Im Rahmen meiner ganz normalen Tätigkeit als Kulturblogger, habe ich es mir natürlich nicht nehmen lassen einen Kollegen zu seiner Meinung zum nächsten heißen Scheiß der Literaturscene zu befragen: zur Twitteratur. Auf der Premierenfeier zu Dorfpunks haben wir uns endlich zum Interviewtermin getroffen. Den Kollegen kennen Sie vielleicht schon, er hat auch eine kleine Videokolumne bei einem dieser neumodischen Internet-Nachrichtendienste (sowas wie Twitter, nur länger und man kann einzelne Autoren nicht entfollown) – Spiegel-Online: Matthias Matussek. Hier also mein Interview:
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Das Ende der Popkultur
Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner war die Aufgabe der Popkultur. Die Kunst, und viele hielten Kunst im Kontext der Popkultur lange für unmöglich, die Kunst der Popper bestand darin, den gemeinsamen Nenner noch in den kleinen und kleinsten Details der Umwelt aufzuspüren, um ihn als respektvolle und/oder ironische Referenz ans Tageslicht zu zerren. Die Popkultur war somit auf der stetigen Suche nach sich selbst, in vielfachen Varianten mit sich selbst verschlungen, wieder und wieder. Ein monolithisches Knäul aus gemeinsamen Nennern und deren Retorten.
Das ist jetzt vorbei.
Es wird keinen gemeinsamen Nenner mehr geben. Keinen generationenübergreifenden. Nicht mal einen generationenumfassenden. Nicht mal einen regionalen. Es wird überhaupt gar keinen „gemeinsamen Nenner“ mehr geben, nicht mal als geflügeltes Wort. Der gemeinsame Nenner wird so was von tod gewesen sein.
Denn der gemeinsame Nenner ist das Produkt eines bestimmten medientechnologischen Einschnitts. Er wurde produziert in den Fabriken und Presswerken, in den Funkstationen und Mediamärkten. Warum? Die Antwort heißt: Economy of scale.
Economy of scale ist ein ökomomischer Begriff für die Beschreibung des betriebswirtschaftlichen Phänomens, dass die Stückkosten eines Gutes proportional zu seiner Produktionsmenge schrumpfen. Wenn ich ein Stück eines Produktes produziere, kostet mich das 10 Euro. Bei 100 nur noch 5, bei 1000 einer und so weiter.
Dieses eiserner Gesetz der Ökonomie ist die Mutter der Charts. Welche wiederum, die Mutter der Popkutur ist. Die Charts SIND unser Gemeinsamer Nenner. (natürlich nicht nur die Musikcharts, auch die Bildungscharts, die Newscharts, die Bestsellerliste bei Büchern, etc.)
Sie geben die Basis ab, auf der die ganze Popkultur (und die Popkultur war immer schon viel mehr als nur „die Popkultur“) gegründet ist. Die Popkultur ist das Resultat eines ökonomischen Kalküls. Eines Kostenzwangs. Einer betriebswirtschaftlichen Bilanz. Einer Rationalisierung.
Heute verlassen wir die Arena der Massenproduktion nach und nach. Massenproduktion wird es sicherlich noch lange geben, aber sie wird ihre Dominanz verlieren. Denn es ist und wird immer mehr möglich, massenhaft Individualprodukte herzustellen. Wir erleben das im Internet, alle möglichen kulturellen Güter betreffend, wir werden es auch im materiellen Bereich erleben. Und dann wird alles anders.
Denn es bewegt sich etwas. Ein schlafender Riese erwacht. Long Tail. Der Rattenschwanz an unausrottbarer Individualiät, speziellem Geschmack und heimlich gehegter Vorlieben. Man hatte ihn eigentlich schon vergessen. Man hat ihn abgeschoben mit Begriffen wie „Freak“, „Nische“ oder „Hobby“. Jetzt zuckt er kräftig und man kann sich sicher sein, er wird sich erheben. Und wenn er sich erhebt wird die kulturelle Welt erbeben. Denn, Massenkonsum ist vor allem ein struktureller Zwang, der von der Massenproduktion auferlegt war. Und dessen werden sich die Leute gewahr, sobald sie in Kontakt treten mit Dingen, die sie WIRKLICH interessieren. Der Rattenschwanz wird sich also nicht nur erheben, er wird auch zunehmend größer. Viel größer. (Zur Zeit kann man ihn Anhand der Verkaufszahlen bei iTunes auf etwa 40% beziffern. Das ist noch lange nicht das Ende. Ich würde auf 80 bis 90% wetten. (Der Witz, wenn es so weit ist, ist POP selber nur eine Nische und somit Teil des long tail. Also doch … 100%?))
Wenn jetzt aber niemand Teil einer großen Verwertergemeinschaft mehr sein wird, wenn die kulturelle Segmentierung so weit und so tief um sich greift, dass sie Gemeinsamkeiten nur noch handverlesen stiftet, dann wird die Popkultur vor Referenzlosigkeit schlicht verhungern.
Ich werde, glaub ich, keine Träne vergießen, wenn es so weit ist.