Es ist ja nicht so, als sei ich immer und überall gleich gut zu verstehen. Manchmal braucht es auch für mich einige Anläufe. Und so schreibe ich Blogeinträge noch und nöcher, die nie das Licht des Internets erblicken. Sie schimmeln meist als idee.txt auf meinem Desktop, aber nur kurz. Denn ich weiß sehr genau, dass ich sie nie zu ende schreiben werde. Entweder es flutscht heraus, oder nicht. Und entweder es flutscht am Stück oder nicht. Allzu oft eben nicht.
Und so harren einige Ideen ihres Geblogges aber keine Sorge, sie kehren wieder und wieder, ohne mein Zutun, denn sie lassen mich nicht los. Auf diese Geister ist Verlass, auf Ihre Wiederkehr, weil sie keine Ruhe finden, sich immer wieder manifestieren. Aber nie fest genug. Bis jetzt. Vielleicht. Vielleicht ist es mir ja dieses Mal vergönnt, darüber schreiben zu können.
Es geht nämlich um ein Thema gewichtigen Ausmaßes. Und eines einer gewissen Komplexität und dann gab es da diese Situation auf Twitter. Wir diskutierten und zwar über die Pläne der Politik um die GEZ-Gebühr, ungeliebtestes aller Kinder der Medienlandschaft. Ich plädierte für die nutzungsunabhängige Haushaltspauschale, weswegen mich natürlich alle hassten und @kosmar warf die Möglichkeit eines PayPerView in die Timeline, so als Diskussionsgrundlage. Folgende Antwort hat er aber sicher nicht erwartet:
HA! Da guckt ihr doof, wa?
Aber was meine ich nun damit? Irgendwie kam mir das ziemlich schlau vor, sowas zu fordern. Und klar liebe ich es, zu verwirren. Aber – Überraschung – nein, das ist nicht nur die Pose eines radikalen Sophisten oder sophistisch Radikalen. Ich hab mir tatsächlich etwas dabei gedacht. Auf so ne Art.
Es doch nämlich so, dass das Mißverhältnis von Leistung und Geld klar und offen jedem zu Tage liegt und dass die tollen Songs nie in die Charts kommen und dass es selten die Fleißigen sind, die viel Geld haben, dass es selten das Sinnvolle ist, was ökonomischen Erfolg hat, ja, dass man mit Scheiße Geld verdienen und sein Lebtag Großartiges schaffen kann, Tag für Tag, ohne je auch nur einen Cent dafür zu sehen – und: dass die FDP die „Leistungsträger“ entlasten will. (Und was die FDP will ist ja meist per se falsch.)
All diese Indikatoren sind bekannt, all diese Erscheinungen sind weltweit und gesamtgesellschaftlich tausendfach beklagt und beschimpft worden und dennoch! Dennoch, trotz allem, fangen wir immer wieder damit an, Geld an Leistung knüpfen zu wollen. Und zwar immer dann, wenn wir auf der Seite der Zahlenden stehen. Da wollen wir sekundengenaue Abrechnung, da legen wir die Qualität auf die Goldwaage, da leiten wir allenthalben Ansprüche davon ab, dass wir 70 Euro 50 statt 70 Euro gezahlt haben. Da muss über jeden Cent Rechenschaft abgelegt werden und wehe wir haben eine Leistung nicht genutzt, für die wir gezahlt haben. (Ein Freund von mir stellte sich selbst zur „Langen Nacht der Museen“ die stressige und nur durch logistische Meisterleistung überhaupt zu vollbringende Aufgabe, alle (wirklich alle!!!) beteiligten Museen besichtigen zu wollen. Einfach um die größte „Leistung“ für sein Geld zu bekommen. „Leistung“ ist oft auch ein Ersatz für Freude.)
Ich mein, haben wir sie noch alle?
Denn wenn wir – auf der anderen Seite – nicht müde werden das – in jeder Hinsicht sinnvolle – „Bedingungslose Grundeinkommen“ zu fordern, dann kommen wir nicht umhin, diesen allgemein gesellschaftlich in den Grundstein unserer Kultur eingelassenen und versiegelten Zusammenhang von Leistung und Geld in seiner Grundsätzlichkeit anzugehen. Und zwar radikal und allumfassend!
Wenn wir davon weg wollen – und es gibt viele gute Gründe dafür – dann sollten wir aufhören daran zu glauben. An die Leistung ansich, meine ich. Natürlich gibt es die Leistung in der Physik, wo sie eine berechenbare Größe darstellt. Aber die Qualität einer Arbeit, die Schnelligkeit, die Notwendigkeit, die Gebrauchbarkeit und die Freude, die sie auszulösen im Stande ist, all das lässt sich nun mal nicht in dieser Kategorie „Leistung“ fassen. Was soll das sein? Wie kann man sie messen und wie entlohnen? Und man sollte dabei auch berücksichtigen, dass Geld eben nicht das einzige Gratifikationssystem ist, vielleicht nicht einmal das wichtigste.
Jetzt brauchen wir uns gar nicht unterhalten, darüber, was ich für lau tue, für mich, für euch, oft mit Herzblut. Dass das nicht nur mir so geht, dass das normal ist, dass man das schwerlich messen kann und dass es seit langem und für lange Zeit schwierig finanzierbar ist und sein wird. Nein, all das wisst ihr genau so gut wie ich. Wir wissen das. Aber der Lack bröckelt auch überall anders, wo man hinschaut. Überall: Leistung und Geld – da korreliert nix!
Wir sollten also anfangen den Zusammenhang zwischen Geld und Leistung nicht nur dort zu bezweifeln, wo wir unmittelbar davon profitieren würden, sondern überall wo sie uns eingebläut wird. Diese Ideologie, wie ich sie nennen würde, eine Ideologie – btw – die zwar meist in Kombination und in Begleitung eines sich „Liberalismus“ schimpfenden Ideensumpf einher kommt, aber ohne sich auch nur ein bisschen daraus herleiten zu lassen. Vielmehr – und dadurch ist diese Ideologie mit dem Liberalismus vielleicht doch verschwistert – entspringt sie dem Protestantismus, wie Max Weber richtig feststellte und ist für den Kapitalismus noch wegbereitender als die Idee des „Markts“. Sie hält uns alle in Trab, alle, die kein Auskommen haben, ohne sich in diese fesseln einspannen zu lassen. Ich würde mich sogar (jedenfalls probehalber) so weit hinein versteigen, dass ich sie für alles verantwortlich machen würde, was am Kapitalismus schlecht ist. Und doch reproduzieren auch wir immer und überall genau jene Ideologie, unter der wir leiden. Nichts anderes kann Nietzsche gemeint haben, wenn er uns Menschen eine „Sklavenmoral“ unterstellte. Eine „Moral“ der Tugend der „ehrlichen Arbeit“, mit der wir den Herrschaftsanspruch eben all jener sichern, die selber nicht arbeiten, sondern von unserer Arbeit leben.
Ohne das jetzt hier durch deklinieren zu wollen, ahnt man an dieser Stelle, dass sich wieder eine überraschende Wende einflechten ließe: Verstünde man den Liberalismus – auch den Marktliberalismus – jenseits, vielleicht sogar entgegen dieser Leistungsideologie, so ließe sich vielleicht doch so etwas wie ein Projekt des „linken Neoliberalismus“ denken? Einem Neoliberalismus, der entgegen seiner sonstigen Lesart den Menschen wirklich befreien will. Und zwar sowohl von seinen existentiellen Sorgen, als auch von dem Zwang, Arbeit zu verrichten, die er gar tun möchte.
Da sollte man demnächst mal drüber schreiben…
Die Kopplung von Leistung und Geld ist ja keine Kopfgeburt (ob jetzt von Protestanten oder sonstwem). Leistung ist ja nicht irgendwas Schöngeistiges, sondern Ableistung von Arbeit, die sich (direkt oder indirekt) am Markt verwerten kann. Der Markt entscheidet darüber welche Leistung sich mit Geld koppelt und welche nicht.
Man kann also kaum diese Kopplung kritisieren ohne den Markt zu kritisieren. Und für mich ist keine sinnvolle Interpretation des Buzzwords „linker Neoliberalismus“ denkbar, die nicht irgendwie den Markt toll finden würde, sonst wäre das vielleicht noch links, aber ganz bestimmt kein Liberalismus mehr, sei er jetzt Neo oder nicht. Der Glaube an die unsichtbare Hand des Marktes ist ein Kern des Liberalismus. Deswegen folgt für mich aus Deiner berechtigten Kopplungskritik nur ein Antiliberalismus. Womit jetzt nix gegen den bürgerrechtlichen Liberalismus gesagt sei, der ja durchaus seine Berechtigung hat.
Ich habe den leisen Eindruck, du widersprichst mir.Aber leider ohne ein Argument zu bringen.
Ich habe den Begriff der „Leistung“ direkt angegriffen, indem ich behaupte, dass er sich gar nicht beziffern lässt. Ich habe seinen Marktwert in Frage gestellt, indem ich darauf verwies, dass einerseits der Arbeitnehmer kein „freies“ Marktsubjekt sein kann, weil, er arbeiten muss und andererseits die Beispiele aufgezählt, wo offensichtlich ist, dass es keine Korrelation mit einer wie auch immer zu bewertenden Leistung gibt.
Und Deine Antwort darauf – ich bin an dieser Stelle so frei zusammen zu fassen – ist: „nee“?
Ok, kann sein, dass ich Dich falsch verstanden hab. Du meinst also: Es gibt keine Korrelation zwischen Leistung und Markterfolg mehr? Oder?
Mein Argument war: Die Kopplung ist einfach da, weil Leistung in einer Marktwirtschaft _definiert_ ist, als Markterfolg. Diese Definition kann man kritisieren, aber eben nicht ohne den Markt zu kritisieren.
Wieso ist das kein Argument in Deinen Augen? Das ist im übrigen eine ernst gemeinte Frage, falls das unklar sein sollte.
Ich glaube du verwechselst gerade „Wert“ bzw. „Preis“ mit „Leistung“. Leistung ist immer undefiniert und mehr so ein Abstraktum, im Wortschatz der FDP gar ein politischer Kampfbegriff. Das was der „Markt“ durch Angebot und Nachfrage herausarbeitet ist Preis/Wert. Dass dieser aber mitnichten mit einer „Leistung“ korreliert, die nichts anderes besagen soll, als dass dieser Preis auf irgendeine Weise „gerecht“ sei, genau das kritisiere ich.
Stimm, da hast Du Recht, das muss man auseinanderhalten. Aber es ist ja auch nicht so, dass die gar nichts miteinander zu tun hätten. Vielleicht ist die FDP-Leistung das ideologische Geklingel um eine Scheinrechtfertigung um das Marktergebnis zu basteln?
Und Du meinst jetzt, dass dieses Geklingel immer weiter auseinanderfällt zum Marktergebnis und nix mehr miteinander zu tun hat? Versteh ich Dich da richtig? Ich denke, es hatte noch nie viel miteinander zu tun, nur sind es heute vielleicht andere Leute die das spüren. Früher war es eher die Hausfrau, deren Arbeit nix zählte und heute ist es halt die Generation Praktikum.
Was mich jetzt (wieder ernsthaft!) interessiert, was mspro-Leistung ist, wenn es nicht die FDP-Leistung ist?
Für mich ist entscheidend das „Leistungs“-Gewäsch loszuwerden. Wer von Leistung spricht, will meistens ökonomischen Erfolg einfordern oder rechtfertigen. In den derzeitigen Diskursen hat Leistung immer die Aufgabe Gerechtigkeit zu simulieren.
Ich hüte mich davor, mich hinzustellen und einen anderen Leitungsbegriff zu definieren. Ich sehe da erstens keine Möglichkeit einen objektiven, gar gerechten Leitungsbegriff einführen zu können, noch glaube ich, dass das überhaupt geht. Zweitens will ich eben Geldlichkeit komplett von diesem Abstraktum befreien. Ich will kein Geld mehr „verdienen“, sondern ein Recht darauf haben.
Das mag zwar auch aus einigen Perspektiven als „ungerecht“ empfunden werden, ich finde es immerhin ehrlicher. Und vielleicht überhaupt mal ein Anfang, Arbeit zu definieren. Vielleicht ohne einen Leistungsbegriff, den dann vermutlich keiner mehr braucht.
Ah, verstehe. Im Grunde gehts also ums Grundeinkommen. Da bin ich ja ganz bei Dir: http://aymargeddon.de/laboratorium/index.php/Die_Br%C3%BCcke
Es geht eben nicht nur um das Grundeinkommen. Es geht vielmehr in die Tiefe dessen, was an ideologischen Vorbehalten das Grundeinkommen nicht denken mag. Und dass es gilt dieses Denken viel umfassender zu entlarfen – auch bei sich selbst, bevor man überhaupt das Grundeinkommen fordern kann.
Herrje, steht das denn nicht alles im Text?
für mich ist der reiz am begriff „linker neoliberalismus“ gerade, dass er einen markt enthält. ich denke dass ein freiheitliche gesellschaft eben nicht ohne die freiheit gehen kann, dinge gegen ein selbst gewähltes entgelt zu tun oder machen, und die freiheit auf der anderen seite ja oder nein zu sagen. das ist marktwirtschaft, und das finde ich gut.
das problem ist damit, dass der teufel immer auf den größten haufen scheißt und dass man verhindern muss, dass einzelne marktteilnehmer andere übervorteilen. das wäre kapitalismus, und das finde ich doof.
den leistungsbegriff da einfach mal raus zu nehmen könnte tatsaechlich helfen dass der markt nicht mehr zu diesem goetzen wird der er grade ist.
„In den derzeitigen Diskursen hat Leistung immer die Aufgabe Gerechtigkeit zu simulieren.“ Das ist natürlich richtig. Es gibt keine gerechten Löhne oder Gehälter und ich kenne auch keine Standpunkt, von dem aus man die Gerechtigkeit beurteilen könnte. Trotzdem gibt es Leistungsunterschiede. In jeder Fußballmannschaft kannst du sehen, wie der eine rauf und runter läuft und ein anderer Spieler kaum einen Schritt tut. Und das gibt es massig an Schulen unter der Lehrerschaft, in jedem Unternehmen, in jeder UNI-Arbeitsgruppe etc. Insofern wäre es fatal, Gehälter von der Leistung völlig zu entkoppeln, genauso wie es unmöglich ist, Gehälter alleine aus einer meist gar nicht quantifizierbaren Leistung abzuleiten. In Deutschland sind Gehälter mit der Produktivität verknüpft – offenkundig ungerecht gegenüber denen, die von der Produktivität ausgeschlossen sind. Money for nothing ist physikalisch unmöglich, weil etwas nicht aus Nichts entstehen kann. Dabei leben heute ja schon gut und gerne über die Hälfte der Bevölkerung von Geld, das sie zugeteilt bekommen (Über 60% der CDU Wähler sind Transfergeldempfänger…). Voraussetzung dafür ist Produktion und Produktivität (wirtschaftliche Leistungsfähigkeit). Man kann den gesellschaftlichen Reichtum grunsätzlich nur von der Produktion her aufzäumen. Steigert man die Produktivität, kann mehr verteilt werden. Schädigt man die Produktivität oder geht die wirtschaftliche Leistung zurück, wird es ganz schnell sehr knapp. Das lässt mich sehr vorsichtig werden, wenn ich lese: „Ich will kein Geld mehr ‚verdienen‘, sondern ein Recht darauf haben.“ Du darfst das nicht so individuell sehen. Die ganze Gesellschaft hat nur das Geld, was sie verdient. Da gibt es gar keine Möglichkeit, dies anders zu sehen. Heute werden 50% von diesem verdienten Geld an den Staat abgegeben, eher sogar noch mehr. Staatsquote auf 100% erhöhen kannst du machen. Siehe China unter Mao oder Nord-Korea etc. Erfahrungsgemäß wird dadurch aber nicht die Produktivität der Gesamtgesellschaft gesteigert. Weil die paar Typen, die da noch dauernd den Platz rauf und runter laufen, dann auch irgendwann weniger laufen. Ohne die finanziellen Anreize hätte ich schön längst aufgehört, mich 80 std/Woche an den scheiß Schreibtisch zu hocken 😉
Das ist Problemfeld Nummer zwei, dass ich hier ausgelassen habe, von dem ich habe eigentlich dachte, dass es gesamtgesellschaftlich bereits bekannt ist: Die längt stattgefundene Abkopplung von Produktivität (die es ja tatsächlich messbar gibt) mit den Löhnen.
Während die Produktivität in fast allen Berufen die letzten 10 Jahre um mehrere Faktoren gesteigert wurde, hat ein Lohnzuwach fast überhaupt nicht stattgefunden. D.h. die Leute produzieren immer mehr in immer weniger Zeit, profitieren davon aber so gut wie gar nicht.
Das liegt daran, dass Automatisierung, EDV und sonstige Digitalkonzepte beteiligt sind, die die Produktivität zwar erhöhen, aber nicht in form von Gehältern ausgezahlt werden muss. Im Gegenteil: fast überall kann man noch einsparen.
Nun könnte man die Produktivitätssteigerung tariflich an die Löhne koppeln, was viele Gewerkschafter bejubeln würden. Aber m.E. zahlt der Mitarbeiter, der gerade wieder durch die neueste EDV-maßnahme eingespart wurde, dann den alleinigen Preis dafür.
Warum also nicht ganz auf dieses unsinnige Gekoppel verzichten und den Mehrwohlstand durch Technik, die für uns arbeitet, solidarisch verteilen? Denn dass Mitarbeiter A mit der neuen EDV die Arbeit für Mitarbeiter B jetzt miterledigen kann, ist ja nun keine „Leistung“ (da haben wir wieder das fiese Wort) des Mitarbeiter A. Als allerletztes ist es übrigens eine „Leistung“ der Aktionäre, die derzeit die alleinigen Profiteure der Produktivitätssteigerungen sind.
Und dass die Leute vor allem für Geld als Leistungsanreiz besser, schneller, toller arbeiten würden, ist eine Mär, die durch dutzende wirtschaftspsychologische Studien widerlegt wurden. Beispiel hier oder hier.
Wenn Menschen arbeitslos werden durch Rationalisierung der Arbeitsmethoden, dann ist das grundsätzlich erstmal begrüßenswert.
Arbeitslosigkeit ist vermutlich einer der größten Errungenschaften im 20. Jahrhundert gewesen. Wir müssen nur anfangen, damit angemessen und sinnvoll umzugehen.
Das derzeitige Leistungsprinzip ist sicher ungerecht, prinzipiell finde ich es aber gut, wenn jemand mit Fleiß und Leidenschaft sich einen finanziellen Vorteil bzw. sich Anerkennung verschaffen kann.
„Nun könnte man die Produktivitätssteigerung tariflich an die Löhne koppeln, was viele Gewerkschafter bejubeln würden.“ (Bzw. die Löhne an die Produktivitätssteigerung.)
Aber genau das findet in mehr oder weniger umkämpfter Form statt. Lohnerhöhungen können grundsätzlich nur auf Produktivitätssteigerungen beruhen. Anders sieht es lediglich beim Heer der Beamten aus, die eben nur mehr bekommen können, wenn die Privatwirtschaft mehr Steuern zahlt.
Den „Mehrwohlstand“ breit verteilen ist schöne Idee, die im Grund auch automatisch stattfindet. Seit Jahrzehnten nimmt nur die Kopfzahl zu, die zu aus dem allgemeinen Wohlstand zu bedienen sind. Im nächsten Jahr verschlingen die Sozialkosten 80% der effektiven Steuereinnahmen, 20% gehen in die Zinsen auf Staatsanleihen. Der ganze Rest wird über neue Schulden finanziert. Deswegen geht ja der Regierung momentan der Arsch auf Grundeis. Die „schlechte Lage“ wird ja immer nur zart angedeutet. Dabei ist sie längst abgründig und nach wie vor überkront von diversen Kollapsgefahren.
Du darfst auch nicht vergessen, dass der Staat schon heute Unternehmensgewinne hoch besteuert und Rücklagenbildung unerschwinglich teuer macht. Das Problem ist, dass die Produktivitätssteigerungen der letzten 15 Jahren benötigt wurden, um im globalen Wettbewerb nicht unterzugehen. Das Problem verschärft sich gerade wieder durch den schwachen Dollar und die völlig falsch bewertete chinesische Währung.
Aktien sind im Grunde ein Sozialisierungsmittel. Das haben die Deutschen nie begriffen, weswegen heute die Mehrheiten der großen deutschen Unternehmen bei irgendwelchen ausländischen Pensionsfonds liegen. DAX-Unternehmen gehören alle mehrheitlich ausländischen Investoren, weil die Deutschen sich immer wieder eine Heidenangst vor Aktien einreden ließen. Z.B. Adidas zu über 80% ausländische Kapitaleigner.
Willst du hier jetzt deinen eigenen AnneWill-Diskurs aufmachen, oder auch auf das antworten, was ich sage?
Hast du mir überhaupt zugehört? Die Kopplung der Löhne an die Produktivität findet nicht statt! Nicht! Niente! Gar nicht! Das ist Quatsch, den du da redest.
Die Staatsquote und damit die Umverteilung, die du hier so alarmistisch in Rot an die Wand schmierst, ahlte ich für viel, viel, viel, viel zu niedrig. Argumentation, falls du ihn doch noch lesen willst, im kommentar über dir.
Du bist ja lustig drauf. Ich habe das schon gelesen. Grundsätzlich kam der gesteigerte Wohlstand der letzten 60 Jahre von nichts anderem als von gestiegener Produktivität und erweitertem Geschäftsradius. Und die Gwerkschaften konnten in jeder Verhandlungsrunde erfolgreich damit argumentieren, dass die Produktivität gestiegen sei. Etwa seit 10 Jahren sind jetzt die Real-Löhne nicht mehr gestiegen oder sogar gesunken, obwohl es in etlichen Industrien gelungen ist, in der gleichen Zeit mehr zu produzieren. Wo ist das hin? Hauptsächlich in den Abwehrkampf gegen die globale Konkurrenz. Denn das meiste wird ja nicht hier verkauft, sondern draußen.
Landwirtschaft ist auch so ein Kapitel. Da konnte die Produktivität 40 Jahre immer gesteigert werden, weswegen alle Vorhersagen, dass die Menschheit bald verhungern wird, noch jedesmal falsch war. Erst seit etwa 5 Jahren steigt dort der Ertrag pro Fläche nicht mehr und trotz all der Subventionen verdienen unsere Ernährer kaum genug zum Beißen.
Die Staatsquote habe ich nicht alarmistisch an „die Wand geschmiert“. Das ist wirklich nur eine Feststellung. Ich hatte schon oben gesagt, meinetwegen kann sie auch 100% betragen. Oder 80%. Das ist tatsächlich wurscht. Ich habe bestimmt nichts gegen eine Welt mit minimalisierter Existenzangst. Nur eins ist nicht piepegal, dass es genug zu verteilen gibt und dass alle diese Dienstleiter, Ingenieure, Innovatoren etc etc. weitermachen und der ganze Laden irgendwie stabil läuft. Was offenkundig schwierig ist. Eine vernünftig ausbalancierte Wirtschaft hat es jedenfalls noch nie gegeben. Irgendwie läuft der Karren immer gegen die Wand, ob bei den Commies, dem Manchester Kapitalismus oder dem sozialdemokratisch kontrollierten Kapitalismus. Am schwierigsten ist der Transit von Modell Jetzt zu Modell Neu.
Worum es mir geht, ist der Umstand, dass natürlich nicht der Arbeiter und Angestellte von heute fleißiger, intelligenter, verantwortungsbeusster ist, als damals, obwohl sich seine produktivität gesteigert hat. Nein, wir sind mitten drin in einem evolutiven Prozess der Maschinen. Sie sind es, die zunächst immer als Helfer, dann immer mehr in Eigenverantwortung den Wohlstand schöpfen, von dem wir reden.
Derzeit wird der gesamte Zusatzwohlstand aber die Kapitalbeszitzer restlos ausgeschüttet und ich schätze, wir sind uns einig, dass es da nicht die richtigen trifft.
Aber auch wenn man es den noch verbliebenen, jetzt hochproduktiv Arbeitenden auf ihre Löhne schlüge, während ihre eingesparten Exkollgas sich bei der Arbveitsagenur erniedrigen lassen müssen, wäre das alles andere als gerecht.
Ich bleibe dabei: Es kann nur so gehen, dass wir uns wieder solidarisch als „Menschen“ verstehen, und dass die Maschinen nicht gegen uns arbeiten, sondern uns unsere Arbeit abnehmen. Damit sind wir nicht überflüssig, sondern einfach einen Schritt weiter auf der Gesamtgesellschaftlichen Emanzipationskala. Was wir nur nicht einsehen wollen.
Dieses nicht einsehen wollen, manifestiert sich am meisten, so meine These, am Begriff der „Leistung“. Dort wabert die Ideologie, die sich zu nutze macht, dass der Angestellte, der jetzt eine bessere Buchhaltungssoftware benutzt, sich auch morgen noch auf die eigene Schulter klopfen wird, dass er so viel leistet, sich gar als „Leistungsträger“ beglückwunscht und die FDP wählt, weil er diese Schamrotzer gerne in ihrem Hartz4 beschneiden lassen will. Die sollen schließlich mal was „leisten“.
Ich unterschreibe hundertprozentig, dass man nicht Leute, die ihre Arbeit verloren haben, noch hinterherufen kann, „Was ist denn das? Ihr leistet ja gar nichts mehr!“ In einem Umfeld von anhaltender Massenarbeitslosigkeit ist das purer Zynismus.
Die Sache mit der Automatisierung scheint allerdings nach allen vorliegenden historischen Daten nicht zu stimmen, obwohl es immer wieder gemutmaßt wurde. Jobs gehen nicht durch Maschinen verloren, sondern in Rezessionen und werden bei guter Konjunktur geschaffen. Wenn du mal hier guckst für die USA: http://economix.blogs.nytimes.com/2009/10/12/the-job-market-in-charts/?src=twt&twt=nytimeseconomix – unter zwar bisschen runterscrollen zu „Employment to population ratio“. Man sieht da die Zahl der Jobs in Prozent zur Bevölkerung für die USA. Demnach lag in den USA in den 50 Jahren die Beschäftigungsquote um die 56% und ist vor allem im Zeitalter der verschärften Automatisierung immer weiter gestiegen (während im übrigen parallel die Bevölkerung in den USA sehr stark wuchs). Es entstanden viele Millionen Jobs, bis ins Jahr 2007 hinein gab es noch Wachstum bei den Arbeitsplätzen (allerdings sinkt die Zuwachsrate bei den Jobs schon seit einigen Jahren). Erst zuletzt, durch die aktuelle Weltwirtschaftskrise, dann der rapide Absturz. Demnach hat die Automatisierung keine Jobs gekostet, sondern vermehrte wirtschaftliche Tätigkeit ausgelöst und Jobs geschaffen. Eine ursächlichen Zusammenhang würde ich trotzdem nicht konstruieren. Die steigende Anzahl an Jobs könnte ganz andere Ursachen haben, z.B. dass die Amis in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ganz großen Globalitätsgewinner waren und sich dadurch jede Menge Dienstleistungsjobs leisten konnten. Allerdings kann man auch weiter historisch zurückgehen und stellt fest, dass seit den ersten Maschinen („Die Weber, die Weber“) die Angst vor dem Killen von Arbeitsplätzen durch Maschinen sich immer als falsch herausgestellt hat. Heute leben wir längst in einer Gesellschaft, wo ein steigender Automatisierungsgrad in der Güterproduktion keine große Gefahr mehr darstellt. Bei uns haben nur noch rund 17% aller Berufstätigen Fabrikjobs. Dafür gibt es tausende Berufe, die vor 20 oder 30 Jahren kein Mensch kannte. Ich weiß gar nicht, wie viele Jobs allein in D im IT-Sektor entstanden sind, es dürften mehr als 1 Mio. sein. Selbst in den Banken sitzen ja Heerscharen in der IT. Bei Goldman Sachs gibt es weniger Banker als Mitarbeiter in der IT.
Ob diese ganze durchgeknallte Hochleistungswirtschaft sinnvoll ist, wage ich allerdings auch zu bezweifeln. Die Aufgabe für die Zukunft ist das Herunterskalieren. Idealerweise würde das dazu führen, dass wir alle etwas bescheidener und etwas entspannter leben, statt ständig die Konjunktur anzuheizen, obwohl das alles und alle kaputt macht. Aber diese „Devolution“ hat ein riesiges Machbarkeitsproblem. Ziel-Modelle sind ja mit ein paar Federstrichen schnell entwickelt. Der praktische Projektplan ist das Problem. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das gehen soll.
Guter Beitrag. Der Leistungsbegriff ist DER ideologische Kampfbegriff, mit der die Machthaber ihre Stellung in der Gesellschaft legitimieren wollen. Es gibt nur eine schwache Korrelation zwischen gesellschaftlicher Arbeit und monetärer Vergütung. Man muß sich dazu nur die beiden Enden der Skala (Hausfrau vs. Rentier) ansehen. Aber PSST! Kapitalismus ist bekanntermaßen vollkommen unideologisch und Naturgesetz, da darf man ergo nicht drüber reden.
Warum wir das immer weiter mitmachen? Es ist unendlich schwer, nicht mitzumachen, wenn von dem Preis für die Leistung die Existenzgrundlage abhängt und die Unfähigkeit/Unmöglichkeit, Leistung gegen Geld zu erbringen, zu einer Zwangsverarmung führt.
Gruß, Frosch
Richtig, Sabine. Das eigentliche Problem ist ja nicht, dass die jetzige Kopplung von „Leistung“ und Entlohnung unfair ist, sondern dass uns keine faire Neuordnung einfällt, die sich von selbst trägt (also nicht durch Appelle oder Ethikkommissionen in Schwung gehalten werden muss). (Revolutionen werden ja nicht gemacht, wenn die Welt schlecht ist, sondern wenn eine bessere Welt als realisierbar scheint.)
Stefan,
das glaube ich nicht, dass Revolutionen wg Utopie gemacht werden und nicht wegen Leidensdruck. Bin mir allerdings nicht ganz sicher. Möglicherweise braucht es beides: Unhaltbare Zustände plus einen wenigstens theoretisch plausiblen Gegenentwurf.
Für die USA gibt es schon ernst zu nehmende Prognostiker, die für das kommende Jahrzehnt eine Revolution vorhersagen. Scheint extrem unvorstellbar, weil die Masse der Amerikaner immer so unpolitisch wirkt. Der Leidensdruck könnte aber entstehen und die Stimmung gegenüber Wallstreet und Washington-Politik ist auch nicht gerade gut…
Zur „Leistungsgerechtigkeit“ heute dieser Link, wo Engländer einmal die gesellschaftliche Auswirkung von Arbeit anders gemessen haben und dann zu dem Ergebnis gekommen sind, dass jeder Müllmann mehr leistet als ein Top-Banker
http://ow.ly/MgCG
Aber dass Leistung ein Begriff ist mit demagogischem Einschlag, das hatten wir ja schon. Die Frage ist, ob der Gesellschaft mehr als ein Achselzucken zu der Tatsache einfällt, dass (in Deutschland allein) 2 bis 3 Millionen Arbeitsplätze dauerhaft fehlen. Und dass mehrere Millionen Arbeitsplätze gemessen am Lebensbedarf unterbezahlt sind.
Pingback: i heart digital life » links for 2009-12-15
Pingback: links for 2009-12-15 « meta . ©® . com
Leistung?
Bei diesem Begriff neige ich mittlerweise dazu, auch den unproduktiven Konsum als Leistung zu betrachten. Konsum ist erstens Zeitaufwändig und zweitens Umsatzfördernd. Nur, wer seine Zeit dafür einsetzt, sich DVDs, Konsolenspiele, PC-Spiele, Onlinegames, Freizeitparks und Vieles mehr (einschließlich Alkohohl und legale Drogen) zu konsumieren, macht es erst möglich, solche Dinge zu produzieren und zu vermarkten.
So gesehen ist die rein an der Produktivität gemessene „Nicht“-Leistung eben doch eine Leistung.
Wenn nun jede Lebensweise unabhängig von ihrer Produktivität ihre Daseinsberechtigung hat, könnte man jegliches „Einkommen“ weglassen. Jeder bekommt, was er zu brauchen meint und trägt in einer Weise zum Gesamten bei, wie er es für seiner Lebensweise entsprechend Richtig hält. Das Finanzwesen wird so allerdings überflüssig, entsprechende Gesellschaftsformen sind mir auch nur von sehr kleinen Gruppen von „Urvölkern“ bekannt. Naja, kommt auf die Liste der Theorien für eine der nächsten Revolutionen. 😉
Pingback: i heart digital life » Links vom 8. bis 20. Dezember 2009
Pingback: Eine zugegebenermaßen etwas wirre, aber doch nichtsdestotrotz irgendwie interessante Herleitung der Notwendigkeit des Hackens « H I E R
Pingback: Sueddeutsche.de « H I E R
Leistung ist Arbeit durch Zeit und Arbeit ist Kraft mal Weg. Und nu?