Gerade wird die Frage heiß diskutiert, ob uns jetzt tatsächlich die Welt um die Ohren fliegt oder ob wir einer psychomedialen Täuschung unterliegen; dass wir uns also nur alle gegenseitig per Twitter und Facebook verrückt machen und die Welt eigentlich gar nicht so schlimm kaputt ist, wie es scheint. Zu der letzteren Position gingen jetzt einige lesenswerte Texte herum. Ich will hier vor allem auf den von Jonas Schaible auf Carta hinweisen, weil er sehr faktenschwer einen fundierten Überblick zu dieser Position liefert.
Denn tatsächlich: alle Daten deuten darauf hin, dass zwar nicht alles gut ist, dass es durchaus einige besorgniserregende Ereignisse und Trends gibt, diese aber harmlos wirken, wenn wir sie mit den Daten von vor 10 oder gar 20 Jahren vergleichen. Bekannter Maßen hat die Welt sowohl die 80er, als auch die 90er überlebt, weswegen es zumindest für das apokalyptische Geraune keine Veranlassung gebe.
So gerne ich mich dieser Analyse anschließen würde, muss ich mich doch outen als jemand, der der ersten, der apokalyptischen Lesart angehört. Die Zahlen überzeugen mich nicht und die These der gegenseitigen Selbstaffektion per Social Media halte ich lediglich für eine moderne Form des Pfeifens im Walde. Ja, ich glaube tatsächlich, dass gerade einiges grundsätzlich ins Rutschen geraten ist, etwas, das man aber nur schwer sieht, wenn man sich auf die Zahlen versteift. Ich will meine Beunruhigung anhand der fraglichen Ereignisse einmal ausformulieren.
Türkei
Fangen wir beim Putsch in der Türkei an. Die Plötzlichkeit, die Geschwindigkeit und die Radikalität des Wandels, den er ausgelöst hat, haben uns alle erschrocken. Aber da ist noch etwas anderes. Ganz ehrlich? Wenn das selbe in Iran oder in Pakistan passiert wäre, hätte ich das sicher auch schlimm gefunden, aber im Grunde hätte ich mich schon eine Stunde später mit anderen Dingen beschäftigt. Ist es also die Nähe, die mich erschreckt? joaa … fast.
Was mich erschreckt ist, dass so etwas in einem Land möglich ist, das so tief eingebunden ist in unser westliches politisches und wirtschaftliches Gefüge. Die Türkei ist nicht teil der EU, aber fast. Die Türkei ist vielfältig eingebunden, mit privilegierten Beziehungen zur EU, mit der Nato-Mitgliedschaft und vielen bilateralen Verträgen. Es ist war trotz aller schon vorher vorhandenen Probleme in fast jeder Hinsicht ein Vorzeigeland unter islamisch geprägten Ländern. Und ich sage ganz offen, dass ich das, was gerade passiert genau deswegen nicht für möglich gehalten habe.
Warum?
Weil eine solche Verflechtung normalerweise disziplinierend wirkt. Die Türkei weiß, dass sie mit diesem radikalen Kurs alle Verbindungen zum Westen aufs Spiel setzt. Das bedeutet nicht nur politische und sicherheitspolitische, sondern vor allem auch wirtschaftliche Vorteile aufs Spiel zu setzten. Das bedeutet also bares Geld, das bedeutet Sicherheit, das bedeutet Geltung in der Welt, die hier auf dem Spiel stehen. Die Beziehungen zum Westen zu riskieren kann die Türkei wirtschaftlich und politisch locker zwanzig Jahre zurück werfen.
Warum macht Erdogan das? Ausgerechnet er, der Architekt, der vieles von dem, was die Türkei bis heute war, selbst geschaffen hat? Hat er den Verstand verloren? Ganz ehrlich; ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ein bisher wirkmächtiger Disziplinierungshebel auf einen Schlag die Wirkung verloren zu haben scheint.
Brexit
Es ist viel darüber debattiert worden, weswegen die Mehrheit der Briten für den Brexit gestimmt hat. War es mediale Desinformation? War es Xenophobie? Waren die dummen alten Schuld, oder die faulen Jungen? War es der Hass auf die Eliten oder war es doch die zu neoliberale EU? Wir wissen es bis heute nicht. Wir wissen aber, dass die Briten gegen ihre eigenen Interessen abgestimmt haben. Es findet sich kein ernstzunehmender Ökonom oder Ökonomin, der oder die nicht den wirtschaftlichen Schaden, den sich Groß Britannien durch diese Entscheidung selbst und ohne Not zugefügt hat, in die hunderte Milliarden berechnet. Und den Briten scheint das egal zu sein. Cameron hatte gedacht, alleine mit dem wirtschaftlichen Argument (also der Wahrheit) Remain gewinnen zu können. Leichtes Spiel, dachte er sich wohl, die Leute werden doch nicht gegen ihren eigenen Geldbeutel stimmen. Das Gegenteil war der fall. Gerade auf dem Land, wo ein Großteil der Bevölkerung fast ausschließlich von EU-Subventionen lebt, war man am entschiedensten für den Brexit. Ich verstehe es nicht und bin ganz ehrlich immer noch fassungslos.
