Enttäuschung

Ganz ehrlich, ich bin enttäuscht. Ein großes, ein deutliches Zeichen hier lebender Muslime gegen den islamistischen Terror hätte ich schön gefunden. Nein, nicht nur schön. Ich hätte es notwendig gefunden.

Aber nur einige Hundert Leute, statt der angekündigten 10.000? Das ist schon bitter! Dabei war der Aufruf nicht mal exklusiv gegen islamistischen Terror gerichtet, sondern auch gegen Gewalt an Muslimen. Das ist nicht genug.

In linken Kreisen wird jetzt wieder und wieder das Mantra ausgebreitet, dass die Muslime und der Islam doch gar nichts mit den islamistischen Anschlägen zu tun hätten. Und dass es unfair sei, von ihnen zu verlangen, sich davon zu distanzieren. Und ob ich mich auch von allen Anschlägen distanzieren würde, die von Christen verübt würden?

Diese Argumentation hört sich nur für einen kurzen Augenblick lang schlüssig an, fällt aber in sich zusammen, sobald man merkt, dass sie die falsche Äquivalenz aufmacht.

Anschläge beispielsweise von Rechtsradikalen werden nicht im Namen des Christentums verübt. Sie werden im Namen einer bestimmten Vorstellung des Deutschseins verübt. Also, ja, in meinem Namen.

Heißt das, dass ich damit etwas zu tun habe? Nein, das heißt es nicht. Nicht ich persönlich. Aber es heißt auch, dass die Aussage im Raum steht, diese Anschläge seien in meinem Namen passiert. Und völlig unabhängig davon, ob irgendwer diese Aussage ernsthaft glaubt, fühle ich, dass ich ihr widersprechen muss.

Und ich bin nicht der Einzige, der so empfindet. Es widersprechen viele Deutsche immer wieder, laut und deutlich diesem von rechts gesetzten Narrativ. Unter anderem und am deutlichsten auf Demonstrationen gegen rechts, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten wie Gesprächen, Diskussionen; on- wie offline. Es ist mir wichtig, klar zu signalisieren, dass solche Dinge nicht in meinem Namen passieren. Auch dann, wenn mich niemand dazu auffordert.

Ich erzähle das nicht, um mich selbst zu loben. Um ehrlich zu sein, bin ich eher ein unterdurchschnittlicher Antifaschist. Ich will auch nicht sagen, dass in Deutschland in Bezug auf rechts alles ok ist. Das Gegenteil ist der Fall! Ich denke aber schon, dass es in Deutschland ein sichtbares Problembewusstsein und eine weitgehend normalen Abgrenzungsdiskurs gegen rechts und gegen rechte Gewalttaten gibt. Dass es zumindest viele hunderttausende Menschen in Deutschland gibt, die eine solche Abgrenzung regelmäßig und öffentlich praktizieren. Das ist nicht gut, sondern normal. Es sollte zumindest normal sein.

Sascha Lobo hatte neulich anlässlich einer Rede von Björn Höcke an einem Gedankenexperiment illustriert, warum das so wichtig ist.

„Wenn sich einhundert Menschen versammeln, und ein paar sind darunter, die murmeln Nazi-Zeug – das macht die restlichen 95 nicht zu Nazis. Aber wenn diese paar zum Beispiel anfangen würden, sichtbar Hakenkreuz-Fahnen zu hissen, dann kommt ein essenzieller Moment: Wie gehen die 95 mit den fünfen um? Akzeptiert die große Mehrheit diese Symbole unwidersprochen? Bleiben die fünf Teil der Gruppe? Ab einem bestimmten Punkt steht eine gehisste Fahne nicht mehr nur für die fünf, sondern kann oder muss als Absichtserklärung der gesamten Gruppe verstanden werden. So funktioniert politische Gruppendynamik: über Zustimmung, Schweigen und Abgrenzung. Und es gibt einen Moment, da wird Schweigen zur Zustimmung. Als würde man ohne Protest einer Fahne hinterherlaufen.“

Wenn jemand im Namen einer Gruppe Mist baut, dann ist die Gruppe in der Pflicht, sich von dem Mist zu distanzieren. Sonst muss sie sich vorhalten lassen, den Mist zumindest zu dulden.

Die Terroristen stellen den Bezug ihrer Anschläge zum Islam immer wieder deutlich her. Unter Muslimen scheint aber das Bedürfnis sich gegen diese Vereinnahmung zu wehren, nicht sonderlich groß zu sein. Und das verstehe ich nicht und es macht mich traurig. Natürlich kann man mit Rassismus, Islamophobie und genereller Unterprivilegiertheit als Nichtdeutsche einiges erklären. Aber all diese Erklärungen reichen an dieser Stelle schon lange nicht mehr aus.

Mir scheint, dass ein antifaschistisches Problembewusstsein im Islam wenig ausgeprägt ist. Ich weiß, dass mein Wort für Muslime wenig Gewicht hat und dass man solche Dinge von außen schwerlich einfordern kann. Aber ich glaube, dass sich was ändern muss. Diese Änderung können Muslime nur selbst bewirken. Ich kann aber an dieser Stelle nicht mehr so tun, als gäbe es kein Problem.

PS: Falls Muslime hier mitlesen, möchte ich noch eine persönliche Botschaft loswerden. Es ist doch so: Islamistische Terroristen und europäische Rechtsradikale haben ein gemeinsames Ziel. Sie wollen das friedliche Zusammenleben zwischen euch und uns Nichtmuslimen verhindern. Sie wollen uns gegeneinander aufhetzen. Lass uns einen Pakt machen: Ich trete dem Teil in Arsch, der sich anmaßt, in meinem Namen zu hetzen und zu töten und du trittst denjenigen in den Arsch, die vorgeben, in deinem Namen Bomben zu bauen. Lass uns gemeinsam zeigen, dass diese Leute nicht für uns sprechen. Lass uns zeigen, dass es ein „uns“ jenseits dieser beiden Gruppen gibt und dass „sie“ in der Minderheit sind.