Wie weit ist die Verwirrung? Wie weit ist sie schon fortgeschritten? Wie nahe bin ich schon dran, an der Weltherrschaft? Nun denn:
Aufmerksame Beobachter haben vielleicht bemerkt, dass ich meine Blogeinträge signiere, dass ich meinen Namen hinzusetze zu dem Datum, welches schon automatisch generiert dort steht. Der Name vervollständigt auf diese Weise das jeweilige Datum und macht den Text so zu einer Art Dokument. Und dieses Dokument tut nun nichts Geringeres, als sich von mir selbst abzulösen. Es löst mich von meinem Namen und beginnt für sich allein zu stehen. Mein Name wird sich dadurch von mir emanzipieren, genauso wie all die Texte, die ich hier schrieb. Zusammen werden sie ein neues Bild von mir zeichnen, sie werden einen neuen Michael Seemann kreieren, der zum Tag X dies und das gesagt haben wird. Von nun an wird man von zwei verschiedenen Michael Seemanns reden müssen, wenn nicht noch von vielen mehr.
Ich habe vorgesorgt. Die Texte, die alle mit meinem Namen signiert sind, haben nämlichen einen Rand. Dieser Rand aber ist nicht so sanft und glatt wie man annehmen möchte, er ist vielmehr rau und borstig. Scharfe Kanten, gefährliche Zacken individualisieren diese Texte, jeden für sich, geben jedem seine eigene Identität, seine eigene Signatur und sein eigenes Datum. Und wenn jetzt jemand denkt, dass diese Kanten Bruchkanten sind, wie die eines zerbrochenen Gefäßes, dass man sie nur zusammenführen müsste, und schon hätte man den Namen Michael Seemann zu einem ganzen zusammengefügt, der irrt gewaltig. Diese Texte sind nicht fügbar, sie fügen sich nicht, sie bleiben ohne Fugen. Diese Texte ergeben kein ganzes, dieser Name wird niemals ein Bild ergeben, auch kein Mosaik, nicht mal ein Vexierbild, denn sie sind nicht von mir. Ja, das ist richtig, sie sind nicht von mir. Sie sind von verschiedenen Autoren, von verschiedenen Meinungen geprägt, von verschiedenen Eigennamen. Schon ihre Signatur ist eine Lüge.
Sie spiegeln nur vor, ein ungeschiedenes Ganzes erstrahlen zu lassen, dabei ist doch schon ihre eigene Struktur gebrochen. Sie selbst sind sich nicht ähnlich, sie durchbrechen sich selbst durch ihr gesagtes, sie widersprechen sich, teilweise sogar noch im selben Satz. Hier wird das Blog zum Gärtner, das Datum zum Programm, der Küchenfußboden zur Markierung gemacht. Und: nein, ich lese mein Blog nicht. Ich bin völlig desinteressiert, was hier geschrieben steht, da ich ja weiß, dass es kein Ende nehmen wird, nicht mal ein verdecktes, nicht mal ein symbolisches Voodoo-Ende. Die Fertigstellung wird auf immer verschoben sein. Die Lügen werden um sich selbst kreisen, immer wieder, sie werden so selber zum Kreis in dessen Mitte mein Name steht und ich weiß nicht ob ich das gutheißen soll oder ob ich meine Person sein will, ob ich in meinem Namen sprechen soll.
Und wenn ich mich jetzt bekenne, all dies, ja sogar diesen Eintrag hier gefälscht zu haben, so tue ich das auch wiederum nur, um meine Leser zu verwirren, ihnen vorzuspiegeln, ich würde mir Gedanken machen um X, Y oder Z. Und auch wenn hier und da Begriffe wiederkehren (so wie der Begriff „Markierung“) und so eine Art Weg markieren, der hier und da zwar unterbrochen scheint, aber dennoch eine Silhouette von etwas abgibt, eine Form abzeichnet, so gehört auch dies schon zu meiner Berechnung, zu meinem teuflischen Plan, denn all diese Begriffe sind leer, ohne Inhalt und sind einzig dazu da Seiten zu füllen, um die eigentliche Intention zu verdecken, ein Blog zu simulieren, eine Persönlichkeit dahinter zu konstruieren und einen Eigennamen zu erschaffen und ihn gleichzeitig zu verschleiern. Ja, eigentlich nur um ihn zu verschleiern. Eros ist mein Zeuge, dass dies nur eine bestimmte Art und Weise ist, nicht man selbst sein zu müssen, dass alles geschriebene nur eine Maske ist, um dem Schönen nahe zu sein, das dies alles ein Spiel ist, um sich nicht festlegen zu müssen, nicht erwachsen werden zu müssen und dass man sich in Wirklichkeit nur bekennt, um nicht erkannt zu werden.
