Evolution vs. Kreationismus im Simpsons-Movie

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SPOILER

Es ist unsinnig das hier zu lesen, bevor man den Film gesehen hat. Es ist zwar nicht so, dass dieser Text jetzt so viel von dem Film verraten würde, dass er sich nicht mehr lohnen würde, aber gerade weil ich nicht viel Handlung erzähle, sondern ihre Kenntnis voraussetze, wäre es schwierig der Argumentation zu folgen.

Achja, und: Alle Zitate, auch die direkten, sind aus meiner Erinnerung entnommen und müssen nicht wortwörtlich stimmen.
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Moooment. Sollte es nicht Evolutionlehre vs. Kreationismus heißen? Nein. Der dargestellte Konflikt befasst sich nur indirekt mit der Lehre, sondern mehr mit der Evolution schlechthin. Und das auf eine sehr vielschichtige, nichtplumpe Weise. Also nicht auf dem Niveau, auf dem sie für gewöhnlich geführt wird.

Aber kommen wir zum Punkt:
Die Evolution wird hier verkörpert von, na, Homer Simpson. Das den Film einleitende Spiel mit seinem Sohn Bart, das „trau dich was„-Spiel ist der erste und wichtigste Hinweis auf die Evolution. Völlig hirnverbrannt begeben sich Bart und Homer in immer wieder gegenseitig in neue Gefahr. Das ist auf einer bestimmten Ebene gewissermaßen die Quintessenz des Unterschiedes zwischen Kreationismus und Evolution. Das jedes Mal erneute Aufs-Spiel-Setzen der eigenen Existenz. Im Gegensatz zum Kreaktionismus ist in der Evolution nichts sicher, jede Art kann jederzeit ausgelöscht werden. Die Würde definiert sich zunächt über das „Dennoch-Überleben“.

Homer ist dabei ein außergewöhnliches Exemplar. Sein irrationaler Mut Unüberlegtheit gepaart mit seiner Ungeschicklichheit scheinen zunächst der eigentlichen Aussagen der Evolution zu widersprechen. „Survival of the fittest“ hatte Darwin noch proklamiert. Nur, das was Homer immer wieder rettet, ist der Zufall. (Und zwar nicht nur im Film). Der Zufall hat in der Dramaturgie der Simpsons immer einen ganz besonderen Stellenwert. Meist tritt er als Retter in der Not auf den Plan. Oft kann man ihn mit einem göttlichen Zeichen verwechseln. In Wirklichkeit ist es aber eben der evolutionäre Zufall, also dieser absurde Zufall, der die Welt ist, diese minimale Chance, die das Leben auf die Erde brachte, die den Menschen formte und die diesen vollkommen unfähigen Menschen, dessen absolute Karikatur Homer darstellt, hat so lange überleben lassen. Es ist also mehr die zeitgenössische Evolution des Zufalls, als die des „Fit-Seins“, die Homer repräsentiert und dessen Gerichtetheit er somit auch angreift.

Wenn Homer zu Marge sagt: „Ich denke nie. Ich will doch nur den Tag heil überstehen, damit ich mich Nachts an Dich rankuscheln kann„, dann ist das zwar gelogen, aber Homer rezitiert damit den Leitspruch der Evolution. Die Evolution ist dumm, sie denkt nicht, es gibt nur das Überlebenwollen der Einzelwesen. (Auch nicht der „Art“ (Dawkins hat mit diesem Vorurteil aufgeräumt)) Und wohin das führt, dieses unreflektitierte, egoistische Vor-Sich-Hin-Überleben, das thematisiert die Rahmenhandlung, um den Lake Springfield. Aber dazu später.

Jaha, der Film ist keineswegs ein reines und plumpes Plädoier für die Evolutionslehre. So einfach ist das nämlich nicht. Soviel kann schon mal gesagt werden: die Evolution kommt nicht besondern gut weg.

