Oskar Lafontaine. Quelle: WikipediaIch kenne Oskar Lafontaine nicht. Ich kenne wenig von ihm. Ein paar Daten, klar. Aber sonst? Ich glaube, ich kenne Oskar Lafontaine weniger als die meisten anderen deutschen Politiker der ersten Reihe. Und das, obwohl er in den Medien zu den präsentesten Politikern gehört. Er ist überall Thema, er wird dauernd genannt, es wird viel über ihn gesprochen. Dort wird unter anderem behauptet, er spreche viel. Aus irgend einem Grund, bekomme ich das selten mit. Ich sehe viele politiker sprechen, aber Lafontaine sehr selten. Ich bekomme selten mit, was er genau sagt, was seine Meinung zu bestimmten politischen Dingen ist. Worüber dann zwar berichtet wird. Aber meist nur, dass das ja alles wieder ein riesen Skandal sei, und dass er eh nur Unfug erzähle, wenn der Tag lang ist. Welchen Unfug genau, ist selten Thema des Berichtes. Ich gebe mich dann damit zufrieden, denke mir, der Lafontaine erzählt viel wenn der Tag lang ist und bin froh, dass mir die Medien langen Tag ein, langen Tag aus darüber berichten. Und dass sie mir abnehmen, mich damit inhaltlich auseinander zu setzen, weil es eben vergeudete Zeit ist, weil es Unfug ist, was er erzählt. Ich danke dem Journalismus, der sich Passionsgleich als Stellvertreter an meiner Stelle opfert, sich den Unfug anzuhören.
Nun ist es aber meine Erfahrung, dass alle Politiker viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass Demagogen, die Unfug erzählen, irgendwann aus dem Blickfeld verschwinden, nicht so Lafontaine. Und ich habe mich gewundert, warum ich trotz des medialen Dauerfeuers über und gegen Lafontaine, nach wie vor nicht weiß, wie seine Demagogie genau aussieht. Dass ich ihn nicht kenne, wie gesagt.
Darauf scheint man sich geeinigt zu haben. Lafontaine ist ein Demagoge. Ende der Diskussion. Dann braucht man sich ja gott sei dank gar nicht damit befassen. Und gerade als ich anfing, mich etwas näher zu interessieren für den Lafontaine als – sagen wir – mediales Phänomen, bricht Spiegel Online das Schweigen. „Oskars wundersame Welt“ (Gestern hieß es noch „Oskars Märchenstunde“) soll die „Halbwahrheiten, Trugschlüssen und Irreführungen“ zusammenführen und entkräften. Ich finde das gut. Endlich lese ich nicht nur, dass Oskar Mist redet, sondern was für einen Mist er redet. So genannte FactChecks gibt es im amerikanischen Wahlkampf schon lange und ich halte sie für eine sinnvolle Institution. In den USA gibt es das für alle Beteilgiten eines Wahlkampfes, in Deutschland nur für Oskar Lafontaine. Aber ich bin mir sicher, das wird noch kommen.
Jedenfalls erfahre ich dort unter anderem, das Oskar das lateinische „privare“ mit „berauben“ übersetzt, wobei es auch als „befreien“ übersetzt werden kann. Wer sich über diesen Umstand jetzt wundert, der sollte sich daran erinnern, dass beinahe alle militärischen Besetzungen von der einen Seite als „Befreiung“ und von der anderen Seite als „Beraubung der Autonomie“ verstanden wurden.
Dann wird Lafonataine vorgeworfen, die eine Statistik zu zitieren, die in seinem Sinne ist, die andere, die nicht in seinem Sinne ist, aber nicht zu nennen. Ich war erschüttert. Ich wette, Lafontaine ist der allererste Politiker, der, ach lasen wir das.
Ansonsten: Ökonomische Behauptungen Lafontaines werden mit ökonomischen Gegenbehauptungen des Autors „widerlegt“. Wer sich etwas in der ökonomischen Theorie auskennt, weiß um den faktischen Wert einer jeder solchen Behauptung. Es ist ein Glaubenskampf. Hinterher ist man immer schlauer.
Gegen Lafontaines Beispiele der missglückten Privatisierung von Strom, Wasser und Gas, wird die geglückte Privatisierung des Telekommunikationsmarktes angeführt. Ach ja. Und so weiter und so fort.
Ich war enttäuscht von der Zahnlosigkeit der Argumente. Ich würde Lafontaines Aussagen nichtmal populistisch nennen. Sondern eher „Politikerhaft“. Im eigenen Sinne halt.