Aus diesem Grund bin ich ein Zeitreisender. Ich reise rückwärts durch die Zeit, zu ihrem Ursprung, oder zu ihrem Ursprungsphänomen, zu der ersten Aufzeichnung, zu meiner ersten Signatur. Die Flaschenpost wird zurückgeschwemmt, „back to sender“, denn die Adresse war falsch. Eros hat kein Haus und keine Adresse. Und auch wenn ich hier von einer Bewegung spreche, so ist diese kein Fortschritt, sondern verläuft rückwärts durch die Zeit, zurück an den Ort der ersten Einschreibung, zurück zu Babel, zurück zu dem ersten mal, als die Sprache zerschellte und ihre Splitter in unsere Lippen drangen. Und auch wenn Babel der Ort und der Name ist, wo richtig und falsch ihren Anfang nahmen, und auch wenn man heute nicht mehr geneigt ist, in solchen Kategorien zu denken, versprüht dennoch hier die Postmoderne ihren undurchsichtigen Nebel.
In diesem Nebel kann natürlich einer versuchen zu lesen, so wie Manche versuchen in dem Rauschen der Heizkörper zu lesen oder Stimmen darin vernehmen aus einer anderen Zeit und ich werde niemanden davon abhalten zu versuchen irgendeinen Sinn in diese Zeilen hineinzuinterpretieren. Nichts läge mir ferner. Versucht ruhig meinen Namen zu übersetzen. Doch wenn man nun meint, mich dadurch entziffert zu haben, mich identifizieren zu können, zu sagen: „Michael Seemann ist so und so, er denkt dies und das, findet dieses gut und jenes schlecht“, dann kann ich nur herzlich lachen. Lest doch was ihr wollt, ich schreibe derweil was ich nicht bin.
Was habe ich schließlich zu verlieren? Mein Name hat noch nie wirklich mir gehört, wie so vieles, was nur geborgt ist. Und nicht umsonst ist „geborgt“ nur ein Euphemismus für „geklaut“. Meinen vermeintlichen Besitz, den ich hier so offen zur Schau stelle, meinen Namen habe ich nie besessen und so gebe ich ihn auch nicht auf, wenn ich ihn jetzt gehen lasse. Vielmehr hat mein Name schon immer mich besessen, ja ich BIN besessen von meinem Namen und im Grunde ist vielmehr meine Person die Signatur meines Namens. Sie ist das Programm, das durchlaufen wird, um nichts zu hinterlassen außer einem Haufen nutzloser Daten.
Aber für wen schreibe ich dann eigentlich? Habe ich einen Adressaten oder ist der genauso ortlos und unentzifferbar wie der Sender? Vielleicht ist es nur die Suchmaschiene, die die Links auswertet und so ein berechnetes Urteil über mein Geschriebenes fällen soll. Vielleicht ist es der Nutzer hinter der Suchmaschiene, der mich einfach nur finden soll, der virtuelle Adressat, der Adressat im Off. Aber ist diese Zeitreise wirklich nötig? Ich glaube schon. Der Adressat wird die Botschaft schon entziffern. Er wird einfach lesen, ohne sich um den Sinn bemühen zu müssen. Er wird ihm zufliegen, denn er hat den Schlüssel. Einen Schlüssel, der gleichsam ein Dämon ist. Und wenn ich sage, dass ich unentzifferbar bin, so muss ich hier diese Einschränkung machen. Aber natürlich ist auch der Adressat gespalten. Natürlich ist auch sein Eigenname schon zerbrochen, natürlich wurde auch er schon enteignet, denn ich habe mir seinen Namen geborgt, um mein eigenes geschriebenes unsigniert zu lassen, denn wo ein Adressat ist, da ist kein Sender und wo ein Sender ist, da ist kein Adressat. Und so geht es weiter das Spiel. Der Kreis der Lügen wird nicht aufgehört haben sich zu drehen.
Ihr seht also, hier gibt es nichts zu sehen! Verwirrung ist mein Name, es ist mein Datum. Verwirrung ist das Programm, das ich verfolge. Es ist nichts als leere Phrasendrescherei. Ich verschwende nur eure Zeit.
PS: Natürlich meine ich das nicht wirklich so 😉
Ist doch schön, wenn der Name sich löst und unsterblich wird. Alle lassen sich röntgen. Bin mal gespannt, was für eine Tätigkeit das sein wird, wenn in ein paar Jahren/Jahrzehnten alle leute seemännern. 😉
tja, also … joh, ne … ja, – da sach ich mal einfach mal ja!
JA!
Insofern ist der Name immer schon ein Grabstein und das schon zu Lebzeiten, denn er ist dazu bestimmt, seinen Träger zu überleben.
gute Nacht