Krasse Links No 44

Willkommen zu Krasse Links No 44. Lockert das Buffet, heute enshittyfien wir den Insider Threat am Buffet der Atombomben, wenn die Stimmung im Land nach einem DOGE für den Intelligenz-Faschismus ruft.


Tom Nichols schreibt im Atlantic über die Selenskyj-Beschimpfungsorgie im Oval Office.

But this meeting reeked of a planned attack, with Trump unloading Russian talking points on Zelensky (such as blaming Ukraine for risking global war), all of it designed to humiliate the Ukrainian leader on national television and give Trump the pretext to do what he has indicated repeatedly he wants to do: side with Russian President Vladimir Putin and bring the war to an end on Russia’s terms. Trump is now reportedly considering the immediate end of all military aid to Ukraine because of Zelensky’s supposed intransigence during the meeting.

Zumindest ist jetzt klar: Die USA sind Team-Russland.

Today’s meeting and America’s shameful vote in the United Nations on Monday confirmed that the United States is now aligned with Russia and against Ukraine, Europe, and most of the planet.


Semafor glaubt nicht an einen vorbereiteten Eklat und bringt etwas Hintergrund zum Debakel:

After Zelenskyy was asked to leave the White House following a sharp exchange of words with Trump and Vice President JD Vance — with the minerals deal unsigned — the official told reporters that there was a palpable “hostility with Zelenskyy and his body language and his attitude.”

“He was talking about security guarantees, getting ahead of what today was for, which was the economic deal,” the official added.

Was offenbar passiert ist: Trump und das Weiße Haus erwarteten die Unterschrift des Mineral-Deals und dachten, die „Security Garantees“ seien vom Tisch, seitdem sie sie noch vor jeder Verhandlung ausgeschlossen hatten. Selenskyj, vermutlich in tiefer Verzweifelung, dachte, es sei eine gute Idee noch mal mit Trump persönlich zu verhandeln, sagte die Unterschrift zu, aber nur persönlich. Trump dachte „geil“ und machte ein triumphales Medienhappening draus, dem Selenskyj nur seine demütigste Ehrerbietung beizufügen hatte und als Selenskyj dann das Skript mit seinen erneuten Forderungen crashte, crashte Trumps Laune, was wiederum Vance‘ Wadenbeißer-Reflexe triggerte und Zack, Schulhofschlägerei.

After the on-camera back-and-forth in the Oval Office, the White House official told reporters, Trump met with his advisers and the Ukrainians went to a separate room. Trump’s decision to ask Zelenskyy to leave was conveyed by Secretary of State Marco Rubio and White House national security adviser Mike Waltz.

The lunch that had been prepared for Trump and Zelenskyy alongside a cancelled dual press conference ended up getting eaten by at least one White House aide, a second official confirmed.


Vielen dank, dass Du Krasse Links liest. Da steckt eine Menge Arbeit drin und bislang ist das alles noch nicht nachhaltig finanziert.

Leider stellten sich viel mehr Spenden als Einmalspenden heraus, als ich dachte, was meine bisherige Rechnung obsolet macht. Ich kann leider gar keine realistische Schätzung machen, wie viel ich jetzt monatlich einnehme (wahrscheinlich weniger als € 200,-, selbst wenn ich alle Einzelspenden als Jahresbeitrag rechne). Zumindest bin ich meilenweit von den 1.500,- weg, die ich langfristig brauche.

Daher noch mal die Bitte: Wenn Du meine Arbeit finanzieren willst, dann hilfst Du mir am besten mit monatlichen Daueraufträgen. Weitere Überlegungen gibt es hier.

Michael Seemann
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BIC: VOHADE2H


Im Engelbecken gibt es eine nützliche Presseschau zum Comeback der Linken und ihren außenpolitischen Schwachstellen.

Die rigorose Abwehr, den Einzelfall zu analysieren, im Einzelfall zu entscheiden, war eine Form der Abwehr von Wirklichkeitsbeschreibung, damit aber auch eine Abkehr von Wirklichkeit. Man kann ja durchaus im Einzelfall zu jener Meinung gelangen, die andere für immer und ewig als »unsere friedenspolitischen Grundsätze« ausgeben wollen. Geht es nur um Festhalten an den Grundsätzen, wird man zuverlässig den Punkt verpassen (und darum geht es ja auch, das ist gewollt), sich mit neuen Wirklichkeiten auseinanderzusetzen. Der Verweis auf »Grundsätze« ist eines von den beiden Beinen, auf denen jede Orthodoxie steht. Zu der werden Anschauungen, die nur noch aufs Hochhalten alter Sätze bedacht sind, welchen (manchmal) Wirklichkeitsbeschreibungen zugrunde lagen, die aber nicht mehr aufrecht zu erhalten sind, es sei denn, man verbiegt sich und die Wirklichkeit.