Aber kommen wir zunächst zum Kreationismus, hier dargestellt von Ned Flanders. Das das so ist, ist zwar naheligend, wird spätestens unmissverständlich klar, als Ned sich wahnsinnig schämt, weil er sich gerade vor dem, durch den vermüllten See mutierten, Eichhörnchen erschreckt hat. Das 10-Äugige Mutantenfiech wird nach dem ersten Schock von Ned als „durchaus gelungene Schöpfung Gottes“ sofort anerkannt und akzeptiert und damit automatisch ins Herz geschlossen. Ein klares Outing also, als Kreationist. Und gleichzeitig ein möglicher, sich daraus ergebender Weltbezug und seine moralischen Konsequenzen.

Und nun kommen wir zur eigentlichen Verhandlung der beiden Positionen. Denn diese findet nicht, wie es manche erwarten würden, auf einer ontologisch-wissenschaftlichen Basis statt. Es geht nicht darum, was denn jetzt richtig sei, sondern es wird auf einer moralischen und zweckmäßigen Ebene verhandelt. Es geht hier darum, welche „Weltanschauung“ ist das „bessere“ Modell, eines, was weniger Leid, mehr Freude, mehr Verantwortung generiert – schlicht – welches eine bessere Welt zu gestalten fähig ist. Und nicht zuletzt: welches Modell fähig ist, uns unsere Würde zu garantieren? Es ist wie im Kalten Krieg also ein Kampf der Systeme und damit ein Krieg um die Köpfe.

Und dieser Kopf ist hier natürlich Bart. Barts Konflikt zieht sich über den gesamten Film und ist ohne Übertreibung das tragende Element der Story. Evolution oder Kreationismus? Das ist hier aber Barts eigentliche Frage.

Zunächst, beim Rumalbern mit Homer, ist Bart ganz klar auf Seiten der Evolution. Er hängt an der Regenrinne, im Begriff herunterzufallen und während sein Vater an derselben rüttelt, lacht er noch dabei – und schreit vor Angst. Immer Abwechselnd.
Er scheint in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, ein Umstand, der Homer ganz am Schluss des Filmes tatsächlich selber in den Sinn kommt. Homer ist für Bart Vorbild, wie sein Vater Vorbild für ihn war. Der soziologische Wurmfortsatz der Evolution sozusagen.
Nur. Was hat diese Perspektive zu bieten? Diese Frage stellt sich Bart im Film ganz nüchtern und sehr zentral.

Denn immer wenn es eng wird, lässt Homer ihn im Stich. Homer ist neben seiner Dummheit, in diesem Film vor allem die Blaupause des Egoismus und zwar des vollkommen unreflektierten Egoismus. Er steht nicht zu seinen Fehlern, lässt andere für sie büßen. Er flieht vor jeder Verantwortung und erschleicht sich seine Gnade. Und wo die Gutmütigkeit seiner Mitmenschen (Flanders, Marge) nicht mehr ausreichen, tut der bereits zitierte Zufall sein übriges. Das ist der Lebensentwurf, der Bart eines Tages in seiner nackten Brachialität offensichtlich wird. Nein. Würde ist das nicht gerade, was er bei Homer entdeckt.

Und das geht so: Im Zuge des „Trau-Dich-Was„-Spiels mit Homer stiftet dieser ihn an, nackt durch die Stadt zu skaten (übrigens paradoxerweise unter Einsatz seiner Würde). Bart macht das glatt, wird aber von der Polizei einkassiert. Sie lässt ihn zur Strafe nackt am Laternenpfahl angekettet, so dass alle ihn ausgiebig auslachen können. Als Homer nach sehr, sehr langer Zeit endlich ankommt, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien, bittet Bart ihn aus seiner vollkommen entwürdigenden Position heraus, den Polizisten gegenüber wenigstens einzugestehen, dass er ihn zu dieser Tat angestiftet hat. Homer würde es nur eine Stunde Nachsitzen in Sachen Erziehung kosten, doch er leugnet natürlich. Als sich dann noch herausstellt, dass Homer zwar Barts Klamotten dabei hat, seine Hose aber nicht, wird es immer klarer worum es geht: Homer ist nicht fähig, Barts Würde wieder herzustellen, sogar unfähig überhaupt irgendeine Würde herzustellen. Wenn überhaupt, ist er fähig Würde zu nehmen. Sich und seinem Sohn, der – nun ohne Hosen – Homer im Resaturant beim Essen zusehen darf.

