Geständnis

Zunächst ein Geständnis: ich glaube an die Selbstregulierung der Märkte. Ja, Ich. Jetzt seid ihr baff, oder? Dabei kommt das tollste ja noch.

Selbst jetzt, wo sogar die eingefleischtesten Neoliberalen ihre Meinung anzuzweifeln beginnen, glaube ich weiterhin an die Selbstheilungskräfte des Marktes.

Ich glaube, das was wir derzeit erleben, ist eine Marktbereinigung gigantischen Ausmaßes. Aber eben nicht das Ende des Kapitalismus. Der wird sich, nach ein paar Jahren stetiger Bettruhe, wieder in alter Frische erheben. Verändert, sicher. Aber auf jeden Fall wieder da.

Ich glaube das auch dann noch, wenn die Regierungen nicht eingreifen und einfach alles vor die Hunde gehen lassen. Selbst wenn alles crasht und die Weltwirtschaft so richtig nachhaltig im Arsch ist, wird sich der Markt erholen.

Woran ich aber nie geglaubt habe, ist, dass der Markt nur gut für den Menschen ist. Ich glaube, wenn der Markt jetzt unkontrolliert crashen würde, dann würde durch die weltweite Depression Elend, Hunger und Bürgerkrieg herrschen. Viele Jahre lang. Vielleicht auch schlimmeres. ich glaube fest daran, dass wir wieder Krieg hätten, auch in Europa. Dass Menschen verhungern würden, dass radikale Ideologien und verzweifelte Verteilungskämpfe Millionen von Toten weltweit fordern würden.

Was die Neoliberalen nie erkannt haben, ist, dass es nicht um den Markt geht. Der Markt mag sich selber regulieren und der Markt mag auch alles überleben, sich selber heilen usw.

Aber es geht doch um den Menschen!

Die paar BWL- und VWLvorleseungen denen ich beiwohnen konnte, vermittelten mir eines sehr genau: Das kalte Bild des Homo Ökonomikus. Der seinen Nutzen kühl kalkuliert und ihn stets maximieren will. Er will möglichst wenig Kosten aufwenden, um einen möglichst hohen Ertrag zu erlangen. Die Strategien zu diesem Ziel, sind der größte Teil jedes BWLstudiums. Man bekommt tatsächlich in Vorlesungen die Vorteile von Sollbruchstellen in Produkten gepriesen. Unter anderem.

Was komischer Weise nie Teil der BWL war, ist folgende Strategie: Jemand hat Geld, also haue ich ihn um und nehme es mir. Gibt es ein besseres, das heißt kostengünstigeres Verfahren seinen Nutzen zu maximieren? Ich denke kaum. Warum wird es dann nicht gelehrt? Es wird einfach daran liegen, dass es hier verboten ist. Vom Staat. Im Gegensatz zu Sollbruchstellen in Produkten oder dem Weiterverkauf von faulen Krediten.

Ich glaube an den Markt. Und ich glaube genau deshalb, dass er reguliert werden muss. Dass im Zentrum jeder Politik nicht der Markt, nicht die Exportweltmeisterschaft, nicht der Standort oder die Investitionen oder die Konjunktur stehen sollte, sondern der Mensch. Und die Gerechtigkeit.

Obama: Yes We Can weiterwurschteln!

Zunächst mal ein Update. So. Und wer hat’s gesagt?

Aber: Was mich derzeit am meisten desillusioniert, ist Obama. Bisher konnte er, im Gegensatz zu dem, was viele schreiben, nicht nur schöne Reden halten. Er hatte auch konkrete Konzepte und gute Ideen, die durch detaillierte Sachkenntnis gestützt wurden, überzeugen. Etwa beim Gesundheitsprogramm, in Sachen Netneurality und der Rückkehr zum Multilateralismus in der Außenpolitik. Das waren nicht nur schöne Worte, das hatte alles Hand und Fuß und ist bitter notwendig.
Zu Beginn der Finanzkrise, jedenfalls als das Ausmaß in etwa ersichtlich wurde, twitterte ich folgendes

