Des Faschodrives neuste bürgerliche Fassade

Ich muss zugeben, dass mir die Ereignisse und immer noch überall ausbrechenden Nachbeben zu Hamburg ebenfalls zu denken geben. Sascha Lobo beschreibt das, was mich beunruhigt so:

„ein sozialer Medien-Massenfuror, nicht als einzelner Wutausbruch, sondern über zwei, drei Tage, sich immer wieder selbstentzündend. Die deutsche Netzöffentlichkeit hat sich nach anfänglicher Irritation über die Härte der Polizei hineingesteigert in einen Empörungsrausch. […] Jemand fordert, man müsse „diese Leute endlich Terroristen nennen“. Jemand anderes erklärt, dass nach der ersten Gewaltnacht eigentlich jeder Demonstrant zum Mob gehöre. Ein Dritter wünscht sich Scharfschützen herbei, es könnte ein überzogener Scherz sein, aber weitere Kommentare sind eindeutig: „Abschlachten das Pack“, „zur Strafe selbst anzünden“, „Erschießen ist zu gnädig“.“

Nicht nur Sascha ist das aufgefallen, sondern auch Leo Fischer. Er aber sieht in den maßlosen Kommentaren nicht einfach den emotionalen Momentzustand der Kommentatoren, sondern unterstellt eine unterschwellige Grundstimmung. Er nennt diese Leute „Umfaller“, weil sie sich liberalbürgerlich inszenieren, heimlich aber Pozeistaatsphantasien pflegen.

„Ich weiß nicht, wie Sie’s halten, aber ich merke mir solche Leute. Gerade solche, die von unserer als der freiesten aller Gesellschaften schwafeln, aber sich in wütendste Apologeten der Staatsgewalt verwandeln, sobald sie das Gefühl haben, dass nun doch der Ausnahmezustand vor der Tür steht. Diese Leute sind zu nichts zu gebrauchen. Ihre Liberalität, ihre Bürgerlichkeit, ihr Konservatismus ist nichts wert, wenn er unter der geringsten Erschütterung zusammenbricht. Ihre Liebe zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung reicht nur für den Alltag.“

Ich glaube, Fischer hat recht. Dahinter steckt mehr, als ein im Eifer des Gefechts passierter Ausbruch. Und hier ist nun meine Theorie dazu:

Es wurde ja des öfteren bemerkt, dass wir es derzeit mit einem weltweiten Rechtsruck zu tun haben. Wir sehen die Türkei in die Diktatur abdriften, Polen und Ungarn eifern ihr nach. Brexit und Trump waren ebenfalls solche Indikatoren. Man kann von einer weltweiten Lust am Totalitären sprechen, am Autokratischen, an uneingegrenzter staatlicher Gewalt und einfachem Freund/Feind-Denken. Ich nenne diese allgemein steigende Lust am Totalitären der Einfachheit halber den „Faschodrive“. (Ich habe indes keine gute Theorie dazu, wo er herkommt, darum soll es hier aber auch nicht gehen.)

Interessanter Weise galt Deutschland immer – und seit die AfD so absäuft – immer mehr als Ausnahme zu diesem Trend. Und ich fürchte, das beruht auf einem Mißverständnis.

Es ist zwar richtig, dass der Faschodrive in Deutschland besondere Herausforderungen zu meistern hat, da er aufgrund unserer Geschichte … sagen wir verpönt ist. Aber das heißt nur, dass umso mehr Energie darauf abgestellt werden muss, beim vor sich hinfaschistoieren, die bürgerliche Fassade zu wahren. Das ist genau das Angebot, das die AfD immer unterbreitete und eine ganze Zeit lang erfolgreich an den Mann gebracht hat. Ich persönlich glaube, es war Björn Höcke, der es versaut hat. Seine Rhetorik erinnerte dann doch einen Deut zu viel an den Geschichtsunterricht, so dass die bürgerliche Fassade nicht mehr glaubhaft aufrecht zu erhalten war. Die bürgerlichen Sympathisanten fühlten sich ertappt und wandten sich ab, von den – auf einmal – Schmuddelkindern.

Der Zusammenbruch der AfD ist natürlich zu begrüßen, heißt aber auch, dass der wachsende Faschodrive seit einem Jahr ein neues Ventil sucht. Und dieses fand er in Hamburg. Wenn man die öffentlichen Reaktionen aus dem bürgerlichen Lager in Relation zu den tatsächlichen Ereignissen stellt, kommt man nicht umhin festzustellen, dass hier etwas explodiert ist. Und das, was da explodierte, hatte wenig mit den paar brennenden Autos und Mülltonnen zu tun, sondern ist viel besser mit einem überreifen, entzündeten Pickel voller Faschodrive-Eiter vergleichbar.

Aber warum Hamburg? Wenn man ein bisschen drüber nachdenkt, woran der Faschodrive in Deutschland so leidet, stellt man fest, dass Hamburg ein super Anlass war, ihn unter einer perfekt bürgerlichen Tarnung zu entfesseln.

