Ich hätte mal wieder Lust nachzudenken. Das hab ich jetzt öfter mal getwittert, aber unter 140 Zeichen kommt man ja nie dazu. Dazu all der andere Kram. Twitterlesung, re:publica und all das andere Lametta. Da aber dennoch Anflüge von Gedanken hier und da mein Gehirn durchzuckten – trotz Sonne und Frühling! – (obwohl wieso trotz: ich mal wieder am Tisch, draußen, im Cafe und/oder Restaurant, jedenfalls das erste mal dieses Jahr und dann gleich so Gespräche. Ja Gespräche, sind es dann wohl, die Gedanken fliegen lassen. Vornehmlich mit älteren aber auch mit jüngeren über all das hier und so. Und da merkt man dann erst wie unselbstverständlich das eigene Leben und kulturelle Umfeld doch so ist, und wie viel Vermittlung noch nötig.- hach, ich hatte ja gar keine Ahnung.) Und dann fällt auf, dass ich doch eine Sprache finden wollte für all dies. Eine Sprache, die mir zunächst die Uni brachte und versaute gleichzeitig. Eine, die sich in einen elfenbeinernen Turm der selbst zugesprochenen „Relevanz“ beweihräuchtere und – ich gebe es zu – in verschiedenen Dingen überlegen ist, aber eben doch eine gewisse Privatspache bleibt. Eine, die ich nicht mehr will, die auch vor allem schlecht ist, für die Dinge, die ich denken will. Es braucht eben eine Neue Sprache und wenn es die nicht gibt, dann muss man sie erfinden. Eine, die trennscharf genug ist, um am Gedankenknochen herumzuschaben, aber assoziativ und intuitiv genug, wenigstens intelligenteren Zeitgenossen zugängliche Bilder produzieren zu lassen. Vor allem eine Sprache, die keine Arroganz gegenüber Bildungslücken hat, denn es geht heute nicht nur um ganz andere Lücken, sondern um die Lücke der Bildungslücke zum Wissen der Zukunft. „Hä?“ Fragt ihr. Abwarten.
Es ist schon so, dass man in meinem Alter heutzutage in einer Achsenzeit lebt. Ich schieß mal so aus der Hüfte: Wer zwischen 1975 bis 1985 geboren wurde, sitzt auf unterschiedlichste Weise zwischen den Stühlen. Wir sind noch jung genug, bereits in unserer Kindheit mit Computern in Berührung gekommen zu sein und die grundsätzliche Herangehensweise mit der Digitalität erlernen zu können. Und dennoch war der eigentliche Umbruch das Internet und der mit ihm hereinbrechende kulturelle Tsunami, den wir irgendwie mitgemacht haben, ihn teils mit initiierten aber immer noch ein franksteinsches Fremdeln gegenüber unserem eignen Monster verspüren. Wir ritten eben auf dieser Welle, und nannten es treffend „surfen“. Andere werden es schlicht „Leben“ nennen.
Es gibt diesen Gap zwischen Menschen wie uns und den so genannten „Digital Natives“. Doch noch größer ist der Gap zwischen all jenen vor uns und den Digitalgeborenen. Das aber macht es uns zur Verantwortung als Mittler zu fungieren. Wir kennen beide kulturelle Welten, kennen uns darin aus und wir spüren die Unterschiede. Die Aufgabe, die ich sehe, bringt es vor allem mit sich, die eine von der anderen Kultur zu scheiden und die Unterschiede aufzuzeigen. Wir sind es, die die Lobbyarbeit der Netzkultur besorgen müssen, bevor sich die Generation vor uns an ihr vergreift und die Generation nach uns nur noch echauffiert drüber twittern kann. Über VPN-Tunnel und Proxy-Gateways.
Wie ich darauf gekommen bin? Ach, ich hab mal wieder Plomlompom gelesen. Er, der weitaus näher an den besagten Digital Natives dran ist als ich, wofür ich ihn immer beneide, spürt dieser kulturellen Lücke gekonnt im Unterschied zwischen Simpsons und Familyguy nach. Ich finde das immer faszinierend, wie er trotz seiner Radikalität dennoch für solche feinen Unterschiede empfänglich ist und die „alte Welt“ zu deuten versteht. Ein wahrer Achsenzeiterianer, aber schon mit Binärblut in den Venen.
Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes berichten, was aber immerhin auf ein Gespräch mit Plom zurückzuführen ist. Denn bei all den Metaphern, die für das netzkulturelle Leben gefunden werden können, hakt es ja immer an dieser mangelnden Zuspitzung. Das Netz, das ist das schwer verständliche, das Netz gibt es nämlich gar nicht. Es ein nebeneinander – nicht nur von vielem – sondern von allem. Und Nebeneinander heißt hier etwas anderes als man es sich bildlich vorstellt in der Welt der geometrischen Körper, die physischen Raum begrenzen. Im Netz ist alles mit allem benachbart, so absurd es sich anhört. Und deswegen ist das Netz eben nicht, nicht nur weil es so vielfältig ist wie nichts anderes, sondern weil ihm jegliche Eingrenzung, Zuspitzung und Metaebene fehlt, an dem man es festmachen könnte. Der wissenschaftliche Text über die Allegorie bei Flaubert mit „Two girls, one Cup„. Alles Nachbarn, niemand, der darüber steht. Niemand der Relevanz, Ort, Redaktion vorgibt.
