Onkel mspro erklärt die Dekonstruktion

Ich weiß, ich soll mich nicht aufregen. Aber ich hasse es, wenn Leute sich über Themen ereifern, die sie ganz offensichtlich nicht kapiert haben. Aber ich will jetzt nicht rumbashen, das überlasse ich denen.

Wen ich meine? Christian Köllerer.

Versteht mich nicht falsch. Es ist nicht schlimm, wenn jemand etwas nicht versteht. Ich selber verstehe vieles nicht und stehe ganz offen dazu. Und auch gerade bei dem Thema „Dekonstruktion“, das Köllerer hier und hier und hier (via) versucht nieder zu schimpfen, habe ich persönlich viel mehr nicht verstanden, als ich bisher verstanden habe. Aber es geht. Ja es geht tatsächlich, man kann Dekonstruktion verstehen. (Wenn man davon absieht, dass man „Verstehen“ eigentlich ein Begriff ist, den man in der Dekonstruktion vermeiden sollte)

Und hier sind wir an einem wichtigen Punkt, der das Verständnis so schwer macht. Ich nenne es mal die Tücke des Begriffs. Um das zu erklären hole ich ein wenig weiter aus:

Dekonstruktion ist schwer zu verstehen, aber nicht weil sie so kompliziert wäre. Auch nicht weil sie eine logisch-theoretische Meisterleistung wäre, sondern weil sie die Sprache selbst –kritisch – als Thema hat. Weil das so ist, muss sie Begriffen misstrauen und kommt deshalb nicht umhin diesen teils auszuweichen, teils sie in Frage zustellen, teils ihren Sinn zu verschieben oder sie umzudeuten. Je nach dem. Anders als Köllerer behauptet, ist die Dekonstruktion deshalb auch keine „Theorie“ sondern eine Praxis.

Nun, warum sollte man Begriffen misstrauen? (Und, Somlu, das ist auch gleich eine Antwort auf deine Bitte, meine Entgegnung auf deinen Kommentar zu erklären – sorry, dass das so lange gedauert hat)

Begriffe sind nicht nur einfach „leere“ Worte, so wie Namen – anders als Goethe sagte – auch kein Schall und Rauch sind. Dass das die Philosophen alter Schule und auch die Analytiker von drüben auch wissen, ist mir klar. Es gibt deshalb auch das Konzept, dass man sagt, Worte haben eine „Bedeutung“. Saussure zum Beispiel, benannte diese Zweiteilung von Wirt und Bedeutung mit „Signifikat“ und „Signifikant“. Das ist nicht einfach nur eine billige Erkenntnis, sondern es ist großer und wichtiger Konsens unter allen Sprechenden, dass Worte eine Bedeutung haben, sonst – so könnte man meinen- würde Sprache ja auch nicht funktionieren.

Wenn die Dekonstruktion jetzt den Worten misstraut, misstraut sie dann ihren Bedeutungen? Ja und Nein. Denn hier wird’s kriminell: Die Dekonstruktion misstraut nämlich unter anderem und vor allem dem Begriff und dem Konzept der „Bedeutung“. Sie fragt also: „Was bedeutet Bedeutung“?

Das kann sie aber ja nun leider nicht fragen, wenn sie „Bedeutung“ gleichzeitig hinterfragen will. Man merkt, man braucht das Konzept der „Bedeutung“ wenn man „Bedeutung“ definieren will. Und auch wenn man andere Worte zu rate zieht, wie „Signifikat“, „Sinn“, „Idee“, „Inhalt der Rede“ etc, man entkommt dem Konzept der Bedeutung nicht. Bedeutung ist sozusagen unhinterfragbar, ein faktisches Dogma, ein logisches Dogma. Oder ein Dogma des Logos?

Und hier setzt die Dekonstruktion an: Wie ist das zu rechtfertigen? Keiner hat sie je gesehen, gerochen oder geschmeckt, niemand hat sie jemals gemessen oder sie irgendwie nachgewiesen. Wie kann man so ein Dogma unhinterfragt einfach so im Raum stehen lassen?

Dass so ein ketzerisches Aufrühren die Philosophie auf den Kopf stellt, braucht man wohl nicht weiter zu erläutern. Es ist nichts anderes als das Infragestellen des „Sinns“ an sich.

