So Sachen

– Wir waren am Montag in Wittenberge an der Elbe, ein bisschen Sandschippen. „Höhö, Beliner Hipster kommen zur Hilfe“, dachten wir so selbstironisch bei uns und nannten die Aktion #hipsterflood. Es gibt auch ein offizielles Video:

– Am Mittwoch war ich bei Deutschland Radio Kultur und hab ein wenig was über Postprivacy und Prism erzählt. Kann man hier nachlesen und nachhören.

– Am 5. Juli werde ich auf der SigInt einen Vortrag darüber halten, warum wir – also die Hacker- und Netzszene – uns ständig verstreiten.

– Und dann wollte ich noch diese schöne Grafik loswerden, die man bei Foursquare abrufen kann. So ein statistischer Rundumschlag über meine Checkins. Da kann man mal sehen, wo ich so immer rumhänge:

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Google Latitude reparieren

Vor einigen Wochen ging mein Google Latitude kaputt. Auf einen Schlag waren alle meine Kontakte verschwunden und meine Position wurde bei meinen Freunden nicht mehr aktualisiert.

Nach einiger Zeit habe ich mich nun durchgerungen, dem Problem auf den Grund zu gehen, ein bisschen rumzugoogeln und Foren zu lesen. Und tatsächlich haben das selbe Problem eine ganze Menge Leute. Interessanter Weise haben es Android-Benutzer seit sie ihr Google Maps aktualisiert haben, iPhone-Nutzer wohl, seit sie sich die neue Google App (mit Google Now) installierten.

Es gibt anscheinend ein neues Flag für das Sharing der eigenen Locationdaten, das Google mit dem neuen Maps eingerichtet hat und das defaultmäßig wohl ausgeschaltet ist, egal, ob man vorher Latitude benutzt hat, oder nicht (DARTÄNSCHOTZ!!). Dummer Weise ist dieses Flag aber weder über die iPhone App von Latitude, die Google-Maps-App oder Google-App setzbar. Es ist aber AUCH nicht auf den Profileinstellungen per Web-Login zu finden, weder bei Maps, noch bei Latitude oder Google+. Die einzige Möglichkeit, die Sharing-Option wieder zu aktivieren, hat man auf aktuelleren Maps-Application eines Android Devices.

Ich selbst besitze kein Androidgerät, habe aber kurzer Hand auf dem Telefon meiner Freundin einen Gastaccount eingerichtet. Dort einfach Maps aufgerufen, sharing aktiviert und den Gastaccount wieder runtergeschmissen. Wenige Minuten später waren alle meine Kontakte wieder da. Puh!

Bleibt die Erkenntnis, dass sich Google so langsam aber sicher in seiner eigenen Komplexität zu verheddern scheint.

Werbung ist sozial

Keine Frage: Der Anraunzer von der Seite, den die Verlage kürzlich ihren werbeblockenden Lesern entgegenbrachten war peinlich, wahrscheinlich sogar kontraproduktiv.

Werbebblocker sind eine der reinsten Ausformungen dessen, was ich mal Filtersouveränität genannt habe und zu dessen allgemeiner Nützlichkeit ich mich nach wie vor bekenne. Jedoch gibt es einen Aspekt in der Diskussion, der mich auf Seiten der Netzgemeinde etwas verstört. Und das ist der Ruf nach der Abkehr vom Werbegeschäftsmodell für Verlage und für Dienste im Allgemeinen.

Wenn Du nicht für das Produkt bezahlst, bist du das Produkt„, ist einer dieser vielzitierten Sprüche, die weismachen sollen, wie furchtbar böse Werbung als Geschäftsmodell doch ist. Und klar, der aufgeklärte Bürger will kein Produkt sein, wo kämen wir denn da hin? Und so wird in der FAZ für App.net geschwärmt, weil es einen eben nicht zum Produkt macht und wird mit dem Hashtag #ichwillzahlen Kampagne für Bezahlinhalte im Internet gemacht.

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Werbung ist nervig, für Werbung werden Daten gesammelt, Werber sind sowieso doof und überhaupt ist Werbung mindestens eine der schlimmsten Ausformungen des Kapitalismus. Einself.

Was dabei aber keiner bedenkt: Werbung ist sozial. Ich habe nicht viel Geld. Meinen App.net Account habe ich damals gespendet bekommen, sonst hätte ich ihn mir nicht leisten können. Und wenn die Geschäftsmodelle der Verlage auf einen Schlag auf Bezahlung umgestellt würden, wäre ich von Informationen ausgeschlossen. Und eben nicht nur ich. Es gibt in diesem Land Millionen Menschen, die noch weniger haben als ich. Ich halte den Ruf nach Bezahlmodellen für eine Lobbybewegung der monetär Privilegierten und unsolidarisch gegenüber denen, die dann aus dem gesellschaftlichen Diskurs einfach ausgeschlossen würden.

Es lohnt sich, sich die Struktur des Werbemarktes vor Augen zu führen: Es ist richtig: in der Werbung sind wir das Produkt: jedenfalls unsere Aufmerksamkeit und zunehmend auch unsere Daten sind es. Mithilfe der gesammelten Daten kann man nämlich die Erfolgsaussichten unserer Aufmerksamkeit erhöhen, indem man uns zu uns passende Produkte bewirbt. Das nennt man Targeting.