Das liegt daran, dass ich bisher der Auffassung war, dass der wirtschaftlicher Eigennutz disziplinierend auf Menschen wirkt. Wer kennt das nicht? Manchmal will man alles in die Ecke feuern. Aber der Gedanke daran, was eine radikale Tat hinterher für negative Auswirkungen auf einen haben kann, hilft einem, den melodramatischen Akt noch mal zu überdenken. Dieser Mechanismus hat beim Brexit einfach versagt.
Trump
Als Mitt Romney 2012 in einer kleinen Wahlkampfveranstaltung sagte, dass er sich in seiner Präsidentschaft nicht um die 47 % Wohlfahrtsempfänger kümmern wolle, sabotierte er sich jede Chance auf den Einzug ins Weiße Haus. So funktioniert amerikanische Politik. Du machst einen Fehler, er wird skandalisiert – zack, biste draußen. Das System ist unerbittlich.
War unerbittlich. Dann kam Trump. Trump tätigt seit einem halben Jahr fast jeden Tag Aussagen, die jeweils fähig wären in vergangenen Kampagnen jeden beliebigen Kandidaten aus dem Rennen zu kegeln. Wie oft sahen Medien Trump bereits als erledigt an, weil er es wagte den gesellschaftlichen Konsens zu Thema X aufzukündigen? Jedesmal lagen sie falsch. Dabei geht es nicht nur um Themen, die linke Wähler abschrecken, wie Rassismus. Nein, er kann sogar gegen alle Glaubenssätze der Konservativen trollen. Er wagte es zum Beispiel ernsthaft den angesehenen republikanischen Politiker und Kriegshelden John McCain bei seiner Ehre anzugreifen. Etwas, was unter normalen Umständen jeden konservativen Amerikaner auf die Barrikaden bringen würde. Aber da war nichts. Es hat ihm nicht mal geschadet.
Alle medialen und gesellschaftsdiskursiven Disziplinarhebel versagen bei Trump. Der Diskurs ist sprichwörtlich aus den Fugen. Trump spielt jenseits aller Regeln. Das ist es, was mir so Angst macht.
Fazit
Man könnte diese Liste fortsetzen, über versagende Hebel in der Wirtschaftspolitik bishin zu unverhinderbaren Terrorismus via Selbstradikalisierung. Wenn wir sagen, dass die Welt aus den Fugen ist, meinen wir nicht, dass sie auseinander fällt, sondern, dass die Steuerungshebel versagen. Wir erleben einen sprichwörtlichen Steuerungsverlust.
Beim Lesen von Jonas Artikel denke ich mir jemanden, der bei einer rasanten Autobahnfahrt auf den Tacho schaut und beruhigt feststellt: ja gut, erhöhte Geschwindigkeit, aber das kennen wir auch schlimmer. Aber der Tacho interessiert mich gar nicht, ich dreh durch, weil die scheiß Bremse nicht funktioniert.
(PS: Das sieht jetzt alles ziemlich düster aus und ich will das gar nicht relativieren. Ich will nur ankündigen, dass ich all das bereits seit einiger Zeit in einem größeren Framework durchdenke. Grob gesprochen geht es um das Versagen der Institutionen, wie ich es im dritten Kapitel meines Buches (leider unzureichend präzise) beschreibe und damit einhergehend mit einem Versagen der Disziplinargesellschaft (Foucault). In meinem anderen Blog hatte ich dem Ganzen die etwas pathetisch klingende Kategorie „Weltkontrollverlust“ zugeteilt. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass dieses Versagen nur mit neuen Institutionen beantwortet werden kann. Die aber können wir erst designen, wenn wir erstens verstanden haben weswegen unsere Steuerungshebel versagen und zweitens erst dann bauen, wenn das Chaos überstanden ist.)