Nun hatte aber schon der gute Saussure festgestellt: Einen „Sinn“ in der Sprache gibt es nicht. Keinen natürlichen, jedenfalls. Die Buchstaben und Worte mit denen wir operieren, haben keinen Sinn an sich, sondern man hat sich auf einen „geeinigt“. Saussure nennt es auch den „Sprachvertrag“. Wenn aber Bedeutung also rein künstlich ist, eine reine Festlegung, dann hat man auch die Freiheit, die man benötigt „Bedeutungen“ untersuchen zu können und zwar in der Weise, indem man diesen „Vertrag“ selber untersucht. Anstatt also Bedeutungen einfach nur festzustellen und zu verifizieren (das tut die Hermeneutik), kann man das Zustandekommen des Vertrages selber untersuchen, denn jeder Vertrag hat eine Geschichte (eine unendliche, bei fast jedem Wort), warum er so und nicht anders zustande gekommen ist. Und diese Verträge also, so könnte man vereinfacht sagen, sind der Untersuchungsgegenstand der Dekonstruktion.

Diese Verträge enthalten, wie alle Verträge, seitenweise Kleingedrucktes, was schnell übersehen wird. Anstatt also diese Sprachverträge allzu vorschnell zu unterschreiben (und das tut man implizit, wenn man so Worte wie „Bedeutung“ unhinterfragt für sich übernimmt) sollte man vorsichtiger sein und sich dem Kleingedruckten zuwenden. Und wenn man das tut, erlebt man einige Überraschungen. Denn ein Wort „Bedeutung“ impliziert in seinem Kleingedruckten den ganzen Diskurs der abendländischen Philosophie, von der Antike bis heute. Von Platons Ideenlehre, über Descartes cartesianischem „Ich denke also bin ich“ bis hin zu Husserls Phänomenologie. Überall dort nämlich, bekommt man die klassische Zweiteilung des Zeichens serviert: Hier die frei schwebende, immaterielle Idee, dort das sie verkörpernde materielle Wort. Es ist wie ein Komplott.

Nun ist Derrida, dem Begründer der Dekonstruktion, etwas eher beiläufig zu nennendes aufgefallen: Diejenigen, die sich stets für diese Zweiteilung eingesetzt haben, haben eine gewisse, ja man könnte sagen, Affinität zum gesprochenen Wort, gegenüber der Schrift. Bei Platon ist das im Phaedros klar artikuliert, bei Roussau findet man das in seinen sprachtheoretischen Schriften ebenso und Saussure schließt einfach mal eben die Schrift aus dem Bereich der Linguistik komplett aus und reserviert sie nur für das gesprochene Wort. Es gibt dafür weitere Beispiele. Derrida versucht nun aufzuzeigen, wie sich diese Präferenz aus einem Denksystem zwangsläufig ergeben muss, dass unbedingt an Dingen festhalten will, die an so Worten wie „Bedeutung“, „Sinn“ usw festgeklammert sind. Denn um diese Begriffe zu denken, braucht man nämlich wiederum Worte wie „Geist“, „Bewusstsein“, und der gleichen. Und in verdächtiger Analogie, reproduzieren diese Begriffe Geist/Körper genau diese Zweiteilung zwischen Idee/Zeichen. Die eine Zweiteilung ist ohne die andere gar nicht zu denken. Der Vertrag basiert also auf einem anderen Vertag. Und Derrida zeigt weiter, dass dieser Vertrag „Geist/Körper“ wiederum auf anderen Verträgen beruht, und dass all diese Verträge sich gegenseitig rechtfertigen und stützen. Es ist eine ganze Mafia von Tarn- und Briefkastenfirmen, die wie russische Puppen ineinander geschachtelt ein Netz aus Seilschaften aufrechterhalten, das konstruiert wurde, um ein kohärentes Bild von etwas zu illusionieren, was es nie gegeben hat: Das Sein.

Das Sein ist ein Konstrukt. Das Sein hat es nie gegeben. Das Sein ist ein Mythos. Heidegger hat sich in diesem alles letztendlich begründenden Begriff verloren. Es ist der Begriff des Begründens selbst. Warum? Weil das eben so ist.

