Post-Privacy und Anti-Überwachung

Auf dem 30c habe ich einen Lightning Talk zum Überwachungsdiskurs nach Snowden gehalten: hier das Video:

Ich plädiere dafür, das Strafregime beim Kampf gegen Überwachung mehr in den Blick zu nehmen, statt immer nur den Aspekt der Beobachtung zu skandalisieren. An einer Stelle sage ich, das Strafregime sei viel entscheidender als z.B. die Verletzung der Privatsphäre. Leider konnte ich in der Kürze der Zeit den Punkt nicht richtig ausführen, sondern beließ es bei einem Beispiel. Aber mir scheint, dass dieser Aspekt einen weiteren zentralen Denkfehler beim heutigen Überwachungsdiskurs aufzeigt. Deswegen hier noch mal ausführlich.

Stellen wir uns kurz vor, die kühnsten Träume des heutigen Antiüberwachungsdiskurses bewahrheiteten sich:
Ein starker Datenschutz ist weltweit verankert. Weltdatenschützer Thilo Weichert verfügt über die Schlagkraft eines stehenden Heeres von einer Million Blauhelmen, um ihn durchzusetzen. Auch alle Geheimdienste aller Länder unterwerfen sich den strengen Datenschutzstandards.

Zudem ist Crypto auf einmal benutzbar. Es ist in jede erdenkliche Software integriert und kinderleicht zu bedienen. Es ist schwieriger nicht zu verschlüsseln, als zu verschlüsseln, deswegen ist für alle Kommunikation Verschlüsselung längst Standard. Auch die Implementierung ist sauber und die Mathematik hält noch mindestens 20 Jahre.

  • Auch in dieser Welt würde Trojanow an der Grenze der USA abgewiesen werden, für das was er öffentlich sagt.
  • Auch in dieser Welt würde ein »Osama« kein Sparkassenkonto erhalten, denn die Bank braucht nun mal den Namen für ein Konto.
  • Auch in dieser Welt gäbe es Racial Profiling. Hautfarbe ist halt nicht privat.
  • Auch in dieser Welt kommt man wegen falschem Namen auf die Noflyliste.
  • Auch in dieser Welt würden die britischen Touristen für den Scherz darüber, Marilyn Monroe auszugraben und Amerika zu zerstören, deportiert werden. Man kann der NSA ja nicht verbieten Twitter zu lesen.

Das sind alles Beispiele, die gerne von Überwachungsgegnern ins Spiel gebracht werden. Das Narrativ, dass es beim Kampf gegen Überwachung immer um die Privatsphäre ginge, hat sich so sehr in die Köpfe eingebrannt, dass ihre Protagonisten gar nicht merken, dass ihre Beispiele schon lange nichts mehr mit Privatsphäre zu tun haben.

Wir leben in einer Welt, in der eine Menge Informationen öffentlich sind, die früher privat waren oder vielleicht nur eine kleine Öffentlichkeit hatten. Und diese Dinge sind nicht aus Versehen öffentlich, sondern weil die Leute das so wollen, weil sie sich nicht verstecken wollen, für das, was sie sind. Politische Meinungen, derbe Scherze, sexuelle Präferenzen, Hautfarben, das sind Identitäten, die gelebt werden wollen. Auch öffentlich. Und das ist gut so. Und ja, auch dann sollten diese Menschen nicht deswegen diskriminiert werden.

Ist eine Diskriminierung wegen einer politischen Meinung, Herkunft oder sexuelle Präferenz weniger schlimm, wenn sie einem Tweet statt einer eMail entnommen wurde?

Die Überwachungsgegner haben von Post-Privacy lange nichts wissen wollen. Es darf nicht halt sein, was nicht sein darf. Störe meine Kreise nicht. Aber ein Antiüberwachungsdiskurs, der Post-Privacy nicht mitdenkt, wird höchstens ein paar Alunerds ein bisschen freier machen. Für den Rest gilt das Gegenteil. Wenn wir nur die Privatsphäre stärken (als ob das möglich wäre), würden wir die Leute dazu nötigen, ihre Informationen und Identitäten wieder ins Private zu verlagern, um nicht diskriminiert zu werden. Das wäre ebenso schlecht für Pluralismus und Demokratie, wie die Überwachung selbst. Ja, man könnte sagen: dann hat die Überwachung gewonnen.

Wenn wir nicht eine Welt als Ziel haben, wo Menschen auch öffentlich ihre Meinung sagen oder irgendwelche Attribute über sich veröffentlichen können, dann hat dieser ganze Kampf gegen die Überwachung keinen Wert.

Nicht nur, dass die Idee eines großen Comebacks der Privatsphäre illusorisch ist, nicht nur, dass die Privatsphärennarrative im Überwachungsdiskurs alle nicht mehr funktionieren, das, wofür die Überwachungsgegner kämpfen, wäre sogar ein gesellschaftlicher Rückschritt.

Wenn wir Überwachung bekämpfen wollen, müssen wir an die Strafregime ran. Wir müssen die Möglichkeit der Diskriminierung überall bekämpfen, wo wir sie finden. Gegen den Staat, gegen die Geheimdienste, gegen die Strukturen in der Gesellschaft und ja, manchmal gegen uns selbst. Das geht aber nicht mit Crypto und Datensparsamkeit, sondern mit Aufklärung, Vernetzung und Transparenz.

(Wer mein Buchprojekt unterstützen möchte, bei dem es unter anderem über dieses Thema geht, kann das noch bis Ende des Monats hier tun: http://www.startnext.de/ctrlverlust/)

2 Gedanken zu „Post-Privacy und Anti-Überwachung

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