Weil ich gerade über dieses schöne Projekt des Merkur gestolpert bin und dabei feststellte, dass auch mich das Rezo-Video immer noch nicht loslässt, wollte ich hier nur ein paar Gedanken dazu niederschreiben, die etwas zu lang für Twitter wären.
Erster Gedanke
Ich habe mich bei dem Video tatsächlich ertappt gefühlt. Nicht, dass ich in der CDU wäre oder gar nur je erwägt hätte, sie zu wählen. Aber der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoß war; „Hä? Wieso die CDU??„
Hintergrund: Mein Twitterstream besteht zu ca. ein Drittel aus SPD-hate. Natürlich kritisere ich auch die CDU, aber die muss sich da schon ungefähr 10 mal so sehr ins Zeug legen, damit ich gegen sie was sage. Warum? Weil ich die CDU heimlich viel toller finde, als die SPD?
Eben nicht. Ich halte von der CDU rein gar nichts. Ich halte von ihr so wenig, dass ich noch nicht mal irgendwas von ihr erwarte. Klar, wenn sie rassitische Ausfälle hinlegt, oder wieder mal in irgendeinen Spendenskandal verwickelt ist, dann hau ich da auch drauf. Legalität und einen gewissen Grundkonsens menschlichen Anstands erwarte ich auch von der CDU – aber darüber hinaus? Kompetenz? Ehrlichkeit? Integrität? Gar eine gute Politik? No way!
Mit anderen Worten: Von Rezo fühlte ich mich in meinem Zynismus ertappt. Über die Dinge, über die er sich (zu recht) aufregt, habe ich mich schon lange aufgehört aufzuregen. Und ganz vor allem habe ich schon lange aufgehört, von der CDU ein Mindestmaß an politischer Kompetenz oder gar Integrität zu erwarten. Ich habe die CDU aufgegeben.
Zweiter Gedanke
Umso mehr muss einen die Reaktion der CDU auf das Video erschüttern. Rezos Video war – viel mehr als mein Genöle oder der Großteil der normalen Berichterstattung – ein echtes, ein ehrliches Gesprächsangebot. Rezo hat in seinem Video – auch das wäre zu thematisieren – die CDU tatsächlich ernst genommen. Er hat sie beim Wort genommen und gezeigt, wie sie an ihren eigenen Ansprüchen scheitert. Rezo war zu dieser Zeit nicht verloren für die CDU – das zeigt sein Video sehr klar. Und Anngret Kramp-Karrenbauer hat – wie man aus ihrer katasprophalen Pressekonferenz entnehmen kann – sich nicht mal die Mühe gemacht, das Video überhaupt anzusehen. Was für eine verrottete Arroganz; was für eine Bankrotterklärung!
Dritter Gedanke
Es war genau dieser entwaffenende Nicht-Zynismus Rezos, der das Video (und zwar völlig egal, welche medientheoretische Einordnung man hier treffen will) so erfolgreich gemacht hat. Seine Haltung war mit Sicherheit repräsentativ für einen Großteil der #FridaysForFuture- und Artikel13-Generation und war deswegen dort wahnsinnig erfolgreich, ABER: darüber hinaus hat es auch bei Leuten jenseits dieser Kohorten etwas aufgebrochen – so wie es bei mir etwas aufgebrochen hat. Es hat die Möglichkeit wieder ins Bewusstsein gerufen, dass man noch etwas erwarten kann – und sollte – von der Politik – und ja, sogar von der CDU. Es hat klar gemacht, dass der Zustand, in dem die Republik seit mindestens 10 Jahren vor sich her döst nicht normal ist und wir ihn nicht akzeptieren sollten.
Vierter Gedanke
Ich habe mir immer zum Ziel gesetzt, möglichst offen zu bleiben, zu lernen, mir intellektuelle Möglichkeiten nicht durch zunehmende Borniertheit im Alter zu verbauen. Ich musste an Rezo feststellen, dass mir das nicht gelungen ist. Egal, wie man sich anstrengt, man passt sich Erwartungen an, man hört auf zu träumen und zu fordern – mir ist das jedenfalls passiert. Ich bin zynisch und vielleicht sogar ein bisschen verbittert geworden. Aber ich arbeite wieder dran.
Und gottseidank kommt da ja eine Generation nach mir.