Eine kleine Beobachtung der sich wandelnden Medienwelt. Vor allem auf Twitter scheint sich ein neuer Typus von … Informationsknoten (ich sag jetzt mal absichtlich nicht „Journalist/in“) zu etablieren, den ich sehr interessant finde.
In der globalisierten und gleichzeitig durch das Internet mediatisierten Welt erscheinen uns Ereignisse immer näher (siehe dazu Lobo auf SpON). Immer wieder werden uns durch Retweets und Verlinkungen Liveberichte von aktuellen Ereignissen in die Timelines gespült. Das kann man schlimm und bedenklich finden, aber es gibt nun mal einen Drang (auch ich spüre ihn), bei solchen Ereignissen möglichst nahe dran zu sein, möglichst alles in Echtzeit zu erfahren und einen möglichst unverstellten, aber subjektiv anschlussfähigen Blick darauf zu gewinnen. Die Situation, dass Leute, die zufällig (oder auch nichtzufällig) vor Ort sind und davon als „Bürgerjournalisten“ live berichten, wurde bereits lang und breit diskutiert, das erste Mal 2009, als ein Passant die Notlandung des Fluges AWE1549 auf dem Hudson River auf Twitter dokumentierte.
Die Figur, über die ich reden möchte, ist allerdings viel konsistenter und genau deswegen beobachte ich eine zunehmende Institutionalisierung, ohne, dass sie bisher so richtig thematisiert wurde. Ich nenne diese neue Figur den oder die Social Media Korrespondent/in.
Der/die Social Media Korrespondent/in muss nicht vor Ort sein (ist es meist auch nicht), sondern selektiert, übersetzt und kommentiert quasi in Echtzeit Berichte, Meinungen und Äußerungen die von vor Ort kommen, in eine Zielsprache (z.B. Deutsch), und versetzt somit seine/ihre Follower/innen in den Informationsstand eines gut informierten Native-Speakers der Ausgangssprache.
Im Gegensatz zum vor Ort Berichtenden, muss diese neue Figur neben den eigenen Social Media Kanälen nur ein paar Eigenschaften mitbringen:
- Er oder sie muss die Landessprache des Ereignisbetroffenen Landes genau so perfekt beherrschen, wie die seines publizistischen Wirkens.
- Er oder sie muss in den landes- und sprach-typischen Netzwerken des Ereignislandes inkludiert sein, den wichtigen Medien folgen und den wichtigen Hubs. Muss also schlicht gut informiert sein.
- Er oder sie muss sich sehr gut auskennen in dem Ereignisland; muss das politische System kennen, die wichtigen Personen, Details über gesellschaftliche Verhältnisse und die Kultur kennen.
- Er oder sie muss darüber hinaus journalistische Eigenschaften mitbringen. Einen kritischen Blick für Quellen, eine gewisse Haltung gehört aber auch dazu.
- Idealer weise ist die Person außerdem noch Expert/in für den hintergründigen Konflikt oder sonstigen Kontext des betreffenden Ereignisses.
Der/die Social Media Korrespondent/in fungiert als direkter Link zwischen den Sprachbarrieren und Kulturen, die sich heute vor allem in Social Media Bubbles ausdrücken. Sein/ihr Korrespondentendasein ist somit kein geographisches, sondern ein kulturelles. Der/die Social Media Korrespondent/in ist nicht einfach Übersetzer/in, noch Journalist/in (zumindest gibt es meist keine institutionelle Anbindung), sondern irgendwas dazwischen. Eigentlich ist er/sie eine normale Social Media Nutzer/in, was seine/ihre Motivation angeht. Es geht ihm/ihr in erster Linie darum, sich selbst zu informieren, sich eine Übersicht zu verschaffen und dabei das gelernte weiterzuverbreiten – allerdings eben in eine andere kulturelle Sphäre. Heraus kommt die selbstmotivierte Selektion, Übersetzung, sowie Einordnung und Kommentierung des Geschehens, die im besten Fall schneller, umfassend informierter und subjektiv anschlussfähiger ist, als alle Newsticker der klassischen Medienangebote zusammen.
Das erste Mal fiel es mir beim arabischen Frühling auf, als ich einigen englischsprachigen, arabischen Accounts folgte, weil sie vor Ort waren. Ich merkte, dass sie aber auch dann wertvolle Quellen sind, wenn sie gerade nicht vor Ort waren, einfach weil sie immer mit denen vor Ort im Kontakt standen, gut vernetzt waren und eben die Sprache beherrschten und so beständig Ereignisse übersetzten.
Als letztes Jahr der schreckliche Anschlag in Paris stattfand, fing ich auf vielfache Empfehlungen an, @fighti alias Nicolas Martin an zu folgen, der seither für viele Ereignisse aus Frankreich mein direkter Draht in den französischsprachigen Raum ist. Er sitzt laut seiner Twitterbio eigentlich in Barmbek, Hamburg, was der Qualität seiner Berichterstattung aber keinen Abbruch tut.
Seit dem Putsch in der Türkei folge ich außerdem @Ismail_Kupeli, also Ismail Küpeli, der sich neben seinem Engagement für Flüchtige vor allem der Aufgabe verschrieben hat, den türkischsprachigen Diskurs rund um den Putsch und Gegenputsch darzustellen und kritisch zu begleiten.
Ein anderer, vielleicht etwas aus dieser Reihe fallender Social Media Korrespondent ist Martin Gommel (@martingommel). Als freier Fotograf ist er viel Unterwegs auf den Flüchtlingsrouten und beim LaGeSo in Berlin und berichtet per Blog, Twitter manchmal per Podcast direkt und detailliert über die Flüchtlings-Situation. Er ist somit viel mehr ein klassischer Korrespondent, allerdings auf ein Thema festgelegt und ohne die institutionelle Anbindung.
Diese Menschen haben dafür gesorgt, dass ich Ereignisse in anderen Teilen der Welt plastischer, empathischer und verständiger Verfolge, als ich es mittels der klassischen Medien könnte. Und dafür bin ich dankbar.
Man kann sich natürlich fragen (und viele tun das), ob dieses Einlassen auf die Welt, wie es Social Media erlaubt, wünschenswert ist, ob es überhaupt gesund ist und ich habe ehrlich keine Antwort darauf. Ich gebe zu, dass mich diese Nähe auch manchmal überfordert und emotional belastet. Aber ich kann und will mir keine Welt mehr vorstellen, in der ich diese Eingebettetheit missen muss.
Natürlich bleibt eine Menge kritisch zu reflektieren. Wem folge ich da, wessen Weltsicht mache ich mir da zu eigen, welche Teile der Welt bleiben in meiner Timeline unterbelichtet und ist das überhaupt gerecht? Das sind keine Fragen, zu denen man eine Lösung finden kann, aber welche, deren man sich bewusst sein muss. Medienkompetenz ist kein Streichelzoo.
Als letztes: aufgrund der mangelnden institutionellen Anbindung dieser neuen Form der Berichterstattung haben die Social Media Korrespondent/innen meist Probleme, ihr Tun zu finanzieren. Bei Ismail Küpeli und Martin Gommel ist das zumindest so. Also neben der unbedingten Folgeempfehlung seht den Text auch als Aufruf, diese Menschen finanziell zu unterstützen.