mir scheint die berechtigte (!) kritik an hacker-, troll- und gamer-culture könnte hier und da auch etwas mehr empathie vertragen …
— Michael Seemann (@mspro)
Ich habe diesen Tweet geschrieben und war ein wenig erschrocken über die emotionalen Reaktionen, die er ausgelöst hat. Nach einigen Diskussionen muss ich einsehen, dass er leider auf vielfache Weise falsch verstanden werden kann und auch wurde. Das liegt an mir. Ich habe das Problem zu unspezifisch, zu allgemein formuliert, so dass sich alles und jeder damit identifizieren konnte. Das ist mein Fehler wie gesagt, ich hätte da genauer sein müssen.
Um das also hier mal klarzustellen: Ich stehe nach wie vor voll und ganz hinter der feministischen Kritik verschiedener Aspekte der Nerdkultur und halte sie für absolut notwendig und in den allermeisten Fällen ist auch die Praxis durchaus getragen von Empathie und dem Versuch, gemeinsam Kultur zum Besseren zu verändern. Und mir ist auch bewusst, dass das ein schwieriges Unterfangen ist und ich gestehe es jede*r Aktivist/in zu, genervt zu sein und kein Bock darauf zu haben, immer alles von vorn zu erklären.
Ich will aber meine Kritik nicht zurücknehmen oder relativieren, sondern an einem Beispiel spezifizieren. Ein gutes Beispiel für das, was ich meine, ist die Reaktion auf Renés Text zu Gamergate.
Kurz zu meiner Haltung zum Text: Der Text ist in vielerlei Hinsicht wirklich grauenhaft schlecht und ich stehe voll hinter der meisten Kritik, die er abbekommen hat. Die Kritik ist auch nicht mein Problem, die soll bitte formuliert werden, gerne auch hart. René kann das auch gut ab, wie er in seiner Replik betont.
Was meine ich also mit „mehr Empathie“? Damit meine ich, die Anerkennung dass René eine spezifische Sichtweise auf ein Thema hat, auch wenn es nicht die eigene Sichtweise ist. Ich mach das mal vor:
René beschreibt sich in seinem Text als jemand, der in der Hardcore-Gameszene groß geworden ist, ja, sie mit zu dem gemacht hat, was sie ist. Da ist jemand, der hat dort Halt gefunden, Freunde und Anerkennung. Er hat investiert – emotional, kulturell, sozial. Da ist jemand, der diese Szene als seine Heimat betrachtet.
Und René ist gleichzeitig jemand der sieht, dass sie falsch ist. René macht keinen Bogen um die Sexismus-Probleme der Szene, erkennt sie voll und ganz an und spricht sie offen und kritisch aus. Trotz allem, was da für ihn dran hängt. Das finde ich schon mal gut.
Dass dieser jemand trotz allem nicht dazu übergehen kann, seine Heimat rigoros zu verdammen, das es für ihn schwer ist, die Alleinschuld seiner Szene am Debakel um Gamergate anzuerkennen, dass er dabei auch Angst hat, alles zu verlieren was ihm heilig ist, finde ich aus seiner Sicht heraus ein wenig verständlich. (<- Das ist Empathie).
Vorsicht! Empathie heißt nicht, Renés Analyse zuzustimmen, oder deswegen in Sachen Gamergate irgendwelche Konzessionen zu machen. Es heißt nur, seine Sichtweise als eine eigene und eigenständige Anzuerkennen, getragen aus persönlichen Erfahrungen und Prägungen.
Das habe ich bei all der Kritik leider vermisst. Die Hauptkritik auf seinen Text war stattdessen: „Da schreibt ein Dude über etwas wovon er nix versteht“. Das ist zwar richtig, wenn es um Feminismus und Harassment geht. Aber dieser Vorwurf impliziert, dass die feministische die einzig mögliche Sichtweise auf das Thema ist.
Nun kann man sicher die Meinung vertreten, dass die feministische die einzig richtige Sichtweise auf das Thema ist. Aber zu glauben, es sei die einzig mögliche ist … naja … die Verweigerung von Empathie.
Eine ähnliche Empathielosigkeit sehe ich auch manchmal im Umgang mit anderen Nerdsubkulturen. Ja, sie haben oft enorme Defizite und ab und zu ist die gesamte Subkultur so toxisch, dass sie trockengelegt gehört (zb. Troll-culture). Aber ich finde nicht, dass die berechtigte Kritik davon befreit mitzubedenken, dass diese Kulturen im oben genannten Sinne Heimat sind für viele und dass deren Abwehrreaktionen getragen sind von (durchaus zutreffenden) Ängsten davor, dass sich ihre Kultur verändern muss.
Was aus einer solchen Empathie für Handlungen folgen müssen, kann ich auch nicht so genau sagen. Auf keinen Fall soll es ein Ende der Kritik, nicht mal eine mildere Kritik sein. Aber vielleicht, dass man wenigsten den Kräften, die sich bemühen, die andere Seite zu verstehen und sich kritisch mit dem Erbe der eigenen Kultur auseinander zu setzen, ein ebensolches Bemühen zurückerstattet.