Das Sein ist der letzte Grund, es ist der Grund des Grundes und der Grund des Begründens. Geist ist Sein. Bewusstsein ist Sein. Idee ist Sein. Sprechen ist Sein. Deskartes murmelte „Ich denke, also bin ich“. Er meine vielleicht: „Ich bin hier, bei mir, ganz allein und ich kann zu mir sagen: „Ich denke, also bin ich““ was nichts anderes meint als: „Ich denke, also höre ich mich selber sprechen“. „Ich höre mich in dem Moment sprechen, in dem ich spreche, also bin ich ganz bei mir selbst.“ Was man wiederum übersetzen könnte mit: „Ich bin hier und keiner kann mich hören, nur ich mich. Keiner kann meine Existenz bezeugen, aber ich kann es, denn ich höre mich sprechen.“ Dieses Gefühl des Ganz-bei-sich-seins durch das Sprechen, das Sich-äußern ohne etwas zu materielles oder lesbares zu hinterlassen und die Selbstaffektion durch das Sich-sprechen-hören ist das absolute Gefühl der Gegenwart schlechthin. Es ist die Stimme, das Medium, das sich selbst auslöscht, das – scheinbar – keine Spuren hinterlässt. Wenn ich etwas zu jemandem Sage, dann ist das, ob ich will oder nicht, reproduzierbar. Es ist eine Quasischrift, weil es wiederholbar ist. Genauso, wie wenn ich etwas schreibe.

Wenn ich es hingegen nur zu mir sage, dann ist es nur bei mir, ich hinterlasse keine Spuren, ich bin ganz für mich selbst. Und nur dann. Nur das innere Sprechen kann mir das bieten.
Denn die Spur, wenn ich sie sehe, rieche, schmecke – meine Spur – ist immer ein Zeugnis der Vergangenheit. Es ist eine Hinterlassenschaft, eine Erbschaft, eine Gruft. Es ist Zeugnis einer Vergangeheit, eines der Vergänglichkeit, des Todes. Immer!

Ich kann in einer Spur niemals bei mir sein, denn es ist immer schon mein vergangenes Ego, was diese Spur hinterlassen hat. Ich bin, heißt also immer: Ich bin gegenwärtig. Ich habe eine Idee, heißt also, ich spreche nur zu mir, ohne eine Spur zu hinterlassen. Egal ob ich meine Zunge dabei bewege oder nicht. Das Sein (die Idee, die Bedeutung, der Geist, das Bewusstsein) kann außerhalb dieser absolut gesetzten Gegenwärtigkeit nicht gedacht werden!

Dass diese Gegenwärtigkeit natürlich Humbug ist, kann man leicht feststellen. Alles braucht seine Zeit. Egal ob der Schall, der von den Stimmbändern um Ohr Zeit braucht, egal ob es elektrische Signale in der Großhirnrinde sind, die von einem Neuron ins andere feuern. Alles muss einen Weg zurücklegen, alles braucht seine Zeit. Alles was man sieht, denkt, fühlt ist nicht gegenwärtig, sondern immer schon vergangen.

Damit wären wir an dem Punkt angelangt, wo wir den Sprachvertrag um das Wort „Bedeutung“ weit genug umrissen haben und sein Zustandekommen in etwa erklären können.

Nun ist das ja aber keine Widerlegung, könnte man hier einwenden.

Das ist sicher richtig. Aber anders gefragt: Wie kann man Idee, Geist, Intention, Bedeutung etc. widerlegen? Oder noch anders: Wie kann man sie beweisen? Es verhält sich genauso wie mit Gott oder jeglicher anderen Metaphysik: Man kann sie nicht widerlegen. Man kann sie aber auch nicht beweisen. Man kann aber erklären, wie die Menschen auf die Idee gekommen sein könnten, Gott zu erfinden. – Und man kann alternative Erklärungskonzepte anbieten, wie die Dinge, die früher durch Gott erklärt wurden, heute anders erklärbar sind:

Bei Derrida leisten das die Konzepte der Differenz und der Wiederholung. Es ist eigentlich gar nicht so schwer. In der Sprache gibt es nur Verschiedenheiten, sagte schon Saussure. Das heißt, dass Zeichen (Buchstabe, Laut, Wort, Satz, Name etc.), um Zeichen sein zu können, von einander unterscheidbar sein müssen. Klar soweit. Aber diese Unterscheidbarkeit geht noch weiter. Denn Zeichen stehen immer in Beziehungen zu anderen Zeichen und sie haben, je nach ihrer Stellung innnerhalb der anderen Zeichen (dem Text) nicht einfach nur eine Bedeutung sondern viele verscheidene. Sie bekommen von vorhergehenden Zeichen (ihrem Kontext) „einen mitgegeben“. Und ebenso von ihren Nachfolgern. Ein „ab“ ist etwas anderes als eine „ac“ ist was anderes als ein „aber“, ist was anderes als ein „aber ich denke, also bin ich“ und dennoch ist ein „a“ ein „a“ und ein „aber“ ein „aber“. Die Differenzialität geht immer über die Identität des Zeichens hinaus. Sie konterkariert es und schafft so neue Zeichen und Zeichenfolgen und webt so ein komplexes Geflecht aus reinen Bewegungen, von einem Zeichen zum anderen. Man kann sagen die „Bedeutung“ verschiebt sich immer zu. „Bedeutung“ wäre also nichts anderes, als eine in diesen Verscheibungen vorläufige Unterscheidung. Aber was sich hier ganz kompliziert anhört, ist nichts anderes als das Lesen. Das ist quasi Punkt eins.

Derrida ergänzt hierzu: Um als Zeichen zu fungieren, müssen die Zeichen wiederholt werden können, und sie müssen wiederholt werden, um als Zeichen identifiziert werden zu können. Zeichen sind Zeichen in und durch ihren Gebrauch. Der Sprachvertrag, so könnte man sagen, ist kein einmalig festgelegtes Schriftstück, sondern er muss jedes Mal von neuem von den Sprechenden (und Schreibenden) neu ratifiziert werden. (Sprache ist performativ, jedesmal aufs neue)

Aber in dieser Wiederholung ist es wichtig, dass die Weiderholung eben nie eine „reine“ Wiederholung ist. Die Wiederholung ist immer verunreinigt, denn sie steht ja jedes Mal in einem anderen Kontext. Immer ist etwas vorher gesagt oder geschrieben, getan worden, etwas anderes, als beim vorherigen Mal. Das Zeichen bekommt so eine „andere“ Identität (Es ist etwas anderes, zu sagen „ich bin nicht schuld“, wenn ich es mit einem Messer in der Hand tue, als wenn ich es später vor Gericht wiederhole) und dennoch konstituiert sich gerade in dieser Differenz des Zeichens „Ich bin nicht schuld“ mit sich selbst seine Identität. Identität als Identifizierbarkeit. Dieses Paradox (oder in der Philosophie: „Aporie“) ist unhintergehbar. Nur indem ich ein Zeichen in anderem Kontext gebrauche, indem ich es auch anders gebrauche (anders ausspreche, anders ausschreibe) wird das Zeichen identifizierbar, also es selbst. Es ist es selbst, indem es niemals es selbst ist.

Das ist eigentlich alles. Mehr braucht es nicht, um das Phänomen der „Bedeutung“ anders zu erklären, indem man auf das Wort „Bedeutung“ verzichtet. „Bedeutung“ ist obsolet, weil man die Dinge besser erklären kann, schlüssiger vielleicht.

Nun ist auch das kein Beweis. Aber vielleicht gibt es keinen Beweis. Jedenfalls nicht außerhalb der Systeme, die nur mit „Sinn“, „Bewusstsein“, „Gegenwart“ und „Sein“ sich rechtfertigen können. Also genauso wenig wie „Bedeutung“. Ich kann daran glauben, genauso wenig und genauso so viel wie an die „Idee“, oder an „Gott“. Diese Entscheidung nimmt einem kein endgültiger Beweis ab, denn es gibt ihn nicht. Man muss schon selber entscheiden, man muss den Vertrag – irgendeinen Vertrag – ratifizieren, um sprechen zu können. Derrida hat sich entschieden die Verträge vorher genau zu prüfen. Das ist sein gutes Recht und unser aller Recht, welches wir nur allzu selten in Anspruch nehmen. Derrida muss dafür oft auf die allgemeingültigen Verträge verzichten. Das macht ihn bisweilen schwer zu lesen, birgt aber eine gewisse Originalität, die ich sehr schätze. Und, ich gebe zu, die ich teilweise ratifiziert habe, indem ich meine Signatur unter diesen Vertrag gesetzt habe. Ich habe meine Signatur gesetzt, indem ich Derrida wiederhole und zwar anders wiederhole. In einer anderen Situation, mit einem anderen Wissen, mit anderen Worten und mit anderen Beispielen als er es tut. Aber gerade dadurch steuere ich meinen Beitrag dazu bei, das Zeichen „Dekonstruktion“ – vielleicht nicht verstehbar – aber identifizierbar zu machen.

