Googles schwieriges Verhältnis zur Macht

Ein guter Bekannter von mir arbeitet bei Google. Die wenigen Male – aber doch immer mehrmals im Jahr – wenn wir uns zu bestimmten Geburtstagen und sonstigen Gelegenheiten sehen, fangen wir an, zu diskutieren. Ich komme dann meist mit meiner leicht überschwänglichen Begeisterung für die neusten Google-anoucements aber konfrontiere ihn nach einiger Zeit mit der Macht von Google, die mir immer ungeheuerlicher wird. Und all die Jahre lächelt er dann nur und meint meine Bedenken mit dem Satz wegwischen zu können, dass Google ja nur Geld verdienen wolle. Da gäbe es überhaupt keinen Willen zur Machtausübung, im Gegenteil. Man wolle sich aus allem politischen so weit es gehe heraus halten.

An seine Worte musste ich denken, als ich gestern den Text von Chrisoph Kappes auf Carta las.

Auch wenn jetzt nicht so wahnsinnig viel neues drin steht, stellt Kappes die Debatte um Google auf ein sehr plausibles Argumentationsgerüst. Zusammengefasst kann man sagen, dass Google eben ein neuartiger Player auf dem Werbemarkt ist und dass sich all seine Projekte, Engagements und Dienste langfristig – eben rational – auf dieses Kerngeschäft beziehen lassen. Dabei ist vieles, was derzeit als problematisch angesehen wird, gar nicht problematisch, wenn man es in diesem Kontext betrachtet.

So sehr ich diese Betrachtungsweise auch unterstütze (Google ist ein wirtschaftliches Unternehmen und man kann seine Handlungen nur so stringent erklären); sie allein greift zu kurz. Man kann zwar mit Hilfe einer wirtschaftswissenschaftlichen Analyse die Intentionen Googles freilegen und somit alles, was vorher chaotisch, ja befremdlich und unkontrollierbar wirkt, in eine verstehbare und für jeden nachvollziehbare Erzählung überführen, aber man hat damit der Machtgeschichte Googles noch lange nicht Rechnung getragen. Denn hinter Machtakkumulationen muss nicht nötigenfalls eine ebensolche Intention stehen. Das passiert machmal auch ganz von alleine.

Google häuft Macht an, auch ohne, dass es sie will. Im Gegenteil: eines der ganz großen Probleme ist, dass Google seine eigene Macht

1. gar nicht wahrhaben möchte (denn damit wären berechtigte Forderungen nach gesellschaftlicher Kontrolle und Teilhabe sofort auf dem Plan, die dem tatsächlichen, primären Ziel der langfristigen Gewinnmaximierung im Wege stünde)
2. und deswegen bis heute auch keine Strukturen geschaffen hat, damit umzugehen, bzw. diese auch auszunutzen.

Aber zurück zu Kappes Text: Zu dem Vorwurf, dass Google ein „quasi staatliches Gebilde“ sei, erwidert Kappes lapidar:

Falsch ist, dass Google ein quasi-staatliches Gebilde ist, denn nach Robert Jacksons Begriffsprägung fehlt es sowohl an der empirisch-faktischen als auch an der juristischen Staatlichkeit.

Das ist reine Begriffsreiterei. Natürlich meinen die Kritiker nicht: „strukturiert und legitimiert wie ein Staat„, sondern eine „hoheitliche Machtfülle im staatsähnlichen Ausmaß„.

Diese Frage ist nicht neu. Immer wieder wird betont, dass Facebook die 5. größte Nation der Erde sei, sofern sie eine wäre. Google hat weit aus weitreichendere Fühler und komplexer aufgestellte Machtzentren als Facebook (wie ich noch zeigen werde), aber bleiben wir kurz bei Facebook als Beispiel, weil ich da gerade betroffen bin:

Facebook kann User ohne genauere Angabe von Gründen suspendieren, ihren Account disablen. Das ist zunächst eigentlich ihr gutes Recht (in Deutschland gott sei Dank nicht, aber lassen wir das erstmal bei Seite), aber es wird eben dahingehend problematisch, da große Teile der Gesellschaft zunehmend über Facebook kommunizieren. In meinem Fall trifft das zwar nicht zu, aber es gibt bereits einige Millionen Nutzer, deren Grundrechte mit einem Ausschluss aus Facebook empfindlichst berührt werden: Nämlich dem Grundrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs.

Man kann zwar argumentieren, dass das ja auch über andere Kanäle gehe, kommt aber dort an seine Grenzen, wo es nun mal faktisch so ist, dass der Freundeskreis weiterhin auf Facebook kommuniziert, auf dem der Betroffene ausgeschlossen bleibt. Sein Menschen- und Bürgerrecht ist nicht unerheblich bedroht, durch dieses rein wirtschaftliches Unternehmen, dass nicht im Interesse von Macht, sondern Geld handelt.

