Ich habe mich ein bisschen erschrocken. Nicht über Ilse Aigner und ihr Radiergummi – das ist normal, die ist Politikerin – sondern darüber, wie ernsthaft über ihre Ideen diskutiert wird. Also auch hier in der Blogszene.
Beispielsweise Netzpolitik.org. Dort wird zwar das DRM-Dings von dem Professor da zu genüge auseinander genommen, aber von der Idee des „digialen Vergessens“ wird sich nicht distanziert. Im Gegenteil!
Versteht mich bitte nicht falsch. Ich halte das Vergessen – also das normale, kognitive Vergessen – für einen Segen. Wir wären in kürzester Zeit verrückt, wenn es das nicht gäbe. Denn das Vergessen ist – anders als es in dieser Diskussion dargestellt wird – nämlich kein Anrecht des Produzenten einer Information, sondern ein Filtersystem des Erinnernden. Es selektiert relevante von irrelevanten Informationen und ist somit ein Werkzeug des Erinnerns.
Oder Christoph Kappes. Er argumentierte heute auf Twitter, dass ja mündliche Kommunikation eben so flüchtig sei, wie es die Ilse nun für’s Internet fordert. Und er hat recht, ich kann mich nach einem Gespräch kaum an den Wortlaut erinnern. An was ich mich aber erinnere, ist genau die Information, die ich für relevant erachtet habe.
Wenn mir Christoph also in einer Bierlaune von seinem Ilse Aigner-Fetisch (Sie, ganz in Radiergummi gekleidet … ) erzählt, dann werde ich mich auch noch am nächsten Tag daran erinnern und vermutlich mein ganzes Leben. Dass er mir vielleicht auch erzählt hat, dass er in seinem Wagen eben noch den Ölstand gemessen hat, wird mein Gehirn dagegen vermutlich dem Vergessen anheim geben.
Was man mit dem „digitalen Vergessen“ also fordert, ist nicht ein Vergessen in dem Sinne, wie wir es kennen, sondern eine fremdbestimmte Demenz! Ich soll vergessen, was mir Christoph erzählt hat, weil er das halt so will. Er soll mir in meinen Erinnerungen rumkramen und rauslöschen können, was ihm da nicht gefällt. Oder von Anfang an bestimmen, wie lange ich es erinnern darf. (Ich kann schon verstehen, dass Politiker diese Möglichkeiten als sehr nützlich erachten)
Nein, meine Lieben. Das würde ich mir nicht bieten lassen. Ihr habt gefälligst mir zu überlassen, was ich mir merke und was nicht. Und so soll es auch bitte im Internet bleiben. Filtersouveränität, alter!
Und überhaupt finde ich, dass das Internet noch viel zu viel vergisst. Alleine Twitter. Ich finde es eine Unverschämtheit, dass ich nicht mein ganzes Twitterarchiv durchsuchen kann. Eher würde ich auf Pflicht für Anbieter pochen, mir meine Daten jederzeit zugänglich zu halten.