereinstimmt.

Ich nahm mir vor, mich bei der nächsten Gelegenheit mal ungefiltert mit Lafontaine auseinander zu setzen. Die Gelegenheit kam rasch. Ungeheuerliches hatte SpOn zu berichten:

Lafontaine fordert Enteignung von Schaeffler. Neue Provokation von Oskar Lafontaine: Der Chef der Linkspartei fordert eine radikale Änderung der Eigentumsverhältnisse in Deutschland. Große Vermögen vieler Familienunternehmen seien „grundgesetzwidrig“, der fränkische Automobilzulieferer Schaeffler müsse enteignet werden.

Schockiert war gar kein Ausdruck. Das ist ja wie in der Anfangszeit der DDR! Ist Lafontaine in Wirklichkeit doch ein Kommunist? Im Artikel wird auf ein Interview vom „Capital“ verwiesen. Da war sie, die Gelegenheit. Ich surfte also Capital.de an, und siehe da, ein Video von dem Interview mit Lafontaine wartete auf seine Rezeption. (Ich verstehe es nicht, das SpOn es nicht schafft, in so einem Artikel einen Link auf die wirklich einzige, aber doch öffentlich zugängliche Quelle zu setzen.)

Man überzeuge sich selbst. Lafontaine ist dort in einer Art Podiumsdiskussion. Er kritisiert, dass die Arbeitnehmerschaft, die ja maßgeblich am Erfolg des Unternehmens beigetragen hat, nicht am Betriebsvermögen beteiligt ist. Das will er ändern. Jemand legt ihm den Begriff Enteignung in den Mund. Er reagiert polemisch, dass schon das Horten des Kapitals des Unternehmers ohne Beteiligung der Arbeitnehmer eine Art Enteignung sei. Das war’s. Das war alles. Keine Forderung von irgendwas. Kein programmatisches Getöse zur Enteignung von irgendwem. Eine polemische Zuspitzung im Argumentationsgefecht, sonst nichts.

Man kann darüber streiten. Über Lafontaines Polemik. Seine zugespitzten Ansichten. Überhaupt sein ganzes Weltbild. Worüber man nicht streiten kann, ist die Existenz einer medialen Hetze. Ein übertriebenes Geschrei, ein hysterisches herumfuchteln. Eine alles andere als sachlich geführte Debatte.
Und da wird mir klar, dass Lafontaine tatsächlich gefährlich sein muss. Jedenfalls scheint man eine riesen Angst vor ihm zu haben. In den Parteien, wie in den Medien. Ich kann aber nichts beängstigendes finden. Jedenfalls nicht, wenn ich selber hinschaue, mich nicht auf die aufgebrachte Rezeption der Medien verlasse. Ihre Verdrehungen, Überspitzungen, ja, Desinformationen. Mir scheint, Lafontaine ist nur für sie gefährlich. Nicht für mich.

Lafontaine mag unsachlich sein. Vielleicht hat er auch unrecht. Manchmal ist er auch schrill. Er ist aber nicht im mindesten so unsachlich, schrill und im Unrecht, wie die, die ihn verteufeln.

UPDATE: Capital hat das ganze Interview jetzt online. Ich finde es sehr interessant. Einerseits der wegen der relaxten aber auch besonnen und ehrlichen Art Lafonaines wegen, als auch des schnöseligen und überheblich spöttischen Gestus des ihn interviewenden „Journalisten“ wegen. Anscheinend verlief das Interview zu gut, dass man Lafonatine umbedingt die Enteignungsgeschichte an den Hals dichten musste.