Was ist hier passiert? Im Grunde das selbe, wie bei dem „to big to fail“ der Banken. Facebook hat eine nichtstaatliche Infrastruktur bereitgestellt, die so erfolgreich ist, dass die Gesellschaft und im Zweifel der einzelne, davon abhängig ist. Auch wenn Facebook als Unternehmen und Software grundsätzlich ersetzbar ist, ist es aber nunmehr die Infrastruktur, auf der sich ein großteil des sozialen Lebens abspielt und zwar von nicht ganz unerheblichen fast 400 Millionen Menschen.

Kommen wir also wieder zurück zu Google. Google tut genau dies in noch krasserem Ausmaß: Es stellt Infrastruktur zur Verfügung. Es tut es zwar mit dem Ziel, die „Werbefläche Internet“ weiter auszubauen und so mit ihr wirtschaftlich mitzuwachsen, aber es hat eben den Seiteneffekt, dass dadurch faktische Abhängigkeiten geschaffen werden.

Google entwickelt unentwegt Systeme, Dienste und Programme, die nicht nur die Konkurrenz alt aussehen lassen, sondern bringt diese Systeme dann auch noch kostenfrei für jedermann unter das Volk. Das schafft eine menge Komfort aber eben auch Abhängigkeiten, ob Google will oder nicht. Ich habe beispielsweise einen Großteil meiner Texte auf Googledoc, meine Mail läuft seit neustem auf Googlemail und ohne Maps wäre ich aufgeschmissen. Und das ist erst der Anfang.

In anderen Feldern geht Google grundsätzlicher und deutlicher in die Infrastruktur. Es schafft Nameserver, die für alle eine alternative bilden, deren Internetprovider Domains sperren. Es ist bereits dabei ein eigenes Netz zwischen seinen Datencentern zu etablieren. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass diese Arbeit weitergeht, die letzte Meile bis in die Haushalte. Wirtschaftlich, langfristig hätte Google dazu allen Grund. Google hat bereits San Franzisco testweise mit Wlan ausgestattet und fängt nun an, Accesspoints auf Flughäfen zu Installieren. Man versucht außerdem Voicedienste an den Telkos vorbei anzubieten. Heute schon geht das halbe Internet nicht, wenn Googleanalytics schnupfen hat. Mit Googlebooks wird demnächst das Äquivalent zur Stadtbücherei weltweit alle geschriebenen Informationen für alle umsonst anbieten. Und das alles ist nur ein Ausschnitt der „quasi öffentlich/hoheitlichen“ Aktivitäten von Google.

Grundsätzlicher kann man das historisch so zusammenfassen: Die Gesellschaft hat sich global gewandelt. Noch vor kurzem waren alle menschlichen Kommunikationen an mehr oder minder stoffliche und räumliche Infrastrukturen gebunden, die alle samt der Obliegenheit – zumindest aber der Kontrolle – des Staates unterstehen. Die meisten sozialen Interaktionen finden aber heute im Internet statt. Das was (natürlich unter anderem) die Aufgabe des Staates in der Kohlenstoffwelt war, nämlich für die Infrastruktur dieser menschlichen Interaktion zu sorgen (Öffentliche Räume, Schulen, Bibliotheken, Straßen, Register, Verwaltung), für all das gab es im diesem neuen sozialen und globalen Raum des Internets noch keine Entsprechung. Bis Google – jaja, durchaus im Eigeninteresse – diese Aufgabe (ohne das freilich so zu sehen) übernahm.

Google hat sich zur strukturellen Macht im Internet gemausert. Ohne seine Macht – allerdings – wirklich zu gebrauchen. Aber das ist erst der Anfang. Wenn Google seine Infrastrukturprojekte weiter vorantreibt wird es bald kaum einen Flecken im Internet mehr geben, an dem Googletechnologie entbehrlich würde. (Sie sind jetzt schon rar geworden).

These: Je mehr menschliche Interaktion aus der Kohlenstoffwelt in das Internet ausgelagert wird, desto mehr Macht verlieren die Staaten und sie verlieren sie derzeit vor allem an Google.

Bisher war es tatsächlich so, dass Google seine Macht nicht nur nicht ausgenutzt hat, sondern sie, wo es ging, wehement bestritten hat. Was mich an dem Beispiel China so hat aufschrecken lassen, ist, dass es wie ein Bruch mit dieser Policy klingt.

