Ist es nicht paradox? Da haben wir all diese schönen digitalen Technologien, die kommunikative Dinge so viel einfacher machen sollen und dennoch wird es immer schwieriger, Menschen zu persönlichen Feiern einzuladen. Zumindest mir geht es so in meinem tendenziell überdurchschnittlich online-affinen Freundeskreis.
Gestern hatte ich Geburtstag (jaja, danke, danke!) und ich habe am Tag zuvor reingefeiert. Nun melden sich etliche Enttäuschte, die von den Feierlichkeiten nichts mitbekommen haben. Das wundert mich nicht, denn eingeladen hatte ich vor allem per Facebook, aber auch per Darktwitter habe noch mal auf die Veranstaltung hingewiesen. ich weiß, das ist recht wenig, ich hätte wesentlich mehr tun können, vielleicht auch müssen. Dieses Jahr war ich aber wirklich ein bisschen in Zeitnot, weil die Einladungen direkt vor meinem Urlaub rausgehen mussten.
Ein paar der Probleme, die sich aus der Situation ergeben:
- Viele haben kein Facebookkonto. Klar.
- Leute, die ein Facebookkonto haben, schauen da nicht rein. Hmpf.
- Leute, die da reinschauen, sind von den überboardenden Notifications überfordert. Tjo.
- Auf Darktwitter folgen mir noch viel weniger und Timelines werden eh nur gelegentlich durchgescrollt. Ok.
Ich wusste natürlich vorher, dass ich so nicht alle erreichen würde. Bei vergangenen Geburtstagen habe ich auch versucht, mehr Kanäle zu nutzen. Aber auch hier ergeben sich weitere Probleme.
- Viele sind nicht auf WhatsApp.
- Email und SMS scheinen die höchste Erreichbarkeit auszustrahlen. Bis man feststellt, dass man von vielen Leuten – sogar guten Freunden – überhaupt keine Nummer, oder Emailadresse hat. Oder dass sich Nummern und E-Mailadressen inzwischen geändert haben, was man nicht merkte, weil man über irgendeinen anderen Dienst miteinander kommunizierte.
- Dann verteilen sich bei mir auch noch Leute auf Dienste, die außerhalb der Techiblase niemand nutzt: Threema, Signal, Telegram oder jabber. ja, Jabber!
- Eventuell sollte ich jetzt noch via SnapChat … ach, egal.
Ich gebe es zu: mit einiger Planung, Nachdenken und dem Arbeitsaufwand von ungefähr einem Tag, wäre es möglich gewesen alle und jeden, die es interessiert mit der Einladung zu erreichen. Aber das kann doch wirklich nicht die Lösung sein. Ich glaube, da liegt ein Grundlegender, ein systematischer Fehler vor.
Das beschriebene Dilemma ist eine gute Veranschaulichung dessen, was ich in meinem Buch versucht habe in der Regel 5 auszudrücken: Du bist die (positive) Freiheit des Anderen (Seite 198). Dieses auch „positive Filtersouveränität“ genannte Konzept leitet sich direkt aus der Theorie der Netzwerkeffekte ab. Wenn jede/r zusätzliche Teilnehmer/in eines Netzwerkes den Nutzen des Netzwerkes für alle anderen Teilnehmer/innen erhöht, dann hat die Entscheidung der Teilnahme oder der Nichtteilnahme an einem Netzwerk auch eine ethische Dimension.
Ich persönlich versuche deswegen auf allen (einigermaßen relevanten) Netzwerken präsent zu sein, weil ich weiß, dass es das Leben meines Gegenübers – wer immer mit mir in Kontakt treten will – erleichtert. Ich erhöhe seine positive Freiheit. Wenn ich andersrum aber an einem Netzwerk nicht teilnehme, dann erhöhe ich für mein Gegenüber den Organisationsaufwand für das Mich-Erreichen, mit anderen Worten, dann schade ich ihm.
Diese Ethik des Nutzens von Netzwerken mag manche verwirren oder in ihren Ohren gar anstößig klingen. Vielmehr glauben Menschen, dass zum Beispiel Facebook zu boykottieren sogar ein ethischer Akt sei, während ein Facebookkonto zu haben, unethisch ist, weil man Kontrolle über seine persönlichen Daten abgibt. So hat sich die Auffassung etabliert, das Nichtnutzen von Diensten sei ein ethisches Distinktionsmerkmal so wie „bio“ kaufen. Dass sie sich und ihren Freunden schaden und jedem, der mit ihnen in Kontakt kommen will, wird schulterzuckend hingenommen, weil Individualismus, (Daten-)Souveränität und (informationelle) Selbstbestimmung als ungleich höhere Werte gelten.