Nun sind die Daten und die Aufmerksamkeit des Einzelnen eben nicht gleich viel wert. Meine Aufmerksamkeit und meine Daten sind beispielsweise wesentlich weniger wert, als die von jemandem mit festem und hohem Einkommen. Denn das, was erreicht werden soll ist schließlich, dass der Empfänger der Werbung sein Geld für die beworbenen Produkte ausgibt. Je mehr Geld er hat, desto mehr wert ist seine Aufmerksamkeit. Daraus folgt: die Daten und die Aufmerksamkeit der Besserverdienenden quersubventionieren zu einem nicht unwesentlichen teil meinen Medienkonsum. Und den von vielen anderen Leuten mit wenig Geld. Ich finde das gut.

Auf globaler Ebene ist es sogar noch krasser: Facebook, Twitter und Google sind für alle Menschen auf der Welt für den selben Tarif zu haben: Aufmerksamkeit und Daten. Bedenkt man, dass der Preis für die Daten und die Aufmerksamkeit aufgrund der vielfach höheren Kaufkraft in der „westlichen Welt“ ebenfalls um ein vielfaches höher ist, ergibt sich eine globale Umverteilung. In Schwellenländern wie Ägypten und Peru kann man all diese Dienste nur deswegen unentgeltlich (und das heißt hier meistens: überhaupt) nutzen, weil sie mithilfe der Daten und der Aufmerksamkeit aus den Industrienationen finanziert werden.

Wer eine Abkehr der Internet- und Contentwirtschaft von den Werbegeschäftsmodellen fordert, sollte sich darüber bewusst sein, dass er damit diese globale wie lokale Umverteilung von Reich nach Arm stoppen würde und so vielen Leuten, die es sich sonst nicht leisten könnten, den Zugang zu Diensten und Informationen abschneiden würde. Ich halte diese Position für extrem selbstgerecht und unsolidarisch. Aber vermutlich ist es einfach nur die übliche Privilegienblindheit.

Blackbox Urheberrecht


Vor ein paar Tagen ist das Buch “Blackbox Urheberrecht” erschienen, das in 22 Essays und Interviews den Stand der Urheberrechtsdebatte wiedergibt. Das von Daniel Brockmeier im Eigenverlag herausgegebene Werk ist als eBook via Amazon, Google Play und Apple iBooks erhältlich.

Brockmeier geht von der Grundthese aus, das Urheberrecht habe aktuell einen Crash erlitten und übrig geblieben sei eine „Blackbox Urheberrecht“.

Die Autorenschaft hat Brockmeier bewusst bunt und vielfältig ausgewählt, um die ganze Bandbreite der Debatte abzubilden. Das Meinungsspektrum reicht deshalb von der Notwendigkeit einer noch strikteren Durchsetzung des Urheberrechts bis hin zur Forderung nach seiner vollständigen Abschaffung. Urheberrechtslobbyisten kommen ebenso zu Wort wie Kritiker des geltenden Urheberrechtsregimes.

Brockmeier ist es gelungen, auch einige sehr prominente Autoren wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Neelie Kroes oder Frank Schirrmacher zu gewinnen.

Es ist mir deshalb eine Ehre, dass auch ich einen Beitrag zu “Blackbox Urheberrecht” beisteuern durfte. Mein Text ist schon vor ein paar Wochen auf Carta erschienen: Die Null-Euro Utopie.

Abschließend noch eine alphabetische Liste sämtlicher Autoren von “Blackbox Urheberrecht”:

Anonymous, Daniel BrockmeierVera BunseDirk von GehlenNina GeorgeJohnny HaeuslerChristoph KeeseTill KreutzerNeelie KroesSabine Leutheusser-SchnarrenbergerPim RichterFrank SchirrmacherJürgen SchönsteinJulia SchrammThomas StadlerAnatol StefanowitschUdo Vetter.

(Dreist und ohne vorher zu fragen von RA Thomas Stadtler geklaut.)

Giftige Early Adopter

Bei den Diskussionen um App.net werden immer wieder viele Thesen diskutiert, warum sich manche Dienste zu starken Plattformen entwickeln und warum manche nicht. Warum waren beispielsweise Myspace, Facebook erfolgreich, warum Instagram und Twitter, aber Diaspora, identica und Google+ eher nicht so? Das ist eine immer wieder gern geführte Diskussion und im Grunde begibt man sich schnell in den Vergleich von technischen Details und Features, was natürlich nicht zielführend ist.

Denn eigentlich weiß jeder, dass der wesentlichste Faktor, der über den Erfolg eines Dienstes entscheidet, sein Erfolg ist. Jeder ist dort, wo jeder ist, denn mit jedem zusätzlichen Nutzer steigt auch der Nutzen des Dienstes für jeden Nutzer. Ich spreche natürlich vom Netzwerkeffekt.

Ich glaube aber, dass man die Wirkmechanismen des Netzwerkeffekts auch noch differenzierter betrachten kann. Meistens bekomme ich nämlich nicht zu hören, dass man nicht an den Erfolg von App.net glaube, weil da niemand sei, sondern viel häufiger „weil da nur Nerds sind„.

Gerade las ich einen Artikel über Google Glass, der mir zu denken gab. Denn während wir bezüglich Google Glass noch über Privacy-Invasion oder mögliche Preispolitik diskutieren, macht der Autor Marcus Wohlsen eine ganz andere Rechnung auf.

