Es hat etwas gedauert, aber dann hatte ich ja und so und außerdem war ja alles wieder und…
Natürlich wollte ich über Wikileaks schreiben. Hab ich letzte Woche auch gemacht, ist aber gestern erst erschienen: bei Zeit.de so allgemein.
Und auf CTRL-Verlust über den Bezug zur Queryöffentlichkeit und warum das, was Wikileaks macht, heute nicht wirklich ein aufklärerisches Projekt sein kann.
Und dabei fällt mir ein, dass ich ein „fröhlicher Technikdeterminist“ bin. Ja, ich glaube, dass die Informationstechnologien unser Miteinander, unsere Institutionen, unser Weltbild und unsere politischen Handlungsräume maßgeblich bestimmen. Mehr dazu gleich.
Und dann war ich das Wochenende auf der Konferenz/Barcamp-Chose der SPD. Ich war bei den Grünen ja auch, so dachte ich mir, also der Fairness halber. Bei der SPD kenn ich bereits einige der netzpolitischen Akteure und kann nur sagen: ganz tolle, nette und ausgezeichnete Menschen. Auch kompetent. Wirklich. Keine Frage.
Aber diese Ideologie … Jedenfalls Björn Böhning – der hat auf dem Podium sinngemäß folgendes gesagt: Die Technik/das Internet müsse dem Menschen dienlich sein. Die Politik habe die Aufgabe dafür zu sorgen. Man müsse das Internet also „gestalten“. Alle klatschen. (Dazu sei gesagt: Björn war der glaubhafteste Kämpfer in der SPD gegen die Netzsperren und hat auch sonst immer durchdachte netzpolitische Positionen)
Klar, ist ja auch erstmal richtig. Politik ist dafür da, zu gestalten. Da kommt also sowas neues in’s Haus wie das Internet, dann muss man das jetzt wohl auch getalten. Der Politiker ist eben ein Gestalter und gestaltet alles, was ihm so in Finger kommt, denn alles andere würde ja seine Legitimität untergraben. Deswegen ist das auch nicht nur ein Problem der SPD, sondern man sieht es ebenso bei den Grünen und bei allen anderen. Es ist quasi eine Politikerkrankheit.
Das Internet aber ist erstmal etwas, dass jeden mit jedem kommunikativ vernetzen kann. (Hackr hat das sehr schön anhand der Systemtheorie erklärt). Das heißt also: Das Internet ist etwas, das (potentiell) ungefilterte, direkte Kommunikation aller Akteure untereinander ermöglicht. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Gestaltungsspielraum, die Konnektivität des Internets zu erhöhen, aber viel Gestaltungsspielraum diesen einzuschränken. (Ich nehme hier mal bewusst den politischen Kampf für Netzneutralität heraus, weil es eher ein Kampf gegen die „Gestaltung“ des Internets durch gewisse wirtschaftlichen Akteure ist.)
Folgerichtig ist die Netzpolitik der letzten Jahre (und vermutlich auch in Zukunft) ein Kampf gegen Netzpolitik der etablierten Parteien. Denn deren „Gestaltungs“spielraum beläuft sich zum Großteil auf Regulierung und damit auf Einengung der Konnektivität.
Als Technikdeterminist lehne ich also größtenteils ab, das Internet politisch gestalten zu wollen. Ganz im Gegenteil! Ich sehe die Aufgabe der Politik der nächsten Jahre, sich vom Netz gestalten zu lassen!
Aber dafür muss ich meinen Technikdeterminismus anhand eines pseudowissenschaftlichen Historismus noch etwas erläutern:
Jede Handlung ist durch das Setting seiner kommunikationstechnischen Möglichkeiten begrenzt und somit ist es auch die mögliche politische Organisationsform von Menschen. Vor der Schrift war der Agora/der Markplatz der Ort der Politik und konnte sich bestenfalls auf Stadtstaaten beziehen. Mit der Schrift konnten immerhin dezentral Fürstentümer entstehen, die mithilfe des Briefverkehrs einander Schnittstellen boten. Mit dem Buchdruck – also den Massenmedien – wurde das erste Mal so etwas wie ein flächiges, regierbares Staatsgebiet möglich und mit der Alphabetisierung konnte man anfangen von der Demokratie zu träumen. Die repräsentative Demokratie ist somit die evolutionär bestmögliche Staatsform innerhalb der Beschränkungen der heutigen Massenmedien – also auch deren Endpunkt. Denn heute haben wir das Internet und einige merken bereits, wie sehr es nach einer neuen Organisationsform für das Politische schreit.
Ich weiß auch nicht, was uns das Internet für neue Organisationsformen noch bescheren wird. Liquid Democracy ist ein frühes Experiment und sicherlich nicht das letzte. Wir stehen hier selbstredend gerade erst am Anfang. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass wir nicht das Internet an unsere Welt, sondern die Welt an das Internet anpassen müssen. Das wird den Politikern nicht passen, denn vermutlich werden sie – wie nach und nach alle institutionalisierten „Vermittler“ – durch das Internet wegrationalisiert werden.