Souveränität

Wenn wir den Geheimdienstskandal ansehen, wenn wir die Konflikte um Europa und Griechenland betrachten oder die Diskussionen um TTIP, dann vermischt sich die legitime Kritik an diesen Phänomenen immer häufiger und mit einer bedenklichen Argumentation.

Während man beispielsweise die Intransparenz, das Demokratiedefizit und einige der zu beschließenden Punkte bei TTIP kritisieren kann, lehnen einige TTIP grundsätzlich als Unterdrückungswerkzeug der Amerikaner gegen die europäische Kultur ab. Diese Argumentation ist gut Anschlussfähig an rechte Diskurse und so haben auch rechtsnationale Zusammenschlüsse wie ENDGAME oder Pegida die TTIP-Kritik für sich entdeckt und aufgenommen.

Bei Griechenland haben wir einen ähnlichen Fall. Hier kann man die Verhandlungsposition der Institutionen doof finden, auch das Machtgefälle zwischen dem Griechischen Staat und und der EU beklagen. Aber klar sein sollte, dass das übergeordnete Problem eben nicht ein Mangel an Souveränität des Griechen Staates ist, sondern das Gegenteil. Die Krise entstand aus einem Mangel an übergeordneter politischer Steuerung und damit aus einem Zuviel von staatlicher Souveränität – eine Souveränität die bis heute auf allen Seiten die nationalstaatlichen Egoismen gegen eine gesamteuropäischen Perspektive in Stellung bringt und so eine Einigung verhindert.

Am meisten wird der Begriff der „Souveränität“ in letzter Zeit in der Geheimdienst-Affäre gebraucht. Nicht erst seit der Merkelhandy-Episode verschiebt sich die Debatte hierzulande weg von dem eigentlichen Skandal – nämlich der Massenüberwachung der Bevölkerungen – hin zu einem – ja was eigentlich? Es wird skandalisiert, dass BND und NSA gemeinsame Selektorenfilter betreiben und deutsche Rüstungsunternehmen ausspähen, dass die NSA und der GCHQ EU- oder UN-Diplomaten ausforschen, dass sie die deutsche Regierung, die französische Regierung, die europäische Regierung ausspähen … mit anderen Worten: es wird jetzt skandalisiert, dass die Geheimdienste ihren verdammten Job machen. Man kann ja gerne Spionage insgesamt doof finden. Aber dass Geheimdienste Regierungen ausspähen ist nun mal keine Neuigkeit und vor allem kein Skandal.

Es ist kein Wunder, dass auch die Geheimdienstdebatte in rechten, nationalistischen Kreisen und bei den sogenannten Reichsbürgern eine wachsende Rolle spielt, unterstreicht sie doch ihr Mantra, die BRD sei ja kein eigentlicher Staat, sondern nur eine Marionette der USA (und damit natürlich insgeheim des Finanzjudentums). Etwas moderater ausgedrückt: Deutschland sei ja nicht wirklich souverän.

Ja, es stimmt. Deutschland ist nicht souverän. Griechenland ebenfalls nicht. Aber die USA ist es auch nicht. Die Welt von heute ist eine vernetzte und die Vernetzung nimmt stetig zu. Das gilt für Staaten genau so wie für Individuen. Wir sind abhängig von dem stetigen Strom der Informationen, wir profitieren von den Netzwerkeffekten, egal ob auf persönlicher, auf wirtschaftlicher oder auf Geheimdienstebene. Und natürlich kann in dieser Welt eine bestimmte Idee von Autonomie nicht mehr widerspruchsfrei durchgezogen werden. Freiheit heißt nicht mehr, von anderen unabhängig zu sein, sondern Freiheit heißt mehr und mehr teil zu haben, angeschlossen zu sein, ineinander hineinreichen zu dürfen. Die Freiheit von heute endet nicht mehr an der Grenze der Freiheit des anderen, sondern der andere ist die Bedingung meiner Freiheit, nämlich all meiner Möglichkeiten.

In dieser Welt macht der politischen Begriff der „Souveränität“ – ähnlich wie der der „informationellen Selbstbestimmung“ – keinen Sinn mehr. Die dahinterliegende Vorstellung ließe sich nur unter den enormen Kosten von Isolation und unter der Knute einer aggressiven Abgrenzung gegen die Welt und die Moderne gerecht werden. Diese Begriffe der Autonomie, der Traum, den sie evozieren, sind gefährlich. Sie füttern ein unerfüllbares Bedürfnis, das in letzter Konsequenz nur Gewalt heraufbeschwört. Ich fürchte sogar, sie führen direkt in den Faschismus.