Partei my Ass

Eine Sache, auf der ich immer mal wieder rumkaue, ist unsere Demokratie. Ich bin nämlich der Demokratie ihr größter Fan. Und deswegen kann ich nicht aufhören, an ihren konkreten Manifestationen herumzukritisieren.

Ich wage die These: Einen waschechten und begeisterten Demokraten muss es heute ins Internet ziehen! Denn in diesem Internet wird er eine gelebte Demokratie vorfinden, die in der Realwelt Ihresgleichen sucht. Und sie wird anders sein. Radikaler und dennoch umsichtiger. Eine Demokratie die jedem seinen Platz und seine Freiheit lässt. In der kein Zuwachs von Freiheit des einen, die Freiheit des anderen beschneidet. Im Gegenteil!

Und wenn die Frage fällt, wie wir Demokratie organisieren sollen, dann hat das Internet derzeit die besten Antworten. Björn Grau hat auf Spreeblick die Frage nach der Möglichkeit einer solchen Organisation gestellt (wir machen dazu auch einen Workshop auf dem Politcamp 09). Wie können wir Netzbewohner (Max windet ein, dass z.B. die Beschneidung des Netzes für einige von uns eher einer Amputation unseres Gesellschaftskorpus gleicht, denn einer reinen Einschränkung eines beliebigen Mediums unter anderen – also sofern wir bereits angefangen haben, unsere Identitäten in dieser sich manifestierenden Wolke aufzulösen, was ja vor allem durch Twitter auf eine gewisse Weise mit uns allen schleichend passiert…) – jedenfalls: wie können wir Netzbewohner unsere Anliegen und Interessen in den fucking Rest der Welt tragen?

Da stellt sich sogleich ein großes Problem. Wir – die Netzbewohner – waren nie ein Wir. Wir wollten nie ein Wir sein – ich gehe so weit zu behaupten: wir sind hier im Netz, eben um kein Wir sein zu müssen – und deswegen werden wir uns auch niemals eine Organisationsform geben. Eine, die uns mit anderen zusamen einschließt, unter einer Käseglocke, wo es dann sowieso unangenehm riechen wird, wo es ein Statut oder eine Satzung, ein Innen und ein Außen geben wird, das klar definiert sein würde. Eine Form, die uns zwünge, uns neben X zu setzen, obwohl doch X so ein Blödmann ist! Und wenn wir etwas beschließen, dann müssen wir uns einigen. Einigen! Das muss man sich mal vorstellen! Wir müssen alle Dinge durch dieses Nadelör des Konsenses zwängen, bis sich keiner von uns mehr mit den Ergebnissen identifizieren kann. Schlimm.

Nein! Das werden wir niemals tun. Und deswegen stellt sich die Frage nach einer Demokratie der Cloud. Und nach Lösungsansätzen, wie sich auch noch in Zukunft Menschen jenseits der JU-Hirnbasis für Politik begeistern werden. Dann, wenn die Welt eine Cloud ist, in der äußerste Individualität und absolutes Aufgehen in der Gesamtverschaltung aller Hirne kein Widerspruch, sondern ein sich Bedingendes ist!

Ich schweife ab. Jedenfalls ist es auf den ersten Blick evident, dass Parteien so ziemlich das letze sind, in das sich der typische Netzbewohner einklinken möchte. Der gesellschaftliche Wandel hin zum Individualismus ist nicht mehr rückgängig zu machen, im Gegenteil, er wird durch das Internet nochmal exponentiell beschleunigt.

Dies ist ein Wandel vom Angebotsmarkt der „Weltanschauungen“ hin, zum Nachfragemarkt der Lebensstile.

