Unsere alten Götter haben uns belogen und die neuen können nicht geboren werden, weil Internet. Willkommen bei Krasse Links No 4. Diesmal mit Schwerpunkt Wirtschaft, KI und Zaubertricks.
Quasi als Follow Up zu der These des Social Media Tods aus dem letzten Newsletter hier ein Text von Jason Parahm, der eine kompatible, aber doch leicht andere These vertritt. Er bindet das Social Media-Paradigma zurück an die Millennials, der ersten wirklich digitalen Generation. Diese Generation, so die These, sei nach dem Twitteraus quasi von Social Media weitestgehend geheilt, denn zwischen Mastodon, Bluesky und Threads findet sich eh kein neues digitales Zuhause, eine Tatsache mit der man sich aber eigentlich ganz gut arrangiert hat. Haha!
Meine persönliche Perspektive darauf ist ja die eines späten GenXlers, der sein Onlineleben lang immer hinter den Millennials her trotten musste. Und während diese jetzt in ihrer Doppelhaushälfte dem Analogbiedermeier frönen, sitze ich in ihren digitalen Ruinen fest. Naja gut, ganz so schlimm ist es nicht. Bin ja jetzt wieder Blogger 😉
Jan Assmann ist tot. Das macht mich traurig, denn er und seine Frau (die ich sogar mal das Vergnügen hatte, kennenzulernen und der ich an dieser Stelle nur das Beste wünsche) hatten mit ihren Büchern auch auf mein Denken einen großen Einfluss.
René Walter geht es ähnlich und als Quasinachruf unternimmt er den Stunt, die Theorie des kulturellen Gedächtnisses auf das Internet zu applizieren. Resultat: es funktioniert nicht und das ist ein Problem.
„The digital is inherently incompatible with this way of collective memorization, the very foundation of what glues societies together and makes them work in the long run. There is “no canon for old memes”, and cultural practice in the digital is in an ever changing, never remembered flux.“
Memes don’t Canon. Ohne Kanon kein kulturelles Gedächtnis, was für René vor allem deshalb zum Problem wird, weil das kulturelle Gedächtnis gleichzeitig die Grundlage der Verständigung innerhalb einer Gesellschaft ist. Das führt nun seiner Ansicht nach unter anderem zu den aktuellen Kulturkriegen, aber es steht noch viel mehr auf dem Spiel.
„With the loss of reliable mechanisms for the formation of cultural memory in digital informed societies, we are in great danger of losing our very collective selves.“
Ich seh das so: Im Zuge der Polykrise neigt sich nicht nur eine Weltordnung und eine Art des Wirtschaftens dem Ende, sondern ein ganzes Paradigma, wie man auf die Welt schaut. Man kann nicht die materiellen Grundlagen des Zusammenlebens verändern, ohne auch gesellschaftliche Normen und Erwartungsstrukturen zu verändern.
Das Gefühl der Verlorenheit setzt schon hier ein. Ich stelle mir Kanons wie tiefsitzende gesellschaftliche Pfadentscheidungen vor, aus deren Wurzel sich der ganze Strauß an kultureller Imgagination verzweigt, an deren Enden wir alle leben, fühlen und denken. An dem Kanon zu rütteln meint nicht nur einen Baustein durch einen anderen zu ersetzen, sondern es bedroht den ganzen sich daraus verzweigenden Überbau. Und das erklärt die Intensität der aktuellen Kulturkriege.
Doch wenn René recht hat, dass wir im Internet nicht fähig sind, einen Kanon zu etablieren, bedeutet das, keine Pfadentscheidung mehr zu treffen und somit kulturell auf der Stelle zu treten. Das hieße, als Gesellschaft nicht mehr lernen zu können. Und wenn unten alles wegbricht und oben nichts mehr nachwächst dann wäre der 5000 jährige Bann der Historizität seit Erfindung der Schrift endlich gebrochen.
Doch ist es nicht vielmehr so, dass wir gerade erst unser kulturelles Gedächtnis outgesourced haben, indem wir dem Archiv das Sprechen beibringen? Der Kanon lebt jetzt aufgelöst im tausenddimensionalen Latent Space der generativen KIs und hört nicht mehr auf, uns vollzuquasselen.
Mich erinnert das eher an den Turmbau zu Babel. Der ganze Witz dieser Bibelstelle liegt ja in der Vorstellung, dass zu jener Zeit noch alle dieselbe universelle Sprache sprechen. Mit dem Zusammenbruch des Turms brechen auch die Semantiken auseinander und die Vielfalt der Sprachen entsteht und damit die Notwendigkeit der Übersetzung. Ist es ein Zufall, dass unser kulturelles Gedächtnis exakt in dem Moment auseinander bricht, als wir die perfekte Übersetzungsmaschine gebaut haben?
