Tag 1:
Um 8 aufgewacht mit einem Kater. Kann nicht mehr schlafen. Auch gut. Ich muss ja jetzt eh los.
Packe Sachen zusammen. Ich hatte die letzten Wochen damit zugebracht, mir allerlei Equipment zuzugelegen. Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kocher, und so Kleinkram. Teuer, weil soll leicht sein. Außerdem habe ich mein Fahrrad umrüsten lassen. So spießig mit Gepäckträger, Schutzbleche und Seitentaschen. (Werde ich erwachsen?) Und dann habe ich das in verschiedenen Iterationen getestet. Zelt auf und abgebaut, Fahrradtouren gemacht. Zuerst mit wenig Gepäck zum Tegler See, dann mit vollem Gepäck zum Müggelsee. Vor Ort immer mal wieder den Kocher ausprobiert. Alles soweit ok. Ich fühlte mich fit und bereit. Bis auf den Kater. Nunja.
Zur Tourplanung habe ich mir diverse Fahrradapps ausprobiert und bin dann bei Komoot hängen geblieben. Ich kann nicht sagen, dass ich voll zufrieden bin, aber es lässt sich damit arbeiten.
Gegen neun buche meinen Zug. Ich will von Hamburg aus losradeln. Es fährt aber kein Zug durch, der Fahrradmitnahme erlauben würde. Ich versuche zu buchen, aber die BahnApp kann die Transaktion aus irgendwelchen Gründen nicht durchführen. Ich weiß jetzt jedenfalls wie ich loskomme. 11:28 von HBF, 15:45 in Hamburg. Pünktlich um 10:45 bin ich fertig mit Packen. Ich habe zwei vollbepackte Satteltaschen an meinem Rad und einen mittelbepackten Rucksack auf dem Rücken. Es geht los.
Am Hauptbahnhof die erste Verwirrung. Normalerweise stelle ich mein Rad ab, wenn ich herkomme und zu irgendwelchen Terminen fahre. Diesmal muss ich mein Rad mit hineinnehmen. Komisches Gefühl.
Ich versuche mir am Automaten die passenden Tickets zu besorgen. Klappt auch nicht. Ich gehe ins Reisezentrum und versuche es manuell. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr hier. Seit es online- und Handy-Tickets gibt, geh ich nicht mal mehr an den Automaten. Es hat sich einiges verändert seitdem. Ich muss eine Nummer ziehen. Eine freundliche Dame der Bahn sagt, es müsse mit ca. 10 Minuten Wartezeit rechnen. So viel Zeit habe ich nicht. Ich komme an den Schnellschalter. Auch dort zieht es sich. Drei Minuten vor Bahnabfahrt schere ich aus und eile zum Bahnsteig. Scheiß drauf, ich bezahl im Zug.
Ich sitze in einem Bummelzug. RE oder sowas. Es sind viele Leute wie ich hier. Wir drängeln unsere Räder aneinander. Ich lese Graebers Dept, the first 5000 Years auf dem Kindle. Die Zugfahrt zieht sich endlos. Ich muss ich Schwerin umsteigen und dann mit einem anderen Bummelzug weiter. Auf der App spiele ich andere Möglichkeiten durch. Mein neues Ziel ist der Ratzeburger See und dort auf einen Campingplatz. Ich könnte schon Schwerin aussteigen und erstmal Richtung Westen zu dem Campingplatz und von dort dann am nächsten Tag über Lübeck zur Ostsee. 64 Km, hieße das für heute, sagt die App. Das ist happig, aber schaffbar. (Bedenkend, dass ich ja schon die 8 Km zum HBF zurückgelegt habe).
In Schwerin steige ich aus, aber nicht mehr weiter um nach Hamburg. Ich esse noch schnell was und dann geht es los mit der Radtour.
Die App führt mich tatsächlich über allerlei Fahrradwege durch das Mecklenburg Vorpommersche Hinterland. Es geht entlang von Feldern und Wiesen, einmal durch einen Wald. Schlimme Kopfsteinplaster sind auch inbegriffen, aber gottseidank erträglich kurz. Was ich nicht gedacht hätte: Meckpomm ist verdammt hügelig. Ich habe ständig mit (ok, relativ kurzen) Anstiegen zu kämpfen. Es strengt jedenfalls alles sehr viel mehr an, als die Radouren im Berliner Umland.
