Ich bin wieder da, aus Kairo, vom Young Media Summit 2011. Die Tastatur klebt noch etwas von Orangensaft, den ich über mein Macbook Air gekippt habe. Mein Magen rumpelt noch vor sich hin. Ich fiel ja quasi fiebrig und mit schlimmen Bauchschmerzen aus dem Flugzeug. Und zwar ausgerechnet in Schönefeld! So langsam sammle ich mich wieder und kann beginnen das Erlebte zu reflektieren. Das geht ja nicht so schnell bei mir.
Es war ein unglaublicher Trip. Es war eine großartige, intensive Zeit. Und auch, wenn ich jetzt noch nicht weiß, was diese Reise bei mir angestoßen hat, kann ich sagen, dass ich einiges anders sehe.
Ich bin natürlich mit dem Anspruch dahin gefahren, Dinge zu erfahren. Zu lernen. Aber auch das ist – jedenfalls in seiner naiven Vorstellung – schon vermessen gewesen. Ich war noch nie zuvor in einem arabischen Land. Mit anderen Worten: ich musste einen Großteil meiner Zeit und Ressourcen darauf verwenden mit der andauernden kognitiven Überforderung zurecht zu kommen. Und während die meisten anderen, auch die Deutschen, sich schnell zurechtfanden, weil sie bereits viel Vorwissen mitbrachten, Erfahrungen und teilweise sogar Sprachkenntnisse, war ich immer froh, wenn ich mich bei ihnen ranhängen, mich leiten lassen konnte. Ich habe mich deswegen trotz meiner stolpterhaften Fremdkörperhaftigkeit nie wirklich unwohl gefühlt, wofür ich sehr dankbar bin.
Das lag vor allem an den anderen. Die Teilnehmer waren durch die Bank weg großartige Menschen (Hier die Liste der Teilnehmer). Ich glaube, das hat die gesamte Gruppe so empfunden. Es gab kein Wort des Streits oder sonstiger schlechter Stimmung unter den Mitgliedern. Durchweg alle waren offene, in jeder Hinsicht am anderen interessierte Menschen und begeneten sich mit großem Repsekt und Verständnis, auch wenn die Meinungen hier und da deutlich auseinander gingen.
Den wohl intensivsten Austausch erlebte ich am 2. Tag, als wir in kleinen Gruppen aufgeteilt durch Kairo streiften und gemeinsam Themen erarbeiteten. Unsere Gruppe interviewte einige Jugendliche im Al-Azhar Park über die Veränderungen seit der Revolution. Ich bloggte im YMS-Blog darüber, die anderen auch. Jedenfalls entspann sich im Laufe der Interviews und anhand der Aussagen der Jugendlichen über die Situation in Ägypten auch eine Lebhafte Diskussion zwischen meinen Mitrechercheuren Hussein und Razan, die beide aus Syrien kommen. Das allgemeine aufkeimende Mißtrauen der ethischen und religiösen Gruppen in Ägypten gab ihnen zu denken, weil Syrien in dieser Hinsicht noch um ein vielfaches heterogener aufgestellt ist. Die Gespräche über die Entwicklung in Ägypten ließen sie sorgenvoll zurück, was wohl auf ihr Land zukommen werde, wenn/falls das Regime dort stürzt.
Da wurde mir schlagartig die völlige Andersheit ihrer Perspektive auf unser Tun hier bewusst. Für mich war es ein Moment der Teilnahme, des Ganz-nah-dran-seins, den Mitfühlenkönnens, der Sorge, des Kontextes, des Verstehens der Schwierigkeiten und ein Erahnen der Komplexität der Lage, in dem sich ihr Land und damit auch ihre Zukunft befindet. Und ich sah diese Menschen, ihre scheinbare Leichtigkeit und Unbeschwertheit, ihren lockeren Humor und ihre vollkommene Abwesenheit von irgendeiner Bitterheit oder Aggression mit anderen, viel respektvolleren Augen.
Das ist vielleicht das Erstaunlichste. Diese Menschen sind Blogger. In dem banalsten Sinne, den man dem Wort geben kann. Sie sind Menschen, die kommunikativ und offen durch die Welt laufen, gerne einen Witz reißen und sich für Popkultur interessieren und über all das gerne im Internet erzählen. Dass in ihren Ländern Revolutionen gegen Diktatoren passieren, dass ihr Leben und das ihrer Familie bedroht ist, merkt man ihnen nicht sofort an. Natürlich sind sie politisch! Sehr sogar. Aber dabei sind sie lange nicht so verbissen, aggressiv und rechthaberisch, wie ich es bei vielen politischen Aktivsten aus Deutschland kenne.
Wie gesagt, ich kann all diese Erfahrungen noch nicht wirklich einordnen. Ich kann die Dimensionen noch nicht erahnen, wie das mein Bild der Region, ihrer Menschen und ihrer Probleme verändert haben wird. Sobald ich da mehr habe, werde ich es natürlich nachreichen.
Bis dahin bleibt mir nur Matthias Spielkamp und den anderen Organisatoren und der Deutschen Welle Akademie danken, dass sie mir die Chance auf diese Erfahrung gegeben haben. Ich konnte leider lange nicht so viel beisteuern, wie ich mitgenommen habe, aber ich schätze, das geht den meisten deutschen Teilnehmern ähnlich.
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