Und deshalb – und so langsam nähern wir uns meinem eigentlichen Thema – bin ich nach Berlin gekommen. Berlin ist ein bisschen wie das Internet. Zugemüllt und demokratisch am Boden. Am Gesamtboden, könnte man sagen. Die Verwirklichung des allgemeinen Grundbodens. Natürlich ist es das nicht, aber vielleicht eher noch als andere Städte und in jedem Fall mehr als Hamburg. Und hinzukommt die schiere Größe. Und das interessante an Größe ist ja nicht nur die hohe Zahl, sondern ein kulturelles Phänomen, dass es seit dem Internet im catchigen Begriff „Long Tail“ gibt, dass aber älter ist und sich schon im viel älteren Begriff der „Urbanität“ niedergeschlagen hat.
Ich sag mal so: Wenn man sich für ein exotisches Thema interessiert und dort vor allem für ein Spezialgebiet. Wenn es dann aber nur ein von vielen Leuten nicht bemerkter Aspekt in dem Spezialgebiet ist. Und wenn dieser Aspekt ein Detail beinhaltet, dass nicht mal in der gängigen Literatur der einschlägigen Fachkreise erwähnt wird, dann gibt es in Berlin mindestens ein Theaterstück darüber.
Skaliert man die Anzahl der Menschen, so skaliert man eben auch die kleinsten Nischen zu… , ja zu? Genau: Märkten. Das hat in Großstädten schon immer gut funktioniert, in Berlin erst recht. Wahrscheinlich, weil Berlin ebenso wie das Internet der neue Westen ist. Ein Eldorado voller Gold und Scheiße. Oder nur Scheiße, die golden glänzt. Oder sowas. Jedenfalls zieht es die Leute an. Bestimmte Leute. Abenteurer und Freaks.
Aber man sieht schon hier in Berlin das Problem der realweltlichen Nachbarschaft. Trotz subkulturellem Ballungszentrum muss man für seine gestern erfundene Musikrichtung immer noch zwischen zwei Clubs in Prenzlauer Berg und Neukölln hin- und herwechseln. Fahrtzeit 45 Minuten! Ich möchte gar nicht wissen, wie das in Tokio so abgeht.
Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen ist das Netz nun mal einfach das bessere Berlin. Und deswegen habe ich meinen Lebensmittelpunkt auch lieber dorthin verlagert. Denn man stelle sie sich einfach mal vor: die unendliche Stadt. Sie kann wachsen ohne Platzprobleme und selbst wenn sie bereits 10 mal größer ist als Tokio, ist man dennoch nur einen Klick entfernt, von dem, was man noch zu entdecken gedachte.
Ich finde diese Zukunftsvision, die ja längst Realität ist, faszinierend und eigentlich sind die daraus abzuleitenden Forderungen niemals radikal genug. Vor allem was die Vermittlung angeht. Ich glaube fast gar nicht, dass ich in solcher Radikalität überhaupt befähigt bin nachzudenken, was das gefälligst für die Bildung zu heißen hat. Die Lücke zwischen Kompetenz und Bewertung sind aber sicher selten so sehr auseinander gegangen wie derzeit. Beispiel: Während die Kids in Dingen geprüft werden, die längst in der Wikipedia jederzeit mit dem Handy nachschlagbar sind, langweilen sie sich über Programmiersprachen wie „Turbo Pascal“ im „Informatikwahlfach“. Es ist natürlich ein strukturelles Problem, dass wir nicht die Lehrer haben, die die Kinder eigentlich brauchen würden. Aber nicht mal das scheint mir in den Institutionen begriffen worden zu sein. Geschweige denn der überquellenden Überflüssigkeit von „Institutionen“ an sich. Tja, wie auch?
Aber das betrifft natürlich den gesamten Bereich dessen, was wir Wissen nennen. Das betrifft die Form, die wir dem Wissen geben, wie wir es es ordnen oder eben nicht. Man wird da noch tiefergehende und damit meine ich philosophische Überlegungen anknüpfen müssen über Wissen und seine Form. So wie Foucault einst, aber weit darüber hinaus. Evident ist zum Beispiel, dass jegliches Kanonisieren von Wissen keine Zukunft haben kann (Die Lücke zur Wissenslücke). Dass Wissen die Form einer Oberflächenspannung annehmen wird, nivelliert und doch immer agil, aber sich zugleich T-1000desque zum personalisierten Datenmodell fügen wird – genau in der Gestalt wie wir es brauchen werden, solange wir die richtigen SQL-Statements an es richten.
Ach, über all das würd ich so gern nachdenken. Genauer, präziser, aber gleichzeitig auch schnodderiger, unterhaltsamer, persönlicher. ich geh dann mal weiter auf Twitter meine Sprache versauen!
NACHTRAG:
Nein, ich bilde mir nichts ein, über die sagenumwobene Generation der „Digital Natives“. Ich habe überhaupt gar keine Vorstellungen über sie, wie sie lebt, liebt, arbeitet und vor allem wie sie ihre Welt organisieren wird. Ich fände es auch unangemessen und arrogant mir das zurechtzulegen.
Ich weiß nicht, ob diese Generation einen Vorteil oder einen Nachteil an ihrer Spätgeburt tragen wird. Ich weiß nicht ob da bessere oder schlechtere Menschen hervorgehen werden, die mehr oder weniger Kriege führen werden. Ich weiß nur, dass sie unsere Welt, unsere Institutionen und Vorstellungen ablehnen werden. Dass es ein tiefes Missverständnis geben wird un zwar zurecht.
Ich glaube indes nicht, dass sie uns ähneln. Ich glaube nicht, dass die DN twittert oder bloggt, nicht mal, dass sie eines Tages Twittern oder Bloggen wird. Ich bin mir fast sicher, dass wir die Digital Natives nicht erkennen werden, wenn sie vor uns stehen. Und noch sicherer bin ich, dass wir sie nicht mögen werden.
Aber wir sollten dennoch nett zu Ihnen sein. Das hier ist ihr zu Hause.