Nach 15 Km mache ich die erste Pause. Ich bin mitten im Wald, ich bin allein. Es ist wunderbar kühl, nachdem ich über eine Stunde in der prallen Sonne geradelt bin. Ich setze mich auf einen gefällten Baum, esse einen Energieriegel und trinke einen halben Liter Wasser auf ex.
Beim Weiterfahren merke ich, dass ich nicht ewig dem Sattel verbringen kann. Auch der Rücken schmerzt langsam vom Rucksack. Es geht weiter entlang der Wiesen, Felder und Wäldern. Ich muss sagen: es ist wunderschön. Aber so langsam merke ich, dass ich die Strecke unterschätzt habe.
Bei KM 28 mache ich die nächste Pause. Einfach an einem kleinen waldstück am Rande eines Feldes. ich kämpfe mich durch die Büsche zu einem netten Platz. Ich lege mein Handtuch aus und lege mich drauf. Ruhe, die Muskeln entspannen. Es tut so gut.
Meistens komme ich nur durch kleine Ortschaften oder Dörfer. Fast nie ein Mensch auf der Straße. Einmal fahre ich durch durch eine kleine Stadt namens Gadebusch. Sie ist wunderschön, scheint eine lange Geschichte zu haben. Eine wunderschöne Kirche aus Ziegelstein ziert den kleinen Marktplatz.
Die nächsten Raststopps nutze ich nur, um Wasser umzufüllen. Ich habe so einen praktischen Wassersack dabei, mit dem man gut Wasser transportieren und verteilen kann. Er fasst 4 Liter und die brauche ich auch. Ich verbrauche etwa 8 Liter auf 100 Km, rechne ich aus.
Ab Km 50 werde ich ungeduldig. Ich will endlich ankommen. Die Aufstiege fallen mir immer schwerer. Ich spüre meinen Körper an allen Stellen. 50 Km waren in Berlin kein Problem, hier, mit den Hügeln und dem vollen Gepäck, tuen sie weh. Sehr.
Bei Km 64 bin ich in Groß Sarau, dem dem Ort, an dem ich dachte, wo der Campingplatz ist. Ich halte an, erschöpft. Schaue in der ADAC App nach, wo genau der Platz ist. Er ist nicht hier. Sondern im Ort 5 Km südwärts, nahe Buchholz. Ich fluche und steige wieder aufs Rad. Kaum fahr ich los, fängt es an zu regnen. Na super.
Der Regen verstärkt sich mit jeder Minute. Es ist ein richtiges Sommergewitter. Ich halte an und zieh meine Regenjacke an. Die Brille ist voller Wasser, ich habe wenig Sicht. Aus dem Ort raus, muss ich auf einen Fahrradweg, der zu einem unbefestigten Feldweg wird. Ich kann kaum etwas sehen. Als ich kurz absteige und wieder aufsteige, reißt meine Hose. Von oben ab, komplett den Arsch runter bis zum Schritt. Na toll. Es ist die einzige kurze Hose die ich mithabe. Nein, es ist die einzige, die ich besitze. Es regnet weiter in Strömen.
Nachdem ich mich auch noch einmal verfranzt habe, finde ich endlich den Campingplatz. Naturcamping Buchholz. Nach über 70 Km endlich da. Der Platz kostet 10,50 Euro. Ich versuche im strömenden Regen das Zelt aufzubauen. Hier zeigt sich ein entscheidender Nachteil des Zeltes. Es besteht nach oben beinahe ausschließlich aus Fliegennetz und hat ein separates Überzelt gegen Regen. Das ist praktisch, weil man tagsüber ein luftiges Zelt stehen haben kann. Wenn man es bei Regen aufbauen muss, ist das aber doof. Ich versuche während des Zeltaufbaus das Überzelt bereits über das eigentliche Zelt zu legen, damit es nicht total vollregnet. Das klappt nur sehr bedingt. Nach einigem Fluchen habe ich es geschafft und winde mich klitschnass ins Zelt. Hier drin ist es auch klitschnass. Ich versuche aus meinen Klamotten zu kommen. Ich nehme meinen Hoodie und versuche die größten Wasserlachen aufzuwischen. Draußen trommelt der Regen gegen das Überzelt. Das wiederum ist dicht. Immerhin.
