Noch was

Da ich am Samstag eingespannt bin, werde ich nicht auf diese komische Stop-Watching-Us Demo gehen. Aber ich würde es auch nicht tun, wenn ich Zeit hätte. Ich mag die Stoßrichtung, einige der Forderungen und den ganzen Ton nicht, mit dem dort operiert wird. Alleine schon bei dem Aufruf des CCC bekomme ich das Kotzen. („Landesverrat“, srsly?)

Ich wollte eh mal was über die durch Prism sich immer stärker abzeichnenden chauvinistischen Tendenzen im Datenschutzdiskurs schreiben. Zu dem schon immer vorherrschenden Paternalismus kommen zunehmend lauter werdende Forderungen nach SchlandNet und der eh kaum verhohlenen Antiamerikanismus darf sich mal so richtig Bahn brechen. All das ekelt mich an und die Stop-Watching-Us Demo scheint mir genau in diese Richtung zu gehen.

Es ist nicht Amerika, stupid! Es sind die Regierungen, ja, auch unsere. Die stecken unter einer Decke und horchen gegenseitig ihre Bevölkerungen ab. Wer das nicht begreift und sich stattdessen einen verständnisvollen Blick nach Iran und China angewöhnt, wo man sich erfolgreich gegen „die Amis“ abgeschottet habe, ist für mich nicht mehr diskutabel. Kein Fuß breit dem SchlandNet! (Danke übrigens an Harry Liebs für diese Wortschöpfung!)

Wo ich stattdessen hingehen will, ist der Spaziergang zum BND von der Digitalen Gesellschaft am Montag. Das scheint mir der richtigere Adressat der Problematik zu sein und der Aufruf kommt mir sehr viel überlegter vor. Montag 19:00 Chausseestraße / Ecke Wöhlertstraße. Kommt alle!

PS: bitte auch per Facebook anmelden und verbreiten, damit das möglichst viele Leute erreicht.

Stuff

So langsam werde ich wieder produktiv und es kommen Dinge dabei raus.

1. Auf der SIGINT habe ich ja einen Talk über die Streitkultur im Netz gehalten. Der ist nun als Video raus.

Hier hatte ich die Links gesammelt.

2. Für die taz wurden ich und einige andere gefragt, ob wir es für eine töfte Idee halten, dass sogenannte „Bürger“ nun sogenannte „Datenhygiene“ praktizieren sollen.

3. Derweil wollte ZEIT Online von mir wissen, wie man als Post-Privacyler mit der Welt seit Snowden umgeht. Und obwohl sich mein Verhalten nur wenig verändert hat, konnte ich einige Zeichen zusammenschreiben. Dazu habe ich noch ein paar weitergehende Überlegung auf ctrl-verlust verbloggt.

4. Zu meinem Geburtstag habe ich von Freunden eine 23andme-Analyse geschenkt bekommen und außerdem war @mntmn aka Lukas F. Hartmann zugegen, der mir eine krasse Story darüber erzählte. Ich überredete ihn erfolgreich, sie für ctrl-verlust aufzuschreiben. (Meine eigenen Ergebnisse habe ich noch nicht, werde aber zu gegebener Zeit natürlich berichten.) Ich habe im Zuge dessen gleich eine neue Kategorie eingeführt: „Algorithmenkritik“. Dort würde ich gerne kompetente und konkrete Algorithmenkritik sammeln. Wer also was hat, gerne her damit!

5. Ich wurde von den Medienfischen zu Prism und die Öffentlich Rechtlichen interviewt, das Video gibt es hier:

6. Ach ja, wie ich im Zeitartikel schrieb, bin ich nun zunehmend auch verschlüsselt erreichbar. Wer mir also furchtbar vertrauliche Dinge anvertrauen will, kann sowohl per PGP oder S/MIME mit mir verschlüsselt kommunizieren. Daten dazu stehen im Impressum. Freunde bekommen auf Anfrage gerne auch meine Threema-ID. 😉

Grundrechtsdissonanzen und Beobachtungsschemata

Irgendwie habe ich ein Sommer-Dejà-vue. Wisst ihr noch? Letztes Jahr um diese Zeit stritten wir uns um Beschneidung.

Die Fronten waren verhärtet und die Frage grundsätzlich. Ähnlich wie bei Prism sah man grundlegende Menschenrechte verletzt.

Und ähnlich wie bei Prism kam die Diskussion eigentlich aus dem Nichts.

Die Praxis der Beschneidung jedenfalls war keineswegs eine Neuigkeit. Jeder, der nicht den kompletten Religionsunterricht verschlafen hatte, wusste, dass Muslime und Juden ihre Kinder beschneiden lassen. Auch in Deutschland. Das geschah keinesfalls geheim, sondern völlig offen und alltäglich. Eine ethisch-gesellschaftliche Debatte zu diesen Themen gab es bis dato – jedenfalls nach meinem Kenntnisstand – nicht.