„naheliegende vorhersage: wer als erstes einen ausgefeilten plan zur neustrukturierung des finanzsystems vorlegt, wird präsident. #usa“

Meine Hoffnungen waren da natürlich eher auf Obama bezogen, als auf McCain. Von dem war ja bekanntlich in Sachen Wirtschaftskompetenz nicht viel zu erwarten. Naja, auch er hat ja Berater, vielleicht also doch, aber Obama hat sich in dem Wahlkampf viel eher wirtschaftskompetent positioniert. Zudem hätte ein wirklicher Neuanfang an der Wall Street in das große Ganze seines „Change“-Pathos gepasst, wie sonst kaum etwas.

Egal. Denn alles was man aus beiden Mündern bisher hörte und vor allem gestern, war ein unsicheres „Ja, aber“. 
Paulsons Notfallrettungsplan, der mithilfe von Steuergeldern einfach den Status Quo wieder herstellen will, wird derzeit aus allen Ecken kritisiert. Es werden längst Alternativen erarbeitet, die weit aus glaubwürdiger, transparenter und gerechter sind, als der bisherige Plan. Aber aus den Lagern der beiden Präsidentschaftskanditaten ist man merkwürdig still.
Keiner kommt auch nur mit der groben Richtung eines Konzeptes. Niemand will über Regulierungen sprechen, niemand scheint eine Neuordnung für sinnvoll zu halten. Das einzige was man hört, ist ein populistisches Draufhauen auf zu hohe Managerabfindungen, die es jetzt zu verhindern gelte. Das mag dem Gerechtigkeitsempfinden des Wählers ja entgegenkommen, aber lösen tut dies gar nichts.
Die Krise der Finanzmärkte ist eine Strukturkrise. Es bei der Mutter aller Bail Outs zu belassen, hieße an den Symptomen herumzudoktern und redselig auf den nächsten Crash zu warten.
Der einzige Grund, den ich mir tatsächlich vorstellen kann, dass dort keiner seinen Masterplan zückt, ist: Es hat keiner einen! Die beiden Präsidentschaftsbewerber sind genau so ratlos, wie sie dasitzen. Und das macht mir wirklich angst.

Marktliberalismus 2.0

Marktliberalismus ist einfach: Man schreit nach Steuersenkungen mit der Begründung, dass der Markt den Rest schon erledigen werde. Das mit dem Menschheitsglück natürlich. Aus irgendeinem Grund ist diese Meinung die letzen paar Jahre recht populär geworden. Je weniger die so genannten „Leistungsträger“ von ihrem Kuchen abgeben müssen, um so besser für uns alle. Denn es geht auch um die Wettbewerbsfähigkeit, international versteht sich.

In sofern finde ich tatsächlich das fulminante Eingreifen des amerikanischen Staates in die Finanzwirtschaft eben nicht sozialistisch wie jetzt viele meinen. Es ist eine folgerichtige Weiterentwicklung des bisherigen Konzeptes. Eine Art Marktliberalismus 2.0 sozusagen. (Oder auch Hypermarktliberalismus)

Die USA haben eine ganze Reihe Banken, wenn nicht beinahe alle, die sich mit faulen Krediten ganz schön in die Scheiße geritten haben. Der Staat zeigt sich gnädig und übernimmt jetzt die faulen Kredite einfach auf die eigene Schulter. Ich schätze die angepeilten Kosten von einer halben Billionen Dollar (200 Millarden sind ja schon versenkt) für optimistisch geschätzt. Verstaatlichung rufen da einige, und haben teils recht. Aber im Gro wird jetzt nur eines verstaatlicht: nämlich die Risiken von Krediten.

Aber: man kann das durchaus in einer Linie mit den Forderungen nach Steuersenkungen betrachten: Denn, nach der Null hört die Skala schließlich nicht auf. Nennen wir es einfach eine Art negative Steuer für Finanzhäuser.

