Der Andere und ich

@343max und ich und ich haben wieder mal geredet. Was jetzt nicht heißen soll, das Max der andere ist. Oder dass er es nicht ist.

Im dem Podcast komme ich jedenfalls ganz zum Schluss auf die Debatte um das radikale Recht des Anderen zu sprechen und auf die Replik, die ich auf die Replik von Felix Neumann geschrieben habe (die sich aber mit Saschas AntwortAntwortAntwort an Diplix weder messen will noch kann).

Jetzt ist sie aber fertig. Und ich maße mir an, hier einfach so mir nix dir nix die Möglichkeit, sogar vielleicht die Notwendigkeit des Übermenschen auszurufen. Allerdings finde ich das gar nicht soo anmaßend.

Eben ging ich nämlich durch die normale Öffentlichkeit um einen Netzreport-Kommentar für die digitale Öffentlichkeit über die digitale Öffentlichkeit (kommt Freitag auf dradio.wissen) aufzunehmen, finde aber in der normalen Öffentlichkeit nicht die normale Straße und werde von der digitalen Öffentlichkeit dafür verhöhnt:

Und das nachdem ich bereits auf dem Weg dahin gespottet (nicht ver-spottet) wurde:

Und ich finde das interessant. Denn es ist irgendwie alles so unberechenbar geworden.

Denn Kontrollverlust ist dann doch irgendwie noch was anderes als Post-Privacy. Es wird natürlich nicht so sein, dass überall eine Meute Paparazzi lauert. Aber man hat eben nicht mehr im Blick, wer lauert.

Der Andere als Konzept ist deswegen mehr als nur ein rhetorischer Pappkamerad, der als Agent meine Wünsche repräsentieren soll, um meinen Egoismus zu verschleiern, wie es differentia glaubt. (Er konstruiert da so einen Reverse-Kategorischen-Imperativ, dass, wenn ich der Andere des Anderen bin, alles, was ich für den Anderen fordere, ja auch für mich fordere. Was nicht völlig falsch ist, aber eben völlig irrelevant für das, was ich sagen will.)

Der Andere ist Platzhalter für die Unberechenbarkeit der neuen Öffentlichkeit. Die Nichtvorhersehbarkeit des einen, der eben heute im Zweifel reicht, um eine Information in eine beliebige Größe aufzublasen. Es ist eben nicht mehr der Paparazzi, der einigermaßen berechenbar vor Britneys Spears Haus (und nur vor ihrem) wartet, sondern der Mensch auf der Straße, der mich auf Latitude sieht, ein anderer, der mich zufällig fotografiert, einer der mich auf den Bildern auf Facebook taggt, einer der nur twittert, wo ich gerade bin und was ich tue und welche Straße ich nicht finde. Ja, all das kann der Andere sein, und ja, sogar ich kann der Andere sein, das stimmt.

Aber vor allem und in erster Linie – und das, was den Anderen als Denkfigur absolut notwendig macht – ist es der, den ich hier nicht aufzähle. Der, an den ich nicht denke, den ich nicht auf dem Schirm habe. Den ich vielleicht vergessen habe oder meistens noch nicht mal kenne – nicht kennen kann! Der vielleicht mit einer neuen Datentechnik ankommt, die mir unbekannt ist. Der an mich herantritt oder an meine Daten oder an jemanden mit meinen Daten, oder oder oder. Der vielleicht heute nicht da ist, den es vielleicht heute noch gar nicht gibt, der aber kommt. Der ganz sicher kommt. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen aber irgendwann.

Der Andere ist keine Theorie, er ist kein theoretisches Modell, der Andere ist vielmehr eine Denk- und Meditationsübung. Denn den Anderen zu denken ist unmöglich. Was man vielleicht nach langer Zeit schaffen kann, ist ein wenig das Ausmaß zu erahnen, wie anders der Andere ist oder sein kann. Und eben das, ist es, was wir alle dringend in Sachen Technologie praktizieren müssen.

