Ein Jahrzehnt endet (jaja, es endet erst in einem Jahr ihr Klugscheißer, aber gefühlt ist das nun mal heute der Fall) und alle schreiben ihre Zusammenfassungen. Für mich bietet sich das ebenfalls an, denn ich bin nun fast genau 10 Jahre professionell damit beschäftigt, was ich halt so tue. Für mich ist der Blick auf die Dekade also ein Blick auf meine Karriere (oder wie man das so nennen will). Deswegen hier mein ganz persönlicher, professioneller Dekadenrückblick:
2010
Ich war zu diesem Zeitpunkt zwar schon seit ca. fünf Jahren Blogger, sogar WMR gab es schon, aber 2010 war es, als mich Frank Schirrmacher als Blogger zur FAZ holte und ich das erste Mal mit dem Bloggen Geld verdiente. Die Zusammenarbeit war von kurzer Dauer, aber das damals entwickelte Blog ctrl-verlust, machte ich andernorts weiter und es wurde zum Grundstein dessen, was ich heute noch tue.
Mein wichtigster Text aus der Zeit war sicher der Gründungstext des Blogs: Die Krankenakte des Tut Ench Amun.
2011
Das Thema meines Blogs – der Informationelle Kontrollverlust und seine Folgen – war sehr gut anschlussfähig zu den Thesen der Post-Privacy, die Christian Heller in einem Buch veröffentlichte. Das Thema Post-Privacy wurde groß und da ich mich auch positiv dazu äußerte, galt ich auf einmal als einer der öffentlich sichtbaren Vertreter. Es gründete sich außerdem die Datenschutzkritische Spackeria. Der Diskurs war laut und interessant, aber teils auch vehement und unversöhnlich. Es wurden damals einige Gräben aufgerissen, die bis heute nicht wirklich verheilt sind.
Mein wichtigster Text dazu war: Was ist Postprivacy (für mich)?.
2012
2012 war in erster Linie das Jahr der Piratenpartei. Sie war gerade in mehrere Landesparlamente eingezogen, auch in Berlin. Es war damals der Überraschungserfolg der Politik. Ich hatte bereits in den Jahren zuvor auf ctrl-verlust das Konzept der Plattformneutralität entwickelt, das innerhalb der Partei viel diskutiert wurde. Plattformneutralität war damals mein Versuch einen regulatorischen Rahmen zu stecken, mit man die Macht der Plattform aus dem politischen und gesellschaftlichen Geschehen raushalten könne. Aus heutiger Sicht ist das sicher naiv und ich habe mich an verschiedenen Stellen vom Konzept distanziert. Damals aber schien es mir und vielen aneren als eine gute Idee.
In einem Post habe ich sogar versucht das politische Denken der Piraten als Plattformneutral zu deklarieren. Es war sicher damals mein wichtigster Text: Das politische Denken der Piraten
2013
2013 war ein komisches Jahr für mich. Es war das Jahr der Snowden-Enthüllungen und offenbar schien das für viele Leute einiges in Frage stellen. Der Netzdiskurs war sehr verunsichert und irgendwas ist damals zerbrochen. Die Piratenpartei versank in Gezanke, die Netzgemeinde verabschiedete sich von lieb gewonnen technologischen Emanzipationsträumen, Schirrmacher veröffentlichte ein düsteres und wahnwitzig schlechtes Buch über die digitale Zukunft. Ich persönlich fand die Aufregung übertrieben, musste aber auf sie antworten.
In der Spex versuchte ich einerseits das Snowden-Thema an mein Kontrollverlust-Narrativ anschlussfähig zu machen und ihm dennoch eine zumindest im Ansatz hoffnungsfrohe Wendung zu geben. Herausgekommen ist die Blaupause meines Buches, für das ich noch in dem Jahr das Crowdfunding organisierte. Das neue Spiel: Prism vs. Kontrollverlust.
2014
2014 stand dementsprechend voll im Zeichen des Buches, das ich in den ersten sieben Monaten runterschrieb. Snowden ist dort allerdings nur der Anlass, um die gesamte Theorie-Arbeit, die ich in ctrl-Verlust versammelt hatte, einmal systematisch auszubreiten. Das Buch war kein Bestseller, aber durchaus ein Meilenstein in meiner Karriere. Ich bekomme immer noch Feedback von Leuten, denen es die Digitalisierung erklärt oder ihren Blick darauf schärft. Seitdem läuft auch die Auftragslage besser. Dem Buch habe ich viel zu verdanken. Das neue Spiel – Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust.
2015
Im Jahr 2015 habe ich mich wieder tiefer in meine Überlegungen zu Plattformen eingelassen. Bereits im Buch wird ihnen eine zentrale Stellung zugeschrieben, aber ich wollte diesmal tiefer gehen und nahm die Mechanismen in den Blick, mit denen Plattformen Politik machen. Dies führte zu der Feststellung einer Gegenerschaft von Staat und Plattform, zu einem Neuansatz der Plattformdefinition, der Forderung nach einer Netzinnenpolitik und einem ersten Umreißen dessen, was man wohl Netzaußenpolitik nennen könnte.