Er stellt Google Glass in eine Reihe mit Innovationen wie das Bluetooth Headset und den Segway. Alles wunderbare und nützliche Erfindungen seien das gewesen. Dass sie sich nie im großen Maßstab durchgesetzt haben, lag nicht an den technischen oder preispolitischen Unzulänglichkeiten, sondern daran, dass man damit irgendwie „bekloppt“ aussieht.

Wohlsen meint, es gäbe eine dünne Linie zwischen Nerdyness und Beklopptheit, die beispielsweise bei Leuten, die ständig mit Bluetooth-Headset im Ohr rumlaufen oder sich per Segway fortbewegen deutlich überschritten ist. Und eben die selbe Beklopptheit macht er aus, wenn er Leute wie Robert Scoble mit Google Glass sieht.

Um ganz ehrlich zu sein, man wird diese Assoziation in der Tat nicht los, speziell wenn man auf das Tumblr White Men Wearing Google Glass schaut.

White Men – ich würde noch „middle age“ noch hinzufügen – diese Hauptgruppe, aus der sich die Nerds nun mal speisen, könnten Glass den Garaus machen, bevor es auf den Markt kommt, so Wohlsen. Denn natürlich ist es nicht nur das Ungewohnte Ding im Gesicht, das uns ästhetisch erschaudern lässt, sondern die Rolemodels selbst, die wir mit Glass assoziieren. Kurz: Robert Scoble ist nicht cool.

Was uns zurück bringt zu App.net. Die Early Adopter, die App.net angezogen hat, leiden unter dem selben Problem: es sind hauptsächlich männliche weiße Nerds. Mit dem Fokus auf Entwickler hat App.net genau das auch forciert.

Crossing the Chasm“ ist ein geflügeltes Wort im Produktmarkting. Es ist eine Sache, Early Adopter dazu zu bringen, ein Produkt zu benutzen. Problematischer ist es, den Graben zwischen Early Adopter und Massenmarkt zu überwinden.

Und wie gut oder schlecht man diesen Graben überwinden kann, liegt natürlich auch daran, wie dieser Graben beschaffen ist. Welche Early Adopter stehen hier eigentlich dem Massenmarkt gegenüber? Denn man will ja ein Produkt eben auch deswegen haben, weil man dazugehören will. Doch zu wem will man dazugehören? Und zu wem nicht?

Schaut man sich die erfolgreichen Beispiele: Facebook, Myspace, Instagram und Tumblr an, stellt man fest, dass deren Early Adopter eben nicht weiße, männliche Nerds waren. Bei Facebook waren die ersten Nutzer Harvard Studenten, in einer zweiten Phase Studenten aller Universitäten. Erst später öffnete sich der Dienst für alle. Studenten sind jung, intellektuell und zum großen Teil weiblich. Studenten feiern, fliten und sind sexy. Selbst wenn der Mainstream nicht dazugehört, er würde es gerne. Myspace zog früh Musiker und Bands an, was wiederum deren Fans anzog. Musiker sind sexy, Fans immerhin jung. Tumblr und Instagram sind beides Dienste, die technisch gesehen überhaupt nicht bemerkenswert sind. Sie haben es aber geschafft, technisch weniger affine Hipster für sich zu begeistern. Der Erfolg von Twitter wiederum kam erst in Fahrt, als sich nach Ashton Kutcher und Stephen Fry nach und nach die großen Stars anmeldeten. Stars sind sexy.

Let’s face ist: Männliche, mittelalte, weiße Nerds sind nicht sexy.

Ich glaube tatsächlich, man kann an dieser Stelle festhalten: Produkte, deren Early Adopter sich hauptsächlich aus männlichen, weißen Nerds speisen, werden es schwer haben den Chasm zu überwinden. Denn gegenüber steht der Massenmarkt und stellt fest: „das ist was für Nerds“. Da gehört man nicht dazu und da will man auch nicht dazu gehören und wahrscheinlich ist das dann auch alles ganz furchtbar kompliziert, so mit Kommandozeile und kryptischen Befehlsketten.

Männliche, mittalte, weiße Nerds sind giftige Early Adopter. Wenn man Erfolg haben möchte, sollte man dafür sorgen, dass sie den Dienst möglichst lange ignorieren. Wenn die Nerds bereits da sind, sollte man sie verstecken. Oder zumindest übertünchen, indem man andere Leute: junge, weibliche, stilbewusste Leute begeistert.

Für Google+ und App.net sehe ich schwarz. Die haben ihr Image weg. Bei Google Glass kann man vielleicht noch was machen. Aber dann muss es bald wirklich ein Tumbler geben, wie coolpeoplewearinggoogleglass. Aber ist das realistisch?

Eine Frage zur Netzneutralität

Gerade scheinen sich nicht alle einig zu sein, ob die Telekom mit ihren Zusatzpaketen wie „Entertain“ nun bereits die Netzneutralität verletzt. Mit Entertain hat man sowas wie Fernsehen über IP, die Telekom rechnet den entstandenen Traffic aber nicht in das Drosselungsfreivolumen mit ein, so dass man sorgenlos „fernsehen“ kann und nur beim „normalen DSL“ die Uhr rattert.