Bloggen als Selbstpraktik

Das Schreiben von Weblogs lässt sich mit Michel Foucault als eine ambivalente Selbstpraktik betrachten, die sowohl Momente der Subjektivierung als auch der Entsubjektivierung enthält. Der Vortrag versucht sich dieser Ambivalenz mit Hilfe der Foucaultschen Konzepte von ‚Diskurs’, ‚Macht’ und ‚Selbst’ aus einer bildungstheoretischen Perspektive zu nähern.

Nach Siebzigtausend

Jahren wurde das ja mal Zeit, nicht Mark?

Demolügie

Was sagt das eigentlich über eine das System der repräsentativen Demokratie, wenn die Lügen der Politiker nie ein Problem sind, aber ein ganz kurzer Moment der Schwäche, ein winziger Augenblick der Wahrheit, sofort zu Ausschreitungen führt?

Politiker lügen, schweres fällt nach unten, und die Erde dreht sich um die Sonne. Ich kann schon verstehen, wie irritierend das ist, wenn eines davon sich ändert. Da würd ich auch auf die Barrikaden gehen.

Wie wollen wir leben?

Nachtrag zu Steingart:
Wann werden es diese Spacken endlich begreifen? Klar ist das krass wenn Siemens wieder ein Werk schließt. Und sicher, es wird auch kräftig investiert in andere Volkswirtschaften. Aber das ist nichts, absolut GAR NICHTS was sich im Stillen, im kleinen Rahmen, was sich in den nichtmessbaren Quatenverschiebungen aufsummiert und wofür allein die Technologie verantwortlich ist. Und das ist alles ja nur der Anfang.
Jede neue Software, jeder neue Automat, jede nur kleinste Weiterentwicklung der Robotik, jeder noch so kleine Erfolg in der Entwicklung von „intelligenter Software“ vernichtet Arbeitsplätze!

Und zwar jedes Mal um ein vielfaches mehr als sie erschafft. Ich sage voraus: Jede Arbeit die irgendwie berechenbar ist, wird von Maschinen gemacht werden. Das leitet sich schon aus Alan Turings „On computable Numbers …“ ab.

Warum beschwert sich darüber keiner? Weil es nicht so spektakulär ist, eine Fabrik zu modernisieren als eine zu schließen? Weil neue Soft- und Hardware statt in einem Betrieb tausend Arbeitsplätze zu vernichten in zweitausend Betrieben je einen vernichtet? Oder ist es einfach die Tatsache, dass wir sie alle gerne benutzen, die Soft- und Hardware, weil wir ohne sie nicht mehr leben wollen, weil sie uns – und anderen – die Arbeit abnimmt und die Preise fallen lässt. Haben wir sie nicht aus eben diesem Grund entwickelt? Dass wir weniger Arbeit haben? Arbeit, die wir nebenbei auch überhaupt nicht mehr bereit wären zu tun? Wer will heute schon die Geschäftszahlen aus einem riesigen Aktenberg extrahieren? Wer trauert ihnen denn nach, den Bankangestellten, den Telefonistinnen, den Buchhaltern, den Reisebüroangestellten, den „kann ich ihnen helfen?“-Verkäufern? Wer wird den Frisören nachtrauern, wenn jeder seinen elektronischen Frisör zuhause hat? Wer wird sich um die Versicherungsvertreter sorgen, wenn das Web die nötige Transparenz geschaffen hat?