Ich frage auch deswegen, weil Deutschlands kulturelles Gedächtnis nicht nur die Varusschlacht, Holocaust und Goethe kanonisiert, sondern auch das Selbstbild als Exportweltmeister. Von dieser Deep Story aus blicken wir mit einer Arroganz auf die Restwelt, als sei es überhaupt möglich, dass alle Länder der Welt Exportnationen wären.
Nie drückte sich diese chauvinistische Identität hässlicher aus, als im Zuge der Eurokrise und der deutschen Berichterstattung über Griechenland: hier das fleißige, kluge, sparsame Deutschland, dort die faulen, dummen und alles verprassenden Griechen.
Doch wie Patrick Boyle in diesem sehr sehenswerten Video erklärt ist „Exportnation“ keine Auszeichnung für eine spezielle Mentalität und Schaffenskraft, sondern eine handelsstrategische Entscheidung, die durch ein dezidiertes Set von wirtschaftspolitischen Maßnahmen ins Werk gesetzt wird – als da wären:
- Ein möglichst niedriger Wechselkurs zu anderen wichtigen Währungen, so dass die eigenen Produkte vergleichsweise günstig angeboten werden können.
- Das Lohnwachstum zügeln, um die Kosten im Griff zu halten.
- Niedrige Zinsen, damit Firmen flexibel Investieren können.
Es ist ein fucking Trick. Und dieser Trick geht nicht nur auf Kosten der anderen Länder, insbesondere unserer EU-Nachbarn, sondern auch noch auf Kosten von uns allen.
„These interventions are simply a transfer of resources from one group within a economy to another. Maintaining an artificially low exchange rate is no different from putting a tariff on imports while subsidizing exports. It transfers wealth from those who might want to by foreign goods to those in business of selling goods to foreigners.
Keeping wage growth below growth of productivity is another tax that transfers from workers to employers. Financial repression where interest rates are set artificially low – transfers wealth from savers to borrowers. Considering the household sector is generally made up of savers and the business and government sectors are usually borrowers , low interest rates are a transfer from households to business and government.“
Kurz: Die exportindustriellen Kapitalisten haben sich Jahrzehntelang auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung bereichert. Und die deutschen Medien haben das auch noch so lange abgefeiert, bis wir diesen Abuse zu unserer kollektiven Identität gemacht haben.
Diese Woche reden alle über Sora und natürlich haben auch mich die Bilder fasziniert. Aber wie bei allem KI-Kram hinterlassen auch die Sora-Szenen ein merkwürdiges Gefühl der Leere in mir.
Passend dazu sieht Brian Mercant in der Technologie vor allem das Videoäquivalent des berühmten „stochastischen Papageien“, der nur bekanntes re-arrangiert, statt Neues zu schaffen.
„It’s not that Sora is generating new and amazing scenes based on the words you’re typing — it’s automating the act of stitching together renderings of extant video and images. Which is not uncool, in a vacuum! It’s indeed impressive that technology can do this.“
Ich finde eigentlich, diese Reduktion wird der dahinter steckenden unfassbaren Komplexität nicht gerecht, aber, naja, unter dem Strich stimmt das ja schon. Egal ob Midjourney, Gimini oder Sora: alles basiert auf operationalisierter Statistik und wie bei einem Zaubertrick, den man durchschaut hat, nagt diese Tatsache an ihrem Wert.
Ja, ich denke, wir müssen an dieser Stelle über Wert sprechen. Die Faszination an KI generierten Inhalten hat eine noch kürzere Halbwertzeit als die von Memes, und während alte Memes noch wenigsten Nostalgie auslösen können, wirkt jedes KI-Bild zwei Monate später wie digitaler Abfall.
Dass sich kultureller Wert an der Möglichkeit seiner Reproduzierbarkeit orientiert, hatte schon Benjamin begriffen. Benjamin bezog das auf das „Werk“, das in seiner Zeit grenzkostenlos reproduzierbar wurde. Wir erleben dasselbe nun für den Prozess der Schaffung von digitalen kulturellen Artefakten selbst, welche wir bereits so wenig Wert schätzen, dass wir uns das Wort „Content“ dafür ausgedacht haben.