Was zunächst wie eine klare Netzneutralitätsverletzung aussieht, kann aber durch eine technische Definitionen der Netzneutralität argumentativ ausgeräumt werden. Da das angebotene Fernsehen zwar per IP aber dort per Multicast und nicht per TCP „gesendet“ wird, gehöre es technisch gar nicht zum Internet und sei eher vergleichbar mit dem Fernsehkabel in der Wand, das nur zufällig die gleiche Leitung benutzt. (So zum Beispiel Fefe und die Telekom, aber auch eine ganze Menge vertrauenswürdiger Quellen)

Nun besteht auch das Internet schon immer aus mehr als TCP/IP (z.B. gibt’s auch UDP), was diese Definition dringend ausbaufähig macht. Aber damit nicht genug: Die Telekom bietet bei Entertain ja eben nicht nur lineares Fernsehen an, sondern mit TV-Archiv und Videoload gehören Video on Demand-Dienste auch mit zum Service. Ich weiß allerdings nicht, wie sie das technisch machen, das per Multicast anzubieten, oder ob da nicht auch TCP/IP oder UDP/IP im Spiel ist. (Die Wikipediaseite spricht auch von Unicast-Traffic) So oder so, stehen diese Video on Demand Dienste im direkten Wettbewerb zu iTunes, Amazon und Whatchever, etc.

Abgesehen also davon, dass ich hier schon wettbewerbsrechtliche Probleme sehe, frage ich mich, ob wir mit einer engen, technischen Definition von Netzneutralität wirklich glücklich werden. Die Provider bräuchten nur irgendwelche exotischen oder selbst zusammengestöpselten Protokolle verwenden, um der Netzneutralität definitorisch zu entgehen. Wenn die Telekom also demnächst ihr Youtube+Paket über FNORD/IP anbietet, stehen wir da, mit unserer technischen Definition von Netzneutralität.

Oder wie seht ihr das?

Vortrag: Über das Lesen im Digitalen

Wie angekündigt habe ich für das Literarische Colloquium Berlin einen Vortrag über das Lesen im digitalen Zeitalter gehalten. Hier die ausformulierte Rede.

Ich bin hier eingeladen als der Vertreter der digitalen Generation. Und als dieser habe ich zunächst eine gute Nachricht für Sie. Ich lese heute mehr denn je. Eigentlich mache ich fast gar nichts anderes mehr.

„Das sind doch gute Nachrichten für die Zukunft des Lesens!“ wird der eine oder andere sagen. Aber ich will Ihnen gleich etwas gestehen. Ich gehöre nicht der vielzitierten Generation der „digital Natives“ an. Deswegen kann und will ich meine Erfahrungen an dieser Stelle nicht als repräsentativ für eben jene Generation verstanden wissen. Was die digital Natives mögen, oder nicht mögen, finde ich zum teil selbst schwer verständlich, obwohl ich mir auch Mühe gebe, da Einblick zu finden.

Mein Blick ist also nicht der, eines mit dem Internet selbstverständlich Aufgewachsenen. Meine Perspektive ist vielmehr die, eines „digital Imigrants“, eines Zugezogenen, wie man in Berlin sagt. Meine Jugend spielte sich hauptsächlich analog ab. Ich kann von mir sagen, dass ich das Analoge und die analog geprägte Welt noch bewusst mitbekommen habe und erst mit der Zeit mehr und mehr in das Digitale emigrierte, aber dann doch recht vollständig emigrierte.

Als Jahrgang 77 spreche von mir lieber als Teil der „Achsengeneration“. Die Achsengeneration ist es, die beide Welten kennt. Es ist die Generation die vergleichen kann. Wir gehören zu den wenigen, die wirklich verstehen lernen mussten, was sich alles verändert hat, wir haben den Monolithen dieses Paradigmenwechsels vor Augen geführt bekommen wie keine andere Generation vor uns und erst recht nicht nach uns. Das versetzt uns in die Lage und die Verantwortung eines Scharniers zwischen den Welten, der digitalen und der analogen.

Ich werde in meinem Vortrag also versuchen, die Bruchlinie zwischen diesen Welten abzuschreiten, so wie sie mir passierte und wie sie sich für mich ausgewirkt hat. Vieles davon lässt sich wohl nicht verallgemeinern, aber eventuell schaffe ich es dabei Denkanstöße über das Wesen dieses Bruches zu geben.

Das Mentale Exoskelett

Als Kind habe eigentlich nicht besonders viel gelesen. Das Lesen für die Schule fand ich meist langweilig, die Texte interessierten mich wenig. Erst nach dem Abi wurde mein Lesehunger geweckt. Dann, als ich endlich ohne schlechtes Gewissen meine Lektüre selbst auswählen konnte. Und ich wählte vor allem Sachbücher.

Für mein Studium der Kulturwissenschaft war ich gezwungen, sehr viele Texte, sehr intensiv zu lesen. Ich lernte die Kritik, die Hermeneutik, die Dekonstruktion kennen. Lesen bekam für mich ganz neue Dimensionen. Mein Bücherregal wuchs und wuchs und wuchs. Denn im Gegensatz zu vielen meiner Kommilitonen kaufte ich mir einen Großteil der Literatur, die ich las. Nicht, weil ich viel Geld gehabt hätte oder gar einen Sammlertick. Vielmehr war es so, dass ich fühlte, dass das Wissen des Buches verloren geht, wenn es für mich nicht unmittelbar erreichbar bleibt. Lesen war für mich von Anfang an auch etwas materielles. Das geht mit einer bestimmten Vorstellung der Funktion des Lesens einher. Eine Vorstellung, die ich sicher schon damals hegte, die mir aber erst später bewusst wurde und die ich hier kurz erläutern möchte:

