Das qualitätsjournalistische Reality Distortion Field

Ich finde ja eigentlich, dass genug auf Guttenberg rumgedroschen wurde. Ich finde gut, dass er zurückgetreten ist, das war damals absolut notwendig. Seine Rückkehr in die Politik jetzt anzugehen halte ich für sehr früh, aber da kann man sich sicher drüber streiten. Und grundsätzlich habe ich kein Problem mit einem Comeback. Jeder macht Fehler und Fehler sollten auch verziehen werden können. Vor allem solche.

Aber derzeit bin ich nur noch fassungslos. Guttenberg darf in der ZEIT und in einem extra herausgebrachten Buch unhinterfragt lügen. Er behauptet weiterhin, er habe nicht betrogen und die ganze, virtuos zusammenkopierte Doktorarbeit sei aus Schusseligkeit entstanden.

So dreist hab ich noch nie jemanden lügen sehen. Jeder, der einen Internetanschluss besitzt, kann sich innerhalb von 5 Minuten vom Gegenteil überzeugen. Guttenberg sitzt auf einem riesen Berg aus Scheiße und behauptet, er rieche nichts.

Man muss davon ausgehen, dass Die ZEIT, Di Lorenzo und alle Beteiligten das auch wissen. Warum helfen sie ihm dabei? Wie kann man sich das erklären? Welche Art von Reality Distortion Field glaubt die ZEIT produzieren zu können? Glaubt sie tatsächlich, dass sie gegen die Fakten anschreiben kann?

Aber gut. Versuchen wir das mal ernst zu nehmen. Sie wissen, dass sie Lügen verbreiten und machen es dennoch. Bewusst. Dann ist das sowas wie der Kampf zwischen zwei Realitätsarchitekturen. Auf der einen Seite die renommierte ZEIT mit dem altehrwürdigen, journalistischen Anspruch, auf der anderen Seite die zwingende Evidenz der offensichtlichen Fakten – für jeden zugänglich.

Es sieht so aus, als ob Di Lorenzo und Guttenberg es auf so eine Kraftprobe dieser Realitätsarchitekturen ankommen lassen wollen. So absurd das klingt, aber ich fürchte, außerhalb von unserer Internetblase erscheint das sogar machbar. Und das macht mir wirklich Angst.

17 Gedanken zu „Das qualitätsjournalistische Reality Distortion Field

  1. Die ZEIT war da einzige Printmagazin, das ich im Abo hatte – bis vor Kurzem. Ich habe es abbestellt, weil sie für meinen Geschmack dem Thema Religion immer mehr Aufmerksamkeit widmen. Der ganze Bohei um den Papstbesuch, die neue Rubrik „Glaube & Zweifel“ sowie die jeden Monat zusätzlich zum ganzen Werberotz noch beiliegende Chrismon, das wurde mir irgendwie zuviel.

    Schade drum, jetzt hätte ich einen paukenschlägerischen Aufregergrund gehabt, das Abo zu kündigen.

  2. Mhm, ob die Leute wirklich so dämlich sind und das Geseier glauben, bleibt abzuwarten…. Zumal nicht wenige der Zeitleser einen Uniabschluss haben und schlicht wissen, dass man so was nicht nicht wissen kann…. Ob sie sich da nicht ein Eigentor schießen die Damen und Herren Zeitungsleute…..

  3. Meine Haltung: Es gibt einfach keinen Qualitätsjournalismus – jedenfalls nicht, insofern damit ein Genre oder eine Marke gemeint ist. Ich abonniere insofern auch nur noch Autoren, die ihre Zurechnungsfähigkeit unter Beweis gestellt haben, aber eben nicht vollständige Zeitungsfeeds zu einem Themenbereich.

  4. Nein, damit kommt er nicht durch. Der Spiegel, faz, taz, die süddeutsche werden das Kind weiterhin beim Namen nennen. Allein weil sie sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen, dass man glaubt, sie so leicht verschaukeln zu können.

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  6. Was du sagst. Kann man sich jetzt eigentlich nur darauf freuen, dass die ZEIT von den anderen Blättern abgewatscht wird, die auf diesen sonderbaren Scoop irgendwie auch ein bisschen neidisch sind und sich nun wenigstens zum Rächer der Verprellten aufschwingen.

  7. Könntet ihr euch wirklich vorstellen, dass er sagt: „Ja, ich habe die Doktorarbeit bewusst gefälscht“ oder „Ich hab damals gelogen“?

    Was ist das maximal mögliche Eingeständnis eine Politikers? Gibt es da historisch besonders hearusragende Beispiele?

    Guttenberg ist durch und durch ein Poser. Der muss erstmal klarkommen mit dem dunklen Fleck seiner Vergangenheit.

