Ich fahre morgen mitten hinein, in den Sturm aus Scheiße. In all dem Dreck werde ich versuchen, die SPD ausfindig zu machen. Mal schauen, wie es ihr geht. Naja, wie geht’s ihr wohl? Schlecht. Schlechter als schlecht. Ich würde sagen, ihr geht es so schlecht wie seit 1933 nicht mehr. Und obwohl sie mir wirklich und aufrichtig leid tut, hab ich doch keinen Zweifel daran, dass sie sich diesen Zustand selbst zu Schulden hat kommen lassen. Neben der Arroganz der Macht und den neoliberalen Richtungsfehlentscheidungen ist es vor allem die fehlende Innovationskraft, die diese Partei in Grund und Boden gewirtschaftet hat.
Jahrzehnte ist man immer nur den Diskursen der anderen hinterher gelaufen. Jahrzehnte hat man sich vom politischen Gegner die Parolen ins Stammbuch schreiben lassen. Man ist sofort gekuscht, wenn die CDU eine dümmliche Antilinkskampagne nach der anderen veranstaltete. Man ist zusammengezuckt, wenn man ihr innenpolitisch einen zu laschen Kurs vorwarf und hetzte nach dem Erfolg der Linken deren Themen hinterher, dass es nur noch peinlich war.
Jetzt ist die Regierungszeit vorbei und man könnte meinen, dass dies der SPD wenigstens eine Atempause lässt. Zeit zum gesunden. Weit gefehlt. Gerade jetzt, gerade in dieser Situation ist Innovationskraft gefordert, wie vorher nicht. Es gibt keine Zeit zu verschnaufen. Die SPD muss jetzt innovativ sein, muss jetzt zeigen, was sie kann. Sonst wird diese Oppostion der Schlußstrich unter dem Kapitel „SPD“. Aber dafür muss ich etwas ausholen:
Die SPD sitzt seit geraumer Zeit zwischen den Stühlen. Als Schröder seinen Arsch, und damit den der ganzen SPD, unter dem Schlachtruf der „Neuen Mitte“ nach rechts schwang und die Union plötzlich, völlig überrumpelt von diesem Manöver mit einer Arschbacke im leeren hing, glaubte man noch, dass dieses Ergebnis von Dauer sein könnte. Aber warum sollten Konservative und Neoliberale auf Dauer eine sozialdemokratische Partei unterstützen, die sich nur durch biegen und brechen zu ihrem Lakai machen konnte? Das ging zwar eine Wahl lang ganz gut, sicher. Aber schon bei der nächsten Wahl nimmt man dann doch lieber das Original, die CDU und die FDP. Die bücken sich auch viel geräuschloser und ohne diese großen Debatten.
Und schon war der rechte Stuhl wieder weggerückt und diesmal saß die SPD mit halber Arschbacke im luftleeren Raum. Das wäre nun kaum ein Problem, wäre die SPD nun eben wieder zurück nach links gerückt und hätte so ihre Stammwählerschaft wieder aktiviert. Die hätten der SPD den kurzen Ausflug nach rechts durchaus verziehen. Aber das sah man in der Parteiführung anders. Immer autoritärer wurde der Führungsstil, immer abgehobener die Funktionäre. Gegen die eigene Basis und auch gegen den Willen der Bevölkerung wurde diese Politik eisern durchgezogen. Der Wille ein paar verwirrter Männer mit Profilneurose.
Auch das wäre einigermaßen gut gegangen, wäre da nicht der Oskar gewesen. Der hat einfach einen weiteren Stuhl links neben die SPD gestellt und sich mit einer Arschbacke auf diesen und mit der anderen auf die freie, unbesetzte Hälfte des SPDstuhls gesetzt. Ein kurzer Ruck nach links und Zack: Die SPD hängt komplett in der Luft.
So lange sie an der Regierung war, konnte sie diesen Umstand mit Sachzwangausreden notdürftig verdecken. Nun, in der Opposition kommt diese Stuhllosigkeit voll zum tragen. Zwar wären die Feinbilder wieder klar verteilt – Schwarz-Gelb eignet sich dafür prima – doch auf der Oppositionsbank sitzt man nicht mehr alleine. Die Grünen haben viele linke Zukunftsthemen ganz gut besetzt und „Sozialdemokratie“ konnte die Linke zuletzt besser als SPD.
Wie kann es die SPD also schaffen einerseits eine kraftvolle Opposition gegenüber von Schwarz-Gelb zu entfalten und sich gleichzeitig gegen „die Linke“ und die Grünen abgrenzen? Das geht nicht mit den klassischen Inhalten. Die Linke spielt darauf nämlich mindestens genau so gut und hat einen hier Glaubwürdigkeitsvorsprung.
Das ist so ziemlich das ganze Schlamassel in dem die SPD heute sitzt. Weder links noch rechts ist ein Plätzchen frei. Die Reise nach Jerusalem geht ohne die SPD weiter. Es sei denn, die SPD schafft es, einen weiteren Stuhl hervor zu zaubern. Sich einen Stuhl zu erfinden, sozusagen. Einen Stuhl, der noch nirgends steht, den noch niemand ins Spiel gebracht hat, der aber einzubringen ist. Einen Stuhl der Zukunft, sozusagen.