Wenn ich ein Buch lese, nehme ich zwar auch Wissen auf. Diese Wissensaufnahme ist bei mir aber nie von nachhaltiger Natur gewesen. Meist waren die Fakten, Sätze und Ideen von denen ich las bereits nach kurzer Zeit wieder vergessen. Dennoch kam mir das Lesen nicht unnütz vor, denn etwas zweiteres, viel wichtigeres geschah außerdem: Ich kartographierte. Wenn ich ein Buch lese, weiß ich auch viele Jahre später noch, welche Themen, Beispiele und Fakten sich in ihm versammeln. Und bereits nach kurzem Durchblättern kann ich auf dieses Wissen wieder zugreifen. Ich erstelle also quasi einen internalisierten Index des Buches. Deswegen war mir schon damals das Besitzen der Bücher so wichtig. Wenn ich zwar noch weiß, in welchem Buch ich welche Information finde, ich aber erst das Haus verlassen muss, um das Buch erst aufwändig in einer Bibliothek zu suchen, bringt mir das Gelesenhaben nur wenig. Es braucht eine gewisse Unmittelbarkeit in der Interaktion mit dem externen Wissen.

Versteht man den Nutzen des Lesen wie beschrieben, folgt daraus auch ein anderes Verhältnis von Leser und Gelesenem. Ich glaube nicht daran, dass es wirklich sinnvoll ist, Wissen in sich aufzunehmen. Ich will mich viel lieber mit ihm vernetzen. Meine Bildung endet nicht an meiner Schädeldecke sondern erstreckt sich auch auf mein Bücherregal. So wie sich das mentale Modell meines Körpers um mein Auto erweitert wenn ich es einparke, erweitert sich auch das mentale Modell meines Geistes, wenn ich unmittelbaren Zugriff auf externe Wissensressourcen habe. Ich nenne diesen Zustand mein „Mentales Exoskelett„.

Der Link

In der Nachabi-Zeit hatte ich ein SPIEGEL-Abo. Schnell stellte ich aber fest, dass mein Archivierungsbedürfnis mit dem Zustrom an Papier nicht mithalten konnte. Die Papierberge stapelten sich und im Gegensatz zu den Büchern wollte mir das Indizieren nicht so recht gelingen. Ich bestellte den Spiegel ab. Wie später auch die Süddeutsche und die c’t.

Im Netz lernte ich den Link kennen, die so genannte URL. Der Unified Resource Locator hielt in den meisten Fällen, was er versprach. Man sammelte URLs in seinen Bookmarks, später bei social Bookmark-Diensten. Mein Mentales Exoskelett wucherte nun unabhängig von den räumlichen Gegebenheiten meines Bücheregals im Internet weiter und weiter. Noch heute empfinde ich es als Körperverletzung minderer Güte, wenn einer der von mir erfassten Artikel depubliziert wird.

Lesenschreiben

Die echte Immigration ins Netz passiert aber nicht durch das Lesen. Sie passierte bei mir 2005, als ich selbst anfing in das Internet reinzuschreiben. Ich bin Blogger. Ich teile meine Gedanken und Ideen online mit allen anderen. Ich spinne ein Netz aus Artikeln, die hinter Links erreichbar sind und bleiben. Es sind Anknüpfungspunkte an mich selbst, die mich im Netz auch in meiner Abwesenheit repräsentieren. Sie sind ein Heim, eine Stätte, der Ort an dem ich mich einrichte.

Seit ich im Internet lebe, kann ich nicht mehr vom Lesen als eine in sich abgeschlossene Tätigkeit sprechen. Mein Lesen ist zu einem Lesenschreiben geworden. Jeder gelesene Text, der auf die eine oder andere Weise einen Unterschied macht, endet in einer Veröffentlichung. Das muss keine aufwändige Replik sein, aber schon ein kommentierter Link auf Twitter, manchmal ein Blogpost oder nur ein Eintrag in den Bookmarkdienst. Das Gelesene wird eingewoben in das Spinnennetz meines externalisierten Bewusstseins.

Wenn jemand einen meiner Artikel kommentiert, vibriert mein Smartphone. Mein Mentales Exoskelett bediene ich zum großen Teil über dieses Device hier. Es bindet mich mit einer ungeahnten Unmittelbarkeit ein, in die Mentalen Exoskelette der anderen und sie in meines. Man kann in gewissem Maße durchaus von einer Auflösung der Persönlichkeit sprechen, denn wenn man das Internet von heute auf morgen abschalten würde, wäre ich auf einen Schlag dumm wie Brot.

Bücher

Ich lese auch Bücher auf meinem Smartphone, neuerdings aber vor allem auf meinem Kindle. Aber es hat sich einiges verändert. Ich lese seltener Bücher und das hat nur in geringem Maße mit Faulheit zu tun. Bücher, das ist die schmerzhafte Erkenntnis, sind zum großen Teil inhaltlich und rhetorisch aufgeblasen. Es wird meistens eine These verhandelt, die auch in einen Blogpost gepasst hätte. Der Rest ist Redundanz und die Anhäufung von Anekdoten und Referenzen zur Untermauerung der These. Das Buch verdankt seinen Umfang meinst eher der Form (Wer würde schon ein Buch mit unter 100 Seiten kaufen?), nicht der inhaltlichen Notwendigkeit.

