Ethiken

Am Montag war ich auch bei der Diskussion Lobo vs. Weiss zugegen, in der es um Filesharing ging. Die Debatte hatte eine Blogvorgeschichte und wer die gelesen hat, hat eigentlich nichts verpasst. Eher im Gegenteil.

Ich will das hier jetzt nicht im Detail wiedergeben, das haben andere bereits getan. Interessant fand ich vor allem einen Aspekt: Die Hilflosigkeit von Marcel gegenüber der moralischen Fragestellung von Sascha. Sascha war sich seiner Ethik sicher und versuchte Marcel auf diesen Punkt festzuklopfen und Marcel wollte partout nicht über diese Frage diskutieren.

So sehr ich verstehen kann, dass Marcel lieber seine eigenen Überlegungen über die Ökonomie der Filesharingmärkte ausbreiten wollte, konnte man jedoch gut beobachten, dass die Haltung von Marcel – und damit die all derer, die Filesharing legitimieren wollen – ein krasses Rechtfertigungsproblem hat. (Und das geht weit über die unfitte Perfomance von Marcel hinaus)

Die Ethik, die Sascha vertritt, ist nämlich die vorherrschende. „Kapitalistische Ethik“ meinte irgendwer im Gespräch zu mir. So würde ich sie jetzt nicht allzu vorschnell nennen, aber man kann durchaus von einer „industriellen Ethik“ oder gar einer „materialistischen Ethik“ sprechen. Diese Ethik ist eine Ethik der Autorenschaft und die an der Autorenschaft geknüpfte „Leistung“. Sie fasst den kreativen Prozess als „Arbeit“ auf, die wie jede Arbeit bitte abgegolten werden solle. Wenn jetzt diese Leistung, die in dem Kulturgut steckt (so wie die kinetische Energie in einer auf einen Berg geschafften Kugel) von jemanden „erschlichen“ wird, dann wird das – ich sag mal – dem Diebstahl ähnlich empfunden, zumindest aber das selbe wie Schwarzfahren, denn der Leister wird ja um seine Entlohnung gebracht.

In dieser Logik ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Filesharing eine „egoistische Arschlochnummer“ ist und Marcel Weiss hatte dem wenig entgegen zu setzten. Andererseits gibt es ja durchaus Ansätze für eine andere Ethik. Die Bewegung hinter dem Opensourcegedanken hält das Teilen von Wissen hoch. Und gerade liegt (übrigens aufgrund des Tipps von Marcel Weiss) das Buch „Cognitive Sureplus“ von Clay Shirky an meinem Bett, in dem es um den wahnsinnigen gesellschaftlichen Nutzen geht, der entsteht, wenn die Menschen ihre kreative Kraft über die neuen Medien aggregieren. Es gibt also durchaus Ansätze für eine andere, eine neue Ethik, die sich auf den gesellschaftlichen Nutzen von möglichst frei geteilter Information berufen kann. Auf dem Pannel habe ich das vorsichtig eingeworfen, indem ich auf den utilaristischen Vorteil hinwies, der alleine dadurch entsteht, dass mehr Leute über mehr Information verfügen, als vorher. (Das ist natürlich ausbaufähig, hätte aber ansonsten umständlich verargumentiert werden müssen)

Diese Ethik ist bis heute alles andere als Mainstream, aber jeder, der sich länger im Internet aufhält, spürt den konkreten Nutzen des Teilens von Information am eigenen Leib. Und zwar im kleinen wie im großen. Und alles deutet für mich darauf hin, dass eine solche Ethik, wenn man sie denn mal formalisiert, exakt auf den Begriff einer digitalen Öffentlichkeit zusteuert, den ausgerechnet Sascha Lobo in die Runde geworfen hat.

