Ich wurde gebeten, mich ein weiteres mal, diesmal etwas differenzierter, mit Schirrmachers Thesen zu beschäftigen. Wie das so ist, ein Text fordert einen zweiten. Wer weiß, vielleicht demnächst einen dritten. Bis dahin liegt er nun mal vor, in diesem Fall als Mail und wenn er schon mal da ist, so dachte ich mir, kann ich ihn auch Redundanzgetöse zum trotz, hier veröffentlichen.
Zunächst bin ich hoch erfreut, dass es dieses Buch gibt. Es transportiert einen seit über 10 Jahren in den USA in aller breite geführten Diskurs endlich nach Deutschland. Nicht, dass es ihn hier nicht gäbe. Nur spielte er sich fast ausschließlich in Blogs und Spezialmedien ab. Deswegen bin ich zweitens sehr dankbar, dass ausgerechnet Schirrmacher sich dieses Diskurses annimmt. Er ist einer der wenigen Menschen, die in der Lage sind, diesen Diskurs überhaupt auf die allgemeine Agenda zu setzen. Das liegt daran, dass hierzulande die Diskurse leider noch deutlich von den Feuilletons dominiert werden. Schirrmacher hat diese nun endlich aufgeschreckt und mit Hausaufgaben nach hause geschickt. Das begrüße ich sehr. Damit könnte es möglich sein, dass dieser Diskurs endlich auch in unserem verschlafenen Deutschland dort geführt wird, wo er hingehört: in der Mitte der Gesellschaft.
Ich bin also Herrn Schirrmacher zunächst sehr dankbar. Ich bin vor allem auch deswegen dankbar, weil man merkt, dass sich hier jemand auch tatsächlich tiefgreifend mit den Themen auseinander gesetzt hat. Das ist, siehe oben, gerade bei unseren selbsternannten Bildungsbürgern nicht üblich. Zudem schafft es Schirrmacher die Situation sehr gut zu beschreiben und teils sie treffsicher zu analysieren. Etwa 70 % sind schlicht wahr, weitere 20% zumindest halbwahr und nur 10% ist unbewiesener und hanebüchener Unsinn (Alle Zahlen sind Selbstgefühlt). Ich finde das ist eine gute Quote.
Was mir aber am meisten aufstößt: Seine größtenteils geschliffene Argumentation wird hier und dort unterbrochen von durch nichts zu rechtfertigender Alarmistik. Schirrmacher geht sogar so weit, seinen Text, seine Gedanken und seine Argumente ad absurdum zu führen, indem er ganz offensichtlich die gegenteiligen Schlüsse dessen formuliert, was er vorher aufwendig entwickelt hat. Und zwar – so hat man den Eindruck – nur des Geschreis wegen.
Das Beispiel mit dem Menschen und Berechenbarkeit habe ich versucht, im Blog aufzudröseln. Wenn es so ist, dass wir Gehirnfunktionen immer intensiver an die Maschinen auslagern – was ohne Frage stimmt – dann ist der Schluß, dass diese Maschinen uns und unsere Entscheidungen immer mehr berechenbarer und unkreativer machen, unser Menschsein einschränken, gerade zu absurd. Im Gegenteil eröffnet uns dieses „abnehmen“ der berechenbaren Hirnfunktionen durch die Maschinen ja viel mehr kreativen Freiraum, vielmehr Entscheidungsgewalt und -möglichkeit als es je zuvor der Fall war.
Gerade was die Informationsvermittlung angeht sollte er das doch am eigenen Verlag spüren. Das, womit nicht nur sein Haus zu kämpfen hat, dass der Journalismus nicht mehr die einzige Filter- und Gatekeepinstitution ist, ist doch gerade der Beweis dafür. Journalisten, als diejenigen wenigen Schaltstellen, die mir die Informationen vorselektierten, werden mehr und mehr abgelöst durch andere heterogenere Filtermechanismen. Diese sind meist keine einfachen Algorithmen, sondern speisen sich aus menschlichen Filtern die an Filtern hängen, die wiederum Filter sind und die zusammengeschaltet eben jenen personalisierten Filter ergeben, der /meine/ Entscheidung, /meine/ Entschiedenheit und /meine/ Vorlieben besser entsprechen und menschlicher und direkter bedienen kann, als es alle je auf der Erde gelebten Journalisten gekonnt hätten. Mein Entscheidungsspielraum wächst hier in Exorbitanten Maßstab an, anstatt, wie Schirrmacher es suggeriert, abnimmt.
Und falls Schirrmacher meiner Argumentation nicht folgen möchte, so sei ihm mit einem an Augustinus geschulten Derrida (den er ja studiert hat) gesagt, dass wir nur dort wirklich entscheiden, wo wir Unentscheidbares entscheiden. Dass wir also eben bei der Navigation im schier unendlichen Datenozean viel mehr entschieden haben werden, als wenn wir uns heute die „FAZ“ statt der „Welt“ kaufen.
Was die angeblichen Veränderungen unserer Hirne angeht: Geschenkt. Auch wenn ich die heutige Datenlage für solcherlei Behauptungen für äußerst Dürr halte, frage ich mich, was denn überhaupt so schlecht daran sein kann. Denn wenn Mediennutzung das Gehirn derart verändert, dann muss auch ab 1600 im Zuge der Alphabetisierung der Menschen eine solche Veränderung stattgefunden haben. Das lässt sich jetzt sicher nur noch schwerlich nachweisen, aber wenn, dann können wir davon ausgehen, dass wir alle diese Hirnveränderung keinesfalls rückgängig gemacht haben wollen. Wir rüsten uns also auch dieses mal für die Zukunft.
Aber auch jenseits solcher Überlegungen wirken die apokalyptischen Ponyreiter, die hier und da mit Schirrmacher durchgehen, sehr gewollt. Wie eine in den Text eingelassene PR-Note, die nichts tun soll, als eine irrationale Hysterie zu schüren, um den Absatz des Buches zu fördern. Plump, unausgegoren und logisch inkonsistent.
Mag sein, dass sowas nun mal zu dem Handwerkszeug eines echten Agendasetters gehört. Ich finde das peinlich und es nimmt dem eigentlich ja durchaus gut geführten Diskurs Schirrmachers die Glaubwürdigkeit und Sympathie, die es bräuchte, hier im Web, wo dieser Diskurs seit langem geführt wird, wirklich ernst genommen zu werden.
Aber klar. Für die Bild reicht das allemal. Und allein dafür sollten wir dankbar sein.
Richtig, es „sind meist keine einfachen Algorithmen“ – sondern im Gegenteil sehr komplexe Algorithmen die herausfinden, was Mehrheiten wissen wollen und so schon bald mitbestimmen könnten, was im Netz gefunden wird und was nicht, wie WIRED zeigt: http://3.ly/demand
Pingback: Eine zugegebenermaßen etwas wirre, aber nichtsdestotrotz irgendwie interessante Herleitung der Notwendigkeit des Hackens « H I E R