Was wir nämlich erleben werden, ist, dass das Bankensystem in den USA sich wieder aufrappeln wird. Und in dem Bewusstsein, dass die Risiken ja nicht man selber, sondern im Notfall der amerikanische Steuerzahler trägt, werden die Banken in den USA international derart Wettbewerbsfähig sein, dass sie alle anderen das fürchten lehren werden. Es winken Traumbilanzen: Abschreibungen auf Forderungen können getrost gestrichen, Rückstellungen zurück in die Assets gebucht werden. Also krass gesagt: Man muss nur „too Big to Fail“ sein. Dann lässt sich jeder Staat erpressen.

Ich höre schon die Stimmen aus Deutschland: Das brauchen wir auch! Wir müssen ja international Wettbewerbsfähig sein und mit den amerikanischen Superbanken die auch ohne eigenes Risiko arbeiten, konkurrieren! Ackermann wird das nicht schreien. Er hat es teilweise bereits. Alle anderen werden folgen. Denn die Amis sind nicht zurückgefallen durch die Krise, sie sind nur wie immer einen Schritt weiter.

Es ist naiv anzunehmen, dass das marktliberale Gewäsch, dass vorher abgesondert wurde, tatsächlich von den Apologeten selbst geglaubt wurde. Man fordert nur konsequent weiter, wenn man die Null hinter sich gelassen hat. Dummerweise braucht das Kind jetzt einen neuen Namen. Wörter mit „liberal“ nimmt man denen wohl erstmal nicht mehr ab.

Oskar Lafontaine und SpOn

Oskar Lafontaine. Quelle: WikipediaIch kenne Oskar Lafontaine nicht. Ich kenne wenig von ihm. Ein paar Daten, klar. Aber sonst? Ich glaube, ich kenne Oskar Lafontaine weniger als die meisten anderen deutschen Politiker der ersten Reihe. Und das, obwohl er in den Medien zu den präsentesten Politikern gehört. Er ist überall Thema, er wird dauernd genannt, es wird viel über ihn gesprochen. Dort wird unter anderem behauptet, er spreche viel. Aus irgend einem Grund, bekomme ich das selten mit. Ich sehe viele politiker sprechen, aber Lafontaine sehr selten. Ich bekomme selten mit, was er genau sagt, was seine Meinung zu bestimmten politischen Dingen ist. Worüber dann zwar berichtet wird. Aber meist nur, dass das ja alles wieder ein riesen Skandal sei, und dass er eh nur Unfug erzähle, wenn der Tag lang ist. Welchen Unfug genau, ist selten Thema des Berichtes. Ich gebe mich dann damit zufrieden, denke mir, der Lafontaine erzählt viel wenn der Tag lang ist und bin froh, dass mir die Medien langen Tag ein, langen Tag aus darüber berichten. Und dass sie mir abnehmen, mich damit inhaltlich auseinander zu setzen, weil es eben vergeudete Zeit ist, weil es Unfug ist, was er erzählt. Ich danke dem Journalismus, der sich Passionsgleich als Stellvertreter an meiner Stelle opfert, sich den Unfug anzuhören.

Nun ist es aber meine Erfahrung, dass alle Politiker viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Demagogen, die Unfug erzählen, irgendwann aus dem Blickfeld verschwinden, nicht so Lafontaine. Und ich habe mich gewundert, warum ich trotz des medialen Dauerfeuers über und gegen Lafontaine, nach wie vor nicht weiß, wie seine Demagogie genau aussieht. Dass ich ihn nicht kenne, wie gesagt.