Das sieht man auch daran, dass das E-Book auch als Form neue Wege geht. Die E-Books, die nicht mehr über einen Verlag erstellt und vertrieben werden, sondern beispielsweise von Amazon, pendeln sich auf eine durchschnittliche Länge von 60 – 80 Seiten ein. Nicht ganz ein halbes Buch, aber doch deutlich länger als ein Hintergrundartikel in einer Zeitung. Das Internet kennt keine Platz- oder Druckökonomischen Notwendigkeiten. Hier sind alle Format- und Preisstrukturen denkbar.

Klar, hat sich auch meine Aufmerksamkeitsspanne verringert. Aber vor allem meine Geduld. Ich bin kritischer geworden, in welche Texte ich meine Zeit investiere. Die Parameter Gedruckt/Online, sowie Verlagsnamen taugen aber schon lange nicht mehr als Qualitätkriterien. Das Angebot zu lesender Texte ist viel reichhaltiger geworden, denn ich habe mich längst daran gewöhnt, auch englischsprachige Texte zu lesen. Die Hälfte meines Lesekonsums ist auf englisch und es wäre ein absurder Gedanke für mich, bei einem frisch erschienen Sachbuch auf die deutsche Übersetzung zu warten.

Öffentlichkeit

In meiner Tätigkeit als freier Publizist kommt es auch vor, dass ich angefragt werde, Texte für Zeitungen und Magazine im Print zu schreiben. Dafür gibt es dann immer vergleichsweise viel Geld und deswegen mache ich das durchaus gerne. Das Problem ist aber, dass ich, sobald der Text endlich erschienen ist (das dauert im Print ja auch immer …) nicht das Gefühl habe, dass er wirklich veröffentlicht ist.

Mein Begriff von Öffentlichkeit hat sich verändert. Öffentlich ist, was einen Link hat. Ein Text ist öffentlich, wenn jeder, der ihn gut findet, darauf hinweisen kann und jeder, der ihn schlecht findet ihn kommentieren und kritisieren kann. Öffentlich ist, was man vernetzen kann, mit dem eigenen mentalen Exoskelett, mit anderen Diskurse, mit den Diskursen des Anderen. Rein Gedrucktes ist immer nur das Privatvergügen einer eng abgrenzbaren Gruppe. Ich lege deswegen schon länger Wert darauf, dass meine Texte entweder auf den Webseiten der Magazine selbst veröffentlicht werden, oder mache es selbst.

Selbst wenn ich „nur gedrucktes“ lese, fühle ich mich bereits eingeengt, im Wissen, dass ich das Gelesene nicht öffentlich teilen und kommentieren kann. Ein unangenehmes Gefühl, dass mir allein dadurch die Freude am Text verleidet. Das Bewusstsein, Wissen jederzeit referenzieren zu können, wertet dieses Wissen auf.

Bücher zu Wissensgeflechten

Ich habe mal getwittert:

Ich bin heute anders informiert. Aktueller, punktueller, umfassender und genau so tief, wie ich es zulasse. Ich kann mich eigentlich nicht beklagen und würde das Heute ungern gegen das Gestern eintauschen. Als Teil der beschriebenen Achsengeneration sehe ich es aber auch als meine Aufgabe, hier eine Forderung zu formulieren:

Ich weiß um die intellektuellen Schätze, die in den Büchern gespeichert liegen, denn ich hatte eine Phase, in der ich einen Einblick erlangen konnte. Es ist hinderlich für mich und meine Generation, dass wir dieses Wissen nicht in die Wissensgeflechte einbinden können. Der Umgang mit gedruckten Wissen erfordert aus unserer Sicht einen Overhead an unnützen Transaktionskosten – und auch tatsächlichen Kosten. Wir wollen dieses Wissen aber, wir brauchen dieses Wissen.

Ich bin der Überzeugung, dass das Wissen, dass heute in den Büchern schlummert im Netz zu neuem Leben erwachen würde. Es steht der kommenden Generation zu und sie will es in den Infrastrukturen abrufen können, die sie für besser hält. Es muss digital sein und für alle zugänglich. Das kostet nicht allzuviel. Google hat das eine Zeitlang so nebenher gemacht: Bücher digitalisiert. Aber die Verlage liefen Sturm, das Projekt stockt, vor allem was deutschsprachige Bücher angeht. Auch das Gutenbergprojekt, dass gemeinfreie Texte zugänglich macht ist ein wichtiger und lobenswerter Schritt. Aber wir brauchen auch die Literatur der letzten 100 Jahre und die ist größtenteils noch mit dem Fluch des Urheberrechts belegt. Hier braucht es dringend eine Reform, denn es wäre schade, wenn die vielfältigen ineinander greifenden Gewebe von mentalen Exoskeletten, die wir langsam anfangen als „Wissensgesellschaft“ zu erkennen, einen blinden Fleck entwickeln, der den kommenden Generationen dieses reichhaltige Potential vorenthält.

Danke.

so dies und jenes

In letzter Zeit passiert nicht so viel bei mir, deswegen sind die „Was ich alles so gemacht habe“-Posts weniger geworden. Ich hoffe, das ändert sich bald. Aber für einen Post hier hat es die letzten Wochen dann doch gereicht:

1. Vor einigen Wochen habe ich eine sehr lange Rezension zu dem neuen Buch von Frank Schirrmacher Ego geschrieben. Obwohl ich darin sehr viel Arbeit investiert habe, habe ich die Rezension extra nicht für ein bestimmtes Medium, sondern mit Absicht für den ctrl-verlust verfasst, einfach um sehr ausführlich und sehr frei schreiben zu können. Wer sie noch nicht gelesen hat, sei sie hier empfohlen.