Das Problem ist, dass die gängigen Kontrollmechanismen der Achtziger und Neunziger nicht mehr funktionieren. Ich denke, das hast Du mit den Beispielen klar rausgearbeitet. aber ich denke, sowohl die Türkei, als auch Trump als auch UK zeigt nicht etwa, dass die Bremsen versagen sondern lassen eine andere Strategie – die allerdings auch nicht funktioniert – erkennen: Nämlich den Einsatz der Handbremse. Der Glaube, die Situation sei nicht mehr zu steuern (zu kompliziert, zu viele widerstreitenden Interessen, zu viel Machtvakuum, zu wenig Vertrauen, …), lässt Erdogan in der Türkei, die Menschen in UK und die Menschen in den USA nach dem schnellstmöglichen Instrument suchen, die man greift, wenn man Panik bekommt: Eben die Handbremse. Wenn also irgendwas „Schuld“ ist und wo man vielleicht ansetzen muss ist, welche Mechanismen bei den Leuten die Panik verursacht, die sie glauben lässt, dass es nur noch dieses Mittel gibt. Und dann dort aufklären, Nachbessern, intervenieren, einregeln. Aber so lange zB in dem Moment, in dem ich bei einem SPD-Genossen anmerke, dass zb Hartz4 erwiesenermaßen reformbedürftig ist, weil das momentane System die Menschen kranker, paranoider, wütender und hoffnungsloser macht als nötig (und ich gehe mal davon aus, dass die SPD diese Effekte nicht beabsichtigte), nur die Antwort kommt, das seien ja nur „dümmliche Reflexe“, wird sich nicht viel tun. Das ist aber nicht apokalyptisch, sondern ein konservativer Backlash. Auch der wird in 10 Jahren eine interessante Statistik abgeben. Denn auch da hast Du Recht: Wenn man in der Scheiße sitzt nutzt der Hinweis, dass man vor 20, 30 oder 40 Jahren in anderer Scheiße saß, wenig.
Mein Vorschlag ist auch sicher nicht perfekt und eventuell auch ein bisschen ein „ältere Leute“-Ding, aber den hab ich zufällig gestern abend aufgeschrieben und als ich ihn veröffentlicht hab, war ich ziemlich überrascht, dass er plötzlich so aktuell war, denn da war München in vollem Gang.
Dass Erdogan Panik bekommen habe, ist eine valide These. Aber die Briten bei brexit? Nein, da war kein Handlungsdruck. Auch die Amerikaner können sich von objektiven Daten her eigentlich nicht beschweren. Obama hat das Land wieder einigermaßen hergestellt und es geht weiter bergauf. Es gibt keinen Kontrollverlust, der nach der Handbremse greifen lässt, außer dem, den die Leute durch Trump ohne Not herstellen.
Deswegen denke ich, dass es nicht so einfach ist. Es reicht nicht, die Bremse auszutauschen, denn die ist gar nicht kaputt. Dass sie nicht funktioniert, liegt am Glatteis – also der Umwelt, die sich radikal gewandelt hat. Das Auto ist hinüber, wir müssen eine Schneeraupe bauen.
Ich seh das ja alles gar nicht so.
Gerade die drei hier beschriebenen Ereignisse find ich nun wirklich nicht… Vielleicht am ehesten noch die Türkei, ja, aber die war doch auch schon immer bekloppt.
So ungern mir „asking for it“ als Argumentation über die Zunge geht, finde ich beim Ausstieg Großbritanniens, dass die EU als Organisation sowas dermaßen herausfordert, dass es mir zwar leid tut für die Leute, die drunter leiden, ich die Entscheidung aber weder als überraschend, noch als insgesamt besonders entsetzlich empfand. Im Gegenteil. So im Großen und Ganzen hab ich den Verdacht, dass es diesem komischen Klub gut tun könnte, demonstriert zu bekommen, dass man ihn auch verlassen kann. Na gut. Andererseits führt sowas ja nicht unbedingt zur Einsicht, sondern manchmal auch zum tieferen Eingraben.
Und Trump? Es ist noch gar nicht so lange her, dass George Bush Präsident war, oder? Andererseits funktioniert das Argument vielleicht auch anders rum. Bei dem konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass er wirklich so doof ist, wie alle glaubten.
Das kann also duchaus auch meine Schwäche sein. Ich hatte halt nie das Gefühl, dass irgendwas in der Hinsicht besonders gut funktioniert, und neige dazu, leichte Variationen in einem bekannten Thema als Signale zu unterschätzen.
Na, wir werden ja sehen.
