Kadens Kampf gegen die Realität

Egal wo man hinschaut: die neoliberale Elite ist wie gelähmt. Das sieht man nicht nur an Merkel/Steinbrück, die sich an alten Bärten festhalten und jede staatliche Konjunkturanstrengung als des Teufels geißeln, während die ganze restliche Welt eifrig Pakete schnürt. Das merkt man vor allem in den Medien. Die üblich verdächtigen Kommentatoren sind ganz Leise geworden. Und wenn man etwas von ihnen hört, dann sind es Töne, für die sie Lafontaine vor ein paar Monaten noch am liebsten hätten einsperren lassen.

Es gibt aber auch andere. Es gibt Leute, die ihr zusammengebrochenes Weltbild krampfhaft versuchen zu retten. So der ehemalige Chefredakteur des Manager-Magazins, Wolfgang Kaden, in diesem auf Spiegel Online publizierten Essay. Während er das Übel der jetzigen Krise aneinanderreiht und tatsächlich streckenweise beim Namen nennt, steigert er sich immer weiter hinein, in den Wahnsinn, der dieses System ausmacht. Und so kommt er schließlich nicht umhin, die Systemfrage zu stellen:

Denn wenn wir eine systemische Krise in den vergangenen Monaten erlebt haben und wohl auch noch weiter erleben werden, um einen derzeit gern verwendeten Begriff zu strapazieren, dann nicht nur eine der Geldbranche. Sondern auch eine Krise der Gesellschaft: einer Gesellschaft, die blind dem Wachstumsglauben, dem Beschleunigungs- und Machbarkeitswahn verfallen ist.

Es muss ihm selber wie ein Schock durchfahren sein. Er – die Systemfrage? Das darf nicht sein. Und jetzt passiert das unglaubliche. Er konstruiert sich eine Welt, jenseits aller Logik, in der das eben zusammengeht. Völlige Marktgläubigkeit und die jetzige Krise:

Es war nicht die Marktwirtschaft, die versagt hat. Die macht Fehler und kann immer wieder verbessert werden, wie es seit Adam Smith geschieht. Sie ist und bleibt ohne Alternative, mit ihrer Fähigkeit, Nachfrage und Angebot auszugleichen, für grandiose Innovationen zu sorgen, Massenwohlstand zu schaffen.

Nein, die Marktwirtschaft, oder besser – ich denke er vermeidet diesen Begriff bewusst – das System des Kapitalismus, ist daran nicht schuld. Neinnein. Der ist super, weiterhin.

Es waren Schuldenexzesse, es war Maßlosigkeit, die uns dahin gebracht haben, wo wir an diesem düsteren Jahresausgang stehen.

Es ist nicht kalt, es fehlt nur die Wärme. Das ist nicht teuer, nur der Preis ist zu hoch. Wie verzweifelt kann man argumentativ sein, das marktwirtschaftliche System vom System des Schuldenmachens trennen zu wollen? Schulden gehören in jedes kapitalistische System, wie der Motor zum Auto. Ohne Investitionen kein Fortschritt. Ohne Schulden keine Investition. Ergo ist das einzige, was ihm einfällt, die puritanische Mentalität des Rheinischen Kapitalismus:

Es gilt abzulassen von Wachstumszielen, die mit solider Finanzierung nicht zu erreichen sind; Tempo rausnehmen aus dem globalen Wirtschaftsrad, das sich immer schneller drehte; nachhaltig wirtschaften lernen; oder, altmodisch formuliert, in den Worten Ludwig Erhards: Maß halten.

Ach so. Ja, die Leute sollen halt bescheidener sein. So einfach ist das. Dann würde alles gut. Die immer wieder gehörte Gier der pösen Mitmenschen kommt hier zum tragen. Nicht das System ist falsch, wir hatten die falschen Menschen!

Das ist witzig. Nach dem weltweiten Zusammenbruchs des Kommunismus hat man ähnliches gehört: Die Planwirtschaft sei ein super System, nur die doofen Menschen waren einfach zu faul, ausschließlich zum Wohle der Gemeinschaft zu arbeiten. Der Kommunismus, wie der Kapitalismus, beide scheitern am falschen Menschen. Wie tragisch! Postkapitalismus, ick hör die trapsen.

PS: Auch schön, dass er, der sicher niemals zuvor gegen die horrenden Verschuldungsmechanismen der Privatwirtschaft gewettert hat, die uns diese Krise eingebrockt haben, jetzt vor allem – und wenn man genau liest: ausschließlich – den Staat geißelt.

Konkret: Der Staat muss Ausgaben kürzen; den Schuldenberg abtragen, anders als in den letzten Jahrzehnten, als immer neue Schulden dazukamen.

Denn er meint zu wissen:

Mit Schulden, um Eugen Schmalenbach noch mal zu bemühen, reiten eben nur geniale Individuen zum Erfolg. Nicht ganze Volkswirtschaften und Gesellschaften.

So. Dann können wir ja wieder zum neoliberalen Programm zurückkehren: „Pöser Staat, der du mit viel Aufwand die Trümmer beseitigst, die wir angerichtet haben, spar endlich!“

Geständnis

Zunächst ein Geständnis: ich glaube an die Selbstregulierung der Märkte. Ja, Ich. Jetzt seid ihr baff, oder? Dabei kommt das tollste ja noch.

Selbst jetzt, wo sogar die eingefleischtesten Neoliberalen ihre Meinung anzuzweifeln beginnen, glaube ich weiterhin an die Selbstheilungskräfte des Marktes.

Ich glaube, das was wir derzeit erleben, ist eine Marktbereinigung gigantischen Ausmaßes. Aber eben nicht das Ende des Kapitalismus. Der wird sich, nach ein paar Jahren stetiger Bettruhe, wieder in alter Frische erheben. Verändert, sicher. Aber auf jeden Fall wieder da.