Dass das nicht ganz unmöglich sein könnte, lässt sich an der riesigen Menge der Zukunftsthemen ablesen, die noch lange keine Berücksichtigung in der Politik gefunden haben. Größte Herausforderung: Die Postarbeitsgesellschaft. Ein Thema vor dem bisher noch jeder Politiker so fest er kann die Augen verschließt. Dabei steht es überhaupt nicht in Frage, dass sie zwangsläufig kommt. Die Frage ist nur, wie man sie organisiert. Mit den klassischen, politischen Werten, die sich alle an dem Ziel „Vollbeschäftigung“ ausrichten, wird da nur noch mehr Schaden angerichtet. Hartz4 ist so ein Desaster, dass die SPD mit dem Motto „sozial ist, was Arbeit schafft“ verursachte. Dieses Denken gilt es zu überwinden, wenn man die SPD zur Zukunft hin ausrichten will.
Eine neue SPD kann keine Arbeiterpartei mehr sein. Sie kann nur eine Umverteilungspartei sein und eine solche braucht es heute dringender als zuvor. Denn wenn die Wertschöpfung sich immer weiter von der menschlichen Arbeitskraft entkoppelt hat, gehen auch die Profite umso ausschließlicher an die Kapitalisten, also an die wenigsten. Es gilt hier zu einem wirklich solidarischen Gesellschaftsbild zu kommen, in dem die wachsenden, von der Wertschöpfung entkoppelten Bevölkerungsanteile ebenso Nutznießer der digitalen Revolution sein müssen. Technologie muss dem Menschen nutzen. Und dem Menschen meint eben nicht: einigen Menschen, sondern möglichst allen.
Von diesen Zukunftsthemen gibt es noch eine ganze Reihe weiterer. Und sie sind dringend. Ein Großteil davon lässt sich nur solidarisch sinnvoll lösen. Die SPD könnte hier auftrumpfen, wenn sie eine neue, zukunftsfähige Version der Solidarität schafft. (Die Zukunft der Solidarität ist so ein Blogthema, dass ich seit Monaten mit mir rum schleppe…)
Es werden sehr bald, sehr konkrete Zukunftskonzepte gefordert sein, die weit, weit, weit alle politischen Horizonte sprengen werden. Und zwar die aller Parteien. Wer hier als erster eine Position entwickelt, wird den Diskurs dominieren. Eine starke neue Sozialdemokratie ist das, was man auch und gerade in der Zukunft brauchen wird.
Wenn ich der SPD also einen Rat geben dürfte:
Vorwärts! Flieht nach vorn!
Ich glaube in dem Absatz mit dem SPD-Stuhl sind ein paar Richtungen verquer gegangen …
Ich habe auch den Eindruck, dass es kaum visionäre Kräfte gibt derzeit in der Politik. Das sind einfach Schnarchnasen, das war schon mal besser.
„Es werden sehr bald, sehr konkrete Zukunftskonzepte gefordert sein, die weit, weit, weit alle politischen Horizonte sprengen werden.“
100% Zustimmung, aber keiner Partei trauen ich genau das weniger zu.
Ein frommer Wunsch. Und wie zur SPD muss man sagen: Das Leben ist kein Wunschkonzert. Die Sozialdemokratie ist so tot, dass sie vermutlich (als Zyniker könnte ich eigentlich sagen: hoffentlich) nie wieder aufsteht. Du hast ganz Recht damit, welche Fragen in Zukunft entscheidend sein werden/sollten. Aber die SPD ist es nicht, die in der Lage dazu sein könnte, diese vernünftig zu beantworten. Weder strukturell, noch was die Historie der Partei angeht, noch was die Glaubwürdigkeit angeht. Die letzten Reste derer, die sie noch gewählt haben, werden sich über kurz oder lang (eher kurz, denke ich) abwenden oder schlicht dem demografischen Wandel zum Opfer fallen. Das schadet aber nicht, sondern schafft Platz für neue politische Akteure.
Was Tobi sagt.
Und froh drüber.
SPD ist soooo 1998!
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Bravo! Das Problem ist nur: die SPD ist rückwärts gewandt wie eh und je. Schau dir mal die Rede von Sigmar Gabriel an: http://www.youtube.com/watch?v=Xwa-g_XjpTg Die hätte er auch vor 30 Jahren halten können.
Findet jemand diese Stelle? http://twitter.com/plomlompom/status/5685288535
Glück auf!
Danke für diesen Artikel.
Ach – ich wäre so gerne wieder ein Rot-Grün-Wähler, aber ich kann einfach nicht.
Nochmal kurz, da eben auf Twitter gelesen: „ach ja. ich wünsche mir eine partei, die sich für arbeitsplatzabbau ausspricht.“
Das ist es. Arbeitsplätze abzubauen ist sozial. Es ist doch toll, wenn die Menschen nicht die Arbeiten übernehmen müssen, die von Maschinen erledigt werden können. Arbeitsplatzabbau ist SOZIAL. Das muss die Parole einer modernen Partei sein.
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Naja, man sieht ja, wer den Carr-Artikel für die ZEIT übersetzt hat… Man kann also sicher sein, dass das Thema die Vordenker in der SPD erreicht hat.
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Volle Zustimmung. Ich hätte es leicht anders ausgedrückt, aber letztlich meinen wir doch das gleiche: Die SPD könnte IMHO schon eine Arbeiterpartei bleiben, aber muss dazu ihren Begriff von Arbeit redefinieren. Die klassische Erwerbsarbeit kann nicht mehr das Maß aller Dinge sein. Damit solch ein Neuanfang gelingt, muss die SPD sich allerdings der neoliberalen Verseuchung entledigen. Ob diese Dekontamination gelingt?
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