  1. Während die AfD und Pegida-Heinis immer „gegen das System“, waren, konnte man bei Hamburg „mit aller Härte“ für das System sein. Hier waren die Linken die Outsider und kaum hatte man sie als Outgroup definiert, konnte man ihnen schnell jedes Recht auf alles absprechen. Und wer sollte die eigene Bürgerlichkeit dabei in Frage stellen, wo doch der Bürger traditionell immer auf Seiten des Staates ist. Sich mit dem System zu identifizieren und diejenigen zu jagen, die „gegen das System“ sind, passt prima in das bürgerliche Selbstbild. (Natürlich wären, wenn diese Menschen es wirklich durchdächten, Freiheiten wie das Versammlungsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch der Polizei gegenüber ebenfalls „Teil des Systems“, aber solche Ausbrüche haben ja selten etwas mit denken zu tun.)

  2. Die Linken sind auch deswegen gerade das perfekte Ziel des Faschodrives, weil der Angriff auf sie nicht unter Rassismusverdacht fällt. Das ist sehr wichtig, weil es – gerade auch durch die Debatten um AfD und Pegida – eine verschärfte Diskussion um bürgerliche Werte gab, in der Rassismus mehr und mehr als unbürgerlich und pfuibah identifiziert wurde. Das kann man durchaus als Erfolg verbuchen, führt aber erstmal dazu, dass sich die Bürgerlichen für ihren Faschodrive neue Hassopfer suchen müssen. Die Linksradikalen geben hier – mit ihrer meist selbst weißdeutsch-bürgerlichen Herkunft – ein unbelastetes Ziel ab.

  3. Man kann die Links(-Radikalen/Extremisten) hassen, ohne sich damit „gefühlt“ politisch allzu sehr zu verorten. Während man bei der AfD gleich ein ganzes politisches Programm unterschreiben muss und bei Pegida immerhin mit den Redebeiträgen und hochgehaltenen Schildern OK sein muss, kann man die eigene Härte gegen „Linke“ für sich immer noch in ein pragmatisches Narrativ verpacken. Man will ja nur Ruhe und Ordnung bewahren und wenn dabei ein paar Demos verhindert werden, Knochen brechen und Menschen unschuldig hinter Gittern landen, dann ist das eben ein kleiner Preis, den man dafür zahlt. Dass die eigenen totalitären Forderungen weit über jede Verhältnismäßigkeit hinausgehen, ist ja schließlich Ansichtssache.

Und so wurden die Hamburgereignisse ein ideales Ventil für den inneren Nazi mit der perfekten bürgerlichen Tarnung. Und das macht es so gefährlich.

Daraus kann sich etwas entwickeln, das ich für fast noch gefährlicher halte, als die AfD. Eine aus der bürgerlichen Mitte entspringende Bewegung, die Schulter an Schulter mit dem Establishment Amok gegen das Grundgesetz rennt – mit der Rechtfertigungsstrategie, es zu verteidigen.

Jetzt werden mir die Bürgerrechtsbewegten auf die Schulter klopfen und zurecht einwenden, dass diese Bewegung lange Existiert und mal „CDU“ und mal „SPD“ und in letzter Zeit vor allem „Große Koalition“ genannt wird. Aber ich meine es ernst. Es ginge hier nicht mehr um das Kleinklein stetig ausgedehnter Vorratsdatenspeicherungstaatstrojaner-Befugnisse, sondern um das Umsetzen der Forderungen, die man nach Hamburg eben so hörte. Zerschlagt die Antifa, stürmt die Rote Flora, schießt auf linke Demonstranten, die Bundeswehr soll die Schanze aufräumen. Sowas. Also eher voll in Richtung Erdogan.

Was daraus folgt? Wir sollten, nur weil die AfD besiegt erscheint, nicht aufhören, wachsam zu sein. Der Faschodrive kann uns auch in Gestalt eines SPD-Bürgermeisters oder eines sonst liberalen Kommentator entgegenspringen. Leo Fischer hat recht. Wir sollten uns diese Menschen merken.

Nachgetragen: Bundestagsanhörung

Mit meinem alten Macbook Air (2010) konnte ich irgendwann keinen Videoschnitt mehr machen, weswegen ich einige Veröffentlichungen aufgeschoben habe. Mit dem neuen Macbook geht das wieder ganz gut, so mein Eindruck, weswegen ich nun hier ein paar Videos von Auftritten nachreichen möchte.

In diesem Fall handelt es sich um einen Zusammenschnitt meines Auftritts als Sachverständiger im Ausschuss Digitale Agenda des Bundestags vom Dezember 2016. Es ging um Plattformregulierung, Interoperabilität und Neutralität. Ich habe hier nur die Einleitung, mein Eingangsstatement sowie die Fragen an mich und meine Antworten auf bequeme 22 Minuten zusammengeschnitten. Die gesamte Anhörung findet ihr hier, und hier findet ihr noch den von mit beantworteten Fragenkatalog, der das, was ich im Video nur in aller Kürze ansprechen kann, genauer ausführt. Viel Spaß.