Damit meine ich mehreres. Oberflächlich gesehen, kann man feststellen, dass die Gesellschaft, als Parteien noch das Mittel der Wahl (zweifachkonnotiert) waren, um Demokratie zu organisieren, ein starres System war, in dem man als Individuum nur einige wenige Lebensentwürfe (mit Ideologie/Weltanschauung als Gratiszubehör) zur Auswahl hatte (dass man überhaupt eine Auswahl hatte, war ja bereits hart erkämpfte Emanzipation), in denen man sich dann den entsprechenden gesellschaftlichen Zwängen hingab. Die „Peergroup“ waren eben die Leute, die sich eben mehr oder zu weniger zufällig im eigenen geographischen Radius um einen herum gruppierten. Dazu kamen ca. drei soziale Schichten mit wenig Transfluktuation. Die wenigen „Exzentriker“ waren dazu noch „liberal“. Dass die Zahl der gesellschaftlichen Nenner begrenzt und sie selber sehr niedrigschwellig sein mussten, damit man sich nicht gegenseitig an die Gurgel springt, ist ziemlich Systemevident. Dinge mussten Kollektivistisch vorangebracht werden, alles hatte sich – mindestens – der Klasse unterzuordnen. Ja, das galt auch für die Bourgeoise!

Und nun, heute, haben sich die Optionen verdröftausigfacht! Mindestens! Nein, viel wahnsinniger: sie sind free floating! Die Menschen sind in jeder Sekunde immer wieder auf der Suche nach neuen Lebensentwürfen, Einstellungen und Ideen. „Individualismus“ ist angesichts einer zigfach und in tausend Teile zerschepperten Internetidentität geradezu ein Euphemismus! Es herrscht definitiv ein Nachfragemarkt nach Identitäten, und das obwohl die Wechselkursbindungen längst fallengelassen wurde.

Gut, also nehmen wir jetzt den ganzen Stuss da oben mal als gegeben an und mappen die zwei Systeme – Partei und Internet – in die Zukunft, dann wird es – nein, einen Knall wird es nicht geben – eher ein tiefes, gähnendes Desinteresse bei den … naja, wir halt. Die Demokratie würde an reinem Desinteresse sterben, oder an dem Überangebot an Vollspießern und Karrieristen, die die einzigen wären, die sich auf dieses Spießspiel noch einließen. Aber was heißt schon Zukunft? Das ist doch bereits jetzt so! In den Jugendorganisationen der Parteien engagieren sich bereits jetzt nur noch die dämlichen Streber, die doch eigentlich verkloppt gehören! Ach, was red ich.

Jedenfalls sehe ich da einen noch viel grundsätzlicheren Wandel auf uns zukommen. Wenn wir von einer, nach Derrida, „Demokratie l’avenir“ reden, also einer künftigen Demokratie, dann kann es unmöglich nur die Demokratie eines Demos (d.h. Volkes) sein. (zum ganzen Paradoxiekomplex des „Nationbuilding“, d.h. auch um das „Volk“, den „Staat“ und die „Repräsentation“ gibt es noch hier einen alten, verschwurbelten Text von mir) Das Demos ist der Demokratie doch längst entflohen! Bzw. es bildet sich auf so eine ganz neue Art neu. Im Netz. Ad Hoc. Zu jedem Thema ein je ein neues und verflüchtigt sich sogleich wieder. Das Demos der Zukunft ist kein geografisches, ethnologisches, genetisches, nicht mal mehr ein sprachliches. Das Demos der Zukunft ist eine instabile Wolke, das sich um ein Thema gruppiert, sobald es virulent wird. Es ist eine Memverabreitungswolke zum prozessieren teilgesellschaftlicher Semantik!

Früher wurde Politik für eine Gesellschaft gemacht. In Zukunft werden sich Gesellschaften für bestimmte Politiken einfinden.

Niemand wird mehr in einem Kompromiss leben wollen. Dann lieber in so vielen Gesellschaften, wie es die vielen eigenen Identitäten eben verlangen. Wie der Weg dahin ist, wird die Zukunft zeigen. Also wir. Und die nach uns. Aber wir müssen uns da was einfallen lassen. Machen wir. Auf dem Politcamp. Versprochen!

13 Gedanken zu „Partei my Ass

  1. Ich glaube du bringst das Volk mit Parteien durcheinander. Das Volk an sich hat ja erst mal gar nichts mit den Parteien zu tun. Das Volk wählt in Deutschland über die Parteien die Regierung. Das muss aber nicht so sein. Es gibt ja verschiedene Arten von Demokratien.
    Du vergisst, dass das Volk in einer Demokratie immer DAS Volk bleibt. Es bleibt ein einzelnes Volk. Das es sich in viele verschieden Gruppe einteilen lässt, ist nicht neu. Schon heute gibt es ja ganz viele verschiedene Gruppen. Krankenschwestern, Online-Gamer, Musiker, Blauäugige.