    @mspro
    „Ich finde ja eigentlich, dass genug auf Guttenberg rumgedroschen wurde. […] Und grundsätzlich habe ich kein Problem mit einem Comeback.“
    – Es geht ja nicht nur um diesen einmaligen Fehler, Gutti war in unserer Kreisen immer schon unbeliebt. Eben weil er ein Poser ist. Deshalb wäre er auch weiterhin eine Lachummer, und jedes weiter Gebashe wäre absolut gerechtfertigt. Ich sehe jedenfalls nicht, dass er einen Persönlichkeitswandel durchgemacht hat. Und wenn doch, muss er das Vertrauen eben langsam wieder aufbauen. Warum sollte man ihn jetzt mit offenen Armen empfangen? Was wäre, wenn er sagen würde: „Ja, ich habe gelogen“?

    Im übrigen finde ich nicht nur diese „Kraftprobe dieser Realitätsarchitekturen“ beängstigend, sondern auch dieses Gerede von einer neuen konservativen Partei im Zusammenhang mit Guttenberg. Das wirkt nicht so, als würde sich da etwas entwickeln, sondern eher so, als solle da etwas aufgebaut werden.

  8. Nochmal präziser:
    Was wäre, wenn er sagen würde: “Ja, ich habe gelogen”?
    Wäre dann alles anders?
    Wäre es glaubwürdig?
    Wären er dann reif für ein ein Comeback?

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  10. Die Zeit war schon immer ein langweiliges, spießiges, mainstreamiges, im Kern knochenkonservatives Deppenblatt. Die wöchtentliche Packung selbstgerechter Ideologie für die obere Mittelschicht. Und von Leuten wie Joffe oder Naumann habe ich in den letzten 10 Jahren keinen einzigen intelligenten Gedanken vernehmen können, dafür um so mehr Aufgeblasenheit und Ignoranz. Ich habe nie verstanden, wie jemand ernsthaft die ZEIT lesen kann.

  11. Die Zeit ist („war schon immer“: dafür fehlt mir die Kenntnis) eine interessante, gut recherchierte Wochenzeitung. Im Gegensatz zur Tagespresse widmet sie den Themen ausführlichere Texte und wirkt damit dem vom Slogan „overnewsed and underinformed“ trefflich bezeichneten Missstand entgegen. Anders als der Spiegel braucht sie nicht einen fragwürdigen Stil (vgl. dazu den Link) und muss nicht polemisieren (tut es auch seltener).

    Umso trauriger diese Aktion.

  12. Wenn man die ZEIT tatsächlich als „interessante, gut recherchierte Wochenzeitung“ bezeichnet, dann zeigt man nur, wie schmal das eigene Spektrum ist. Die ZEIT hat sich zu keiner Zeit in einem auffälligen Maße von anderen Mainstream-Medien unterschieden, weder in ihren Themenfeldern, noch in ihrer journalistischen, politischen und ideologischen Stoßrichtung. Die Ableger der Zeit, wie beispielsweise ihre Sonderhefte für Studierende, sind in ihrer intellektuellen Schlichtheit und Oberflächlichkeit kaum noch zu unterbieten. Wenn der Spiegel die BILD für Abiturienten ist, dann ist die Zeit das Hipster-Accesoir für Akademiker: Durchschnittliche fühlen sich damit besonders distinguiert – verborgen (auch vor sich selbst) wird aber nur die eigene Langeweile und mangelende Kritikfähigkeit. Wenn ein Zeit-Leser den Mund aufmacht, dann kann man getrost weghören – man hat es ohnehin alles schon hundert Mal gehört, und was neues kommt auch nicht.

  13. Vielen Dank für die Unterstellungen! Nachdem hier offensichtlich eine vorgefertigte Position vorliegt und Argumente oder inhaltliche Widersprüche kaum einen Unterschied machen würden, beschränke ich mich auf zwei Punkte:
    Der erste: Meine in dieser Hinsicht beneidenswerten Lebensumstände gestatten es mir, täglich ca. zwei Stunden für die Lektüre von Zeitungen etc. aufzuwenden. Da wäre ich natürlich für Hinweise auf Quellen außerhalb meines beschränkten Spektrums (das wären dann wohl die meisten) sehr dankbar.
    Der zweite: Eine Zeitung, die sich nicht in „auffälligen Maße von anderen Mainstream-Medien“ unterscheidet, „weder in ihren Themenfeldern, noch in ihrer journalistischen, politischen und ideologischen Stoßrichtung“ kann dennoch eine “interessante, gut recherchierte Wochenzeitung” sein.

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  15. Benedikt hat Recht. Und mehr Stil.
    Darf ich fragen, Emer, welche Wochenzeitung du empfiehlst?

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