Newsletter No 3.

Krasse Links No 3. Diesmal mit Schwerpunkt Internet und Kultur. Have fun! 🙂


Social Media ist tot. So jedenfalls hatte es am Anfang des Monats bereits der Economist berichtet und Lars Weisbrod nimmt die These für die Zeit dankbar auf (befreit) und reichert sie mit einigen interessanten Anekdoten, Fakten und Beobachtungen an. Die These ansich ist tatsächlich nachdenkenswert: Was Social Media seit seinem Aufstieg ab 2005 ausgemacht hat, war die konzeptionelle Zusammenführung von sozialer Kommunikation einerseits und massenmedialen Effekten andererseits. Die Verbindungen wurden zwar auf persönlicher Ebene hergestellt (Follower/Friend), aber die Reichweiten skalierten dabei schnell in massenmediale Gefilde. Das ging so lange gut, bis es nicht mehr gut ging.

Die massenmedialen Effekte waren für die meisten Leute nicht mehr beherrschbar und gleichzeitig wurden die Räume für das Private immer enger. Das Ende von Social Media ist das wieder Auseinanderdriften dieser beiden Funktionslogiken: Zum Einen der Rückzug der Menschen in halbprivate Messenger-Chats oder in öffentlichkeitslimitierte Dienste wie BeReal. Zum Anderen die allgemeine Hinwendung zu „post-sozialen“ Medienberieselungsanalgen wie TikTok und Instagram Reels für Unterhaltung und ein bisschen auch für Information. Das Fernsehen ist zurück, auf ne Art.

X, könnte man daraus schließen, hat sich seit dem Tod von Twitter in Richtung postsoziale Medienberieselungsanalge verabschiedet, während Mastodon und Bluesky trotzig das Social Media Paradigma aufrecht erhalten wollen und dabei – naja, zunehmend wie eine digitale Senionrenanalage für Social Media Hängengebliebene wirken (Ja, ich meine dabei auch ausdrücklich mich selbst!).


Wo sich Threads hinbewegt ist noch nicht ganz auszumachen, aber die kontroverse Policyentscheidung, politische Inhalte nicht mehr algoritmisch zu verstärken, kann als Schritt in Richtung Postsozial verstanden werden, was einleuchtet, denn dort liegen die größeren Reichweite und die leichtere Vermarktbarkeit.

Ich habe tatsächlich einige Argumente gehört, warum das actually gut ist („politischer Content auf Plattformen hat uns doch erst in diese Situation gebracht!!“), aber selbst wenn man die Plattformen für die Polarisierung verantwortlich macht und glaubt, dass damit ändern zu können, stellen sich zumindest drei dringende Fragen:

  1. Was ist politisch? Dass diese Grenze schwer bis gar nicht zu ziehen ist, ist zu genüge erläutert worden. Daher finde ich die Folgefrage viel relevanter, die da lautet:
  2. Was halten Menschen für politisch? Und diese Frage ist sogar recht leicht zu beantworten: alles, was von der Norm abweicht. Der männliche Körper ist nicht politisch, der weibliche schon. Heterosexuelle Beziehungen sind nicht politisch, homosexuelle schon. Deutsche in Deutschland sind nicht politisch, Ausländer schon, etc. Es gilt die Hegemonie des Normalen.
  3. Diese Schwierigkeiten im Kopf stellt sich die dritte Frage: Habe ich genügend Zutrauen in den Konzern Meta, diese Frage zu beantworten? Und damit meine ich nicht nur, sie für mich zu beantworten, sondern für die Gesellschaft als ganzes, denn alles, was Meta tut, passiert auf Gesellschaftsebene.

Die Menschen haben allen Grund den Plattformen zu mißtrauen. Üble Erfahrungen haben sich über die Jahre gestapelt und die brutale Hinrichtung von Twitter unter der Ägide des Chefkapitalisten Musk war für viele der Breakingpoint (zumindest für mich). Kommerzielle Netzwerke fühlen sich einfach nicht mehr wie fester Boden an. Die Frage, was kann ich noch erwarten, wenn ich etwas poste, können nur noch Menschen beantworten, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, die neusten Tweeks des Algos hinterherzuhecheln. Und dann sollen die Plattformen auch noch darüber Entscheiden, was in der Gesellschaft als Politik gelten soll?

Zu diesen und anderen Fragen lamentieren hörenswert auch Nora Hespers und Gavin Karlmeier im Podcast Haken dran.


Anfang dieser Woche ging ein Text von Stern viral (selten genug), in dem eine anonyme Mutter davon berichtet, wie ein unter männlichen Jugendlichen populärer Podcast ihren 14-Jährigen Sohn zum AFD-Anhänger gemacht hat. Die Aufregung ist vielleicht auch deswegen so groß, weil gerade erst ein Artikel der Financial Times (befreit) Furore machte, der bei jungen Menschen einen sich spreizenden Gender-Gap hinsichtlich der politischen Haltungen feststellte. Junge Männer, so scheint es, werden immer rechter, während die Mädchen eher links und stabil bleiben.

Der Podcast, um den es geht, heißt Hoss und Hopf (kein Link) und interessanter Weise hatte ich 2022 das Vergnügen mit Hoss beim Handelsblatt über Crypto zu diskutieren. Hoss war zu jener Zeit einer der sichtbarsten Crypto-Influencer in Deutschland. Ich muss sagen, dass ich Hoss – trotz unserer inhaltlichen Differenzen – nicht unsympathisch fand und sofort etwas Mitleid mit ihm hatte, als er sich aus seiner noch leeren Wohnung in Dubai zuschaltete. Wo muss man im Leben falsch abgebogen sein, um freiwillig in einer mit reichen Langweilern befüllten Retortenstadt in der Wüste leben zu wollen?

Hoss ist ein anschaulicher Prototyp für die Rechtsverschiebung unter männlichen Jugendlichen. Er ist teil einer Generation, die gelernt hat, dass man nicht mit Arbeit zu Geld kommt, sondern dass es im Kapitalismus eben nur Gewinner und Sucker gibt und es somit darauf ankommt, immer auf der Seite der ersteren zu stehen. Nichts bildet diese Ideologie so gut ab, wie der Finanzmarkt und dabei ist es fast egal, ob man Pennystock- Memestock-, Devisenheini oder eben Crypto-Bro ist (sein Kollege Hopf ist z.b. eher im traditionellen Finanzmarkt unterwegs).

Seit der ungefilterten Öffnung des Finanzmarktes für die allgemeine Öffentlichkeit durch Crypto, aber auch Trading-Apps wie RobinHood oder Trade-Republic hat sich darum eine eigene Industrie von Life-Coaches, Selfhelp-Gurus und eben Finanz-Influencern entwickelt, die über ihre Kanäle die nächste Generation verunsicherter Jungs rekrutiert, so dass die Pyramide immer ihren Sockel austauschen kann. Einen guten Podcast mit Innenasichten dieser mentalen Tretmühle haben die guten Menschen von Wild Wild Web produziert.

Hoss ist kein böser Mensch, er verwechselt nur sein Glück genau zur richtigen Zeit in Bitcoin investiert zu haben, mit seiner eigener Kompetenz und versucht seither mit Kursanalysen-Voodoo seinen Erfolg zu reproduzieren. Er ist damit einer unter Millionen. Er ist eine tragische Figur aber hat halt tausende von Fans.

Spätestens mit der Hinwendung von Elon Musk (neben Jordan Peterson, Joe Rogan und Andrew Tate eines der großen Vorbilder in dieser Blase) zum harten Rechtsradikalismus sind faschistische Positionen in diesen Kreisen zumindest so weit normalisiert, dass ihnen alle Versuche, Nazis zu verhindern, suspekt sind. Sie empfinden das als autoritäre Einschränkung der Meinungsfreiheit und glauben, Demokratie hieße, mit allen (also vor allem mit Rechten) reden zu müssen.

Das bekommt man jedenfalls zu hören, wenn man bei Hoss & Hopf reinhört. Zwar ist vor allem Hopf ständig dabei, auch rechte Parolen und Verschwörungstheorien rauszuhauen (der Youtuber MARWIN hat sich die Mühe gemacht, einige seiner Claims zu debunken), aber im Großen und Ganzen geht es vor allem um Medienkritik an den Mainstream-Medien (oder was sie dafür halten), die teils sogar berechtigt ist, aber eben auch sehr einseitig und schlecht informiert.

Den Jubel darüber, dass Tiktok jetzt einen Account, der Hoss und Hopf promotet und 166.000 Follower hat, gesperrt hat, kann ich nicht teilen.

  1. Tiktok ist halt sehr opportunistisch bei seiner Moderation und sperrt einfach alles, worüber sich die Öffentlichkeit gerade aufgeregt. Dahinter stecken keine Prinzipien, oder eine Policy, sondern reine PR. Hoss und Hopf machen schlechte Inhalte, aber es gibt mit großem Abstand schlimmeres auf Tiktok.
  2. Zudem sind Hoss und Hopf gar nicht auf ihre eigene TikTok-Präsemenz angewiesen, denn ihre Strategie ist es, Geldbepreiste Ausschreibungen für Tiktok-Reichweiten zu machen, bei denen dann ihre jungen Fans mit hunderten von Accounts konkurrieren.
  3. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ihnen diese ganze Kampagne wenig schaden wird. Im Gegenteil. Für die jungen Männer bedeutet die Aufregung und die Zensurbemühungen nur, dass Hoss und Hopf erst recht attraktiv werden. Ich weiß, das ist eine Zwickmühle, aber ich denke, in diesem Fall müsste man sich tatsächlich inhaltlich engagieren, statt mit dem Nudelholz.

Was mich bei Hoss und Hopf – eigentlich bei allen diesen Männlichkeitsinfluencern – so kirre macht, ist ihre demonstrative Eindimensionalität. Mit ihren Lambos und ihrer geldfixierten Statusidee wirken sie wie zugespitzte Karikaturen von Männlichkeit und die Tatsache, dass ihnen dabei jede ironische Ebene fehlt, macht das ganze so gespenstisch wie Sora-Szenen.


Es gibt seit einiger Zeit vermehrt Bemühungen, den kulturellen Moment in dem das Internet gerade steckt, auf einer Metaebene einzufangen. Meiner Wahrnehmung nach fing das alles mit dem Text von Kyle Chayka im Guardian an. Chayka ist eigentlich New Yorker Autor und seine Thesen hat er auch im Buch „Filterworld“ weiter ausgeführt, das ich aber nicht gelesen habe. In dem Stück für den Guardian arbeitet er sich vor allem an dem Phänomen ab, dass überall auf der Welt – zumindest in Großstädten wie New York, Bangkok, Tokio, Berlin – ein ganz bestimmter Stil von Hipster-Coffeeshops zu finden ist. Seine These dazu ist, dass durch die indirekte algorithmische Vernetzung über Instagram, Tiktok und Co. eine ortsunabhängige Stil-Angleichung stattfindet, meistens gar nicht bewusst.

„My theory was that all the physical places interconnected by apps had a way of resembling one another. In the case of the cafes, the growth of Instagram gave international cafe owners and baristas a way to follow one another in real time and gradually, via algorithmic recommendations, begin consuming the same kinds of content. One cafe owner’s personal taste would drift toward what the rest of them liked, too, eventually coalescing. On the customer side, Yelp, Foursquare and Google Maps drove people like me – who could also follow the popular coffee aesthetics on Instagram – toward cafes that conformed with what they wanted to see by putting them at the top of searches or highlighting them on a map.“

Kultur, gefiltert durch Algorithmen, führt unweigerlich zu einem gewissen Streamlining von Formen und Stilen und es ist nicht immer leicht, sich zu dieser Dynamik zu verhalten. Es ist, als wären die Plattformen das neue Flussbett der Kultur, in dem die alltagskulturellen Artefakte wie Steine liegen, die durch den Fluss der vom Algorithmus koordinierten Interaktionen, immer runder geschliffen werden.


Auch Rebecca Jennings beobachtet auf Vox den Einfluss von algorithmischer Kuratierung auf die Kultur, doch nimmt sie die kulturellen Protagonist*innen selbst in den Blick, also Künstler*innen, Musiker*innen und Autor*innen. Heute, so scheint es, reicht es nicht mehr eine bestimmte Form der Ausdrucksweise zu beherrschen, denn alle müssen jetzt auch gleichzeitig Influencer*innen sein und ihr Leben vermarkten. Der Aufmerksamkeitsmarkt auf Tiktok und Instagram ist brutal und egal, welche Form von Kultur man auch herstellt, gilt es der inzwischen ebenfalls algorithmisch rundgeschliffenen Idee eines AutorsAutorin/Künstler*in oder Musiker*in zu entsprechen.

„Is the labor of self-promotion making art worse? It’s sort of impossible to argue this; the internet has abetted the creation and exposure of infinitely more art than ever before in human history. But with less separation between art and commerce, Montgomery says, “there’s some self-censorship that happens. If you’re a little too knowledgeable about PR, you start to become way too aware of things like posting schedules, and it’s impossible to be punk anymore.”

Das ist in der Tat eine empfindliche Einschränkung des Möglichkeitsfelds der Kultur. Ein Algo-Hustler kann alles mögliche sein, aber ganz sicher kein Punk.


Eine noch umfassendere Betrachtung des algoritmisch-kulturellen Moments hat David Marx vorgelegt. Er unterteilt die bisherige Kulturlandschaft grob in eine Makro-Mainstreamkultur und verschiedene Mikro-Kulturen:.

  • Macro: Mainstream-ready content created for large audiences by major TV and film studios, record labels, major newspapers, and monthly magazines
  • Countercultural Micro: Content made under avant-garde, experimental, or otherwise non-mainstream aspirations that tinkers with the underlying conventions of form and content in an attempt to push the medium forward; this culture tends to be championed in élitist media enjoyed by small but influential educated audiences
  • Minority Micro: Culture created within identity-based minority communities that had long been excluded from mainstream participation: e.g. early hip-hop, latin music, gay club culture
  • Laggard Micro: Cultural tastes among white lower middle-classes that hybridize stable folk traditions with popular trends at the end of their cycles, which tend to be loathed by macro gatekeepers: e.g. country music, Nü Metal, Larry the Cable Guy

Mit der Durchdringung der Kultur durch das Internet kommt nun eine neue Mikrokultur hinzu, die Marx „Macro-Taste Micro“-Kultur nennt. Also eine nicht-Mainstreamige, aber vom Geschmacksmuster her doch ziemlich herkömmliche Form populärer Microkultur. Sein Goto-Beispiel dafür ist Mr Beast, der als unabhängiger Medienmacher/Influencer mehr Leute erreicht, als große Fernsehsender mit ihren populärsten Sendungen. Mr Beast ist in keiner Weise irgendwie gegenkulturell, sondern macht keinen Hehl daraus, dass er erstens der Über-Algo-Hustler ist und damit zweitens in die Mitte der Mitte des Mainstreams greift, um die Massen des Massengeschmacks bei ihren faulsten Präferenzen zu greifen.


Eine Auffälligkeit bei Mr. Beast ist, mit welcher Vorsicht er politische Themen umschifft. Er weiß, dass jeder noch so kleine Pups ihn in Zeiten der Hyperpolitik über Nacht die Hälfte seiner Fanbase kosten könnte und mein Eindruck ist, dass ihm Politik egal genug ist, da nicht reingezogen werden zu wollen. Er ist mit dieser Strategie nicht nur der erfolgreichste Creator ever existed, sondern auch sowas wie der Idealuser für Plattformen wie Threads. Eigentlich hätte Threads gerne nur ein paar Hundert Mr. Beasts und wir anderen sollen uns bitte nicht zu laut über Politik streiten, wir stören nur die Vorführung. Willkommen im Post-Social Internet!


Aber wenn der aktuelle algoritmische Moment in der Kultur darin besteht, Hustlers, Hipstercafees, Autor*innen-Persönlichkeiten, Männlichkeitsbilder und zuletzt auch noch den „Mainstream“ zur Karikatur seiner selbst rundzuschleifen, bzw. zuzuspitzen, dann erklärt sich damit auch – zumindest zum Teil – der Rechtsrutsch bei jungen Männern. Auf eine Art hat sich der Hang zum Normarliären (Jonas Schaible) von den Boomern in die algorithmusgeschliffene kulturelle Semantik der Gen-Z geschlichen – zum Erstaunen von uns Gen-X und Millennials.

Die Abziehbildhaftigkeit dieser Männlichkeits-Semantik gleicht dabei wiederum den ephemeren Werten, die der Crytptomarkt „produziert“ und im nächsten Moment wieder vernichtet. So wie Crypto ein zur Karikatur zugespitzter Cargo Cult des Finanzkapitalismus ist, so ist diese algorithmisch-normalitäre Männlichkeit eine Verdichtung popkultureller Versatzstücke aus einer internalisierten Mainstream-Medienkultur. Es kondensiert dabei all die platten Sterotype, aber befreit sie gleichzeitig von jeglicher soziokultureller Einbettung und Begrenzung, in denen sie vorgefunden wurde. Es sind Signifikanten ohne Signifikat – also just another Bubble?

Die Fragilität dieser Semantik ist aber auch eine Chance. Die New York Times hatte schon 2021 ein lesenswertes Stück über Influncer Burnout. Viele wollen wieder ausbrechen (ist ja auch wahnsinnig anstrengend und wenig rewarding, jeden Tag ein „echter Mann“, ein „echter Autor“, eine „echte Künstlerin“ zu sein) und für diese Kids braucht es Angebote, in die sie ihre monströsen Identitäten sanft umkippen lassen können, um sie neu und selbstbestimmt wieder aufzubauen. Und wenn sie das schaffen, könnten sie zur immunisierten Speerspitze eines neuen Widerstands gegen die Hegemonie algorithmischer Verflachung und Rechtsverschiebung werden …

Okay, okay, I got carried away …

Aber ganz ohne Scheiß: bitte, bitte gebt die Jugend nicht auf!