2. Vor noch viel längerer Zeit (letzten September) habe ich für das Magazin Max Jospeh einen Text über Übersetzung geschrieben. Die Vorgabe war, irgendwas mit Übersetzung/Vielstimmigkeit und Twitter zu schreiben. Meiner Meinung nach treffen sich diese beiden Phänomene im Mem, hier speziell im Twittermem. Also habe ich versucht, den guten alten Walter Benjamin für das Thema urbar zu machen. Für mich darüber hinaus auch eine Gelegenheit mal wieder einen Text auf twitkrit zu platzieren.

3. Vor ein paar Wochen hat mich Alexa Schaegner von politik-digital für ein Portrait interviewt. Das ist jetzt erschienen und ist sehr schmeichelhaft gut geworden. Seitdem spricht mich jeder an: „Du bist in Wolfsburg geboren? Wusste ich ja gar nicht!“. Doch, bin ich. So steht es auf meinem Perso. Aber seit meiner Geburt war ich nie wieder in Wolfsburg und kenne auch nur die Aussicht auf das VW-Werk aus dem ICE-Fenster.

4. Zuletzt eine Ankündigung. Am 12. April ab 14:00 findet die Veranstaltung „Kulturen des Lesens“ statt. Die Veranstaltung ist im LCB am Wannsee und es wird darum gehen, wie das Lesen sich für Autoren und Wissenschaftler verändert hat. Ich werde dort auch einen 20minütigen Vortrag über die Genese meines eigenen Leseverhaltens halten und danach mit dem Schriftsteller Thomas Hettche sprechen. Eintritt ist frei.

rp13: Why we fight (each other)

Passend zum aktuellen WMR verblogge ich mal meinen abgelehnten re:publica 13 Talk. Einerseits, weil es eine Blogparade dazu gibt, andererseits, weil morgen wieder Sonntag ist und ich sonst 5 Euro in den Ironbloggertopf werfen müsste:

Why we fight (each other)

Insbesondere seit letztem Jahr fällt auf: Aus den Shitstorms gegen Nestlé, Zensursula oder Jack Wolfskin ist endgültig ein dauerwährender Shitstorm der Internetszene gegen sich selbst geworden. Egal ob FeministInnen, PiratInnen, FlauschistInnen oder KlotürlobbyisInnen und auch ganz egal wie gering der Anlass ist: ein einziges Gezanke, Gezeter und Gepöbel durchzieht das Netz.

Doch woran liegt das? Ist es, weil das Netz kein Außerhalb mehr kennt? Ist es die Kommunikationsstruktur auf Twitter? Oder ist es vielleicht ein viel tieferliegender, grundsätzlicher Bruch, der sich durch das Internet und dessen exzessive Nutzung ereignet hat? Strebt die Gesellschaft nun ihrem Hitzetod durch Reibungswärme entgegen?

Ich habe im Laufe des letzten Jahres einige Theorien dazu gehört und mir auch ein paar eigene Gedanken dazu gemacht, die ich gerne vorstellen würde. Als Bonus gibt es noch einige Ideen und Strategien, wie man den Konfliktallbrand zumindest eingrenzen kann.

Ich habe vergessen wo vorn ist

Es ist irgendwie lustig, dass die vor kurzem aufflammende Diskussion um „Zensur“ auf Facebook (zb. Herr Urbach, Antje Schrupp), auf eine gewisse Art zurückschlägt. Und zwar in der Folgedebatte um das Leistungsschutzrechtsdebakel.

Sascha Lobo hat nämlich recht. Wir – also die aktiven Gegner des Leistungsschutzrechtes – sahen ziemlich scheiße aus. Wir schäumten und schrieben und tobten – doch schon einen Meter weiter war das nur noch als leises Zischen zu hören, wie eine Brausetablette im Wasserglas.

Dabei sprangen wir Anfang 2012 doch noch so formvollendet mit Hunderttausenden über den ACTA-Hai! Wir stoppten ein ausgewachsenes internationales fucking Handelsabkommen!

Blöderweise waren das aber gar nicht wir. Das waren die Kids, die Youtubegeneration. Wir – die netzpolitisch Dauerbewegten – waren da eher eine Randerscheinung. Klar, die „Digitale Gesellschaft“ ein Bündnis aus Piraten, Anons, Digiges und Hedonisten hat das ganze organisatorisch gewuppt. Aber mobilisiert haben andere.

Sascha beklagt, dass es in Sachen Leistungsschutzrecht nicht gelungen sei, diese jungen Leute abzuholen. Es gibt keine Vernetzung zu den Videobloggern, deren Reichweite alles in den Schatten stellt, was in Blogs und auf Twitter so zu finden ist. Insgesamt ist es nicht gelungen das Problem mit dem Leistungsschutzrecht meiner Mutter, meinem Vater – niemandem außerhalb unserer kleinen Filterbubble verständlich zu machen.

Während der ACTA-Proteste habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe einen Artikel geschrieben über ACTA, der sich nicht an „uns“ richtet, sondern an alle anderen. Ich stellte den Text auf Facebook und verbloggte ihn hier und er fand rasenden Absatz zusammen fast 2000 Likes und 500 Tweets vereinte er auf sich, wurde massenhaft kopiert und sogar auf Flugblätter gedruckt.