Ich bin selbst unzufrieden mit der außenpolitischen Position meiner Partei, finde sie zwar rhetorisch vertretbar, aber schwerelos in ihrer Verantwortungsverweigerung. Die Linke schummelt sich da raus, etwas, das wir den anderen überlassen sollten. Da man Krieg nicht einseitig beenden kann, muss die Politik Verantwortung für die Sicherheit seiner Bevölkerung übernehmen und ich finde auch, eine Teilverantwortung für Sicherheit in der Welt.

Auf der anderen Seite finde ich es fast amüsant, dass alle über die Außenpolitik der Linken diskutieren, als wäre ihre außenpolitische Positionierung gerade geplatzt, statt die der Transatlantiker*innen.

Traut der Ruhe nicht. Außenpolitisch steht in keiner Partei mehr ein Stein auf dem anderen.


Jan Böhmermann arbeitet die Stimmung im Land vor der Bundestagswahl auf, also den sich wechselseitig aufschaukelnden Antimigrationsdiskurs, der am Ende alle Parteien und alle Medien trommelten, bis auf die Linke.

Ich spreche von der Öffentlichkeit ja immer als eine Art Trommelkonzert der Tausend Trommeln, wo jeder Trommler sich an umliegende Trommler orientiuert, usw. Böhmermann zeigt sehr schön, wie die Migrationsdebatte gezielt von Springer im Verbund mit Spahn und Merz mit großen Trommeln orchestriert wurde, und wie die Ampel darauf reinfiel, da mit mitzutrommeln.

Je größer die Trommel, desto mehr Einfluss auf den Beat hat man und wenn sich genug Aufmerksamkeits-Macht konzentriert, kann sie alle anderen Trommler auf den eigenen Beat zwingen.

Beats haben Netzwerkeffekte und eine hoch konzentrierte Öffentlichkeit ist deswegen leicht zu capturen.


Der gute George Monbiot spricht – ebenfalls im Guardian – die neuen sicherheitspolitischen Szenarien für UK gelassen aus:

I can’t comment on their likelihood, and I fervently hope that people with more knowledge and power than me are gaming them. One is that Donald Trump will not only clear the path for Vladimir Putin in Ukraine, but will actively assist him. We know that Trump can brook no challenge to his hegemony. Russia is no threat to US dominance, but Europe, with a combined economy similar to that of the US, and a powerful diplomatic and global political presence, could be.

Putin has long sought to break up the EU, using the European far right as his proxies: this is why he invested so heavily in Brexit. Now Trump, in turn, could use Putin as his proxy, to attack a rival centre of power. If Trump helps Russia sweep through Ukraine, Putin could then issue an ultimatum to other frontline and eastern European states: leave the EU, leave Nato and become a client state like Belarus, or you’re next. In Hungary, Viktor Orbán might agree to this. If Călin Georgescu wins in Romania in May, he might too.

Wer das für unrealistisch hält, versteht nicht die vielfältigen Arten, wie die Ukraine militärisch von den USA abhängig sind.

What form could US support for Putin in Ukraine take? It could involve intelligence sharing. It could involve permanently withdrawing Elon Musk’s Starlink satellite internet service from Ukraine, which is strategically crucial there, while making it available to the Russian armed forces. Already, the US government has threatened to nix the service if Ukraine doesn’t hand over its minerals, as reparations for being invaded. This is how Trump operates: blackmailing desperate people who are seeking to defend themselves against an imperial war, regardless of past alliances. In the extreme case, Trump’s support for Russia might involve military equipment and financial backing, or even joint US-Russian operations, in the Arctic or elsewhere.

Was müsste man tun, um sich gegen eine solche Bedrohung zu wappnen? Es beginnt bei den Geheimdiensten. Deutschland ist nicht teil der 5-Eyes, aber wer sich damals mit den Erkenntnissen des BND-Bundestagsuntersuchungsschußes befasst hat, weiß, dass der BND SIGINT-mäßig eigentlich nur eine Provinz-Außenstelle der NSA ist.

Aber die Abhängigkeit geht natürlich bis hinein in die wichtigsten Waffensysteme. (Jemand muss diesen Artikel mal für Deutschland schreiben.)

Then we come to our weapon systems. Like everyone without security clearance, I can make no well-informed statement on the extent to which any of them, nuclear or conventional, are operationally independent of the US. But I know, to give just one example, that among the crucial components of our defence are F-35 stealth jets, designed and patented in the US. How stealthy they will turn out to be, when the US has the specs, the serial numbers and the software, is a question that needs an urgent answer.