Darauf scheint man sich geeinigt zu haben. Lafontaine ist ein Demagoge. Ende der Diskussion. Dann braucht man sich ja gott sei dank gar nicht damit befassen. Und gerade als ich anfing, mich etwas näher zu interessieren für den Lafontaine als – sagen wir – mediales Phänomen, bricht Spiegel Online das Schweigen. „Oskars wundersame Welt“ (Gestern hieß es noch „Oskars Märchenstunde“) soll die „Halbwahrheiten, Trugschlüssen und Irreführungen“ zusammenführen und entkräften. Ich finde das gut. Endlich lese ich nicht nur, dass Oskar Mist redet, sondern was für einen Mist er redet. So genannte FactChecks gibt es im amerikanischen Wahlkampf schon lange und ich halte sie für eine sinnvolle Institution. In den USA gibt es das für alle Beteilgiten eines Wahlkampfes, in Deutschland nur für Oskar Lafontaine. Aber ich bin mir sicher, das wird noch kommen.

Jedenfalls erfahre ich dort unter anderem, das Oskar das lateinische „privare“ mit „berauben“ übersetzt, wobei es auch als „befreien“ übersetzt werden kann. Wer sich über diesen Umstand jetzt wundert, der sollte sich daran erinnern, dass beinahe alle militärischen Besetzungen von der einen Seite als „Befreiung“ und von der anderen Seite als „Beraubung der Autonomie“ verstanden wurden.

Dann wird Lafonataine vorgeworfen, die eine Statistik zu zitieren, die in seinem Sinne ist, die andere, die nicht in seinem Sinne ist, aber nicht zu nennen. Ich war erschüttert. Ich wette, Lafontaine ist der  allererste Politiker, der, ach lasen wir das.

Ansonsten: Ökonomische Behauptungen Lafontaines werden mit ökonomischen Gegenbehauptungen des Autors „widerlegt“. Wer sich etwas in der ökonomischen Theorie auskennt, weiß um den faktischen Wert einer jeder solchen Behauptung. Es ist ein Glaubenskampf. Hinterher ist man immer schlauer.

Gegen Lafontaines Beispiele der missglückten Privatisierung von Strom, Wasser und Gas, wird die geglückte Privatisierung des Telekommunikationsmarktes angeführt. Ach ja. Und so weiter und so fort.

Ich war enttäuscht von der Zahnlosigkeit der Argumente. Ich würde Lafontaines Aussagen nichtmal populistisch nennen. Sondern eher „Politikerhaft“. Im eigenen Sinne halt. 

Ich fühlte mich aber auch schlecht informiert. So behauptet der Autor Lafontaine würde den Rückgang der Arbeitslosigkeit auf die Ein-Euro-Jobber zurückführen, was der Autor dann leicht widerlegen kann. Die wenigen Gelegenheiten, die ich Lafontaine ungefiltert argumentieren sah, machte er dies aber vor allem an den Billiglohnjobs fest, die mit der neuen Klasse der „Working Poor“ zwar die Arbeitslosenzahlen vermiderte, denen es dadurch aber nicht besser, sondern schlechter ging. Was nur wenige bestreiten würden.

Alles also halb so heiß, wie es gekocht wurde. Ich wette, einen solchen Artikel kann man über jeden Politiker schreiben mit dem man politisch nicht übereinstimmt.

Ich nahm mir vor, mich bei der nächsten Gelegenheit mal ungefiltert mit Lafontaine auseinander zu setzen. Die Gelegenheit kam rasch. Ungeheuerliches hatte SpOn zu berichten:

Lafontaine fordert Enteignung von Schaeffler. Neue Provokation von Oskar Lafontaine: Der Chef der Linkspartei fordert eine radikale Änderung der Eigentumsverhältnisse in Deutschland. Große Vermögen vieler Familienunternehmen seien „grundgesetzwidrig“, der fränkische Automobilzulieferer Schaeffler müsse enteignet werden.

Schockiert war gar kein Ausdruck. Das ist ja wie in der Anfangszeit der DDR! Ist Lafontaine in Wirklichkeit doch ein Kommunist? Im Artikel wird auf ein Interview vom „Capital“ verwiesen. Da war sie, die Gelegenheit. Ich surfte also Capital.de an, und siehe da, ein Video von dem Interview mit Lafontaine wartete auf seine Rezeption. (Ich verstehe es nicht, das SpOn es nicht schafft, in so einem Artikel einen Link auf die wirklich einzige, aber doch öffentlich zugängliche Quelle zu setzen.)