Die Arbeitsplatzauslagerung ist alleine schon deswegen ein Rattenschiss, weil sie fast ausschließlich Arbeitsplätze aus der Produktion betrifft. Ein Bereich, der schon in den 20, 30 Jahren zuvor zu eine Fußnote der Geschichte ausgeblutet wurde, jedenfalls hier in unserer postindustriellen Gesellschaft. POSTindustriell! Sagt Ihnen das was, Herr Steingart?
Ich kann diese Standortdebatte nicht mehr hören. Ich kann das Geblubber der Politiker nicht mehr hören. Arbeitsplätze. Ha, Arbeit ist das, was wir geschafft haben abzuschaffen. Und diesen Traum träumt die Menschheit nicht erst seit gestern. Der ist älter als die Bibel. Älter als jedes Schriftstück. Und nun ist er da. Zum greifen nah. Und wir träumen von Arbeitsplätzen und schauen neidisch auf hungernde Inder und sich zu tode rackernde Chinesen. Das ist doch völlig absurd.
Ich will wissen, wann es soweit sein wird, dass wir die Früchte unseres Tuns genießen können? Was werden wir tun, wenn die Maschinen für uns arbeiten? Wovon werden wir leben? Wir haben die Machinen für uns entwickelt, nicht gegen uns!
Wo kann der neue Sinn herkommen, der Sinn jenseits der Arbeit? Wir haben es verlernt: das Leben. Jetzt haben wir kollektiven Feierabend und wir wissen nichts mit unserer Zeit anzufangen. Es gibt Probleme zu lösen, aber das sind andere, als die von denen die Politiker, Journalisten und Lobbyverbände sprechen:
Die erste Forderung: Liebe Politiker. Wenn ihr nicht gleich aufhört rumzuwäschen, hauen wir euch vom Platz. Und husch husch, bereitet den Boden für das Bürgergeld! Ihr sollt auf unserer Seite stehen, dafür haben wir Euch gewählt!
Die zweite Forderung geht an die Wirtschaft: Gebt das Geld her, das die Maschinen erarbeitet haben. Denn wir haben sie gebaut. Es ist unser Geld und wir brauchen es jetzt wieder, um zu leben. Neinnein, ihr müsst nicht investieren. Ist doch alles in Butter hier. Lasst uns Geld endlich sinnvoll ausgeben.
Die dritte Forderung geht an die Künstler: Gebt Eure Privilegien ab. Und Eure Fertigkeiten. An alle anderen. Wir müssen jetzt alle Künstler werden.
Die vierte an die Philosophen: Macht euch einen Kopp darum, wie die Ideologie der Arbeit uns so hat einnehmen können. Und bereitet neue Konzepte für Sinn vor. Sie werden sehr bald gebraucht.

Steingart und die Chinesen

Das Telefon klingelt. Die Redaktion.
Herr Steingart, haben Sie unsere E-Mail bekommen?
Mail, äh, ah so, den Brief? Ne, der Postbote war heute noch nicht da.

Nein die E-Mail, die kommt nicht per Postbote.“ „Ach wirklich nicht? Jaja, die Chinesen. Der gute alte Postbote war eben zu teuer, nicht? So weit sind wir gekommen, dass sie die Post aus China hierher schaffen, weil das billiger ist. Mist, da hätte drüber schreiben können. Aber OK, das kann schon mal sein, dass so ein Brief dann etwas länger dauert von China aus.“ In dem Moment kommt Frau Blumencron, Steingarts Sekretärin herein und legt ihm die E-Mail als Ausdruck auf den Schreibtisch.