    Vielleicht gibt es in Zukunft eine größere Zentralisierung auf das Individuum an sich. Der Bezug zu jedem selbst wird neu definiert werden. Aber ich glaube nicht, dass sich so viel ändern wird, wie du vielleicht denkst. Es gibt einfach nicht so viel radikal Veränderbares, weil sich schon immer alles gewandelt hat. Ständig.

  2. Klingt irgendwie ein bisschen nach Graswurzel aber trotzdem schön.

    Besonders schön finde ich:

    „Und wenn wir etwas beschießen, dann müssen wir uns einigen. Einigen!

    Bitte nicht korrigieren.

  3. Aber zuerst muss man sich wohl zwangsweise mit dem bestehenden System Arangieren, in Parteien formieren um dafür eintreten zu können, das System zu ändern…

  4. Da hast du wohl recht. Um derlei Konkretinitis werden wir uns in der Session auf dem Politcamp bemühen. Am Sonntag wahrscheinlich

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  9. Luhmanns Niklas nachgeplappert und auf heute umgeprägt sind Politik und Gesellschaft (inzwischen) ohnehin voneinander getrennte Systeme mit einigen (augenscheinlich immer weniger werdenen) Anschlusspunkten.

    Stellt sich also die Frage: Kann das ‚System Politik‘ das ‚(Nachbar-)System Gesellschaft‘ (-oder ein beliebeiges anderes benachbartes System) regieren? Wen regiert die Politik denn? Mit Luhmann muss die Antwort ganz klar lauten: Die Politik kann die Gesellschaft schon aus strukturellen Gründen nicht regieren, sie regiert einzig sich selbst. Im besten Falle administriert und verwaltet das System Politik also seine ureigenen Vorstellungen von Gesellschaft: Von der aktuellen, von der vergangenen, von der idealen und von der überwundenen.

    Fast überflüssig zu sagen, dass das ebenso für die Gesellschaft gilt: die Gesellschaft wird regiert von der Gesellschaft.
    DAS ist die sprengkräftige Konsequenz der Theorie der autopoietischen Systeme.
    Wozu braucht denn dann die Gesellschaft, wozu brauchen „wir“ dann Politik? Zur Abgrenzung, zur Bestimmung der Systemgrenzen, d.h. als Umwelt des Systems? Scheinbar. Ich für meinen Teil frage mich, ob diese Funktion nicht auch ausreichend von anderen Systemen erfüllt werden kann.

    Wenn die Gesellschaft sich also selbst regiert und (so ist zumindest meine Beobachtung) die Anschlusspunkte zum Nachbarsystem Politik immer weniger werden bleibt für „uns“ Demokraten zu überlegen, wie sich die Gesellschaft selbst auf _demokratische_ Art und Weise regieren kann – wie kann oder soll das funktionieren? Eingriff in die Diskurse, um sie zu „demokratisieren“? Aber Eingriff durch wen, mit welcher Legitimation und vor allem: wie?

    Das, was sich in meinem Kopf als mögliche Antwort schemenhaft zusammenfügt, ist dass das System Gesellschaft sich ein politisches Subsystem geben könnte – was über lange Sicht zwar nicht zu einem Paradoxon sondern vielmehr zu einer mandelbrot-fraktalen Struktur werden würde. Ich für meinen Teil frage mich ohnehin, ob das nicht auch ein Grundprinzip gesellschaftlicher Systeme ist: Fraktale Muster innerhalb eines Systems, dass sowohl das größere „Außen“ (Umwelt/Nachbarsysteme) als auch das untergeordnete „Innen“ abbildet (also die eigenen Teilsysteme), und für beides (Außen und Innen) gilt jeweils das Selbe.

    Leider kann man über sowas nachdenken bis einem der Kopf raucht und man irre wird und man weiss dann immer noch nicht, wie man sich als engagierter oder zumindest nicht gleichgültiger Mensch in seine jeweilige Lebenswelt sinnvoll einbringen kann.

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