Auslöser war ein Urteil des Landgerichts Köln, gegenüber muslimischen Eltern und ihrem Arzt. Beschneidung ist rechtswidrig, wurde festgestellt, als sei es das normalste der Welt.

Und tatsächlich gibt es nichts im Gesetz, dass diese Praxis legitimieren würde. Beschneidung war also die ganze Zeit schon unrecht. Zumindest seit Anbeginn der Bundesrepublik.

Ich habe mich damals gefragt: das finden die erst 2012 heraus?

Wie kann es sein, dass also eine illegale Praxis über ein halbes Jahrhundert lang vor aller Augen geduldet wurde? Und plötzlich, als ob durch den Richterspruch auf einmal alle aus einem Fiebertraum aufwachen, merken, was sie da getan haben, sich aufregen, diskutieren, zetern.

Der Weckruf kam dieses Jahr von Eward Snowden. Wieder geht es um ein Grundrecht. Aber statt dem der „körperlichen Unversehrtheit“, diesmal um die „Informationelle Selbstbestimmung“. Wieder haben wir gewusst – nein, nicht geahnt, seit Echolon hat es jeder gewusst – dass unsere „Informationelle Selbstbestimmung“ von Geheimdiensten seit Jahrzehnten unterminiert wird.

Snowden lieferte dazu lediglich das Update. Und obwohl dieses Update sicher in seiner Monstrosität besonders ist, ändert sich nichts an der grundsätzlichen Tatsache, die allen schon vorher bekannt war: der Verletzung der Grundrechte.

Ich frage mich also was mit uns los ist. Sind wir auf bestimmten Augen blind, oder wollen wir es sein? Leben wir in einer ständigen kognitiven Dissonanz, aus der uns nur hier und da ein paar Richter und Whistleblower aufwecken können?

Viel wichtiger: Werden wir Prism einfach wieder vergessen, bis in 10 Jahren der nächste Whistleblower „Prosm“ (hihi) aufdeckt, das dann 15 Yotabyte pro Stunde wegspeichern kann?

In meinem Vortrag auf der SigInt habe ich einen Begriff einzuführen versucht, den ich „Beobachtungsschema“ genannt habe. Beobachtungsschema ist ein bisschen verwandt mit dem, was Foucault „Archiv“ und was Thomas Kuhn „Paradigma“ nennt. Bei Foucault ist das Archiv die Summe der Regeln, nach denen bestimmte Diskurse zu einer Zeit funktionieren, insbesondere das, was diese Diskurse thematisieren können und was eben nicht. Mein Konzept des „Beobachtungsschemas“ will sagen, dass es abstrakte Konzepte gibt, die erst angeeignet werden müssen, damit man bestimmte Begebenheiten sehen kann. Sie wirken wie eine Brille. Der Feminismus ist so ein Beobachtungsschema. Wenn man sich nie mit Feminismus beschäftigt hat, wird man sexistische Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft nur schwer entziffern können. Man ist einfach blind dafür. Sobald man sich das Beobachtungsschema Feminismus angeeignet hat, fällt es einem aber wie Schuppen von den Augen. Man sieht überall Ungerechtigkeiten, wo man vorher keine gesehen hat.

Vielleicht gibt es auch bei Prism und der Beschneidungsdebatte sowas ähnliches wie ein Beobachtungsschema, das, ausgelöst durch entsprechende augenöffnende Ereignisse, aus einer lange gängigen Praxis auf einmal einen Skandal macht. Und wenn es diese Beobachtungsschemata gibt und braucht, um gewisse Offensichtlichkeiten zu bewerten, welche fehlen uns dann noch? Welche werden hinzukommen?

Es kann aber auch gerade umgekehrt sein: die Beobachtungsschemata sind längst da, sie sind ja schließlich schon lange in Gesetze und Urteilssprüche codiert. Aber irgendetwas hält uns normaler Weise davon ab, deren inkonsistente Anwendung im Alltag zu sehen. Ähnlich wie bei der Freud’schen Verdrängung wollen wir bestimmte Dinge nicht sehen, weil sie unser Welterklärungsmodell in Gefahr bringen würden.

Vielleicht ist es diese klebrige identitäre Verbindung der Deutschen zu ihrem Grundgesetz. Mit Sicherheit würde eine kritische und konsistente Beobachtung der Grundrechteanwendung all die Verfassungspatrioten in eine Identitätskrise stürzen. Oder noch krasser: Vielleicht braucht ein Rechtssystem zum Funktionieren sogar eine solche Grundrechtsdissonanz?

Viele Fragen, man weiß es nicht. Mal den nächsten Sommer abwarten.

Gamechanger Hilflosigkeit

BEI DER LEKTÜRE EINES SPÄTGRIECHISCHEN DICHTERS

In den Tagen, als ihr Fall gewiß war
Auf den Mauern begann schon die Totenklage
Richteten die Troer Stückchen grade, Stückchen
In den dreifachen Holztoren, Stückchen.
Und begannen Mut zu haben und gute Hoffnung

Bert Brecht

Lange wurde behauptet, dass sich durch Prism und Tempora, durch all die Enthüllungen von Snowden nichts ändern würde. Ich selbst gehörte zu der Fraktion der Immerschon-Bescheidwisser. Und im Grunde ist es ja auch wahr. Es war mehr als nur eine Ahnung, dass die Geheimdienste alles abschnorcheln. Und doch ändert sich jetzt alles.