Dass Reiche einen überdurchschnittlichen Einfluss auf Politik und Medien haben, ist mittlerweile ja hinreichend belegt. Doch in einer Zeit, in der Milliardäre sich ihre Medienimperien nicht mehr in erster Linie zusammenkaufen, um ihren Reichtum zu vermehren, sondern um ihre politischen Ansichten in die Welt zu tröten, stellt sich die Frage, inwieweit der öffentliche Diskurs nun endgültig den Interessen der herrschenden Klasse ausgeliefert ist.
In einem lesenswerten Meinungsstück nimmt sich William D. Cohan neben Musk auch noch einen anderen Milliardär vor, nämlich den Finanzguru Bill Ackmann, der durch eine laute und erfolgreiche Kampagne auf X gegen die Gleichstellungspolitik an US-Unis aufgefallen ist. Ackman gibt selbst zu Protokoll, dass er sich solche Kampagnen wegen seiner „finanziellen Unabhängigkeit“ erlauben kann. Cohan erinnert an das Konzept des symbolischen Kapitals bei Bourdieu und schließt, dass sich noch nie in der Geschichte monetäres Kapital so leicht in diskursiven Einfluss umwandeln ließ.
„When only the ultrawealthy, as a practical matter, can afford to speak freely without consequences, what does freedom of speech really mean? There is a vogue among the superrich like Mr. Ackman, Mr. Musk and Mr. Trump for misconstruing the First Amendment as permission to support their particular vision of how public speech should work.“
Meinungsfreiheit war einmal ein Werkzeug, um Macht Grenzen zu aufzuzeigen, jetzt ist die Waffe in die Hände der Mächtigen selbst gefallen.
Unabhängigkeit ist ein hohes Gut. Doch wenn das US-Justitzministerium einen Trump-Fan beauftragt, eventuelle Verfehlungen von Biden zu untersuchen und wenn die NYTimes nur noch über Bidens Alter spricht, dann hat das weniger mit Unabhängigkeit zu tun, als mit dem Wunsch, von ganz rechts aus gesehen unabhängig zu wirken. Doch das, so Chris Hayes in diesem spot on Thread, ist einfach nicht dasselbe.
Das sollte sich insbesondere mal der öffentlich rechtliche Rundfunk zu Gemüte führen. Er glaubt, er könne der AfD durch Talkshoweinladungen beweisen, wie unabhängig er ist, was vollkommen absurd ist, weil die AfD niemals die Existenz einer nicht-milliardärskontrollierten Quelle von Information dulden wird. Der ÖRR arbeitet an seiner eigenen Abschaffung mit.
Der Kulturkrieg ist jetzt auch im Zentrum der KI-Debatte angekommen. Während das rechtsradikale Gab.io-Netzwerk eigene KI-Bots baut, die explizit darauf konfiguriert sind, den Holocaust zu leugnen, beschweren sich Musk und seine Jünger auf X, dass Googles Gimini zu „woke“ sei. Leider haben sie diesmal einen Punkt, denn die eingebauten Guardrails bei Gimini führen zB. dazu, dass historische Nazis mit diversen Hautfarben, aber eben nicht mehr weiß dargestellt werden können. Casey Newton hat in seinem Plattformer-Newsletter zu beidem eine gute Einordnung.
Manche haben schon Mitleid mit Google geäußert, aber ich sehe darin den gescheiterten Versuch des Unternehmens durch Eingriffe in die Userprompts die mangelnde Diversität in ihren Trainingsdaten auszugleichen, was halt nur schief gehen kann. Google hat Giminis Bildgenerierung vorerst ausgesetzt.
Ich finde aber auch ingesamt wird dem Thema generative KI die falsche politische Aufmerksamkeit gewidmet. Alle bangen wie das Kaninchen vor der Schlage auf den Moment, in dem ein gedeep-faktes Biden-Video China den Krieg erklärt oder eine KI-induzierte Fake-Reality (Lobo) unsere Wahrnehmung mit unserem Begehren kurzschließt. Dabei ist die politische Wirkung von generativer KI schon jetzt eine ganz andere. Der Kreml zum Beispiel hat es sich bereits zur Angewohnheit gemacht, Bildmaterial, das ihnen nicht in den Kram passt, als ki-generierte oder sonstige Fälschung zu „entlarven“, wie Sylvia Sasse in ihrem lesenswerten Beitrag „Der pseudoforensische Blick. Krieg, Fotografie und keine Emotionen“ aus dem Sammelband „Bilder unter Verdacht“ zeigt. Der, wie Sasse es nennt, „pseudoforensische Blick“, hat nicht nur die Aufgabe, das Wasser zu trüben, sondern zielt auch auf eine Veränderung der Sehgewohnheiten des Publikums:
Meine These ist, dass der forensische Blick gezielt imitiert wird, um die Rezeption des Krieges zu entemotionalisieren. Der kalte Blick, der damit angestrebt wird, soll ein technischer Blick sein, der nicht danach fragt, wer da liegt, wer da gerade gestorben ist, wessen Wohnung auf dem Foto zerbombt wurde und warum.
