Willkommen zurück, Politik

Wir reden ja oft von Politik. Dabei hatten wir längst vergessen, was das überhaupt ist. Unsere Regierungschefs haben uns Jahrelang eingeredet, dass sie ja machtlos seien. Besonders in Wirtschaftsdingen. Die einzigen politischen Entscheidungen, die sie trafen, waren ihre eigenen Mittel zu beschneiden. Deregulierung war das Motto. Und in Talkshows von Standort Deutschland palavern, von der Globalisierung und dass sich in unseren Zeiten ja Gerechtigkeit eh nicht mit politischen Mitteln durchsetzen könne. Mit anderen Worten, wir hatten uns von der Politik längst verabschiedet. Wir hatten zwar nach vielen tausend Jahren endlich eine Demokratie – und damit die historische Chance auf Gerechtigkeit – aber wir hatten eine, die sich längst selbst aufgegeben hat.

Ich denke, das hat sich geändert. Und zwar auf einen Schlag. Oder auf zwei Schlägen, die aber merkwürdig synchron auftraten. Mit einer gespenstischen Koinzidenz brachen Barack Obama und die Finanzkrise gleichzeitig in unsere Welt hinein und verschoben innerhalb kürzester Zeit die Parameter dessen, was wir Politik nennen. Denn beide verkünden vor allem eines: die Rückkehr der Politik.

Barack Obama ist von vielen als Phänomen wahrgenommen worden, als guter Redner und Motivator. Was dabei unterging, ist, dass er auch endlich wieder ein Politiker ist. Sein „Yes, we can“, sein „We can change the world“ wirkt wie ein Anachronismus alter Tage. Das Versprechen, dass Politik eben doch etwas ändern kann, ist auch inhaltlich in sein Wahlprogramm eingeflossen. Höhere Steuern für Reiche, höhere Steuern auf Kapitalerträge, bei gleichzeitiger Entlastung der unteren und mittleren Schichten (btw. könnte das aus dem Parteiprogramm der Linken entnommen sein), das heißt eine neue Form der Umverteilung von Reichtum. Ebenso das gigantische Projekt einer allgemeinen Krankenversicherung. Investitionen in Schulen und Bildung und enorme Anstrengungen im Klimaschutz. All das ist eine schallende Ohrfeige in die Gesichter derer, die sich nur noch als Nachlassverwalter der Politik und des Politischen verstanden. Die ihre Nichtpolitik als ruhige Hand euphemisierten und deren Motto stets das „No, we can’t“ war.

Der andere Impact, die Finanzkrise, hat gezeigt, dass der Staat nicht nur nicht machtlos ist, sondern dass er auch gebraucht wird. Wenn die größten Neoliberalen und Neokonservativen derart in das System der Wirtschaft eingreifen müssen, dann ist diese Ideologie, die sich immer als eine Anti-Ideologie verstand, auf lange Zeit diskreditiert. Wirtschaft braucht Gestaltung, sie braucht Regulierung – und wenn sie den Menschen nützen soll – dann braucht sie Umverteilung.

Niemand wird den Eliten noch abnehmen, dass es gut ist, keine Politik zu betreiben. Niemand wird sich mehr in fatalistischer Die-da-Oben-Manier von den so genannten „Leistungsträgern“ ausbeuten lassen, mit dem Argument, dass das zwar traurig, aber eben so sei. Niemand wird noch darauf vertrauen, dass es ja nur Investitionsanreize bräuchte, um Prosperität zu erreichen. (Obwohl das Konjunkturprogramm der Bundesregierung – wie könnte es anders sein – genau diesen Denkfehler wieder aufnimmt.)

Peter Sloterdijk hat in diesem Interview (bitte nicht beim Vorspann dem Wegklickreflex gehorchen) argumentiert, dass Politik per se sozialistisch ist. Der Staat kann schließlich wenig anderes tun, außer umverteilen, das Leid mindern und in die Wirtschaft regulativ eingreifen. Insofern haben die Konservativen in den USA recht gehabt. Obama ist sozialistisch. Sein „Yes, we can“ ist sozialistisch, weil es auf politischem Wege die Dinge ändern will, weil es eingreift und weil es den Glauben daran stärkt, dass man mit Politik die Welt verändern kann. Und muss.

Und so ist es auch mit der Globalisierung. Ja, sie hat auch vielen Völkern Wohlstand gebracht. Und gleichzeitig Armut, Hunger und Tod. Solange sie eine rein wirtschaftliche Globalisierung bleibt, wird sie nur wenigen nützen und sie wird ungerecht bleiben. Es braucht Politik für die Gerechtigkeit und es braucht eine globalisierte Politik, die aktiv gestaltet, um die Welt voran zu bringen.