Da kommt gerade rechtzeitig die Alternative. Ned hilft ihm in seiner peinlichen Situation, denn er hat zufällig eine Hose (Barts Würde) dabei („Kinder scheuern sich immer die Knie auf, beim beten„) und während Homer sich lieber für ein Schwein interessiert, als seinem Sohn zu helfen, rettet Ned ihn über seine Schmach.

Denn es ist ja nicht so, als ob der Kreationismus mit all seinen christlichen Anleihen nichts zu bieten hätte. Er generiert ein Weltbild, wo jeder seinen Platz hat. Dazu ein verpflichtendes Gutsein zueinander und ein gewisses Einssein mit der Schöpfung. Ned ist – im Gegensatz zu Homer – fähig, Bart zu zeigen was Würde ist. (Außerdem macht er eine ganz vorzügliche Heiße Schokolade) Dass Ned in einer späteren Szene Barts Wunsch ohne zögern nachkommen will, ihn in seine Familie zu integrieren, zeigt diese Akzeptanz ohne Ansehung der Eigenschaften der Person, die in dem kreationistischen Weltbild angelegt ist.

Bart scheint sich also wirklich auf den Handel einzulassen und beinahe den ganzen Film über, wird er in seiner Entscheidung bestärkt.

Es könnte also der Film an dieser Stelle als ein Plädoier für das kreationistische Weltbild gelesen werden. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Die Drehbuchautoren schrauben nämlich die Handlungskomplexität noch ein ganzes Stück weiter. Das wird klar, wenn man sich der Hauptrahmenhandlung und ihrer Relevanz für die Akteure annimmt.

Das eigentliche Problem, um das es geht, ist tatsächlich der Lake-Springfield, der durch seine andauernde Verschmutzung zum Armageddon der Springfieldbewohner mutiert. Die allzu offensichtlichen Verweise auf den Klimawandel und den Treibhauseffekt (Glaskuppel, Lisas „Al Gore“-Vortrag, etc) will ich hier mal bei Seite lassen und mich lieber auf ihre Wirkung auf die beiden Denksysteme konzentrieren.

Homer, ganz klar, derjenige, der so dermaßen abgestumpft ist, dass er noch das Fass den See zum überlaufen umkippen bringt, ist hier sicher das schlechteste aller Beispiele.
Aber schauen wir, was Flanders, also der Kreationismus, zu bieten hat. Nämlich nichts. Klar, Flanders ist, im Gegensatz zu Homer, kein schlimmer Umweltverschmutzer, aber die Verschmutzung selbst wird von ihm nur mit seinem seelingen Fatalismus goutiert. Er unternimmt nichts gegen die Verhältnisse, die ihm von vornherein als Gottgegeben erscheinen (so wie das mutierte Eichhörnchen). Er mag sich pflichtbewusst für seinen Nächsten einsetzen, etwa wo er den Simpsons zu Flucht verhilft, aber der kommenden Katastrophe hat er nichts entgegenzusetzen. In der allergrößten Not, kurz vor dem endgültigen Aus, fällt ihm nichts besseres ein, als zu beten. Auch seinem Weltbild fehlt es an einer gewissen Form von Verantwortung, wenn auch auf eine andere Weise als bei Homer. Und so versagt Flanders, also der Kreationismus, im Angesicht der kommenden Katastrophe. Seine Würde ist eben auch nur Abhängig von einem Externen Wesen, dessen Gnade er sich aussetzen muss.

Flanders scheint – zumindest hier – nur zum Schein eine wirkliche Alternative zu sein. Aber wofür plädiert denn dann dieser Film?