Und wenn ich recht habe – und gerade aus betriebswirtschaftlicher Sicht macht es hier Sinn, das habe ich hier ja erläutert – dass Google in diesem Fall seine Macht bewusst einsetzt, erleben wir – nicht die Quasinationalität (dieser Begriff führt tatsächlich in die Irre) – aber immerhin eine postnationale Macht. Denn sollte der Machtanspruch Googles für das Internet am Beispiel von China tatsächlich derart offen artikuliert werden, haben wir ein großes Souveränitätsproblem in Sachen Internetgesetzgebung. Weltweit.

Natürlich – ich kann das nur wiederholen – kann ein derartiges Vorgehen nur unter Billigung der US-Regierung geschehen. Deswegen ist es „postnational“ auch nur mit Einschränkungen. Aber sicher mehr als nur der erste Schritt dahin.

Google wäre somit für die USA das, was die Westindien-Kompanien der europäischen Kolonialstaaten waren. Ein eigentlich an Wirtschaftlichkeit orientiertes, transnationales Unternehmen, dass aber durch die Hintertür der Erfüllungsgehilfe zur Durchsetzung von geostrategischen Machtansprüchen ist. Ein politisch/wirtschaftliches Jointventure zum beiderseitigen Interesse und auch noch im Namen der guten Sache (gegen Zensur/für Meinungsfreiheit).

PS: (Die Macht von Google geht natürlich noch weiter. Vor allem über das Individuum. Mit delikaten Informationen erpressbar wären schließlich mindestens die Hälfte der vielen hundert Millionen Googleaccountnutzer. Aber so weit muss man ja gar nicht gehen. Es würde außerdem Googles langfristiges Interesse an Profit gefährden.)

PS2: (Aber falls Google sich machtpolitisch aus seiner Verweigerungshaltung hinaus begibt, wonach es aussieht, werden die Rufe nach Vergesellschaftung nur umso lauter. Google reagiert jetzt schon darauf, indem es viele seiner kritischen Softwareprojekte open source veröffentlicht. Chrome, Wave und viele andere Projekte werden von Google zwar voran gebracht, aber sodann gleich vergesellschaftet. Als würde man sich von dieser Brüde befreien wollen. )

PS3: (Das passt aber voll in Googles Strategie. Google wird noch viel damit zu haben, Macht loszuwerden. Sie werden vermutlich überall, wo sie es nur können, Macht abfließen lassen. Das Verhältnis von Google und Staaten wird aber ein spannendes bleiben. Denn sehr oft handeln Staaten gegen die Interessen von Google. Google hat gerade damit angefangen, sich das nicht mehr gefallen zu lassen.)

12 Gedanken zu „Googles schwieriges Verhältnis zur Macht

  1. Lieber Herr Seemann,

    Sie zitieren meine Kritik an der Formulierung der ZEIT, „quasistaatliches Gebilde.“ Dies ist ein Fachbegriff, der für staatsähnliche Konstrukte gebraucht wird, diskutiert wird das – unterhalb der EU – für faktische Staatsformen in sog. „Schurkenstaaten“. Ist aber eine lange Diskussion, die vom Thema abführt…
    Bitte zitieren Sie doch beim nächsten Mal auch den nächsten Satz von mir. Er lautet:
    „Vielleicht muss man Google als dominant und prägend im Internet ansehen, und das auch supranational.“
    Danke und Grüsse
    C.K.

  2. lieber herr kappes, danke für ihre semantische intervention. darf ich auch eine inhaltliche erwarten?

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  7. Du schreibst:

    „Denn sollte der Machtanspruch Googles für das Internet am Beispiel von China tatsächlich derart offen artikuliert werden, haben wir ein großes Souveränitätsproblem in Sachen Internetgesetzgebung. Weltweit.“

    Ist das nicht ziemlich übertrieben? Wie ich lese, hat Google in China 17% Marktanteil. Kann man da von „Macht“ sprechen? Und weiter: einerseits wurde Google heftig kritisiert wegen seiner allzu willfährigen Zusammenarbeit in Sachen Zensur. Und nun, da sie damit aufgehört haben, wird das kaum positiv kommentiert, sondern irgendwie auch als „böse Machtausübung“ angesehen. Also: egal wie, es ist immer falsch, weil’s Google ist?

  8. Too big too fail? Und ein Großteil des sozialen Lebens spielt sich auf Facebook ab? Also wenn alle Facebook-Server auf einen Schlag ausfallen würden, würde sicher die Welt noch so sein wie vorher. Dann greift man eben zum Handy oder sieht seine Freunde eh morgen bei der Arbeit/Uni/Schule. Das ist doch vollkommener Quatsch, hier von staatenähnlichen Strukturen zu sprechen.

  9. claudia, julian, seid doch bitte so gut, und kommentiert die texte, die ihr gelesen habt, dort, wo ihr sie gelesen habt. meinen könnt ihr ja unmöglich meinen.

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