Es ist ein bisschen so wie mit dem Brexit. Meine Vermutung ist, dass Leute, die für den Brexit stimmten, Wirtschaft noch als eine Art Nullsummenspiel betrachten. Ein Vorteil, den jemand anderes hat, ist automatisch mein Nachteil. Dass der gemeinsame Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln, der die EU ausmacht, allen daran Teilnehmenden Vorteile bringt, geht nicht wirklich zusammen mit einer individualistischen Logik. Genau so wie Facebook-verweigerer sind sie kognitiv in einer Ethik gefangen, in der „Take back control“ eine total gute Idee ist. (Was vielleicht auch den Unterschied zwischen alten und jungen Wähler/innen erklärt. Jüngere Menschen erfassen die Implikationen der vernetzten Welt viel eher, als ältere.)
Die vernetzte Logik zwingt dazu, aus individualistischen Deutungsmustern auszubrechen. Souveränität, Kontrolle, Selbstbestimmung, unbeschränkte persönliche Freiheit gelten seit der Aufklärung als wichtigste Pfeiler unseres Wertesystems. In der Vernetzung relativieren sich diese Werte aber. In der vernetzten Welt macht es durchaus Sinn, Kompetenzen, Kontrolle und Souveränität abzugeben und so das Leben aller Teilnehmer/innen zu vereinfachen und den Nutzen von gemeinsamer Infrastruktur durch Partizipation für alle zu erhöhen.
Ich hoffe, dass diese Zusammenhänge irgendwann besser begriffen werden und ich dann vielleicht über einen einzigen Dienst oder Netzwerk, eine Einladung an alle meine Freunde schicken kann.
Wär’ bitlbee ’ne Lösung dafür?
Das ist wirklich ein reines Problem der Online-Avantgarde, das nie im Mainstream ankommen wird. Alle „normalen“ Leute sind auf WhatsApp – Gruppenchat aufmachen, Einladung posten, fertig.
Interessanter Ansatz.
Die Schwierigkeit mancher Menschen mich zu erreichen wird tatsächlich erhöht, weil ich nicht bei FaceBook und auch kein Whatsapp nutze.
Ich halte FB-Verweigerung nun allerdings nicht für einen ethischen Akt sondern nutze weil mich die UI von FB wahnsinnig macht. Whatsapp nutze ich nicht, weil ich deren ganz-oder-gar-nicht-Policy hinsichtlich meines Telefonbuchs nicht mag (oder ist inzwischen anders?). Ich habe da tatsächlich Nummer drin, die ich nicht so einfach mit Whatsapp teilen kann.
Insofern ist eine gewisse Datensouveränität meine Triebfeder, allerdings behaupte ich mal dass mein Schaden größer ist als der anderer Menschen. Weil ich nicht FB bin, bekomme ich z.B. von vielen Veranstaltungen nichts oder nur zu spät mit. Das ist aber dann mein Problem und nicht dass der anderen, die Ankündigungen nur auf FB verkünden. Insofern finde ich mein Verhalten nicht unethisch, ich halte ja niemanden die Konsequenzen meiner Entscheidung vor.
P.S. Ich bin an meinem Geburtstag etwas erschrocken, als Google mir eine persönlichen Geburtstagsgruß anzeigte, von mir haben die meinen Geburtsdatum nämlich nicht (u.a. weil ich keinen Bock auf Geburtstagswünsche hab).
Ich persönlich erachte es als ausreichend, per standardisiertem Dienst erreichbar zu sein. Das sind Mail, SMS und Telefon. Freunde haben die Daten oder können sie sonst auf meiner Website nachschauen. Alles andere ist optional. Man kann es auch anders sehen: weshalb sollte ich mir die Mühe machen, ein Konto bei X Diensten zu haben, wenn doch Mail von überall geht? Da kann einer GMX haben oder mit Aluhut seinen eigenen Mailserver betreiben, ich bin immer erreichbar.
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Meine Güte, wer irgendwen einladen will, hat eine Liste seiner Bekannten mit Angaben, wie er sie erreicht. So wünschenswert ein einheitlicher Kanal wäre – in einer Netzgesellschaft gibt’s halt mehrere Kanäle und Plattformen.
Lieber Michael, Du bist ja wirklich „arm dran“, bedauernswert ;-). Nicht nur, dass Du Deine Zeit in allen möglichen Netzwerken verschwendest, Du redest darüber hinaus Dir (und uns) sogar noch ein, noch viel mehr nutzen zu müssen, um anderen die positive Freiheit (gibt es etwa auch schon eine negative Freiheit?!) zu geben. Wie steht es mit Deiner Freiheit?! Vielleicht solltest Du darüber einfach mal IN RUHE nachdenken… Ich nehme mir jedenfalls die Freiheit, auszutreten, wo es für mich keinen Sinn mehr macht oder ICH ethische Bedenken habe oder ICH mich in meiner Freiheit eingeschränkt fühle. Und dazu zählen VOR ALLEM all die Zeiträuber, die „Ständig-Beschäftig-Halter“. Meine Freunde erreiche ich weiterhin alle über Telefon – die Nummern pflege ich, das ist alles. Kleiner Tipp 🙂
Ja, negative Freiheit gibt es. Es ist die Abwesenheit von Zwang.