Man überzeuge sich selbst. Lafontaine ist dort in einer Art Podiumsdiskussion. Er kritisiert, dass die Arbeitnehmerschaft, die ja maßgeblich am Erfolg des Unternehmens beigetragen hat, nicht am Betriebsvermögen beteiligt ist. Das will er ändern. Jemand legt ihm den Begriff Enteignung in den Mund. Er reagiert polemisch, dass schon das Horten des Kapitals des Unternehmers ohne Beteiligung der Arbeitnehmer eine Art Enteignung sei. Das war’s. Das war alles. Keine Forderung von irgendwas. Kein programmatisches Getöse zur Enteignung von irgendwem. Eine polemische Zuspitzung im Argumentationsgefecht, sonst nichts.

Man kann darüber streiten. Über Lafontaines Polemik. Seine zugespitzten Ansichten. Überhaupt sein ganzes Weltbild. Worüber man nicht streiten kann, ist die Existenz einer medialen Hetze. Ein übertriebenes Geschrei, ein hysterisches herumfuchteln. Eine alles andere als sachlich geführte Debatte.
Und da wird mir klar, dass Lafontaine tatsächlich gefährlich sein muss. Jedenfalls scheint man eine riesen Angst vor ihm zu haben. In den Parteien, wie in den Medien. Ich kann aber nichts beängstigendes finden. Jedenfalls nicht, wenn ich selber hinschaue, mich nicht auf die aufgebrachte Rezeption der Medien verlasse. Ihre Verdrehungen, Überspitzungen, ja, Desinformationen. Mir scheint, Lafontaine ist nur für sie gefährlich. Nicht für mich.

Lafontaine mag unsachlich sein. Vielleicht hat er auch unrecht. Manchmal ist er auch schrill. Er ist aber nicht im mindesten so unsachlich, schrill und im Unrecht, wie die, die ihn verteufeln.

UPDATE: Capital hat das ganze Interview jetzt online. Ich finde es sehr interessant. Einerseits der wegen der relaxten aber auch besonnen und ehrlichen Art Lafonaines wegen, als auch des schnöseligen und überheblich spöttischen Gestus des ihn interviewenden „Journalisten“ wegen. Anscheinend verlief das Interview zu gut, dass man Lafonatine umbedingt die Enteignungsgeschichte an den Hals dichten musste.

Europa und ich

Danke Irland. Danke, dass ihr den verkorksten Pseudoverfassung ein vorzeitiges Ende bereitet habt. Ich weiß, ihr habt vor allem aus egoistischen Motiven heraus den Vertrag abgelehnt. Das ist Euer gutes Recht. Der Vertrag war nicht gut für Irland, also für Euch.