Über das Thema denke ich jetzt schon seit geraumer Zeit nach und glaube, dass es an der Zeit wird, es einmal zu fundieren. Das geht allerdings nicht so einfach, indem man ein „digital“ vor die Öffentlichkeit schreibt. Ich bin mir sicher, dass man da sehr viel tiefer schauen muss, von was für einer Öffentlichkeit wir hier eigentlich reden. Wenn man es schaffen würde, diesen bestimmten Begriff von Öffentlichkeit zu definieren, hätte man ein abstraktes Ziel, auf das man eine solche neue Ethik ausrichten und begründen kann. Eine Ethik, die man dann selbstbewusster einer „industriellen Ethik“ entgegensetzen kann, wo immer man mit ihr konfrontiert wird.

Genau das werde ich auf der Openmind 2010 versuchen. Mein Vortrag hat den Titel: „Das radikale Recht des Anderen

„Ich bin überzeugt, wir müssen Öffentlichkeit völlig neu denken. Ich möchte dem tieferen Grund dieses Wandels nach gehen und einen neuen Begriff von Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. Einen Begriff der den digitalen Paradigmen gerecht wird, um schließlich eine neue Ethik daran knüpfen zu können und der vielleicht sogar eine Chance bietet, die Widersprüche und Idiosynkrasien des netzpolitischen Diskurses aufzuzeigen.“

Bis dahin gibt es noch einiges zu tun.

16 Gedanken zu „Ethiken

  1. Hallo mspro. Interessanter Gedankenansatz. Der muss aber nicht bei kreativer bzw. Gedankenarbeit stehen bleiben. Das lässt sich auch auf manuelle Arbeit, die im materiellen Sinne etwas produziert, anwenden. Die Zeiten in denen ich für mich „allein“ ein Haus gebaut habe, Essen geerntet habe usw. sind eigentlich vorbei. Heute produziere ich ein Produkt durch meiner Hände Arbeit, welches dann in die weite Welt geschickt wird und dort Irgendjemandem und somit auch der Allgemeinheit zugute kommt.
    Was wir also heutzutage verstehen lernen müssen: Meine Arbeit tue ich nicht egoistisch für mich, sondern eigentlich für Alle anderen. Und die anderen arbeiten für mich. Jetzt gilts halt noch die existenzielle Frage zu lösen (Stichwort: Grundgehalt zB), damit jeder in Freiheit für die Allgemeinheit „arbeiten“ kann…. Nettes Blog und so… Gruesse….

  2. Da haben wir unsere Blogposts zum selben Thema fast zeitgleich abgesetzt :->

    Ich finde die Debatte hochspannend und halte es fuer wichtig, sich von allen Vorannahmen zu trennen und von Befuerwortern und Gegnern von Filesharing anzunehmen, dass sie grundsaetzlich allesamt kranke, fundamentalistische Irre sind.

    Wenn man daraufhin einmal die Argumente der beteiligten Parteien analysiert, landet man abgesehen von Punkten wie Anerkennung des Schoepfers eines Werkes zwangslaeufig bei Ideologie- und Systemfragen. Und erst da wird es so richtig interessant.

    Umso bedauernswerter, das die Diskussion auf so vorgeblich simple Fragen nach dem Muster „ist das in Ordnung, ja oder nein“ verkuerzt wurde. Das wahre Problem liegt weiter unten.

