Ich habe mich ja letztens zur German Angst geäußert. Auch übrigens im aktuellen Podcast. Jetzt ist ein neuer Artikel bei SpOn erschienen, der das besondere Verhältnis der Deutschen zum Risiko beleuchtet. Herfried Münkler leitet dabei – etwas anders – aber doch auch, diese Besonderheit aus der deutschen Geschichte her.
Ich glaube übrigens, dass es in diesen Sachen kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Völlige Unwägbarkeiten kann sich eben jeder selbst ausmalen und bewerten wie er will. Es gibt keinen „rationalen“ Umgang mit dem Risiko. Jeder, der ein Risiko eingeht ist im Grunde verrückt, nichts kann das rechtfertigen. Man kann Risiken zwar aufgrund von statistischen Wahrscheinlichkeiten miteinander vergleichen, aber dem ungewissen anderen, dem „unbekannten Unbekannten“ wird man damit eben nicht gerecht. Statistik kann sich per Definitionem immer nur auf die Vergangenheit beziehen. So wie sich die Konstruktion des AKWs in Fukushima eben nur auf vergangene Erdbeben und Tsunamis hat stützen können und damit den aktuellen Bedrohungen eben nicht gerecht wird. Die Zukunft selbst ist verrückt, sie hält sich nicht an Statistiken, sie ist nicht rationalisierbar.
Dann ging heute noch auf Twitter etwas ganz anderes rum. Naja, nichts völlig anderes, irgendwie hat das damit auch zu tun. In einer Schule wurde vor den Augen der Kinder ein Kaninschen geschlachtet. Die Eltern liefen Sturm und eine pädagogische Diskussion brandete auf.
Die Reaktionen auf Twitter waren recht hämisch. Schließlich ist es nicht lange her, dass das Schlachten eines Tieres zum Alltag vieler Menschen – auch von Kindern gehörte. Hierzu auf so ne Art sehr richtig, Ennomane. Ich weiß gar nicht, ob das noch irgendwo praktiziert wird, aber ich weiß, dass zu meiner Schulzeit auch lebende Frösche seziert wurden. Von den Schülern selbst. Und da wir mit dem Resultat von geschlachtetem Getier ja durchaus auch täglich zu tun haben, liegt es nahe zu unterstellen, dass das Zuschauen beim Schlachten eines Tieres eine durchaus pädagogisch wertvolle Lehre sein kann.
Ich bin mir da nicht so sicher. Nur weil etwas früher als „normal“ galt und vielleicht sogar noch in unserem Wertempfinden nicht schlimm ist, muss es ja noch lange nicht richtig sein. Wir glauben immer – wie auch unsere Eltern ihrerseits – dass unser Wertmaßstab der richtige (vielleicht sogar „natürliche„) ist. Wer gibt uns dieses Recht?
Die beschriebene Reaktion der betroffenen Kinder waren vor allem Tränen. Ein Kind soll sogar in Ohnmacht gefallen sein. Der Schock jedenfalls sitzt tief und wer kann es ihnen verübeln? Es ist heute eben nicht mehr „normal“ mit der Tötung von Tieren in Berührung zu kommen. Und ich finde beim Nachdenken darüber auch keinen Grund, warum das schlecht sein sollte. Denn das bleibt ja auch nicht ohne Konsequenzen. Das Vegetariertum ist ja nicht umsonst ein anhaltend starker Trend – ich denke schon, dass das zusammenhängt (Anmerkung: ich selbst bin eher so das Gegenteil eines Vegetariers. Ich weiß aber von der Umweltschädlichkeit meiner Essgewohnheiten, würde aber nicht zögern ein Tier zu töten, um es zu essen, wenn es sein müsste.)
Ich erinnere mich da an Jan Phillipp Reemtsma, der von einer Konditionierung durch Gewalt spricht. Die Frage, wie es zu den Gräultaten der Nazis, aber auch zu denen in anderen Kriegen kommt, beantwortet er damit, dass der Mensch sich an eine Lebenswelt der alltäglichen Gewalt zu gewöhnen im Stande ist. Wenn man in einer Welt der Gewalt lebt, gewöhnt man sich daran, dann wird es eben etwas normales. Die Empfindlichkeit nimmt ab und die Schwelle selber gewalttätig zu werden, sinkt.
Wir leben auch heute mit Gewalt, in eingegrenzten, dafür gesellschaftlich eingerichteten Bereichen, wie dem Boxsport. Aber insgesamt haben wir uns als Gesellschaft von der Gewalt sehr entwöhnt. Das ist keine Garantie für irgendwas, das kann wieder umschlagen. Aber derzeit sind wir Gewalt gegenüber extrem viel intoleranter, als es zum Beispiel noch unsere Elterngeneration war.
Es ist auch erstaunlich, dass die Leute sich von Kriminalität, obwohl sie seit den 70er Jahren rückläufig ist, immer mehr bedroht fühlen. Kaum wird irgendwo jemand niedergeschlagen, wird wieder eine große Law&Order-Diskussion losgetreten, ob wir härtere Gesetze brauchen. Die Abwesenheit von Verbrechen bedeutet nicht umbedingt ein Mehr an gefühlter Sicherheit. Gefühlte Sicherheit scheint sich überhaupt gar nicht durch echte Sicherheit herstellen lassen.
Auch anderen Gefahren gegenüber wird die Gesellschaft zunehmend intoleranter. Allein wie sich in den letzen 10 bis 20 Jahren das Verhältnis der Gesellschaft gegenüber dem Rauchen gewandelt hat, ist ja erstaunlich. Als ich jung war, haben die Leute noch im Flugzeug und in Zügen geraucht. Im Büro sowieso, egal ob da Nichtraucher saßen. Das wäre heute undenkbar. Einige Menschen fühlen sich mehr als nur belästigt, wenn jemand in ihrer Gegenwart raucht; sie fühlen sich bedroht. Ich schaue derzeit die Serie Madmen, die in den frühen 60er Jahren spielt, wo alle Protagonisten den ganzen Tag rauchen und saufen – auch bei der Arbeit und alles andere als heimlich, als ob es kein Morgen gibt. Ich glaube nicht, dass die Serie übertreibt.
Die Werte wandeln sich. Die Gesellschaft verändert ihre Sicht auf Gefahren, auf Gesundheit und gegenüber Gewalt. Gewalt gegenüber Menschen und Tieren. Dabei kann es extreme Unterschiede zwischen den Zeiten und den Orten geben.
Man kann ja mal wetten, aber ich glaube zum Beispiel nicht, dass die Japaner die Atomkraft aufgeben werden. Trotz zwei Atombomben und dem (bisher) zweitschlimmsten Störfall in der Nukleargeschichte.
Sind die Japaner dann dumm? Sind die Kinder „falsch“ erzogen? Waren die Menschen früher lebensmüde?
Wir leben immer nur im heute und im hier. Und haben recht.