Dennoch würde ich Euer Nein gerne, wenn auch idealistisch, meinetwegen pathetisch, uminterpretieren wollen: Ich hoffe zutiefst, Ihr habt den Vertrag auch, wenigstens ein bisschen, in Stellvertretung des gesamten europäischen Volkes abgelehnt. In einer Stellvertretung, die der Stellvertretung, die die Kommission und das europäischen Parlament für sich beansprucht (vergessen wir nicht, auch diese Damen und Herren halten sich für Stellvertreter des europäischen Volkes) ferner nicht sein könnte. Sondern ihr habt es in einer Stellvertretung abgelehnt, in der sich nicht das Volk in der Regierung spiegelt, sondern ein Volk für die Völker, deren Meinungen übergangen wurden.
Ihr wart die einzigen, die man gefragt hat. Und wenn der eine oder andere von Euch, sich in Solidarität mit allen anderen europäischen Völkern, vielleicht über diese Tatsache, diese unermessliche Arroganz, geärgert hat und es sein Stimmverhalten beeinflusst haben sollte, dann war das „Nein“ zum Vertrag, ein großer und wichtiger Schritt hin zu Europa und eben nicht weg davon.
Wir erinnern uns an das erbärmliche Scheitern der Europäischen Verfassung. Damals hieß sie noch Verfassung, weil einige Länder, ähnlich wie ihr, zur allgemeinen direkten Abstimmung aufgerufen waren. Denn eine Verfassung ist nur dann eine Verfassung, wenn sie sich ein Volk selber gibt. (Deswegen heißt die Verfassung in Deutschland bis heute „Grundgesetz“, weil es nie zur Abstimmung gelangte. Zunächst – provisorisch – der Teilung wegen und heute, weil die Politiker Angst davor haben. Angst vor uns.) 
Der Kniff, das Paragraphenwerk einfach anders zu nennen und es dann durch die Parlamente zu peitschen, hat nicht geklappt, an der einzigen Station nicht geklappt, an der das Volk gefragt wurde. Was für eine Ohrfeige!
Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich nicht mal wirklich weiß, was da alles drinsteht, in diesem Vertrag. Es soll in einer ganz schrecklichen Juristensprache verfasst sein. Ich habe keine Lust, mich damit auseinander zu setzen. Darum geht es mir aber auch nicht. Es geht um die Arroganz der Mächtigen, die jeweiligen Verfassungen der Länder über die Köpfe der Menschen hinweg, einzuschränken oder umzumodeln. Denn genau das tut dieser Vertrag.
Das heißt nicht, dass ich gegen eine europäische Verfassung bin. Ich bin sogar entschieden dafür. Ich bin für Europa und für eine engere Bindung und gerne auch für eine Verfassung. Diese Verfassung muss aber auch so heißen. Sie muss mit offenem Visier diskutiert werden und von allen Einzelstaaten per Plebiszit abgesegnet werden. Von. Jedem. Einzelnen. Ich stelle dabei bewusst keine inhaltlichen Anforderungen, denn ich weiß, dass diese ihre Richtigkeit haben werden, wenn alle Völker ihr zustimmen würden.
Ich weiß, liebe Herrschenden, das ist verdammt schwer. Ihr würdet sogar sagen, das sei unmöglich. Das glaube ich nicht, aber meinetwegen. Dann ist das halt so. Aber so sieht nun mal Euer Job aus. Wir können noch hundert Jahre warten, wenn es denn nötig ist, für eine Verfassung, die den Namen verdient. Solange Ihr Europa nur als Vehikel für unpopuläre und teils verfassungswidrige Gesetzesnormen nutzt, wird kein Volk Euch einen Blankoscheck ausstellen. 
PS: Als Tipp. Ich bin ein Fan vom Grundgesetz. Und nicht nur ich. Müsste ich dafür abstimmen, meine Stimme wäre Euch sicher.

Marktverwirrung

Da hab ich mich aber Erschrocken bei meiner SpOn-Lektüre:

Dann aber die Entwarnung im Text:

Da hat wohl ein Redakteur unsere derzeitige Wirtschaftsordnung mit der „sozialen Marktwirtschaft“ (Gott hab sie seelig) verwechselt. Kann ja passieren. 

Vielleicht lag’s ja aber auch am Auftraggeber der Studie:

 

Rinke und lechte Brogs

Frédéric fragt, wo sie denn bleiben, die deutschen Konservativen. Also hier in der Blogosphäre und im gesamten Web 2.0 sind sie irgendwie nicht zu finden. (Wenn man die paar rechtsradikalen Hassblogs gegen den Islam mal außer acht lässt, was ohnehin das Beste ist, was man mit denen anstellen kann.) Jedenfalls wurde mein Kommentar, den ich dort tippte, länger und länger und irgendwann zu lang. Also poste ich ihn lieber hier.

Ich möchte daran erinnern, dass die konservative Blogosphäre in den USA die letzten Jahre sogar stärker war, als die liberale („links“ gibt‘s da ja nicht). Das hat mich anfangs auch gewundert. Partizipation und basisdemokratische Ideen, die ja die Grundpfeiler der Idee des Bloggens sind, sind jedenfalls in Deutschland immer eher linke Werte gewesen.