Mein wichtigster Text in dem Jahr war allerdings über Internet of Things-Plattformen und ihre Netzwerkeffekte: Game of Things.
2016
Auch 2016 setze ich zunächst meine Überlegungen zu Plattformen fort. Langfristig gesehen, sind hier wichtige Texte entstanden, die nun für mein Plattform-Buch (an dem ich gerade sitze), wesentlich werden sollen. Unter anderem veröffentlichte ich eine erste Skizze einer politischen Ökonomie der Plattform und eine persönliche Anamnese meiner Sicht auf das Web.
Aber der wichtigste Text, den ich damals schrieb, war nicht Teil meines eigentlichen Themen-Schwerpunkts, sondern hatte natürlich mit der rechtspopulistischen Erschütterung in dem Jahr zu tun: Trump und Brexit. Die Globale Klasse – eine andere Welt ist möglich, aber als Drohung.
2017
Die rechtspopulistische Wendung von 2016 hatte mich auch 2017 noch voll im Griff. Wie so viele suchte ich nach Erklärungen, auch deswegen, weil einige der Faktoren für den Erfolg von Brexit und Trump durchaus in meinen Erklärbereich fallen. Die Rolle des Internets und der Plattformen wurde heiß diskutiert. Ich schrieb einen Mehrteiler, in dem ich versuchte, die meiner Ansicht nach besten Erklärungen in ein Narrativ zusammen zu stricken.
Im selben Zeitraum fragte mich Michael Kreil dann, ob ich bei der Auswertung und Erklärung eines seiner Twitter-Datenprojekte mitmachen wolle, das sich genau um dieses Thema drehte. Natürlich wollte ich. Zusammen entwickelten wir Fragestellungen und probierten Dinge aus. Nach einigen unnötigen Querelen kam mein die Analyse als wichtigster Text in dem Jahr raus: Digitaler Tribalismus und Fake News.
2018
Im darauffolgenden Jahr konnte ich mich dann endlich wieder voll meinen Plattform-Studien widmen. Ich entwickelte ein Konzept für meine Beobachtungen zur Plattform-Politik, schrieb einen Text über einen möglichen Plattform-Regulierungs-Ansatz und vor allem hielt ich einen wichtigen Vortrag: 5 beunruhigende Fragen an den digitalen Kapitalismus, in dem ich die Frage nach der politischen Ökonomie der Plattformen noch mal aufgreife und anhand des Kapitalismus durchdekliniere.
Ein anderes Thema, das mich in dem Jahr sehr beschäftigte, war Blockchain. Aber nicht, weil ich das Thema so spannend fand, sondern weil mir der Hype darum so dämlich vorkam. Ich weiß gar nicht, ob es mein wichtigster Text des Jahres war, aber definitiv war er mein erfolgreichster: Blockchain for Dummies
2019
In diesem Jahr habe ich wieder angefangen, ein Buch zu schreiben: Die Macht der Plattformen – Politik in Zeiten der Internetgiganten. Es wird im Frühjahr bei Ch. Links erscheinen, wenn alles gut geht. Im Grunde versammelt es so vieles, was ich in und seit dem Neuen Spiel alles zu Plattformen geschrieben habe, aber auch noch so viel mehr. Es ist der Versuch einer umfassenden Theorie der Plattform und einer Analyse ihrer Macht. Es läuft gut, auch wenn ich etwa zeitlich einen Monat hinten dran bin, aber so ist das ja immer. Eigentlich hatte das Jahr aber damit angefangen, dass ich eine Geschichte der Digitalisierung aufschrieb und schließlich den Text zu meinem Vortrag vom letzten Jahr aufschrieb. Das war dann auch mein wichtigster Text des Jahres: Fünf beunruhigende Fragen an den digitalen Kapitalismus.
Fazit
Die letzten 10 Jahre beinhalten den Beginn und die Stabilisierung meiner Karriere als Digitalisierungs-Theoretiker. Es war zwar nicht immer leicht, aber ich musste nur wenige Kompromisse eingehen. Mittlerweile läuft es richtig gut. Ich habe seit etwa 2014 eigentlich keine Existenzangst mehr, muss nicht immer nur Nudeln essen und jedes Jahr geht es mir ein bisschen besser. Ich hab seit diesem Jahr einen neuen Podcast, bin Mitglied des besten Vereins der Welt und pünktlich zum 10 jährigen Bestehen meiner Karriere, kommt dann mein zweites Buch raus. Ich kann mich nicht beklagen, das Jahrzehnt war gut zu mir. Ich bin sehr dankbar.