Bei den Diskussionen um App.net werden immer wieder viele Thesen diskutiert, warum sich manche Dienste zu starken Plattformen entwickeln und warum manche nicht. Warum waren beispielsweise Myspace, Facebook erfolgreich, warum Instagram und Twitter, aber Diaspora, identica und Google+ eher nicht so? Das ist eine immer wieder gern geführte Diskussion und im Grunde begibt man sich schnell in den Vergleich von technischen Details und Features, was natürlich nicht zielführend ist.
Denn eigentlich weiß jeder, dass der wesentlichste Faktor, der über den Erfolg eines Dienstes entscheidet, sein Erfolg ist. Jeder ist dort, wo jeder ist, denn mit jedem zusätzlichen Nutzer steigt auch der Nutzen des Dienstes für jeden Nutzer. Ich spreche natürlich vom Netzwerkeffekt.
Ich glaube aber, dass man die Wirkmechanismen des Netzwerkeffekts auch noch differenzierter betrachten kann. Meistens bekomme ich nämlich nicht zu hören, dass man nicht an den Erfolg von App.net glaube, weil da niemand sei, sondern viel häufiger „weil da nur Nerds sind„.
Gerade las ich einen Artikel über Google Glass, der mir zu denken gab. Denn während wir bezüglich Google Glass noch über Privacy-Invasion oder mögliche Preispolitik diskutieren, macht der Autor Marcus Wohlsen eine ganz andere Rechnung auf.
Er stellt Google Glass in eine Reihe mit Innovationen wie das Bluetooth Headset und den Segway. Alles wunderbare und nützliche Erfindungen seien das gewesen. Dass sie sich nie im großen Maßstab durchgesetzt haben, lag nicht an den technischen oder preispolitischen Unzulänglichkeiten, sondern daran, dass man damit irgendwie „bekloppt“ aussieht.
Wohlsen meint, es gäbe eine dünne Linie zwischen Nerdyness und Beklopptheit, die beispielsweise bei Leuten, die ständig mit Bluetooth-Headset im Ohr rumlaufen oder sich per Segway fortbewegen deutlich überschritten ist. Und eben die selbe Beklopptheit macht er aus, wenn er Leute wie Robert Scoble mit Google Glass sieht.
Um ganz ehrlich zu sein, man wird diese Assoziation in der Tat nicht los, speziell wenn man auf das Tumblr White Men Wearing Google Glass schaut.
White Men – ich würde noch „middle age“ noch hinzufügen – diese Hauptgruppe, aus der sich die Nerds nun mal speisen, könnten Glass den Garaus machen, bevor es auf den Markt kommt, so Wohlsen. Denn natürlich ist es nicht nur das Ungewohnte Ding im Gesicht, das uns ästhetisch erschaudern lässt, sondern die Rolemodels selbst, die wir mit Glass assoziieren. Kurz: Robert Scoble ist nicht cool.
Was uns zurück bringt zu App.net. Die Early Adopter, die App.net angezogen hat, leiden unter dem selben Problem: es sind hauptsächlich männliche weiße Nerds. Mit dem Fokus auf Entwickler hat App.net genau das auch forciert.
„Crossing the Chasm“ ist ein geflügeltes Wort im Produktmarkting. Es ist eine Sache, Early Adopter dazu zu bringen, ein Produkt zu benutzen. Problematischer ist es, den Graben zwischen Early Adopter und Massenmarkt zu überwinden.
Und wie gut oder schlecht man diesen Graben überwinden kann, liegt natürlich auch daran, wie dieser Graben beschaffen ist. Welche Early Adopter stehen hier eigentlich dem Massenmarkt gegenüber? Denn man will ja ein Produkt eben auch deswegen haben, weil man dazugehören will. Doch zu wem will man dazugehören? Und zu wem nicht?
Schaut man sich die erfolgreichen Beispiele: Facebook, Myspace, Instagram und Tumblr an, stellt man fest, dass deren Early Adopter eben nicht weiße, männliche Nerds waren. Bei Facebook waren die ersten Nutzer Harvard Studenten, in einer zweiten Phase Studenten aller Universitäten. Erst später öffnete sich der Dienst für alle. Studenten sind jung, intellektuell und zum großen Teil weiblich. Studenten feiern, fliten und sind sexy. Selbst wenn der Mainstream nicht dazugehört, er würde es gerne. Myspace zog früh Musiker und Bands an, was wiederum deren Fans anzog. Musiker sind sexy, Fans immerhin jung. Tumblr und Instagram sind beides Dienste, die technisch gesehen überhaupt nicht bemerkenswert sind. Sie haben es aber geschafft, technisch weniger affine Hipster für sich zu begeistern. Der Erfolg von Twitter wiederum kam erst in Fahrt, als sich nach Ashton Kutcher und Stephen Fry nach und nach die großen Stars anmeldeten. Stars sind sexy.
Let’s face ist: Männliche, mittelalte, weiße Nerds sind nicht sexy.
Ich glaube tatsächlich, man kann an dieser Stelle festhalten: Produkte, deren Early Adopter sich hauptsächlich aus männlichen, weißen Nerds speisen, werden es schwer haben den Chasm zu überwinden. Denn gegenüber steht der Massenmarkt und stellt fest: „das ist was für Nerds“. Da gehört man nicht dazu und da will man auch nicht dazu gehören und wahrscheinlich ist das dann auch alles ganz furchtbar kompliziert, so mit Kommandozeile und kryptischen Befehlsketten.
Männliche, mittalte, weiße Nerds sind giftige Early Adopter. Wenn man Erfolg haben möchte, sollte man dafür sorgen, dass sie den Dienst möglichst lange ignorieren. Wenn die Nerds bereits da sind, sollte man sie verstecken. Oder zumindest übertünchen, indem man andere Leute: junge, weibliche, stilbewusste Leute begeistert.
Für Google+ und App.net sehe ich schwarz. Die haben ihr Image weg. Bei Google Glass kann man vielleicht noch was machen. Aber dann muss es bald wirklich ein Tumbler geben, wie coolpeoplewearinggoogleglass. Aber ist das realistisch?