Aber die USA tickt da eben ganz anders. Demokratie und Meinungsfreiheit – was nebenbei mit einschließt, dass die Meinung eines Einzelnen immer wichtig ist und geäußert werden sollte – ist ein Wert, den dort fast niemand anzweifeln würde, egal wie weit „rechts“ er sich befindet.
In Deutschland hingegen findet man sogar viele „Linke“, die die Legitimität von Blogs glatt in Abrede stellen wollen. Der maulkorbverpassende Richter am berühmten Hamburger Landgericht beispielsweise, wähnt sich selber links. Auch einige Journalisten, die sich sonst offen links positionieren, würden am liebsten eine Lizenz zur Meinungsabgabe fordern, wie man immer mal wieder voller Erschrecken lesen muss. Ich würde also behaupten, dass diese Art der Publizistik von Jedermann auch weiten Teilen der Linken durchaus suspekt ist.

Wenn man sich darüber hinaus die Wahlbeteiligungen bei Plebisziten in Deutschland anschaut, kann man schon daran zweifeln, dass die Meinungsfreiheit hierzulande irgendwas wert ist. Wir sind ja auch ein ziemlich einsames Völkchen mit der Tatsache, nie über unsere Verfassung abgestimmt zu haben. Und die EU-Verfassung wurde uns von Anfang an nie zur Abstimmung angetragen. Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass ein Plebiszit zur Verhinderungen einer drohenden Diktatur wegen zu geringer Wahlbeteiligung abgelehnt werden würde. So absurd ist das nicht. Das Plebiszit zur verbindlichen Verankerung von Plebisziten in die Hamburger Verfassung ist letztes Jahr aus eben diesem Grund gescheitert.

Zieht man das alles in Betracht, so muss man zu dem Schluss kommen, dass wir Blogger innerhalb Deutschlands sowas wie Aliens sind. Und ganz erhlich: wenn ich mit einigen Offlinefreunden übers Bloggen rede, komme ich mir auch so vor. Man gerät immer in dem Verdacht sich zu wichtig zu nehmen. Bestenfalls wird es belächelt, was man tut.

Jedenfalls kann man festhalten: Meinungsfreiheit zählt hier zu Lande nicht viel. Nicht mal bei den Linken im allgemeinen, höchstens bei einer bestimmten linken Untergruppe. Wenn überhaupt jemand der Meinung ist, Meinung sei irgendwie wichtig, dann kommt er hierzulande fast ausschließlich aus einem bestimmten links-liberalen Meinungsspektrum, welches in der echten Politik so wenig vertreten ist, dass es fast keine Rolle spielt. (zu „links“ und „liberal“ hat Jens Berger mal einen schönen Artikel geschrieben) Und daraus rekrutiert sich – jedenfalls die politische – Blogosphäre fast ausschließlich.

4 Links zur SPD

  1. SPIEGEL-TV-Beitrag zum fröhlichen Energielobbyismus ehemaliger und amtierender SPDler.
  2. Julia Seeliger über die „Verschwörungstheorie“ betreffend der Ypsilantischlachterin „Metzger“ ihre Kontakte zu Eon.
  3. Der Spiegelfechter über den angeblichen Heros „Metzger“ und ihre Netzwerker.
  4. Der Stern über Mehdorns Marionettentheater, formely known as „Bundesregierung“. [via]

Es ist traurig, was aus der alten Tante SPD geworden ist. Sie hatte immer meine Sympathie. Bisher. Aber dieser korrupte Saustall ist mittlerweile fast noch unwählbarer geworden als die Union.

Wann kommen endlich Truppen nach Deutschland, die hier die Demokratie wiedereinführen? Oder müssen wir das selber machen? Ach nee. Der Rasen. Ich vergaß.