Was die Auswirkungen des Brexit auf die EU angeht, werden wir sehen. Mich hat eben nur das irrationale Element der Entscheidung überrascht. Und was Bush angeht: ja, der war auch bereits ziemlich schräg (und hat die Welt ja auch ordentlich ins Chaos gestürzt …), aber trotz allem war er in wesentlichen Bereichen ziemlich standard. Seine Werte mögen uns komisch vorkommen, aber er hat einfach ziemlich Gut das Denken der Republikanischen Partei repräsentiert. Und auch Bush hätte sich keinen größeren Faux Pas leisten können. Bush ging durch zwei Kontrollschleusen: die seiner Partei und die der Medien. Trump hat beide niedergewalzt. DAS ist der wesentliche Unterschied.
Als einen entscheidenden Faktor sehe ich die Verbreitung des Internets in mittlerweile fast allen Bevölkerungsschichten. Die dauerhafte Zugänglichkeit von Informationen erzeugt nicht nur mehr Wissen, sondern gefährliches Halbwissen und das Gefühl, sich zu allem immer positionieren zu müssen. Den Aufmerksamkeitskampf gewinnt man mit provokanten Positionen. Ohne die mediale Auswertung von Trumps Statements wäre er nicht da, wo er ist und er würde nicht als ernstzunehmender Politiker diskutiert werden. Das ist auch bei der AfD nicht anders, Beatrice von Storch weiß das gut zu nutzen. Eine sachliche, rationale Auseinandersetzung gibt es einfach immer seltener – stattdessen zählen spannende Headlines, weil sich die Zeitungen im Internet behaupten müssen. Jeder wird mit Informationen vom anderen Ende der Welt in Echtzeit beliefert – kein Wunder, dass man überfordert ist. Das Problem ist nicht der Kontrollverlust, sondern wie wir mit diesem Gefühl umgehen. Alle drei angesprochenen Themen sind mit dem Verhalten einer großen Menge von Menschen verknüpft. Präsidentschaftswahl, Referendem, „Verteidigung der Demokratie gegen das Militär durch das Volk“ (hier sind sowohl klassische als auch soziale Medien von großer Bedeutung gewesen). Es geht im Kern um Meinungsbildung im digitalen Zeitalter. Es geht nicht um Rationalität.
Ich frag mich ja immer, wann dieses herrliche Zeitalter war, als der politische Diskurs noch konstruktiv, sachlich und rational geführt wurde.
War das in den 90ern, unter Kohl, oder noch früher, als Homosexualität noch strafbar war und Vergewaltigung in der Ehe legal, oder wie?
ok, ich merk schon. du hast den ganzen punkt nicht verstanden. seufz
Ganz gleich, ob du jetzt rnz oder mich meinst, wäre das nicht eine glänzende Gelegenheit, es zu erklären?
Chaos ist die beste Zeit zum Loslegen!
Der Trump-Romney-Vergleich ist in der Form unzulässig, weil sich Romney ebenso wie Trump parteiintern durchgesetzt hat. Viel später hat er sich im Vergleich zum Kandidaten der anderen Partei rausgeschossen. Ob Trump das nicht auch schon gemacht hat? Schau mal auf die Umfragewerte und vergleich die mit Romney.
Ich denke, dass die Sache etwas anders ist als es dir erscheint.
Die Faktensammlung bei Carta zeigt imho vor allem eins: Politik und deren Wahrnehmung basiert mehr auf Gefühlen als auf Fakten. Prominente Beispiele sind Gove und sein „I think people in this country have had enough of experts.“ im Rahmen der Brexit-Debatte und Newt Gringrich während des RNC (Feelings are more important than facts)[1]. Insofern ist es gut wenn auf die Fakten hingewiesen wird, sollte öfter passieren.
Was deine Beispiele angeht.
Ich glaube dass Erdogan tatsächlich ein wenig den Verstand verloren hat. Andererseits scheint er einfach ein Egomane zu sein. Ich denke, die Tatsache dass die Möhre EU-Beitritt schon sehr lange vor der türkischen Nase baumelt, aber mehr als eine Möhre auch nie war, spielt da mit rein. Denn mal ehrlich: Wer in der EU wollte die Türkei denn tatsächlich beitreten lassen?
Als Erdogan das erste Mal an die Macht kam, schien er ja auch gemäßigter als jetzt. Ob das nur die Wahrnehmung war oder Tatsache, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass zumindest was die Gülenbewegung angeht auf seiner Seite was ganz Irrationales dazugekommen ist. Und wenn man sich die Posse um Böhmermann oder um das Besuchsrecht deutscher Politiker bei Bundeswehrsoldaten in der Türkei ansieht, dann war auch schon vor dem Putsch klar, dass da was gehörig schief läuft. Und offensichtlich waren die deutschen Politiker fleißig am facepalmen, denn was soll man denn bitte mit solchen Leuten machen. Dummerweise ist die Türkei halt nicht Aserbaidshan, die könnte man einfach ignorieren, die Türkei nicht.