Ich würde heute sagen, dass das Experiment ein Erfolg war, obwohl da sicher noch viel mehr gegangen wäre. Wenigstens gelang es mal einen Text außerhalb unserer Filterblase zu platzieren. Das ist selten. Aber auf Facebook gibt es Pages mit vielen Millionen Abonnenten, auch in deutscher Sprache. Youtube, Facebook, Tumbler. Ob wir es wollen oder nicht: Dort findet die Öffentlichkeit statt. Wenn man unsere größten Blogs – Netzpolitik, Fefe, Hastenichtgesehen – daneben stellt, befindet sich unsere Relevanz im gerade noch messbaren Bereich. Wenn Spiegel Online mal gerade nicht über uns berichtet, sind wir Scheinriesen, deren Wirken praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

Die digitale Welt dreht sich schnell und während wir diese Aussage immer dann für eine Binse halten, wenn wir sie auf die „die Anderen (TM)“ anwenden (Verlage und Kulturindustrie), merken wir nicht, wie wir selbst den Schuss nicht gehört haben. Wir predigen Blogs auf selbstgehosteten Webspaces laufen zu lassen, weil das eine gute Idee war, als wir 2005 das Netz für uns entdeckten. Wir merken gar nicht, wie wir Christoph Keese immer ähnlicher werden, wenn wir voller Entrüstung einen Bestandsschutz für den Google Reader fordern, als ob die Zukunft der Demokratie daran hinge.

Es wird Zeit, dass wir mal unsere eigene Narrativ-Mottenkiste entrümpeln. Und dazu gehört nun mal auch, Technologien zum Abschuss frei zu geben, die sich nicht durchgesetzt haben. Der Schritt zurück war noch nie einer in die Zukunft und ich sehe nicht, warum sich das ausgerechnet im Web geändert haben sollte.

Und dazu gehört auch Twitter. Auch wenn wir die ersten dort waren und dort immer noch eine gemütliche Nische bewohnen, ist Twitter nicht das, was wir glauben, was es ist. Twitter ist keine Brüllstube für Piraten oder Diskussionsplattform für Nerdbesserwissereien. Auf Twitter werden auch keine Links geshared oder News konsumiert. Auf Twitter ist man entweder Rockstar oder Fan. Die einen sagen „pups“ die anderen schreien virtuell die Bude voll. Das ist Twitter und alles andere – also wir – sind dort kaum wahrnehmbare Randphänomene. Wen interessieren da bitte fucking API-Zugriffsbeschränkungen?

„Netzgemeinde“ ist auch deswegen der richtige Begriff für uns, weil es das provinzielle und selbstbezogene dieser unserer Filterblase zum Ausdruck bringt. Wir sind ein kleines, verschlafenes Bergdorf, das nicht mal mitbekommen hat, dass die Dampfmaschine längst erfunden wurde.

Having rant that …

langweilt mich jeder, der in die „Zurück zur eigenen Infrastruktur“-Tröte pustet genau so, wie die Leute, die behaupten, dass die Facebook-Zensur keine solche sei, weil dafür irgendwo das Wort „Staat“ vorkommen muss. Facebook ist die derzeit wichtigste digitale Öffentlichkeit und deswegen ist es eben doch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, wenn Facebook bestimmen darf, was gesagt werden darf und was nicht.

Was tun? Ich sehe 4 Alternativen, mit diesem Zustand umzugehen:

1. Man glaubt weiterhin, dass sich Blogs/RSS/Atom dereinst durchsetzen werden. Man wirbt dafür, dass die Leute sich eigenen Webspace mieten, um mit ihrer WordPress-Installation ihre Inhalte selber zu kontrollieren.

Einwand: Ja nee, is klar. (siehe oben)

2. Man ignoriert die Menschenmassen auf Facebook und anderen geschlossenen Diensten und ist sich einfach selbst genug. „Wenn die anderen zu doof sind, das freie Web zu schätzen, ist das ja nicht mein Problem!“

Einwand: Verbitterung als verschrobene Tech-Elite und das Versinken in der politischen Bedeutungslosigkeit sind quasi vorprogrammiert. (Auch „Fefeisierung“ genannt.)

3. Man gibt den Kampf auf, kündigt seinen Webspace und bloggt einfach auf Facebook weiter. Freies Web, schmeies Schweb. War vielleicht doch alles ne doofe Utopie, die keiner braucht?

Einwand: Die Machtkonzentration der Konzerne über die öffentliche Meinungsbildung könnte schon bald unangenehme Ausmaße annehmen.

4. Man kämpft auf Facebook für Plattformneutralität. Wenn Facebook eine nicht offene, aber extrem populäre Inftrastruktur ist, dann machen wir sie eben zur offenen, populären Infrastruktur. Wir lobbyieren bei Facebook für die Öffnung der Plattform für Standards, etc. und kämpfen für Meinungsfreiheit und demokratische Prozesse.

Einwand: Hat ja schon bei Twitter und Google so super geklappt. NOT!

Fazit

Ganz ehrlich, ich bin derzeit etwas ratlos. Mir gefällt keine der aufgezeigten Alternativen. Ich würde gerne vorankommen, aber ich weiß nicht mehr wo das ist. Ich will nicht der schimpfende Alte sein, der seine Tech-Vision von vor 8 Jahren verteidigt. Ich will aber auch nicht der sein, der den Gedanken an das freie Web aufgibt. Ich würde auch kämpfen, aber wenn, dann nur nach vorn. Aber wo ist vorn? App.net? Ich weiß ja nicht.