Wir hätten alle mal besser auf die Franzosen hören sollen, die immer auf strategische Unabhängigkeit von den USA gedrängt haben.

I hope you can now see what a terrible mistake the UK has made, and how we should have followed France in creating more independent military and security systems. Disentangling from the US will be difficult and expensive. Failing to do so could carry a far higher price.

Nicht nur die Ukraine ist absolut abhängig von Trump, sondern auch wir. Unsere Abhängigkeiten zu den USA sind so vielfältig und tiefgreifend, dass eine tatsächliche Loslösung etwa dem Versuch entspricht, einen Kuchen nachträglich vegan zu machen, indem man alle Spurenelemente der eingebackenen Eier durch Hefebrei ersetzt.

Eine Entflechtung von den USA würde bedeuten, das halbe Militär, dazu alle Rüstungslieferketten, einen Großteil der Satelitennetzwerke, das gesamte Geheimdienstwesen, die gesamte digitale Infrastruktur, auf der unsere Wirtschaft läuft und den Großteil diplomatischer Kooperationen zu ersetzen. Es ist ein Jahrzehnte langes, unfassbar kompliziertes und wahnwitzig kostspieliges Projekt.

Es wäre stemmbar, wenn man den politischen Willen dazu hat. Aber mit Merz? Srsly?

Merz wird die Ukraine unter den Bus schubsen, sobald er im Kanzlersessel sitzt. Wir werden jetzt ins Galactic Empires eingemeindet und Merz ist unser Provinz-Präfekt.


Anscheinend werden gerade überall in den zuständigen US-Behörden die Maßnahmen gegen russische Cyberbedrohung zurückgerahren, wie unter anderem der Guardian berichtet.

The Trump administration has publicly and privately signaled that it does not believe Russia represents a cyber threat against US national security or critical infrastructure, marking a radical departure from longstanding intelligence assessments.

Der Guardian hat auch mit einigen Insidern gesprochen.

A person familiar with the matter who spoke to the Guardian on the condition of anonymity said analysts at the agency were verbally informed that they were not to follow or report on Russian threats, even though this had previously been a main focus for the agency.
[…]
Another person who previously worked on US Joint Task Forces operating at elevated classification levels to track and combat Russian cyber threats said the development was “truly shocking”.

“There are thousands of US government employees and military working daily on the massive threat Russia poses as possibly the most significant nation state threat actor. Not to diminish the significance of China, Iran, or North Korea, but Russia is at least on par with China as the most significant cyber threat,” the person said.

The person added:“There are dozens of discrete Russia state-sponsored hacker teams dedicated to either producing damage to US government, infrastructure, and commercial interests or conducting information theft with a key goal of maintaining persistent access to computer systems.”

Für russische APTs ist das wie Weihnachten und Ostern zusammen.


In einer bemerkenswerten Keynote politisiert Cory Doctorow seinen Enshittyfication-Begriff noch mal deutlicher als sonst. „Enshittyfication“ ist nicht einfach eine Konsumkritik, sondern beschreibt eine materielle Ausbeutungsstruktur.

Doctorow steigt ein mit einem Beispiel.

A January 2025 report from Groundwork Collective documents how increasingly nurses in the USA are hired through gig apps – „Uber for nurses” – so nurses never know from one day to the next whether they’re going to work, or how much they’ll get paid.

There’s something high-tech going on here with those nurses‘ wages. These nursing apps – a cartel of three companies, Shiftkey, Shiftmed and Carerev – can play all kinds of games with labor pricing.

Before Shiftkey offers a nurse a shift, it purchases that worker’s credit history from a data-broker. Specifically, it pays to find out how much credit-card debt the nurse is carrying, and whether it is overdue.

The more desperate the nurse’s financial straits are, the lower the wage on offer. Because the more desperate you are, the less you’ll accept to come and do the gruntwork of caring for the sick, the elderly, and the dying.

Enshittyfication ist, was passiert, wenn das User-Wachstum auf Plattformen abflacht, aber der Wunsch nach Rendite eben nicht.

How could Google grow? There were no more users left to switch to Google. We weren’t going to search for more things. What could Google do?

Well, thanks to internal memos published during last year’s monopoly trial against Google, we know what they did. They made search worse. They reduced the system’s accuracy it so you had to search twice or more to get to the answer, thus doubling the number of queries, and doubling the number of ads.

Im Gegensatz zum Kapitalismus alter Schule, die nur die Arbeitskraft ausbeutete, umfasst diese neue Schmerzarchitektur uns alle auf die eine oder andere Art und saugt den Wert aus uns unseren Beziehungen heraus.

Twiddling nurses‘ hourly wages is a perfect example of the role digitization pays in enshittification. Because this kind of thing isn’t just bad for nurses – it’s bad for patients, too. Do we really think that paying nurses based on how desperate they are, at a rate calculated to increase that desperation, and thus decrease the wage they are likely to work for, is going to result in nurses delivering the best care?

Do you want to your catheter inserted by a nurse on food stamps, who drove an Uber until midnight the night before, and skipped breakfast this morning in order to make rent?

Doctorow widerspricht der Deutung: wenn Du nicht bezahlst, bist du das Produkt. Es gaukelt die falsche Sicherheit vor, sich aus dieser Falle rauskaufen zu können. Im neuen Techkapitalismus sind wir alle das Produkt.

This is what’s going on with our gig-app nurses: the nurses are the product. The patients are the product. The hospitals are the product. In enshittification, „the product“ is anyone who can be productized.

Der ganze Vortrag ist großartig, aber die Idee, Kanada könne doch als Antwort auf Donald Trumps Strafzölle die Copyright-Abmachungen der Handelsabkommens mit den USA aufkündigen und so wieder legale Interoperabilität an den Tech-Firmen vorbei erlauben, sollte sich auch Europa aufschreiben.

You know what would be better? Abolish the Canadian laws that protect US Big Tech companies from Canadian competition. Make it legal to reverse-engineer, jailbreak and modify American technology products and services. Don’t ask Facebook to pay a link tax to Canadian newspapers, make it legal to jailbreak all of Meta’s apps and block all the ads in them, so Mark Zuckerberg doesn’t make a dime off of us.

Make it legal for Canadian mechanics to jailbreak your Tesla and unlock every subscription feature, like autopilot and full access to your battery, for one price, forever. So you get more out of your car, and when you sell it, then next owner continues to enjoy those features, meaning they’ll pay more for your used car.

That’s how you hurt Elon Musk: not by being performatively appalled at his Nazi salutes. That doesn’t cost him a dime. He loves the attention. No! Strike at the rent-extracting, insanely high-margin aftermarket subscriptions he relies on for his Swastikar business. Kick that guy right in the dongle!

Denkt bloß, was eine echte linke Regierung alles ermöglichen könnte.


Die New York Times hat eine gut recherchierte Hintergrundrecherche zu DOGE, derzufolge die Idee bei einem Pro-Trump-Dinner im beginnenden Wahlkampf im September 2023 aufkam, wo Musk sich das zusammen mit Vivek Ramaswamy und einigen anderen Broligarchs bei Cocktails ausdachte. Vorbild sei die eigene Twitterübernahme, bei der Musk mit einem ähnlich rabiaten „Break it, till you need it“-Approach auch die Bürokratie bändigen wollte.

Mr. Musk made clear that he saw the gutting of that bureaucracy as primarily a technology challenge. He told the party of around 20 that when he overhauled Twitter, the social media company that he bought in 2022 and later renamed X, the key was gaining access to the company’s servers.
[…]
Wouldn’t it be great, Mr. Musk offered, if he could have access to the computers of the federal government?

Just give him the passwords, he said jocularly, and he would make the government fit and trim.


Ebenfalls in der New York Times erklärt Zeynep Tufekci anhand von Musk und DOGE, was im Cyber Security ein Insider Threat ist.

Running integrated digital systems, however, requires endowing a few individuals with sweeping privileges. They’re the sysadmins, the systems administrators who manage the entire network, including its security. They have root privileges, the jargon for highest level of access. They get access to the God View, the name Uber gave its internal tool that allowed an outrageously large number of employees to see anyone’s Uber rides.

That’s why when Edward Snowden was at the N.S.A. he was able to take so much information, including extensive databases that had little to do with the particular operations he wanted to expose as a whistle-blower. He was a sysadmin, the guy standing watch against users who abuse their access, but who has broad leeway to exercise his own.

“At certain levels, you are the audit” is how one intelligence official explained to NBC News the ease with which a single person could walk off with reams of classified data on a thumb drive. It’s the modern version of one of the oldest problems of governance: “Quis custodiet ipsos custodes?” as the Roman poet Juvenal asked about 2,000 years ago. Who watches the sysadmin?
[…]

In effect, this small DOGE crew has become sysadmins for the entire government. Soon after O.P.M., they descended on the Treasury Department, where every payment the government has made is stored: root access to the economy (including many companies that are direct competitors to those of Musk). Their efforts expanded recently to the I.R.S. and Social Security Administration, both of which hold extremely personal, sensitive information: root access to practically the entire American population.


Martin Gurry ist ehemaliger CIA-Analyst und hatte 2014 mit „Revolt of the Public“ praktisch zeitgleich eine sehr ähnliche These wie ich in „Das Neue Spiel„. Die digitalen Kommunikationsinfrastrukturen bedeuten einen Kontrollverlust für Individuen und Institutionen, der zu einem Machtverlust letzter führt.

Gurri war aus meiner Aufmerksamkeit verschwunden, aber nun hat ihn Ezra Klein ausgegraben und ihn zu seiner neuerlichen Pro-Trump Haltung befragt. Ich fand das ganze Gespräch sehr aufschlussreich.

Zunächst bestätigt sich meine Pet-These, dass hinter jedem Rechtsruck eines Intellektuellen eine persönliche Kränkung steht. Gurri wurde radikalisiert, weil irgendeiner seiner Facebook-Post während der Covid-Zeit zensiert wurde. Seitdem will er das System brennen sehen und folgt er jedem, der ihm „Free Speech“ verspricht.

Zum anderen ist da diese Technikgläubigkeit, die unter anderem dazu führt, dass Gurri tatsächlich glaubt, dass Musk den Amerikaner*innen die Governmemt-AGI bescheren wird, die nur noch „gute“ Entscheidungen im Sinne der Bürger*innen fällen wird. Nicht nur muss man komplett auf den KI-Hypetrain aufgesprungen sein, aber man muss auch die Arbeit fast aller Menschen im Apparat enorm abschätzig beurteilen, um sich das plausibel zu machen.

Beides, der Hass aufs „Woke System“ durch die Facebook-Kränkung und seine Technikgläubigkeit münden in der Deutung, dass gerade der historisch notwendige Umbruch von statten geht, den sein Buch prophezeiht. Er sieht Trump und vor allem Musk als zentrale Agenten dieses Umbruchs.

Im Fahrwasser seiner Technikgläubigkeit zahlt auch der Geniekult um Elon Musk in die Erzählung ein. In Gurris Deutung ist das Technik-Genie Musk im Auftrag des Chaos-Gottes Trump dabei, dem Papierstaat der Guttenberggalaxis ein Ende zu bereiten und uns allen ein revolutionäres, digitales Update zu verpassen. Dass beim Hobeln eben Spähne fliegen, da darf man jetzt nicht so zimperlich sein.

Und als er dann noch Trump, Musk und die KI-Revolution „mythischen“ Charakter zusprach, war ich komplett zurück bei Gottfried Benn, der gefeierte expressionistische Dichter, der von der „Wendung vom ökonomischen zum mythischen Kollektiv“ faselte, als er sich 1933 den Nazis an den Hals warf.

Der Faschismus von damals war gewissermaßen der Kulminationspunkt der Industrialisierung. 100 Jahre lang bemerkten die Menschen einen stetigen Zuwachs an Agency für sich und die Nation. Der typische individualistische Fehlschluss rechnete diese Agency dem Individuum, bzw. dem Kollektiv zu und interpretierte sie folglich als „Stärke“.

Anfang des 20. Jahrhunderts besangen Marinetti und Ernst Jünger diese „mythische“ Stärke (und Geschwindigkeit) in technikberauschten Kriegsreportagen und Manifesten. Das hat sich dann prima auf die „Stärke“ des Führers, bzw. „des Volkes“ übertragen, dem im Kampf um Lebensraum jedes Mittel recht sein darf. In der Anschauung von Gottfried Benn, aber auch Martin Heideggers und Carl Schmitt transzendiert diese mythisch-geschichtliche Kraft jede Vernunft, jede Regel und jede Verantwortlichkeit.

Das Zeitalter der Kraft-Maschinen und das daran geknüpfte Paradigma der Stärke endete noch nicht mit den Nazis sondern kulminierte erst in Hiroschima. Die Aufgabe im Blockkonflikt bestand folglich darin, diese Kraft „intelligent“ zu Managen. Die Geheimdienste und die Computerrevolution sind eine direkte Folge der Atombombe und leiteten die nächste Revolution ein. Seitdem geht es nicht mehr um Stärke, sondern um „intelligence“.

Hier also meine These: Die Intelligenz-Revolution ist nun ebenfalls dabei, zu kulminieren und bildet gerade seinen spezifischen, neuen Faschismus aus. Deswegen sind die Erzählungen des neuen und alten Faschismus so überraschend austauschbar, wenn man „Stärke“ durch „Intelligenz“ und „Führer“ durch „Genie“ ersetzt.

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