Nach dem Tod von Navalny hat sich Donald Trump zu Wort gemeldet und sich mit ihm verglichen. Wer diesen Satz liest und danach immer noch glaubt, dass generative KI irgendwas zum Wahnsinn der aktuellen politischen Situation beizusteuern hat, der … sollte den Satz noch mal lesen.
Vlad Vexler (ich habe ihn hier schon mal empfohlen) hat dazu wieder ein sehenswertes Video gemacht, doch woran ich hängen geblieben bin, ist seine Unterscheidung vom lügenden Politiker und dem Post-Truth-Populisten, die mir erklärmächtiger erscheint, als die mittlerweile kanonische Lügner/Bullshitter-Differenz.
Während der lügende Politiker den Leuten eine Wahrheit verkaufen will, die nicht existiert, geht der Post-Truth-Populist eine Art Pakt mit einem Teil des Publikums ein. Dieser Pakt besteht in der unausgesprochenen Übereinkunft, dass die Wahrheit einfach nicht relevant ist. Die Lüge hat in diesem Kontext eine ganz andere Aufgabe. Sie fungiert als eine Art Uniform, ein Shibboleth, an dem sich die Kulturkrieger gegenseitig erkennen und nach außen abgrenzen. Dafür muss die Lüge nicht sonderlich ausgefeilt oder überzeugend sein. Im Gegenteil. Je abstruser und grotesker sie ist, desto strammer sitzt die Uniform.
Was soll ein Post-Truth-Populist also mit Deepfakes anfangen? Er will doch niemanden von irgendeiner Wahrheit überzeugen. Viel eher arbeitet ihm die Tatsache entgegen, dass heute eben alle Beweise gefälscht sein könnten. Im Security-Bereich nennt man das auch „Plausible Deniability“ und es ist jetzt die Standardeinstellung unserer digitalen Medienwelt.
Wenn generative KI dem rechten Mob nicht zur Fabrizierung von falschen Wahrheiten taugt, dann doch wenigstens für Schaulust und Herabwürdigung von bekannten (und manchmal weniger bekannten) Frauen. Machen wir uns nichts vor: bei ki-generiertem Porn geht es um Machtspiele, gekränkte Männeregos und eine Traktorladung sexueller Verzweifelung, die bei genauerem Hinsehen alle kausal aufeinander verweisen.
Musk trimmt X immer mehr Richtung eines modernen 4chan und so ist es heute die natürliche Hauptanlaufstelle für solche Art Fakeporn. Nach Taylor Switft hat es jetzt die Komikerin Bobbi Althoff getroffen. Und wenn mächtige Medienstars wie Swift und Althoff dem quasi schutzlos ausgeliefert sind, wie muss das dann für Teenager sein, wenn deren Deepfakes über den Klassen-Whatsapp-Chat gehen?
In einer Welt, in der nichts wahr, aber alles möglich ist, sind die Ruchlosen die Könige und alle anderen sind gefickt. Ironischer Weise ist das gleichzeitig der Titel eines lesenswerten Buches über Putins Russland von 2014.
Peter Pomerantsev beschreibt darin das Russland, wie es bis 2012 existierte, in dem es eine Art von inszenierter Opposition, inklusive bezahltem, aktivistischen Widerstand gab. Man fand für dieses Modell den treffenden Namen „gemanagte Demokratie“. Russland war damals zwar schon voll durch-oligarchisiert aber noch nicht so totalitär wie heute und manchmal sogar auf eine theaterhafte Art ganz unterhaltsam. Aber schon damals war alles darauf ausgerichtet, die Leute zum Rückzug ins Private zu ermuntern.
Eingequetscht zwischen Milliardären mit Megaphonen sitzen wir nun in den schrumpfenden Ruinen einer nur noch von Propaganda, Kulturkampf-Bullshit und seelenlosem KI-Content dominierten Digitalsphäre und so langsam dämmert es uns, dass wir längst in Putins Welt leben.
Aber hier kann man gegen Milliardäre unterschreiben.