  3. Das Thema aus ethischer Perspektive anzugehen scheint mir enorm sinnvoll. Erlaubt es doch vielleicht zwei Dinge im Zusammenhang mit Filesharing zu fokussieren, die getrennt gehören – wiewohl sie aus Gewohnheit seit langer Zeit vermischt werden. Das Urheberrecht und das Verwertungsrecht. Das (ideelle) Recht des Urhebers wird zumeist durch Filesharing nicht angetastet. Die Sharer wissen und kommunzieren, wer die Künstler sind, deren Werke sie sich teilen. Die (ethische) Dimension der Anerkennung als Gegenleistung des Publikums für die Kreativleistung findet also statt. Und als Kreativer kann ein jeder sich nur wünschen, auf diese Weise breite Anerkennung (vulgo: Ruhm) als „anerkannter Künstler“ (oder Blogger etc.) zu bekommen.
    Die andere Frage ist die Verwertung. Das heißt einerseits die Bereitstellung von Lebensunterhalt für den Künstler durch seine Bewunderer (oder Konsumenten). Des Weiteren aber auch die Finanzierung eines gigantischen Distributions- und Marketingapparates, der notwendig war, solange Werke nur in bestimmer physikalischer Gestalt vorhanden und aufwändig zu produzieren und zu vertreiben waren (Buch, Schallplatte, Foto …). Dass dabei die Beträge, die an die meisten Urheber gingen, von jämmerlicher Lächerlichkeit waren ist bekannt. Die Debatte rund um die „Raub“kopierer (die ja bekanntlich nichts rauben, weil der sharende Besitzer die Datei ebenfalls behält, anders als beim gestohlenen Buch…) ist deswegen eine Debatte dieser weitgehend überflüssigen Institutinen (Buch- und Zeitschriftenverlage, Musikindustrie u.dgl).
    Trennt man nun den ethischen Aspekt der Anerkennung (die durch das Sharen eines als sharenswert befundenen Werkes ja eher gesteigert und verbreitet wird) vom finanziellen Aspekt der Verwerungsindustrie, lässt sich die Debatte vielleicht klüger führen. Am „Digitalen“ kann diese Überlegung ein prominentes Objekt finden. Aber letztlich führt sie auch auf eine Einbeziehung des „guten Rufes“ oder der Mundpropaganda, die dem Filesharing durchaus verwandt sind. Hatte daraus mal in meinem Blog eine kleine dramatische Artikelserie gemacht http://wp.me/pL6lj-hD.

  4. Eigentlich wollte ich in diese Diskussion nicht einsteigen, bevor ich nicht das Video der Veranstaltung gesehen habe (hoffentlich kommt es überhaupt noch). Ein paar Punkte springen mich bei deinem Artikel jedoch direkt an.

    Erstens, ist es nicht irgendwie ein Zeichen von Voreingenommenheit, wenn Marcel Weiß seine Bestehen auf einem moralfreien Standpunkt so einfach zugestanden wird? Mal ganz ehrlich, wie wäre beispielsweise die Reaktion der Twittersphäre gewesen, wenn BP gesagt hätte, wir äußern uns zum Unglück im Golf von Mexiko, aber nur auf streng ökonomischer Ebene, Moral ist nichts was uns als Wirtschaftsunternehmen betrifft. Wäre das als legitime Argumentation durchgegangen? Ich bezweifle es.

    Zweitens wirken deine Gegenentwürfe zur „kapitalistischen Ebene“ leicht kommunistisch angehaucht, „jeder soll doch teilen“ etc. Da frage ich mich, bist du wirklich so jung, dass der Zusammenbruch des Kommunismus und damit seine unattraktiven Überreste deiner Aufmerksamkeit entgangen sind? Spätestens meine Fahrten durch die sich auflösende DDR haben in mir jedwede Sympathie für Sozialismus/Kommunismus zunichte gemacht und es gibt inzwischen ja auch genug Erfahrungsberichte, die nahelegen, dass sich diese Staatsform in keinster Weise bewährt hat. Oder fällt dir ein Land ein, wo das dauerhaft funktioniert hätte?

    Drittens bin ich großer Anhänger des Utilitarismus, umso mehr bitte ich zu bedenken, dass der Nutzen des Filesharens für die Masse abrupt absinkt, wenn Kultur nicht mehr finanziert werden kann und damit zusammenschrumpft/abstirbt. Und das wird umgehend geschehen, wenn nicht mehr genügend Leute bereit sind, für die Filesharer mitzubezahlen.

  5. Argh, vergessen gegenzulesen. Jetzt sieht es ein bisschen aus, als hättest du diesen Kommentar selbst geschrieben …

    Und Sorry an Marcel, der natürlich „Weiss“ heißt.