In Deutschland, mit unserem derzeitigen politischen Personal, ist das nicht zu machen. Unsere Politiker haben sich unglaubwürdig gemacht, indem sie uns Jahrelang eingeredet haben, sie könnten nicht gestalten. Ich hoffe, Obama wird ihnen kräftig die Hosen ausziehen. Und ich hoffe, dass die Kräfte, die jetzt immer noch „Populismus“ schreien, wenn sich jemand hinstellt und meint, man müsse endlich mal tief in das System eingreifen und anfangen Politik zu machen, dass diese Kräfte stiller werden. Oder einfach untergehen, wenn wir rufen: Doch, wir können!

Und irgendwie erscheint am Horizont noch etwas drittes: Die Möglichkeit einer neuen Idee, einer neuen Inspiration. Wir leben in einer Achsenzeit, die das, was möglich ist, gerade von Grund auf neu definiert, ohne das wir wissen, was dabei herauskommen mag. Vielleicht auch das ganz andere. Das unverbrauchte und radikale Projekt einer kommenden Demokratie?

Cui Bono

Man sagt ja immer, Geld werde „verbrannt“. Andere werfen dann ein, dass das ja nicht stimme. Das Geld lande halt irgendwo anders. Was logisch erscheint.

Was mich also interessieren würde: Wo? Also wer ist das, der bei diesem ganzen Debakel gewinnt. Ich will keine Verschwörungstheorie anleiern (Verschwörungstheorien beginnen oft mit dieser Frage), nein, ich hab ein ganz anderes Anliegen.

Ich hab da nämlich eine Bitte:

Wenn Du, lieber Finanzkatastrophengewinnler hier mitließt (Was ich annnehme, wir Gewinnertypen sind ja untereinander gut vernetzt), dann will ich Dir zunächst einmal gratulieren! Du hast es geschafft! Ja, Du hast gewonnen!

Und ich gönne es Dir aus ganzem Herzen. Obwohl ich doch glaube, dass das Spiel eher „Mensch ärgere Dich nicht“ (Glück) ist, als Schach (Können). Das soll Deinen Erfolg aber nicht im mindesten schmälern, und ich will Dir die Anerkennung auch nicht verweigern. Wir alle nicht.

Nur. Es gibt da ein Problem. Du hast jetzt alle Spielfiguren. Wir anderen können nicht weiterspielen. Und – jetzt kommt’s – Du auch nicht.

Was willst Du mit Deinem Geld, wenn es keine Wirtschaft mehr gibt, die Dir eine subkontinentgroße Yacht mit 25 Swimmingpools noch bauen kann? Wer soll den Wein für Deinen Champagner anbauen? Wo willst Du die exotischen Zierpflanzen für Deinen Schloßgarten kaufen? Und auch Monaco macht keinen Spass mehr, wenn dort alle nur bettelnd auf den Straßen liegen. Na eben!

Deshalb sei Dir unserer Anerkennung sicher, und bitte, bitte, bitte, gib das Geld wieder zurück. Wenigstens ein bisschen. Danke!

Obama: Yes We Can weiterwurschteln!

Zunächst mal ein Update. So. Und wer hat’s gesagt?

Aber: Was mich derzeit am meisten desillusioniert, ist Obama. Bisher konnte er, im Gegensatz zu dem, was viele schreiben, nicht nur schöne Reden halten. Er hatte auch konkrete Konzepte und gute Ideen, die durch detaillierte Sachkenntnis gestützt wurden, überzeugen. Etwa beim Gesundheitsprogramm, in Sachen Netneurality und der Rückkehr zum Multilateralismus in der Außenpolitik. Das waren nicht nur schöne Worte, das hatte alles Hand und Fuß und ist bitter notwendig.
Zu Beginn der Finanzkrise, jedenfalls als das Ausmaß in etwa ersichtlich wurde, twitterte ich folgendes

„naheliegende vorhersage: wer als erstes einen ausgefeilten plan zur neustrukturierung des finanzsystems vorlegt, wird präsident. #usa“

Meine Hoffnungen waren da natürlich eher auf Obama bezogen, als auf McCain. Von dem war ja bekanntlich in Sachen Wirtschaftskompetenz nicht viel zu erwarten. Naja, auch er hat ja Berater, vielleicht also doch, aber Obama hat sich in dem Wahlkampf viel eher wirtschaftskompetent positioniert. Zudem hätte ein wirklicher Neuanfang an der Wall Street in das große Ganze seines „Change“-Pathos gepasst, wie sonst kaum etwas.