Der Andere als Übung verhilft zu einer gewissen Demut vor der Zukunft. Eine Übung, die ein bisschen den Oberchecker, der man glaubt zu sein, hinterfragt. Der Feind des Gedankens des Anderen ist nämlich die nachträgliche Evidenz. Die nachträgliche Evidenz ist ein – vielleicht notwendiger – Bug im menschlichen Gehirn: die Eigenschaft im Nachhinein immer alles vollkommen logisch gefunden zu haben, wenn ein Ereignis eingetreten ist – obwohl man eben noch die Reste seines gerade heruntergefallenen Unterkiefers aufgesammelt hatte. (Vermutlich rekonstruiert das Gehirn diese Logik nachträglich zusammen, weil der Mensch ein Sinn produzierendes Wesen ist und gar nicht anders kann.)

Das zweite, was die Überlegung des Anderen fördert, ist Grenzen zu hinterfragen. Grenzen, die den Anderen versuchen zu definieren und gegen uns abzugrenzen. Ganz oft sind diese Grenzen unhinterfragte, oft anmaßende, meist ganz egoistische Grenzen. Das habe ich versucht in Bezug auf die Transparenz in meinem Text für die Taz ein wenig aufzudröseln.

Der Andere ist eben genau das, was man nicht definiert bekommt und er dekonstruiert auf diese Weise alle Abgrenzungen und Definitionen. Egal ob der Ausländer, der Staat, der Leser, die Öffentlichkeit – es wird automatisch furchtbar selbstgerecht, sobald man anfängt die Grenze zu ziehen.

Das ist auch schon die grundlegende Ethik in Levinas‘ Denken. Die Unleugbare Beziehung zum Anderen nicht als eine Grenze, ein Gesetz oder eine Defintion zu denken, die vom ich, von der Subjektivität aus zu ziehen ist, sondern den Spieß umzudrehen und sich selbst vom Anderen her zu denken.

Man kann beispielsweise versuchen, sich hineinzuversetzen in die Troja und mit ihren Augen und ihrem Wissen und aus ihrer Realität und ihrem Diskurs heraus versuchen vorherzusehen, wie Schliemann sie ausgräbt.

Lustiger noch, sich mit Schliemann vorzustellen, wie er die Ausstellung über sich selbst empfunden hätte. Der Postmoderne Diskurs – der, der sich für den Blick des Beobachters/Archäologen zu interessieren begann, war ihm so unfassbar fremd, dass er sich mit dem Handrücken gegen die Stirn geschlagen hätte.

Er hielt sich nun mal für den Protagonisten einer wissenden Jetztzeit, der die vergangene Zeit mit den untrüglichen Werkzeugen in das universelle und unwidersprochene Prinzip „Geschichte“ einordnete. Mit anderen Worten: er hatte sich selbst als zukünftig historisches Objekt überhaupt nicht auf dem Schirm. Dass die Menschen sich einmal dafür interessieren würden, wie er gefundenen Schmuck ausgestellt hat, dass sie den Spaten ausstellen würden, mit dem er grub, dass sie wissen wollen, was er über Geschichte dachte und welche Briefe er schrieb, um seine Grabungen zu finanzieren: unvorstellbar!

Aber – und hier gerät man sofort höllisch in Gefahr – fängt man implizit an zu lächeln, ob der Naivität dieses Schliemann, der nun Grabungsobjekt und nicht mehr Subjekt ist und man lächelt vielleicht über den sich damals als „modern“ bezeichnenden Diskurs. Und hier tut man wieder genau das Falsche, das Anmaßende: man zieht eine Grenze, indem man auf „die“ zeigt. Eine Grenze, die Schliemann – von uns aus betrachtet – zum Anderen macht. Aber nicht zum Anderen im Levinasschen Sinne, sondern zum Anderen, des Nicht-Ich – vom ich aus definiert und abgegrenzt.

Eine furchtbar selbstgerechte Perspektive, deren Arroganz vollkommen ungerechtfertigt ist. Denn hier muss man, statt diese Grenze zu ziehen, sich selbst an die Stelle setzen und sich laut und deutlich einreden, dass man selber Schliemann ist. Dass man selber so ochsig vorm Berg gestanden haben wird. Kein Stück besser! Und zwar für einen Zukünftigen Anderen.

Wenn man diesen vollkommen schwierigen Gedanken in etwa annähernd gedacht hat oder versucht hat zu denken, dann hat man zumindest den Nutzen der Denkfigur des Anderen verstanden.

Und das alles nur, weil ich Bahn fahren musste, weil mein Fahrrad in der Werkstatt ist.

4 Gedanken zu „Der Andere und ich

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