Für die Freiheit haben wir demonstriert, gestern. So hieß es jedenfalls. Obwohl man eigentlich einen anderen Eindruck bei den Auftaktrednern bekam. Da ging es darum, nicht mehr „US-Vasallen“ zu sein, nicht der „Vorgarten der Amerikaner“ in dem sie tun dürfen, was sie wollen. Dass „amerikanische Konzerne unsere Daten verkaufen“ und dass es ja nun auch gut sei mit der Bevormundung, denn wir haben Deutschland ja jetzt erfolgreich „entnazifiziert“. Es werde Zeit, dass „wir“ den Amis auf „Augenhöhe“ begegneten und dass „Wir“ unsere „Bürgerrechte“ verteidigen müssen. Überhaupt fiel das Wort „Bürger“ sehr häufig. Gleich zu Anfang wurde der Polizei zugerufen, dass „wir“ eine friedliche Demo seien, in der sich „die Mitte der Gesellschaft“ für die Freiheit engagiere und wir deswegen ja auf der „selben Seite“ kämpften, denn es gelte: „Sicherheit durch Freiheit“. Ah ja. Und als wir mit dem Demozug wieder angekommen waren, platzte Padeluun vor Stolz, um verkünden zu dürfen, dass „die Polizei uns gelobt“ habe, weil wir so friedlich seien. Ich wollte auf der Stelle im Boden versinken vor … ich wünschte, ich könnte an dieser Stelle „Fremdscham“ schreiben, aber er sprach ja auch für mich.
Der Kuschelkurs hat sich für die FSA gelohnt, denn nach „Absprachen mit dem Veranstalter“ verzichtete die Polizei großzügig darauf, eigene Teilnehmerzahlen zu veröffentlichen (NACHTRAG: „anfangs“ (laut Ole Reismann 15:00) sprach sie wohl noch von 4800), so dass Padeluun die für jeden Anwesenden klar pathologisch übertriebene Zahl von 20.000 Teilnehmern unwidersprochen verkünden durfte. Ich kann gar nicht sagen, wie mich diese Mischung aus schlichtem Bullshit, kaum verdecktem Nationalismus und Antiamerikanismus und der Unehrlichkeit, Anbiederei und Kungelei mit der Polizei ankotzt. Und doch unterstreicht es nur das Unwohlsein, dass ich während der gesamten Demonstration spürte.
Es war meine 5. FSA. Ich war auf allen seit 2008. Auf keiner habe ich mich so fremd gefühlt. Da waren die Schilder, die die NSA Affaire mit Nazideutschland gleichsetzen. Da waren Leute, die für Männerrechte kämpften. Klar, die Datenkrate der Digitalcourage, die immer noch nicht verstanden hat, was struktureller Antisemitismus ist, durfte nicht fehlen. Da waren die Rufe „Wir sind das Volk“ – überhaupt war neben „Freiheit“ und „Bürger“ „Volk“ das drittbeliebteste Wort der Demo. Natürlich gab es auch normale Leute, natürlich waren da viele Freunde und Bekannte und natürlich war es wieder ein Klassentreffen. Aber die bekannten Gesichter schauten mich mit ebenso müden Augen an, lästerten mit der selben Genervtheit über das, was sie umgab. Die FSA war kein Aufbruch, es war eine Pflichtübung.
Und ich kam ins Grübeln. „Für die Freiheit des Individuums sich zu entfalten“ hörte ich aus einem Boxenwagen und dachte an die letzten Wochen. Ich dachte an ochdomino und dem fast erfolgreichen Versuch eines Maskulinisten mithilfe des anonymen Internets den Feminismus zu diskreditieren. Ich dachte an all die Hasskommentare und -Mentions, die ich sehen musste, immer wenn sich Frauen zu kontroversen Themen zu Wort meldeten oder über sexuelle Übergriffe berichteten. Ich dachte an all die Tränen und Zusammenbrüche, immer dann, wenn eine Frau mal in wieder in einem Sturm aus Maskuscheiße unterging. Ich dachte an den letzten Post von Frau Dingens und ich fragte mich, wie die NSA es schafft, die „persönliche Freiheit“ von Frauen zu beeinträchtigen, die sowas hinter sich haben. Ich fragte mich, für wessen Freiheit ich hier eigentlich demonstriere.
Ich bin noch nicht fertig mit dem Fragen. Ich weiß nur, dass ich mich in der „Netzgemeinde“ nicht mehr wohl fühle.