Mohamed und die Urne

Es ist schon ein paar Jahre her. Ich war noch Student und wohnte im Studentenwohnheim. Vor dem Wohnheim hatte jemand einen Aschenbecher drapiert. Er war aus bemalter Keramik und hatte einen Deckel. Mit seinen geschwungenen Formen sah aus wie eine Urne. Jemand schrieb den passenden Spruch dazu mit Edding auf diesen Deckel: „Die Asche meiner Mutter„. Das war der Titel einer Romanverfilmung die vor kurzem im Kino lief. Ich fand die Idee ganz lustig. Jetzt aber auch nicht der Brüller. Studentenhumor halt.

Eines Tages begab es sich, dass ich mit einer Gruppe von Freunden auf dem Weg zu meiner WG war und als wir am Eingang ankamen, schrie eine Freundin beim Anblick des Aschenbechers auf. Sie hatte vor etwa zwei Wochen ihre Mutter an den Krebs verloren.

Sie weinte und fluchte, war kurz davor den Aschenbecher wegzutreten. Noch als wir in meiner Küche waren schluchtste sie und konnte sich nicht beruhigen.
Natürlich hatte der Aschenbecher nichts mit ihr zu tun. Natürlich konnte das keiner ahnen und auch ich habe an diese Koinzidenz nicht gedacht, als wir zu mir gingen. Da war einfach jemand, der in einer völlig anderen Situation steckte, als ich, als wir, als die anderen. Aber natürlich verstand ich ihre Aufregung sofort, wenn ich sie auch nicht teilte. Natürlich konnte ich einigermaßen nachvollziehen, warum sie hier ausflippte. Warum es einfach weh tat, so einen Scherz abzubekommen. Nicht weil ich weiß, wie es ist, wenn man seine Mutter verliert, sondern, weil ich weiß, dass sie gerade in einer anderen emotionalen Situation ist als ich, eine die ich nicht einschätzen kann, die ich aber respektiere und für die ich verständnis aufzubringen versuche.

Was mir nie, niemals, in den Sinn käme, ist, in diesem Wissen um ihre Verletzbarkeit, extra und gezielt Scherze über tote Mütter zu machen. Die Wunde auszunuten, und draufzuhauen, weil ich weiß wie es weh tut. Und mich danach lauthals darüber aufregen, wie sie völlig fertig in der Ecke liegt und weint und schreit.

Das haltet ihr für selbstverständlich? Henryk M. Broder und andere nicht.

Sie nehmen sich Menschen, die ein anderes, emotionaleres Verhältnis zu einem Gegenstand haben und machen sich – und zwar genau aus diesem Grund – darüber lustig. Nur weil sie wissen, dass sie damit Gefühle verletzen. Weil hier die tote Mutter begraben liegt, graben sie um so tiefer, dem Schmerz entgegen. Es geht dabei natürlich nicht um Humor, es geht um das Verletzen. Und zwar ausdrücklich.

Satire darf alles“ sagte Tucholsky. Natürlich hat er damit recht. Ganz einfach weil wir – wir Europäer – uns diese Lehre Jahrhunderte lang selber schmerzhaft beibringen mussten. Weil wir lernen mussten, eine emotionale Distanz aufzubauen, zu den Dingen, die verballhort wurden. Und auch das klappt, bis heute, nicht immer gleich gut. Was aber weltgeschichtlich eher eine Sonderbarkeit ist. Vergessen wir nicht: Wir sind in diesem Spiel die Anderen.

Aber sogar die besagte Freundin fing sich wieder und sah von sich aus ein, dass ihre Reaktion irrational war. Dass die „Urne“ nichts mit ihr zu tun hat und dass es zwar ein makaberer aber legitimer Scherz war. Ein Scherz, der außer ihr niemandem weh tut und der vor allem auch nicht dafür gedacht war, irgendjemandem weh zu tun. Vor allem nicht ihr.

Ich wünschte die Moslems könnten das eines Tages ebenso einsehen. Was aber mit Sicherheit nie geschehen wird. Denn es ist schlicht nicht wahr.