Ich fühlte mich aber auch schlecht informiert. So behauptet der Autor Lafontaine würde den Rückgang der Arbeitslosigkeit auf die Ein-Euro-Jobber zurückführen, was der Autor dann leicht widerlegen kann. Die wenigen Gelegenheiten, die ich Lafontaine ungefiltert argumentieren sah, machte er dies aber vor allem an den Billiglohnjobs fest, die mit der neuen Klasse der „Working Poor“ zwar die Arbeitslosenzahlen vermiderte, denen es dadurch aber nicht besser, sondern schlechter ging. Was nur wenige bestreiten würden.
Alles also halb so heiß, wie es gekocht wurde. Ich wette, einen solchen Artikel kann man über jeden Politiker schreiben mit dem man politisch nicht übereinstimmt.
Ich nahm mir vor, mich bei der nächsten Gelegenheit mal ungefiltert mit Lafontaine auseinander zu setzen. Die Gelegenheit kam rasch. Ungeheuerliches hatte SpOn zu berichten:
„Lafontaine fordert Enteignung von Schaeffler. Neue Provokation von Oskar Lafontaine: Der Chef der Linkspartei fordert eine radikale Änderung der Eigentumsverhältnisse in Deutschland. Große Vermögen vieler Familienunternehmen seien „grundgesetzwidrig“, der fränkische Automobilzulieferer Schaeffler müsse enteignet werden.„
Schockiert war gar kein Ausdruck. Das ist ja wie in der Anfangszeit der DDR! Ist Lafontaine in Wirklichkeit doch ein Kommunist? Im Artikel wird auf ein Interview vom „Capital“ verwiesen. Da war sie, die Gelegenheit. Ich surfte also Capital.de an, und siehe da, ein Video von dem Interview mit Lafontaine wartete auf seine Rezeption. (Ich verstehe es nicht, das SpOn es nicht schafft, in so einem Artikel einen Link auf die wirklich einzige, aber doch öffentlich zugängliche Quelle zu setzen.)
Man überzeuge sich selbst. Lafontaine ist dort in einer Art Podiumsdiskussion. Er kritisiert, dass die Arbeitnehmerschaft, die ja maßgeblich am Erfolg des Unternehmens beigetragen hat, nicht am Betriebsvermögen beteiligt ist. Das will er ändern. Jemand legt ihm den Begriff Enteignung in den Mund. Er reagiert polemisch, dass schon das Horten des Kapitals des Unternehmers ohne Beteiligung der Arbeitnehmer eine Art Enteignung sei. Das war’s. Das war alles. Keine Forderung von irgendwas. Kein programmatisches Getöse zur Enteignung von irgendwem. Eine polemische Zuspitzung im Argumentationsgefecht, sonst nichts.
Man kann darüber streiten. Über Lafontaines Polemik. Seine zugespitzten Ansichten. Überhaupt sein ganzes Weltbild. Worüber man nicht streiten kann, ist die Existenz einer medialen Hetze. Ein übertriebenes Geschrei, ein hysterisches herumfuchteln. Eine alles andere als sachlich geführte Debatte.
Und da wird mir klar, dass Lafontaine tatsächlich gefährlich sein muss. Jedenfalls scheint man eine riesen Angst vor ihm zu haben. In den Parteien, wie in den Medien. Ich kann aber nichts beängstigendes finden. Jedenfalls nicht, wenn ich selber hinschaue, mich nicht auf die aufgebrachte Rezeption der Medien verlasse. Ihre Verdrehungen, Überspitzungen, ja, Desinformationen. Mir scheint, Lafontaine ist nur für sie gefährlich. Nicht für mich.
Lafontaine mag unsachlich sein. Vielleicht hat er auch unrecht. Manchmal ist er auch schrill. Er ist aber nicht im mindesten so unsachlich, schrill und im Unrecht, wie die, die ihn verteufeln.
UPDATE: Capital hat das ganze Interview jetzt online. Ich finde es sehr interessant. Einerseits der wegen der relaxten aber auch besonnen und ehrlichen Art Lafonaines wegen, als auch des schnöseligen und überheblich spöttischen Gestus des ihn interviewenden „Journalisten“ wegen. Anscheinend verlief das Interview zu gut, dass man Lafonatine umbedingt die Enteignungsgeschichte an den Hals dichten musste.