Nachdem ich das Zelt rudimentär trocken bekommen habe, breite ich Schlafsack und Isomatte aus. Die Isomatte muss ein wenig aufgeblasen werden. Der Schlafsack ist aus Daunen und darf nicht nass werden. Ich mummel in den Schlafsack. Es ist erst halb Neun, aber ich bin so erschöpft, dass ich sofort einschlafe.
Eine Stunde später wache ich wieder auf. Es hat aufgehört zu regnen. Ich gehe nochmal raus, bestelle zwei Brötchen für morgen beim Restaurant vor und esse ein Matjesbrötchen vor Ort. Das tut so gut. Dann hole ich Wasser. Ich lege mich in den Schlafsack und lese weiter an Dept. Es fängt wieder an zu regnen. Das pladdern macht mich müde. Gegen 11 schlafe ich ein.
Tag 2:
Ich wache so um 7 auf und habe geschlafen wie ein Baby. Die Sonne scheint, aber es ist recht kühl. Mein Körper fühlt sich nur halb so zerstört an, wie befürchtet. Erste Mission ist es, die Sachen einigermaßen trocken zu bekommen. Ich lege mein nasses T-Shirt und meinen Wischmob-Hoodie auf das Zeltdach. Auch der Schlafsack ist doch etwas nass geworden. Ich sortiere mich: Was ist nass, was hat einen leeren Akku, was ist zu tun. Ich bringe meinen einen Ersatzakku zum Laden ins Bad. Dann springe ich erstmal in den See. Er ist herrlich kühl. Ich schwimme etwas raus, fast durch einen Entenschwarm. Sie stören sich kaum an mir. Danach heiß duschen. Zeltplätze haben ihre Vorteile.
Gegen halb 10 gehe ins Restaurant. Ich bekomme meine Brötchen und bestelle einmal Rührei dazu. Kaffee nicht. Den mach ich mir mit dem Kocher selbst. So viel Campingehre muss sein.
Die Sachen sind jetzt fast trocken, die Akkus geladen. Ich nehme mir meinen Rechner und schreibe Tag eins auf und Tag zwei bis zu diesen Zeilen. Mal sehen, ob ich das Tagebuchbloggen aufrecht erhalten kann. Abschicken kann ich den Post jedenfalls nicht, dafür reicht da Edge-Netz hier nicht.
Es ist jetzt 11:00. Gleich geht es nach Lübeck. Dort werd ich mir erstmal eine neue kurze Hose kaufen müssen. Dann nur noch ein Katzensprung, dann bin ich an der Ostsee. Heute wird wesentlich entspannter. 40 Km höchstens. Ich werde jetzt mal zusammenpacken und dann los.
UPDATE 14:30
Sitze in Lübeck bei Nordsee an den den draußentischen. Habe mir extra Datenvolumen kaufen müssen, damit ich bloggen kann. Nur für euch!
Das Packen ist ja eine Wissenschaft für sich. Nach drei mal die Fahrradtaschenpacken, schaff ich es, kaum noch Dinge in den Rucksack tun zu müssen. Wenn ich wiederkomme schreibe ich mein wissenschaftliches Hauptwerk: „Effizienzgewinne durch ordentlich Packen“.
Lübeck ist schön. Ich habe mir eine neue Shorts gekauft. H&M. Nichts besonderes aber auch nicht hässlich. Kurze Hose muss schon sein bei dem Wetter. Mein Fahrrad habe ich abgeschlossen, aber die Taschen einfach dran gelassen, nur den Rucksack habe ich mitgenommen. Ich kann wirklich nicht mit dem Rucksack und den zwei Taschen durch die Stadt laufen. Ich hoffe also darauf, dass die Lübecker lieb sind und nicht mein Zelt klauen.
Der Weg vom Razeburger See nach Lübeck war ein klacks. Keine 20 Km. Einfach ohne Pause durchgefahren. Ich kann übrigens gar nicht sagen, ob ich gerade durch die ehemalige DDR gefahren bin oder durch den Westen. Egal.
Jetzt geht es nach Scharbeutz. Meine erste wirkliche Station an der Ostsee. Von dort dann Richtung Osten bis nach Greifswald. Stay tuned.