Die Snowdenleaks sind ein Gamechanger. Wir merken, dass wir gerade in ein neues Spiel eintreten, wir merken es an uns selbst, aneinander. Wir, das sind so ziemlich alle, die sich seit langem mit Überwachung, Datenschutz und Privatsphäre beschäftigen. Wir sind nachdenklicher geworden, die Debatten werden weniger hart geführt, keiner traut sich und seinem bisherigen Standpunkt noch unumstößlich über den Weg. Es wird viel diskutiert, alles wird diskutiert, auch das, was bislang als indiskutabel galt.

Geheimdienstliche Überwachung war lange Zeit eine Wahrheit, die wie die Hintergrundstrahlung als abstrakte Drohung über dem ganzen Diskurs stand. „Schau, der Geheimdienst kann deine Mails mitlesen, wenn du nicht verschlüsselst.“ Der Geheimdienst war irgendwie immer dabei, ohne dabei zu sein, das Auge aus dem Off, das dem Diskurs um Datenschutz und Datensicherheit einerseits seine Legitimität verlieh und andererseits aber nie fassbar genug wurde, um sich wirklich dagegen zu wenden.

Seit Snowden ist nun alles anders. Die Geheimdienste und ihr Tun stehen nun wie ein riesiger Elefant mitten im viel zu engen Raum. Vollkommen gegenständlich, zum Anfassen klar. Aus dem abstrakten Bedrohungsszenario ist ein konkretes geworden. Aus diffusen Befürchtungen manifestierten sich überbordende Realitäten, die diese in vielen Bereichen weit übertreffen. Doch darum geht es gar nicht.

Der Einbruch der Realität in den Datenschutzdiskurs verändert alle Parameter wie dieser geführt werden kann. Als abstrakte Gefahr konnte die geheimdienstliche Überwachung immer als schwebende Drohung die Dringlichkeit des Anliegens unterstreichen. Als manifeste Realität wird sie aber auf einmal zum problematischen Gegenstand des Diskurses, den man bekämpfen muss. Prism steht nun auf einer Linie mit der Vorratsdatenspeicherung und der Bestandsdatenauskunft und nimmt jeden Datenschützer in die Pflicht, dagegen ganz konkret und ebenso entschieden vorzugehen.

Und hier bricht alles zusammen. Nachdem das „Wir haben es Euch doch gesagt“-Geschrei verklungen ist, schauen nun alle auf ihre Waffen. Und sie sind stumpf. Verschlüsselung? Ach naja, nett im Einzelfall. Aber der Geheimdienst interessiert sich eh viel mehr für die Metadaten. Und gesellschaftlich ist das eh keine Lösung. Datenschutzgesetze? Gesetze helfen gegen Geheimdienste nicht weiter. Verfassungsgericht? Ist für die NSA nicht zuständig. Druck auf die Politik? Merkel findet das alles gar nicht so schlimm und auch alle anderen Parteien zucken mit den Schultern. Selbst wenn: glaubt wirklich jemand, die USA würden mit der Spionage aufhören, wenn Merkel nur doll genug auf den Ovalofficeschreibtisch haut?

Die sich gerade abzeichnende Hilflosigkeit gegen Prism und co. ist der Gamechanger, der nicht unterschätzt werden darf. Alle Datenschutzerklärungen sind auf einen Schlag null und nichtig. Alle Datenschutzgesetze sehen ab nun an aus wie Hohn. Und wie will man den Bürgern in Zukunft erklären, dass es wichtig ist, gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Straße zu gehen, wenn jeder weiß, dass die NSA eh zuhört?

Wenn sich die Leute mit Prism abfinden – und es sieht alles danach aus, als müssten sie das tun – ist der Datenschutzdiskurs in Deutschland in erheblichen Schwierigkeiten.

PS: Ich schreibe das hier alles ohne einen Funken Genugtuung. Ich bin entschieden gegen die Überwachung durch die Geheimdienste und ich sehe ebenso wie jeder Datenschützer eine ungeheure Gefahr in dieser unkontrollierten Machtakkumulation. Und ebenso wie die Datenschützer bin ich geschockt über die Stumpfheit unserer Mittel – ihrer wie meiner.

Why we fight (each other) – Links

Am Freitag hielt ich einen Vortrag auf der SigInt in Köln, darüber, warum die Netzszene sich 2012 so schön selbst zerfleischt hat. Den Vortrag wird es wohl dereinst auch als Video geben (wird nachgereicht), bis dahin kann man das alles bei diesem fleißigen Liveblogger grob nachlesen.

Außerdem habe ich versprochen, die Links zu den zitierten Texten zu veröffentlichen. Hiere they are: