Willkommen bei Krasse Links No 5. Diesmal hatte ich nicht viel Zeit, weil ich die ganze Woche in der Schweiz unterwegs bin. Themen heute: Journalismus, Schock und Oligarchie.
Da ich eh in Zürich bin, sitze ich gerade beim Winterkongress, eine Mischung aus re:publica und CCCongress für schweizer Nerds. Der erste große Vortrag war über die „Predator Files“. Natürlich habe ich die Berichterstattung der letzten Jahre zu NSO-Group, Pegasus und Predator, etc. größtenteils verfolgt. Die Aufbereitung als Vortrag habe ich aber auch deswegen dankbar aufgenommen, weil ich mich immer schwer tue, mich durch die langen Dossiers zu kämpfen. Es ist wirklich rätselhaft: Die Skandale sind eklatant, die gesellschaftliche und politische Relevanz ist auf ELEVEN und der Themenkomplex trifft so ziemlich alle meine Interessen – und dennoch: ich fühl’s nicht. Natürlich versuche ich einen groben Überblick zum Thema zu behalten, aber wie bei den meisten großen Coups von Snowden, Panamapapers bis zu den diversen Dossiers zu Pegasus, muss ich mich immer anstrengen, mich angemessen dafür zu interessieren.
Gerade weil ich diese Arbeit so wichtig finde, macht mir diese Diskrepanz große Sorgen. Kritischen Journalismus nahm man seit seiner Erfindung immer im Paket mit Gossip, Sport und Kreuzworträtseln zu sich, was nicht nur die Finanzierung sicherte, sondern auch eine breite, politische Öffentlichkeit ermöglichte. Seit das Internet das alles unbundled hat, wurde aus politischer Berichterstattung yet another special interest content stream, neben Prank Videos, Hentai und ASMR.
Wie dem auch sei, hier ein Link zu dem sehenswerten Talk und zu den wirklich lesenswerten und wichtigen Predator Files bei der WOZ.
Daniela Klette wurde von der Polizei verhaftet und der Guardian hat ein schönes Stück darüber, wie es dazu kam. Aber bei allem, was es politisches dazu zu sagen gibt, fasziniert mich das Detail, dass eine Reverse Bildersuche ein altes Foto von ihr zu tage förderte, auf dem sie beim Karneval der Kulturen in Berlin in die Kamera lächelt.
Als ich vor vierzehn Jahren den Kontrollverlust ausrief, waren die Zeiten noch andere. Das Ancien Regime der Massenmedien war noch nicht gebrochen, die Politik funktionierte noch als technokratischer Langeweilerwettbewerb und das Internet diente vor allem Nerds dazu, über den besten Texteditor zu streiten. Der Kontrollverlust löste widersprüchliche Gefühle aus: Auf der einen Seite war da eine Euphorie, dass es den verknöcherten Institutionen an den Kragen geht, wenn die digitale Transparenz erst die Hinterzimmerdeals und Boysclubs disruptiert (Wikileaks, Open Data, Open Government, Open Everything) und auf der anderen Seite war da natürlich die Angst vor Überwachung, Hacks, Leaks, und dem Ende der Privatsphäre.
Der Kontrollverlust hat seitdem zwar nicht aufgehört zuzuschlagen (im Gegenteil), aber schon bald war die positive Zukunftserwartung weg und die Angst mittlerweile weitestgehend auch. Der Kontrollverlust ist wie Corona. Eigentlich müsste man vorsichtiger sein aber ohne Karneval ist ja auch Mist.
Jedenfalls erzählt dieser lesenswerte Longread bei der Wired, wie die US Intelligence Community begann Trackingdaten von Werbevermarktern aufzukaufen, um Rückschlüsse zu Persons of Interest zu erlangen. Falls ihr euch das auch gefragt habt: ja, das hat durchaus die Qualität einiger Snowdenenthüllungen, die noch 2013 eine vielmonatige Dauerberichterstattung auf allen Kanälen auslöste. Ich schätze, Kontrolle kann man nur verlieren, wenn man vorher glaubte, sie besessen zu haben.
Die Vice hat seine Website dicht gemacht. Cory Doctorow sieht das Management und letztlich die Besitzer in der Verantwortung für das Versagen:
„All of which leads to an inescapable conclusion: whatever problems Vice had, they didn’t include „writers don’t do productive work“ and also didn’t include „that work isn’t economically viable*. Whatever problems Vice had, they weren’t problems with Vice’s workers – it was a problem with Vice’s bosses.“
Der Höhepunkt sei aber, dass die Vice nach dem Abschalten ihrer Website nur noch als Social Media Entität fortbestehen will. Nach all den bitteren Erfahrungen, die der Journalismus mit Plattformen gemacht hat, ist das eine haarsträubende Idee:
„Now, this wasn’t always quite so obvious. Back when Vice was falling for Facebook’s „pivot to video,“ it wasn’t completely obvious that the long con was to take your audience hostage and ransom them back to you. But deliberately organizing your business to be reliant on social media barons today? It’s like trusting your money to Sam Bankman-Fried…in 2024.“
Ja.
Im Nachklapp des letzten Newsletters kam mir der Gedanke, dass die klassische Unterteilung von privaten Medien und öffentlich rechtlichen Medien nicht mehr hin haut. Es braucht mindestens eine Kategorie, die ich im Anschluss an den Newsletter „Oligarchenmedien“ nennen könnte, aber in der Öffentlichkeit wohl bis auf weiteres als „Milliardärsmedien“ tituieren werde. Oligarchenmedien sind zwar rechtlich private Medien, aber ihre Finanzierung ist zum größten Teil von Milliardären (oder manchmal auch nur Multimillionären) abhängig und ihre Gewinnerwartung ist zumindest optional. Wenn man die Frage der Abhängigkeiten – und darum geht es ja in der Unterteilung – ins Zentrum rückt, dann sind Oligarchenmedien anders strukturiert als private Medien und verhalten sich auch anders. Egal ob Döpfner bei Springer, Musk bei X, Frank Gotthardt bei Nius und Murdoch bei … seinem Medienimperium, es geht zu forderst um Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft. Wenn sich das Projekt finanziell trägt, prima, aber rechte News erfordern eh nicht viel Recherche und wenns kein Geld abwirft: dann doch zumindest Macht und Einfluss.
Im Dezember letzten Jahres wurden nach einem internen Streik einige junge Journalist*innen der Frankfurter Rundschau freigesetzt, was zu einem veritablen Shitstorm gegen die FR auf X führte. Die drei Journalist*innen, Jana Ballweber, Maximilian Arnhold und Yağmur Ekim Çay, wurden nun von dem Magazin Journalist interviewt und sie geben dort einen ziemlich ungeschönten Einblick in die Branche.
Die FR galt zu meiner Zeit als vergleichsweise linke, überregionale Zeitung. Zu diesen Ruf angeprochen, antwortet Jana Ballweber:
„Der ist zerstört. Natürlich gab es schon vorher Schwierigkeiten, die Insolvenz und so weiter. Der Haupteigentümer ist Multimillionär, er hätte doch wohl das Geld, um seinen Medienschaffenden gerechte Gehälter zu zahlen. Stattdessen sägt er eine Zeitung ab, die stark recherchiert, die weltoffen und tolerant ist. Das passiert in einer Zeit, in der hunderttausende Menschen nach einer Correctiv-Recherche gegen Rassismus auf die Straßen gehen. Wenn du das tust, hast du doch etwas fundamental nicht verstanden.“
Es gibt keine linken Oligarchen-Medien. Egal, wie progressiv sich einzelne Millionäre oder Milliardäre geben; schon das Tolerieren der Existenz von Oligarchenmedien ist hart rechts.
Klar, derzeit kann man Oligarchenmedien noch in zwei Kategorien einteilen: rechte Oligarchenmedien verschlanken Redaktionen, kürzen Budgets und setzen Journalist*innen auf die Straße, weil sie hoffen, so mehr Profit zu erwirtschaften. Und dann gibt es noch rechtsextreme Oligarchenmedien, denen Profite so lange egal sind, wie sie ihren Besitzern mehr Einfluss und politische Macht verleihen und ihnen die Möglichkeit bieten, ihre Pläne für die Gesellschaft umzusetzen.
Aber spätestens, sobald wir uns als Gesellschaft entschließen, etwas gegen die Oligarchie zu unternehmen, wird das eine Front.
Thomas Knüwer, Langzeitbeobachter der deutschen Medienszene und deren stolperhaften Gehversuche im Digitalen hat einen emphatischen Appell an Journalist*innen adressiert, die Öffentlichkeit zu umarmen, statt sich weiter hinter Paywalls zu verschanzen.
Wenn man aber der Überzeugung ist, dass unsere Gesellschaft mehr Informationen braucht, statt weniger. Und wenn wir deshalb Journalismus für existenziell in einer Demokratie halten (beidem stimme ich zu), dann muss man eben alles tun, um Informationen öffentlich zu machen für jedermann – und nicht nur für diejenigen, die sich diese Informationen leisten können.
Thomas hat natürlich recht, aber ich bin mir gar nicht sicher, ob es an dieser Stelle überhaupt noch was bringen würde, alle Stories wieder öffentlich zu stellen?
Lars Weisbrod war bei Haken Dran und sie haben auch über den hier diskutierte These des „Endes von Social Media“ diskutiert.
Was ich aber spannender fand, war ihre Diskussion über „News Avoidens„. Darüber denke ich auch häufig nach, gerade weil ich merke, wie mich der Newskonsum (ja, ich bin Newsjunkie) mir einfach nicht gut tut.
Gavin Karlmeier und Lars Weisbrod machen den Punkt, dass News Avoidens gefährlich für die Demokratie ist und ich stimme ihnen zu und ehrlich gesagt, kenne ich niemanden, der das bestreiten würde, was ein ziemlich sicherer Hinweis darauf ist, dass es die falsche Frage ist.
Die eigentliche Frage wäre eher: Wo sind wir falsch abgebogen, dass wir ein System gebaut haben, das unsere konstante Aufmerksamkeit verlangt und uns in emotional kostspielige Debatten verstrickt, bis wir ständig unglücklich sind? Aber das wäre, wenn man es durchdenkt, ein recht schwer zu entgegnender Einwand gegenüber der Demokratie. Zumindest der Demokratie in ihrer aktuellen Struktur in Zeiten des Internets.
Ganz grob zusammengefasst kann man sagen, dass der Kontrollverlust im Zuge der dritten Phase der Digitalisierung der Gesellschaft den heimlichen Wunsch erfüllt hat, sich selbst gegenüber transparent zu werden.
Seitdem haben wir nicht aufgehört, uns von dem Schock zu erholen. Der Schock gilt nicht nicht nur den aufgedeckten üblen Machenschaften, sondern genauso der Tatsache, wie fucking kompliziert und messy alles ist.
Die Flight-, Fight-, Freeze-Relfexe spalteten daraufhin die Mediengesellschaft. Der mediale Kampfreflex äußerte sich in erhöhtem Druck auf die Politik die Missstände zu beseitigen (Metoo, BLM, Fridays for Future, etc), während sich der mediale Fluchtreflex in eine Parallelwelt alternativer Fakten zurückzog. Die mediale Schockstarre hingegen rief „When they go low, we go high!“ und baute Paywalls um alles, was irgendeinen journalistischen Wert hat.
Alle drei Lager erschlaffen gerade und während der Kampfreflex sich in News Avoidens und Selfcare zurückzieht, konsolidiert sich der Fluchtreflex in den Oligarchenmedien. Die Schockstarren reden sich immer noch ein, mit ihrem traditionellen Journalismus die demokratische Öffentlichkeit zu repräsentieren und verweigern sich der Erkenntnis, dass sie hinter ihren Paywalls nur noch eine alternde und größtenteils professionelle Newsjunkie-Klasse erreichen.
An dieser Stelle kann ich endlich den Gewinner des Neuen Spiels verkünden: Es sind Oligarchen.