Egal. Denn alles was man aus beiden Mündern bisher hörte und vor allem gestern, war ein unsicheres „Ja, aber“. 
Paulsons Notfallrettungsplan, der mithilfe von Steuergeldern einfach den Status Quo wieder herstellen will, wird derzeit aus allen Ecken kritisiert. Es werden längst Alternativen erarbeitet, die weit aus glaubwürdiger, transparenter und gerechter sind, als der bisherige Plan. Aber aus den Lagern der beiden Präsidentschaftskanditaten ist man merkwürdig still.
Keiner kommt auch nur mit der groben Richtung eines Konzeptes. Niemand will über Regulierungen sprechen, niemand scheint eine Neuordnung für sinnvoll zu halten. Das einzige was man hört, ist ein populistisches Draufhauen auf zu hohe Managerabfindungen, die es jetzt zu verhindern gelte. Das mag dem Gerechtigkeitsempfinden des Wählers ja entgegenkommen, aber lösen tut dies gar nichts.
Die Krise der Finanzmärkte ist eine Strukturkrise. Es bei der Mutter aller Bail Outs zu belassen, hieße an den Symptomen herumzudoktern und redselig auf den nächsten Crash zu warten.
Der einzige Grund, den ich mir tatsächlich vorstellen kann, dass dort keiner seinen Masterplan zückt, ist: Es hat keiner einen! Die beiden Präsidentschaftsbewerber sind genau so ratlos, wie sie dasitzen. Und das macht mir wirklich angst.

too big to fail

Wo kommen eigentlich die 700.000.000.000 Dollar her?

Gelddrucken ginge nicht, sagen manche. Weil, wer würde denen denn dann noch Dollar leihen?

Aber: Die USA sind für die Weltfinanz, was die Finanzbanken für die USA sind: nämlich too big to fail!

Schon mal drüber nachgedacht?

(Hey, das müssen wir doch jetzt auch mal einsehen. Das ist doch besser für uns, als die USA vor die Hunde gehen zu lassen. Sonst gehen wir doch eh nur mit. Die ganze Welt meine ich.)

Marktliberalismus 2.0

Marktliberalismus ist einfach: Man schreit nach Steuersenkungen mit der Begründung, dass der Markt den Rest schon erledigen werde. Das mit dem Menschheitsglück natürlich. Aus irgendeinem Grund ist diese Meinung die letzen paar Jahre recht populär geworden. Je weniger die so genannten „Leistungsträger“ von ihrem Kuchen abgeben müssen, um so besser für uns alle. Denn es geht auch um die Wettbewerbsfähigkeit, international versteht sich.

In sofern finde ich tatsächlich das fulminante Eingreifen des amerikanischen Staates in die Finanzwirtschaft eben nicht sozialistisch wie jetzt viele meinen. Es ist eine folgerichtige Weiterentwicklung des bisherigen Konzeptes. Eine Art Marktliberalismus 2.0 sozusagen. (Oder auch Hypermarktliberalismus)

Die USA haben eine ganze Reihe Banken, wenn nicht beinahe alle, die sich mit faulen Krediten ganz schön in die Scheiße geritten haben. Der Staat zeigt sich gnädig und übernimmt jetzt die faulen Kredite einfach auf die eigene Schulter. Ich schätze die angepeilten Kosten von einer halben Billionen Dollar (200 Millarden sind ja schon versenkt) für optimistisch geschätzt. Verstaatlichung rufen da einige, und haben teils recht. Aber im Gro wird jetzt nur eines verstaatlicht: nämlich die Risiken von Krediten.

Aber: man kann das durchaus in einer Linie mit den Forderungen nach Steuersenkungen betrachten: Denn, nach der Null hört die Skala schließlich nicht auf. Nennen wir es einfach eine Art negative Steuer für Finanzhäuser.

Was wir nämlich erleben werden, ist, dass das Bankensystem in den USA sich wieder aufrappeln wird. Und in dem Bewusstsein, dass die Risiken ja nicht man selber, sondern im Notfall der amerikanische Steuerzahler trägt, werden die Banken in den USA international derart Wettbewerbsfähig sein, dass sie alle anderen das fürchten lehren werden. Es winken Traumbilanzen: Abschreibungen auf Forderungen können getrost gestrichen, Rückstellungen zurück in die Assets gebucht werden. Also krass gesagt: Man muss nur „too Big to Fail“ sein. Dann lässt sich jeder Staat erpressen.

Ich höre schon die Stimmen aus Deutschland: Das brauchen wir auch! Wir müssen ja international Wettbewerbsfähig sein und mit den amerikanischen Superbanken die auch ohne eigenes Risiko arbeiten, konkurrieren! Ackermann wird das nicht schreien. Er hat es teilweise bereits. Alle anderen werden folgen. Denn die Amis sind nicht zurückgefallen durch die Krise, sie sind nur wie immer einen Schritt weiter.

Es ist naiv anzunehmen, dass das marktliberale Gewäsch, dass vorher abgesondert wurde, tatsächlich von den Apologeten selbst geglaubt wurde. Man fordert nur konsequent weiter, wenn man die Null hinter sich gelassen hat. Dummerweise braucht das Kind jetzt einen neuen Namen. Wörter mit „liberal“ nimmt man denen wohl erstmal nicht mehr ab.