Da gibt es noch einen dritten Weg. Repräsentiert von Lisa Simpson. Sie ist es, die als erstes auf die drohende Katastrophe aufmerksam macht. Sie ist es, die zum Handeln auffordert und die einen Weg weist, wie Spingfield dennoch überleben kann. Obwohl die Bewohner zunächst sehr genervt reagieren, erkennen sie kurz vor dem Fall dennoch die Notwendigkeit von Lisas Forderungen und setzen sie in die Tat um. (Verhindern kann sie die Katastrophe dennoch nicht) Doch was ist ihre Motivation. Wo kommt ihr gesteigertes Verantworungsgefühl her? Die Antwort ist Vernunft.

Lisa ist vernünftig, d.h. sie reflektiert ihre Handlungen und die der Anderen und vermag es so die Konsequenzen dessen abzusehen und davor zu warnen. Nur wo ist ihr Angebot in Sachen Würde? Und wieso ist sie es nicht, die Ruferin in der Wüste, die doch noch Rettung verschafft?

Sie tritt Bart gegenüber jedenfalls nicht als Alternative auf. Und insgesamt auch nicht als Retterin. Denn das eigentliche, was der Film beschwört ist nicht die Vernunft, die durch Lisa (unter-)repräsentiert ist. Klar, sagt der Film: die Vernünftigen, die gibt es. Irgendwo. Ein paar. Es gibt die Al Gores (in dessen Fußstapfen sie tritt). Aber sie können nicht die Rettung sein. Das hier ist nicht „the day after tomorrow“

Die Rettung ist: Homer. Ja, Homer, also gewisser Maßen die Evolution. Die dumme Repräsentation der Evolution. Aber nicht Homer alleine, sondern ein modifizierter Homer. Einer der über sich hinausgeht, indem er dazulernt. (Das passiert im Film durch eine Art Entwicklungsroman und ein Erweckungserlebnis (aber eben nicht durch Lisa Simpson), ist aber im Grunde austauschbar). Homer und seine Fähigkeit im entscheidenden letzten Moment noch dazuzulernen, ist die einzige Rettung. (Im Film sind es zwei Lernerfolge, die Spingfield retten. Einerseits Homers Erkenntnis, dass er nicht alleine existieren kann und anderseits die Vorteile der Fliehkraft für sich innerhalb von Kugeln bewegender Körper)

Und mit diesen Erkenntnissen in letzter Minute die Welt zu retten, ist das Privileg des einfachen, dummen, egoistischen Menschen (Ja, genau der, der uns das alles eingebrockt hat). Ohne ihn und sein Dazulernen, wird es keine Rettung geben, das kann man wohl allgemein so stehen lassen. So ist es vielleicht aber eher ein Heraufbeschwören eines Hoffnungsschimmers am Horizont, als eine nüchterne Feststellung der Simpsonsmacher. Naja…

Aber das entscheidende ist: Überleben kann nur die Evolution, aber nur indem sie über die Evolution hinausgeht. Indem sie sich über das „egoistische Gen“ erhebt, wenigstens für einen Moment. Ja, ja Dawkins hat ja Recht. Aber dabei darf es eben nicht bleiben! Wenn die Menschheit überleben will, muss sie Dawkins hinter sich lassen. Aber dieses Hinter-sich-lassen ist wiederum in der Evolution bereits angelegt. Der evolutionäre Mensch kann dazulernen, sich weiterentwickeln, was dem kreationistischen Menschen versagt bleibt. Der ist zwar „intelligent designed“, aber eben auch statisch. Diese Öffnung in die Zukunft, so könnte man sagen, ist der entscheidende Punkt bei diesem Streit, der – man möchte sagen: „dennoch“ – 2:1 für die Evolution ausgeht.

Denn genau dieser Akt der Erkenntnis und des Lernens, also das, was ihn über die pure egoistische und dumme Evolution hinaushebt, ist es schließlich, was Homer seine Würde wieder zurückgibt. Und damit dem Menschen.