  6. Ohooo, Milhouse, die Sache mit der zusammenbrechenden Finanzierung ist ein wunderschoener Ideengeber.

    Hausaufgabe: Unter den Annahmen a) Ein Kuenstler A kann von seinen derzeitigen bezahlenden Fans B zum Platten/MP3-Preis x leben, und b) eine Menge von Filesharern C, die sich Preis x nicht leisten kann oder will, kopiert die Werke, ohne zu bezahlen — wer wird geschaedigt? Der Kuenstler A oder die Fans B? 😉

  7. @stk

    Bist du Lehrer oder warum stellst du mir Hausaufgaben? Schreib in einem vernünftigen Ton und ich antworte gerne.

    Warum ist es so schwer, online so miteinander zu diskutieren, als säße man sich am gleichen Tisch gegenüber?

  8. Nicht kinetische Energie, sondern potentielle Energie, wenn die Kugel auf dem Berg ruht.

  9. Die Ethik des Teilens ist doch nicht nur im Ansatz da, sie wird nur zu wenig in Anschlag gebracht in dieser Debatte. War es nicht sogar Marcel selbst, der rund um seine Begeisterung zu Shirky davon schrieb?
    Teilen ist eine soziale Handlung, insbesondere dann, wenn es mir leicht fällt, weil ich das zu teilende Gut im Überfluss habe. Und da sich Dateien beliebig oft kopieren lassen ist dieser Überfluss technisch gegeben. Wer da nicht teilt, verhält sich asozial. Egoistisch ist also in der Gesamtheit der Gesellschaft gesehen gesehen der, der nicht teilt.
    Die Ethik des Teilens ist vom Spenden für Haiti bis zum Kippenschnorren anerkannter Mainstream und beim Filesharing praktizierter Mainstream. Es ist eine PR-Meisterleistung der Contentindustrie aus sozial agierenden Menschen „Raub“kopier und „Verbrecher“ zu machen.

  10. Das Ergebnis der Arbeit anderer zu teilen als soziale Wohltat zu sehen ist wirklich das Dümmste, das ich seit langem gehört habe.

    Viel Spaß in eurer Hirnwichser-Ecke, wir Kulturschaffenden pfeifen auf euch.

    (das war jetzt spontan, aber nicht unbeherrscht, sonst hätte ich noch ganz anderes geschrieben)

  11. Scheiße, milhouse, hätte ich gewusst, dass du der Sprecher der Kulturschaffenden bist, hätten wir das natürlich ganz anders geregelt. Sowas solltest du bitte vorher sagen.

  12. Bist du dir wirklich sicher, in deinen Texten nie für die Netzgemeinde gesprochen zu haben. Glückwunsch.

    Fühle mich hier gleich noch ein Stück willkommener.

  13. @erlehmann

    Hast du denn Beispiele funktionierender kommunistischer/sozialistischer Staatsgefüge?

    Außerdem sehe ich einen großen Unterschied dazwischen, einem Open-Source-Projekt quasi schimpfwortmäßig zu unterstellen, es sei kommunistisch, oder jemanden zu hinterfragen, der von sich aus offen kommunistische oder sozialistische Positionen vertritt. Ich verteufele den Kommunismus ja nicht, ich halte ihn nur für bescheuert.

  14. @Milhouse Echt jetzt. Gerne bring Argumente mit, aber langweil hier nicht mit billigen Ideologievergleichen, die krasser hinken als Joseph Göbbels. Du kannst gerne Ideologiekritik äußern, dann arbeite dich aber bitte konkret an der besprochenen ab (da gibt’s sicher einiges zu holen), und nicht von dir aufgestellten Pappkameraden.

  15. Huh?

    Sorry, ganz ehrlich, ich weiß weder, welchen Ideologievergleich du meinst, noch welchen „Pappkameraden“ (Ballmer? Erlehmann? Fidel Castro?) ich aufgebaut haben soll.

    Und die Goebbels-Metapher wirkt auch deplaziert, oder soll ich das auf mich beziehen?

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