Da sind wir also. Sozusagen angekommen in der großen Politik. Morgen Übermorgen ist der außerordentliche Parteitag der SPD. Und dort wird ein nettes Theaterstück aufgeführt werden. Und zwar für uns. Ich habe eine persönliche Einladung dafür bekommen. Danke noch mal, Herr Wasserhövel, für die Einladung. Ich weiß sehr genau, warum ich da sein soll.
In den Medien lässt man derweil verlauten, die „Basis“ würde gegen das Gesetz rebellieren. Das ist quatsch. Ich sag mal so, wie ich – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vermute, wie es abgelaufen ist: Die Parteispitze hat das alles längst mit Böhning abgekakelt. Dieser Rebell, der! Ich habe schon Tage vorher derlei raunen hören, nichts konkretes, aber etwas grundsolide vorbereitetes. Böhning und Dörmann und vielleicht ein paar andere waren also sicher aktiv und haben die Parteispitze bearbeitet. Böhning hat einen guten Draht zum Münte, wie man ja weiß (hab ich doch den Münte mit dem Wowi verwechselt). Die Parteispitze hat sich aber mitnichten gegen die Zensur gestellt. Sie hat sich von einem okayen strategischen Plan überzeugen lassen:
Böhning kandidiert ja nicht zufällig im internetaffinsten Wahlkreis Deutschlands für die SPD. Hier in Friedrichshain/Kreuzberg, wo sogar die Piratenpartei 3,4 % bei der Europawahl geholt hat, sind wir, also die Zensurgegner eine strategisch wichtige Wählergruppe, nicht zu letzt weil wir so schön multiplizieren können. Die Internetleute, so das Kalkül, könnten also Böhning über den alten und wenig technikafinen Platzhirschen Ströbele hieven.
Hinter den Kulissen wurden die Delegierten natürlich bereits eingenordet. Der Antrag wird also angenommen werden und Böning soll dann unser Held sein. Der Retter des Internets! (Und ein zusätzlicher – vor allem zweitstimmenunabhängiger – Sitz der SPD im Bundestag ab September, so hofft man.)
Sascha Lobo ruft bereits auf dem @BoehningB zu follown. Als Zeichen der Unterstützung seines Antrages. Böhning wird von uns vorgeschickt, so soll es wirken. Der SPD gegenüber. Und die SPD unterstützt Böhning, so soll es dann wirken, wenn es geklappt hat. Uns gegenüber.
Ich hab das bisher nicht getan, ihn zu follown, mein ich. Denn ich habe meine Bauchschmerzen damit. Ich habe Bauchschmerzen damit, mich in den Wahlkampf der SPD einspannen zu lassen. Es gibt noch tausend und mehr Gründe für mich die aktuelle SPD nicht nur nicht zu wählen, sondern auch nicht zu unterstützen. Nein. Ich möchte nicht Teil ihres Wahlkampfes sein.
Aber das ist ein Dilemma. Die SPD ist nun mal derzeit unsere letzte Rettung in der Sache. Nur sie kann das Gesetz aufhalten. Und die Chancen stehen gerade nicht schlecht, dass sie es auch tut. Wer möchte das schon versauen, indem er Böhning jetzt in den Rücken fällt? Dazu kommt: ich habe nichts gegen Böhning. Ich habe ihn erst letztens kennen gelernt. Er ist ein netter Kerl und dumm ist er auch nicht. Er ist im Bemühen gegen Zensursula durchaus glaubwürdig, denn das war immer schon seine Linie.
Deswegen werde ich mich wohl auch überwinden. Ich werde trotz des ganzen Getöses und dieser komischen Oper, die man Politik nennt, meinen Stolz hinter mich lassen und @BoeningB follown. Gleich. Nachher. Dann werde ich werde übermorgen auf den SPD-Parteitag fahren und ich werde mich aufrecht freuen, wenn der Antrag dort angenommen wird. Aber ich tue das nicht blind, sondern mit kritischen, leicht angewiderten Augen. Nein, ich fühle mich nicht verarscht. Politik ist nun mal so. Sie funktioniert nun mal so. Für unsere Anliegen gilt da keine Ausnahme. Und wir müssen das jetzt mitspielen, wenn wir das Zensurgesetz verhindern wollen. Aber ein Blick hinter den Vorhang verrät sehr deutlich, warum die Politik noch die besten aller Menschen versaut. Aber das werden wir wohl erst nächste Legislaturperiode ändern können.
Ja, jetzt sind wir wohl angekommen, in der Politik. Ich weiß gar nicht ob ich so genau wissen wollte, wie sie von innen aussieht.
Äh, Michael: „Böhning hat einen guten Draht zum Münte, wie man ja weiß“ – weiß man das? Und wenn ja: woher? Ein Berliner Parteilinker zum General? Das ist doch, sagen wir mal so: eine eher abwegige und aus der Luft gegriffene Vermutung.
Aber das ist nicht der einzige Punkt, an dem du dich hier irrst – der Parteitag ist, aber das nur am Rande, erst am Sonntag.
öhm. das ist jetzt wirklich ein wenig verschwörungstheoretisch dahergeholt. glaub es oder glaub es nicht.
Daniel, Ups. Hatte irgendwie Münte im Kopf. War aber Wowereit. Sorry. Und ja, Mit Wochentagen hab ich es ja nicht so.
Und, fast vergessen: Björn Böhning wurde ja von den Kreuzberger Sozialdemokraten per Basisentscheid zum Kandidaten gewählt. Ich habe da so meine Zweifel, dass sich gerade die Kreuzberger Genossen da reinquatschen lassen – mal ganz davon abgesehen, dass die 3,4 Prozent der Piratenpartei ja auch eher ein Tropfen im Ozean der Kreuzberger Wählerstimmen sind.
reichel, Verschwörungstheorie? Wieso? Das ist ganz normale Politik. Ist ja auch nichts verbotenes dabei.
Ich weiss zufällig aus sicherer Quelle (nämlich mir selbst :), dass Deine Einladung verschickt wurde, bevor der Initiativantrag von Böhning ins Gespräch gebracht wurde. Und der Illusion, dass Du die SPD unterstützt gibt sich hier keiner wirklich hin 🙂
Ach Daniel, es geht doch nicht um die 3,4% der Priatenpartei. Es geht um eine extrem jugendliche und außergewöhnlich internetaffine Bevölkerungsstruktur. Die wählen nicht Piraten sondern sehr zuverlässig die Grünen. Bisher. Aber wo sie jetzt ja so schön politisiert sind durch das Internetthema, bei dem Ströbele nur leise abwinken kann, hat die SPD mit Böhning wieder eine Chance. Ist ja auch verständlich. Wenn man ihn nun noch entsprechend inszeniert, kann man da einiges reißen.
@reichels, eingereicht vielleicht noch nicht…
wie gesagt: ich weiss von dem antrag seit gestern und kajo wasserhövel auch. glaubs oder glaubs nicht. verschwörungstheorien zu widerlegen ist immer schwierig, wenn man einer der verschwörer sein soll.
wenn du nach dem parteitag noch ein bier trinken willst. meine nummer hast du ja.
reichels, mal ganz unabhängig von zeitlichen Reihenfolgen. Du willst mir doch nicht erzählen, dass die strategische Überlegungen nicht getätigt wurden?
Mit dem Bier müssen wir mal sehen. Ich war letztens bei Eurem Parteitag in Hamburg. Da hab ich es nicht sehr lange ausgehalten.
Naja, was Böhnings Überlegungen sind weiss ich nicht. Das musst du ihn selber fragen.
Auf meiner Twitterwall ist seit Monaten nachzulesen, dass ich mich gegen Internetsperren einsetze. Da ich kein Mitglied des Bundestages bin, muss ich u.a. die Gremien der Partei nutzen, um gegen das Zensursula-Gesetz zu kämpfen. Dies tue ich. Alles andere ist in der Tat ein wenig (sehr) weit hergeholt und entbehrt doch ein wenig Unkenntnis von Strukturen und Vorgängen in einer Volkspartei.
Die SPD, diese Füchse! Werden sich das erste mal in 4 Jahren so richtig fett mit ihrem Koalitionspartner anlegen, für die klitzekleine Chance einem Grünschnabel das Direktmandat zu ermöglichen.
Sorry, das ist mir dann doch ein wenig zu weit hergeholt.
Werde mir das am Sonntag aber auch mal geben. Und dem Antrag die Daumen drücken. Und was ich sonst noch so tun kann.
BTW: Eigentlich willst du doch auch, das Politik nicht mehr aus Parteien sondern aus nach singulären Anliegen verfolgenden spontanen Gruppen heruas gemacht wird. Dafür hängst du aber sehr dem alten Lagerdenken an.
Wenn jemand was gutes macht, dann unterstütze ich ihn. Und der Antrag von Böhningist gut. Will er sich damit bei seinen Wählern beliebt machen? Garantiert, soll mir sehr recht sein.
Nochmal: Ich schreibe: „Er [Böhning] ist im Bemühen gegen Zensursula durchaus glaubwürdig, denn das war immer schon seine Linie.“
Ansonsten: Geschenkt. Ich vermute weiterhin, es gab ein OK von oben. Vermuten darf ich ja.
Max. Ich unterstütze ihn doch auch. Das schreibe ich doch auch.
Und über die SPD kann man ja schimpfen. Aber behaupten, sie würde sich nach 4 Jahren das erste mal mit der Union anlegen, würde nicht mal ich.
Und unterschätz das mal nicht: Ein Direktmandat ist bei 20%+ ne ganze Menge wert.
Aber ein Blick hinter den Vorhang verrät sehr deutlich, warum die Politik noch die besten aller Menschen versaut. Aber das werden wir wohl erst nächste Legislaturperiode ändern können.
Und wir glauben auch an den Weihnachtshasen und den Ostermann, oder?
Alles über (und teilweise schon auf) Kiezebene ist zu großen Teilen von Parteiführung, Lobbyleute & Co. auf Linie getrimmt. Durch ALLE Parteien. Bundesweit.
Das erhält das politische System am Leben. Da ändert sich nix.
Ausnahmen bestätigen die traurige Regel.
Die Wahl zwischen Pest & Cholera findet in einer Wahlkabine statt.
„Die SPD ist nun mal derzeit unsere letzte Rettung in der Sache. Nur sie kann das Gesetz aufhalten.“ Das hat mir schon gereicht. Um mehr geht es manchmal eben nicht, Zweifel hin oder her. Politik kann manchmal arg pragmatisch sein.
„Die Bild-Schlagzeile vom Freitag, die mich zum Verlierer des Tages gestempelt hat, hat ihre Wirkung als publizistischer Warnschuss an die SPD nicht verfehlt.“
http://www.bjoern-boehning.de/2009/06/15/%e2%80%9ewir-hatten-weiter-kommen-mussen-sind-aber-weiter-gekommen-als-wir-dachten%e2%80%9c/
Das soll bitte mal jeder für sich selbst einschätzen.
Pingback: Warum wir die SPD einfach vergessen sollten « H I E R
Wenn Du dann meinen letzten Kommentar bitte ersatzlos streichen würdest? Danke.