Ah da ist sie. Habe sie soeben rein bekommen. Verdammt flink diese Chinesen.
Steingart legt auf. Gerade war er noch bei der Druckabnahme seines neuen Buches. Er überprüfte das Layout, die Bilder die Farben. Es schien alles ok zu sein, aber er wollte dennoch ein paar Details mit dem Setzer besprechen.
Es gibt keinen Setzer mehr hier. Schon seit Jahren. Wir arbeiten in der ganzen Druckerei nur noch mit drei Angestellten. Vor fünf Jahren waren wir noch 15. Vor zehn waren es 30.
Hm, die sind wohl auch alle nach China ausgelagert, dachte Steingart bei sich. Jaja, die Chinesen, die darf man nicht unterschätzen.
Steingart war guter Dinge, das Buch MUSSTE ein Erfolg werden. Er hatte natürlich im Vorfeld klargemacht, dass der Spiegel dafür aus vollen Rohren aus den PR-Kanonen feuern musste. Sein Freund Aust sagte ihm, er hätte da die beste aller Möglichkeiten. Spiegel Online: „Das ist kostengünstig, effizient und erreicht eine ganze Menge Leser. Kostet uns fast gar nix.“ „Ah, ein chinesisches Angebot?„, hatte Steingart geantwortet. „Neinnein,“ widersprach Aust, „Online„. Steingart war verblüfft. Kann man also doch auch in Deutschland effizient arbeiten, wenn man denn die Mitarbeiter „online“, also an der kurzen Leine führte?
Aber heute hatte er diesen Gedanken wieder verdrängt. Heute würden Teile seines Buches an der kurzen Leine des Spiegels veröffentlicht und dafür musste er extra nach Hamburg fahren. Er rief Frau Blumencron. „Fahren sie doch bitte zum Bahnhof und reservieren Sie ein Platz erster Klasse nach Hamburg.“
Aber Herr Steingart, das kann ich schnell eben online machen. Da brauche ich nicht mal mit einem Bahnangestellten sprechen.
Auch die Bahn also„, dachte Steingart. Hatte er etwas verpasst? Gibt es seit neustem eine Managementmethode, die auch Deutschland zu effizienten Strukturen verhilft?
Frau Blumencron, warten Sie bitte noch kurz. Was genau heißt „online?“
Nun, wenn man etwas online macht, dann geht das ganz fix und das Unternehmen braucht dafür keine Mitarbeiter beschäftigen, weil das ja alles automatisch funktioniert.
Automatisch“ hätte Frau Blumencron besser nicht gesagt. Aber wie sollte Sie auch wissen, dass Steingart „Automatisch“ für eine besonders produktive Region im Südwesten Chinas hielt?
Soso„, sagte Steingart, „in Automatisch. Jetzt wird mir einiges klar.“ Online wird wohl eine wichtige Stadt in Automatisch sein.
Steingarts Thesen begannen sich weiter zu festigen. Er musste mit seinem Freund Aust drüber sprechen. „Hallo Vermittlung? Fräulein, verbinden Sie mich bitte mir Herrn Aust, Stephan. SPIEGEL Hamburg“ sprach er in den Hörer, nicht wissend, dass er – wie immer – nur bei Frau Blumencron gelandet war.
Aber Herr Steingart, die Vermittlung und die Fräuleins der Vermittlung gibt es doch schon lange nicht mehr. Sie haben doch die Nummer von Herrn Aust doch im Telefon gespeichert. Drücken Sie einfach auf die Taste „Aust“.“

In China?

Was?

Äh, Automatisch?

Ja genau, automatisch.

Fünf Stunden später in Hamburg. Steingart fährt mit seinem Mietwagen auf die Auffahrt zum Parkdeck des Spiegelhochhauses. An der Schranke bleibt er stehen, öffnet das Fenster und hält seine Spiegel-Ausweiskarte gegen den Magnetleser. Früher standen hier zwei Pförtner. Einer kontrollierte, der andere richtete den Schlagbaum auf. Nachdem sich der Schlagbaum nun wie von Zauberhand öffnete, hatte Steingart sich angewöhnt „Xiantsching“ in den Magnetleser zu sprechen, was „Danke“ auf chinesisch heißt.

Steingart weiß, wie es um Deutschland bestellt ist. Er weiß, dass alle Arbeitsplätze, die hier verschwinden nur nach China ausgelagert werden. Er will also nur das Beste für sein Land, wenn er von uns fordert, ein wenig mehr wie die Chinesen zu werden. Ein wenig mehr wie zum Beispiel die chinesischen Bankangestellten, die seit Mitte der neunziger die Arbeit der Deutschen Banker einfach mitübernehmen, indem sie alles in „Automatisch“ und in „Online“ erledigen.
Er fordert auch ein wenig mehr wie die chinesischen Buchhändler zu werden, die die hier nicht kostengünstig abreitenden verdrängt haben. In China, bei Amazon, wo viele tausend chinesische Buchhändler sitzen und Bücher verkaufen, dort sprießt die Arbeit, weil sie ja auch nix kostet. Keine Rechte, kein Geld, kein gar nix. So ist das mit der Globalisierung.
Steingart fordert auch so zu werden, wie die unsichtbaren Chinesen in den Metro-Märkten, die mit RFID nicht nur die Ware abrechnen sondern gleich auch vom Konto abbuchen, so wie er es auf der großen Chinamesse „CeBit“ gesehen hat. RFID-Chinesen, die werden kommen und hier alles gehörig umkrempeln. Es wird keine deutschen Kassierer mehr geben.
Diese chinesischen Videothekautomaten, bei denen er seit sich neustem seine Filme holt, sind auch nicht schlecht. Den Job des Chinesen, der da drinsitzt, den will er zwar nicht haben, aber es ist ihm doch weit weniger peinlich bei ihm die Schmuddelfilme zu leihen, als es bei den nun arbeitslosen Videotheksangestellten der Fall gewesen ist.