Allerdings ist Erdogan bei weitem nicht der einzige größenwahnsinninge Staatsführer in Europanähe. Man schaue nach Ungarn. Da ist die Frage ja noch mehr zu stellen, wie dass mitten in der EU möglich ist.
Dass Menschen gegen ihre eigenen Interessen abstimmen, ist auch keine neue Erfahrung. Menschen stimmen nämlich oft aus dem Bauch heraus ab. Und wenn man jahrelang (oder jahrzehntelang) aus allen möglichen Kanälen erzählt bekommt, dass die EU ein diktatorisches Misthaufen ist, der die ganzen Ausländer ins Land lässt, dann kann man offensichtlich auch auf die Idee kommen dass der Brexit eine gute Sache ist, trotz aller negativen Folgen (wobei man die auch erst mal glauben muss, siehe „Gefühlspolitk“). Hinzu kommt, dass die Remainkampagne offensichtlich nicht verstanden hat den Populisten um Farage und Johnson was entgegenzustellen. Wenn man sich Corbyns Verhalten anschaut, muss man sich auch fragen, ob es der Labourpartei eigentlich wichtig war in der EU zu bleiben. Vor allem aber sollte man Cameron mit nassen Socken verprügeln, da er aufgrund von machtpolitischer Unfähigkeit das Land tiefer gespalten hat, als es vorher schon war. Der Brexit hat imho vor allem gezeigt, dass in GB die Kacke gesellschaftlich arg am Dampfen ist und das mit der EU wenig zu tun hat (an der wurde das nur ausgelassen). Allerdings lässt sich das schlechte Image der EU (nicht nur in GB) nicht allein auf Brüssel schieben, daran haben die nationalen Regierungen sehr großen Anteil. Es gibt halt keine Strafe, wenn man die EU bepöbelt, aber das gabs noch nie, insofern ist da auch nichts weggefallen. Die Früchte dieser Politik („die EU ist schuld wenn was Doofes beschlossen wird“) werden jetzt von Einigen geerntet. Die Antwort darauf sollte nun nicht sein, mit den Briten wie mit einem verstockten Kleinkind umzugehen, sondern Maßnahmen einzuleiten um aus der Wirtschafts-EU eine EU für die Menschen zu machen. Klare Bekenntnisse zur EU und keine Politik durch die Hintertür mehr wären ein Anfang.
(Und ich bin auch nicht davon überzeugt, dass der Brexit wirklich kommt.)
Und was Trump angeht: Der kam nicht überraschend, nur vielleicht schneller als erwartet. Die GOP hat den Wind gesäht und erntet nun Sturm (in diesem Fall einen echten Shitstorm). Das ist nicht über Nacht passiert, sondern ist Ergebnis eines langen Radikalisierungsprozesses und der Tatsache, dass Trump seit mehr als 10 Jahren eine Marke aufbauen konnte anstatt dass er als größenwahnsinniger Clown ein Leben als D-Prominent führt. Die GOP hat nicht erst seit gestern angefangen politische Selbstverständlichkeiten wie Kompromissfähigkeit aus dem Fenster zu werfen. Gepaart mit einem krassen Anti-Intellektualismus und Rassismus muss das ja fast zwangsläufig zu einem Großmaul wie Trump führen.
Außerdem: Ich glaube auch dass wir hierzulande kaum verstehen, wie die Marke Trump in den USA funktioniert. Wir haben keine vergleichbare öffentliche Person. Ich glaube auch nicht, dass so jemand in unserem Medien- und Entertainmentsystem auf die gleiche Weise funktionieren kann. Ich vertraue aber trotz allem darauf, dass Trump nicht Präsident wird. Und wenn doch: Ich glaube nicht dass Trump vorhat tatsächlich als Präsident zu arbeiten, das hat er ja schon mehr als genug deutlich gemacht.
Ich gebe die recht, dass der Umbruch im Kapitalismus seinen großen Anteil daran hat, dass bereits bestehende Differenzen jetzt verstärkt ausbrechen. Ich glaube aber nicht, dass die Disziplinarinstitutionen wegfallen, sondern dass insbesondere das Internet zeigt, dass diese Institutionen gar nicht so weitgehend akzeptiert waren wie gedacht (was letztlich der Kontrollverlust ist). Die Gatekeeper sind keine Gatekeeper mehr.
Und ich stimme dir zu, dass wir noch keine Mittel und Wege haben dem Kontrollverlust und der „Gefühlspolitik“ was entgegenzusetzen. Menschen sind leider nicht so rational wie man sie gerne hätte.
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xnhJWusyj4I
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