Ich glaube das auch dann noch, wenn die Regierungen nicht eingreifen und einfach alles vor die Hunde gehen lassen. Selbst wenn alles crasht und die Weltwirtschaft so richtig nachhaltig im Arsch ist, wird sich der Markt erholen.

Woran ich aber nie geglaubt habe, ist, dass der Markt nur gut für den Menschen ist. Ich glaube, wenn der Markt jetzt unkontrolliert crashen würde, dann würde durch die weltweite Depression Elend, Hunger und Bürgerkrieg herrschen. Viele Jahre lang. Vielleicht auch schlimmeres. ich glaube fest daran, dass wir wieder Krieg hätten, auch in Europa. Dass Menschen verhungern würden, dass radikale Ideologien und verzweifelte Verteilungskämpfe Millionen von Toten weltweit fordern würden.

Was die Neoliberalen nie erkannt haben, ist, dass es nicht um den Markt geht. Der Markt mag sich selber regulieren und der Markt mag auch alles überleben, sich selber heilen usw.

Aber es geht doch um den Menschen!

Die paar BWL- und VWLvorleseungen denen ich beiwohnen konnte, vermittelten mir eines sehr genau: Das kalte Bild des Homo Ökonomikus. Der seinen Nutzen kühl kalkuliert und ihn stets maximieren will. Er will möglichst wenig Kosten aufwenden, um einen möglichst hohen Ertrag zu erlangen. Die Strategien zu diesem Ziel, sind der größte Teil jedes BWLstudiums. Man bekommt tatsächlich in Vorlesungen die Vorteile von Sollbruchstellen in Produkten gepriesen. Unter anderem.

Was komischer Weise nie Teil der BWL war, ist folgende Strategie: Jemand hat Geld, also haue ich ihn um und nehme es mir. Gibt es ein besseres, das heißt kostengünstigeres Verfahren seinen Nutzen zu maximieren? Ich denke kaum. Warum wird es dann nicht gelehrt? Es wird einfach daran liegen, dass es hier verboten ist. Vom Staat. Im Gegensatz zu Sollbruchstellen in Produkten oder dem Weiterverkauf von faulen Krediten.

Ich glaube an den Markt. Und ich glaube genau deshalb, dass er reguliert werden muss. Dass im Zentrum jeder Politik nicht der Markt, nicht die Exportweltmeisterschaft, nicht der Standort oder die Investitionen oder die Konjunktur stehen sollte, sondern der Mensch. Und die Gerechtigkeit.

Marktliberalismus 2.0

Marktliberalismus ist einfach: Man schreit nach Steuersenkungen mit der Begründung, dass der Markt den Rest schon erledigen werde. Das mit dem Menschheitsglück natürlich. Aus irgendeinem Grund ist diese Meinung die letzen paar Jahre recht populär geworden. Je weniger die so genannten „Leistungsträger“ von ihrem Kuchen abgeben müssen, um so besser für uns alle. Denn es geht auch um die Wettbewerbsfähigkeit, international versteht sich.

In sofern finde ich tatsächlich das fulminante Eingreifen des amerikanischen Staates in die Finanzwirtschaft eben nicht sozialistisch wie jetzt viele meinen. Es ist eine folgerichtige Weiterentwicklung des bisherigen Konzeptes. Eine Art Marktliberalismus 2.0 sozusagen. (Oder auch Hypermarktliberalismus)

Die USA haben eine ganze Reihe Banken, wenn nicht beinahe alle, die sich mit faulen Krediten ganz schön in die Scheiße geritten haben. Der Staat zeigt sich gnädig und übernimmt jetzt die faulen Kredite einfach auf die eigene Schulter. Ich schätze die angepeilten Kosten von einer halben Billionen Dollar (200 Millarden sind ja schon versenkt) für optimistisch geschätzt. Verstaatlichung rufen da einige, und haben teils recht. Aber im Gro wird jetzt nur eines verstaatlicht: nämlich die Risiken von Krediten.

Aber: man kann das durchaus in einer Linie mit den Forderungen nach Steuersenkungen betrachten: Denn, nach der Null hört die Skala schließlich nicht auf. Nennen wir es einfach eine Art negative Steuer für Finanzhäuser.

Was wir nämlich erleben werden, ist, dass das Bankensystem in den USA sich wieder aufrappeln wird. Und in dem Bewusstsein, dass die Risiken ja nicht man selber, sondern im Notfall der amerikanische Steuerzahler trägt, werden die Banken in den USA international derart Wettbewerbsfähig sein, dass sie alle anderen das fürchten lehren werden. Es winken Traumbilanzen: Abschreibungen auf Forderungen können getrost gestrichen, Rückstellungen zurück in die Assets gebucht werden. Also krass gesagt: Man muss nur „too Big to Fail“ sein. Dann lässt sich jeder Staat erpressen.

Ich höre schon die Stimmen aus Deutschland: Das brauchen wir auch! Wir müssen ja international Wettbewerbsfähig sein und mit den amerikanischen Superbanken die auch ohne eigenes Risiko arbeiten, konkurrieren! Ackermann wird das nicht schreien. Er hat es teilweise bereits. Alle anderen werden folgen. Denn die Amis sind nicht zurückgefallen durch die Krise, sie sind nur wie immer einen Schritt weiter.

Es ist naiv anzunehmen, dass das marktliberale Gewäsch, dass vorher abgesondert wurde, tatsächlich von den Apologeten selbst geglaubt wurde. Man fordert nur konsequent weiter, wenn man die Null hinter sich gelassen hat. Dummerweise braucht das Kind jetzt einen neuen Namen. Wörter mit „liberal“ nimmt man denen wohl erstmal nicht mehr ab.