Aber das ist ja alles nur der Anfang. Steingart weiß, dass in Fahrleitsystemen kleine Chinesen sitzen werden, die in nicht allzu ferner Zukunft alle deutschen überbezahlten Bus- und Bahnführer überflüssig machen werden. Und wer weiß, wie das alles in fünf Jahren aussieht. Die Chinesen sind dann schon überall.

Fortschritt heißt China. Und deshalb gehört China die Zukunft. Mit absoluter Vollbeschäftigung. Die haben es gut die Chinesen.

Neulich auf dem Sinai

Rockstar: AAAAAANWAAAAAALT!
Anwalt: Ja?
Rockstar: Sehe er sich das an! Was treiben die Schergen da unten?
Anwalt: Nun, das sind Deine Fans. Die feiern eine Party.
Rockstar: Ich gebe doch gerade gar kein Konzert. Wie können die einfach so ohne mich feiern?
Anwalt: Nun, sie haben sich ein Bootleg gemacht und feiern jetzt damit.
Rockstar: Das geht doch nicht! Ich bin der Rockstar! Sie haben gefälligst MICH zu feiern. MICH und niemand anderes! Und schon gar keine billige Kopie. Wo kommen wir denn da hin? Nachher hat jeder seinen Rockstar bei sich zu hause und ich bin völlig überflüssig oder was? Nachher tauschen die mich noch untereinander. Das ist doch illegal! Da muss es doch Gesetze gegen geben.
Anwalt: Nun ja. Also ähh.. ne. Gesetze gibt’s da keine gegen.
Rockstar: Na dann müssen wir halt welche machen! Schick mir die Zypries hoch. Zum Diktat! Aber flott!
Anwalt: Also die Zypries, die ist leider noch nicht geboren. Und Gesetze gibt’s so eigentlich noch gar nicht richtig. Wir leben doch noch im Zeitalter des absoluten Rock n’ Roll.
Rockstar: WAS! Na, dann nimm mal Schreibblock und Bleistift. Also …
Anwalt: Gehen auch Steintafeln?
Rockstar: Meinetwegen. Also: Punkt 1. „Rockstar“ (TM) ist ab jetzt ein geschützter Begriff! Den darf nur ICH verwenden. Nur ich bin der Rockstar (TM), damit das klar ist. Es kann nur einen Rockstar geben.
Anwalt: Hab ich.
Rockstar (TM): Punkt 2: Es darf keine Kopien von mir geben. Ich bin urheberrechtgeschützt, und wer mich versucht nachzubilden oder zu kopieren den, den werde ich … na du weißt schon.
Anwalt: Hab ich.
Rockstar(TM): Außerdem sollen die Leute sich gefälligst besser benehmen! Das ist ja nicht auszuhalten da unten.
Anwalt: So von wegen sich nicht die ganze zeit über töten und so?
Rockstar (TM): Genau. Naja, und kannst bei der Gelegenheit ja auch so n paar Gutmenschenfloskeln rein schreiben. Kann ja nicht schaden. So dass ich gegen Aids bin und so. Lass dir was einfallen. Und dann bring das den Leuten das und hämmer es ihnen ein. Und mahn sie ab. Sonst werden sie von den Saalordnern ins Fegefeuer geworfen, oder so was.
Anwalt: Wird gemacht.

Und so stieg Moses hinunter zu seinem Volk, das um das goldene Kalb tanzte und mahnte sie alle wegen Vertoßes gegen das Urheberrecht ab.

On the Internet

nobody knows you’re an agency.

Riecht ihr das auch?

Hier stinkt es nach altem Mann. Und nach Personenkult und Kollektivhysterie des kleinbürgerlichen Spießertums. Es fehlen nur noch die Fackelumzüge.

braunes, volles, glattes Haar

Sehe gerade Günther Grass bei einer Lesung seines SS- Vergangenheits- kapitel aus seiner Biographie auf Phoenix.

Ich habe einen beun- ruhigenden Verdacht: Nicht nur Schröder lässt sich die Haare färben. Wenn das rauskommt, dann ist er endgültig erledigt.