Und dann ist wieder Flattr in aller Munde. Und ich so: guck mal nach, was da bei mir so Sache ist, und ach: gar nicht so viel geflattrt diesen Monat (war ja im Urlaub und so), so dass 9,95 € pro Klick, ach du Scheiße! Also ich getwittert, dass hey, lasst mal gute Artikel rüber wachsen und Antje Schrupp gleich so: da haste! – und ich so: Uff!
Also, Antje Schrupp dröselt das Problem mit dem Datenschutz auf und streift dabei ganz nebenbei die tieferen Problemlagen dessen, wovor wir in Wirklichkeit Angst haben, wenn es um unsere Daten geht, so ganz ohne Scheuklappen der ideologischen Diskurse. Sowas wird ja viel zu wenig gemacht. Besonders von den meisten engagierten Datenschützern; mal inne zu halten und darüber nach zu denken, was denn die Probleme sind, in Wirklichkeit sind, was so ein Datenschutz oder eine Privacy denn in Wirklichkeit leisten können sollte und wo die Probleme liegen. Dafür muss man sich aber erst mal von dem Wortgeklingel lösen und die einzelnen Fälle anschauen, gerne auch aus der eigenen Biographie – und dann noch einmal nach denken. Antje Schrupp schafft das mal wieder mit Bravour und nimmt uns mit, in das Innere des Datenschutzes, dort wo die Informationsrädchen ineinander greifen und wo sich Machtgefüge an Wertekonstellationen reiben und wie das ganze dann das Soziale des Einzelnen bestimmt und beeinträchtigt – alles in Form persönlicher Anekdoten. Absolut lesenswert.
Leider übernimmt sie dann doch wieder etwas leichtfertig einen der Kampfbegriffe des Datenschutzes, ohne ihn hinreichend zu befragen, nämlich den des „Mißbrauchs“ von Daten. Ein gängiger Begriff in der Debatte und Antje definiert ihn dementsprechend seines Ursprunges gemäß als einen bestimmten Gebrauch der Daten „entgegen der Intention ihrer Urheberin„.
Ich finde das zu einfach und eigentlich müßte das Antje Schrupp auch selber aufgefallen sein. An einer anderen Stelle schreibt sie nämlich sehr richtig: „Fakten aber sprechen nicht für sich. Sie müssen immer interpretiert und in einen Kontext gestellt werden.“ „Fakten“ – in diesem Fall waren es „Worte“, im Allgemeinen sind es „Daten“ oder „Informationen“ – müssen interpretiert werden, das ist sehr richtig. Aber wie müssen sie Interpretiert werden? Etwa immer so, wie es der Urheber will oder zum Zeitpunkt des Schreibens wollte? Müssen sie immer „richtig“ interpretiert werden? Was ist „richtig“? Woher soll man den Willen des Urhebers kennen? Brauchen wir Mißverständnisverbote? Müssen wir jetzt alle die Grundlagen der Hermeneutik lernen und: ist die Hermeneutik eine Versicherung dagegen? Oder anders: Wäre Feminismus möglich, ohne dass man zum Beispiel die Begriffe des Patriarchats angreift? In dem man den Sexismus aufdeckt, der in Aussagen steckt, die der „Urheber“ vielleicht nicht intendiert hatte, die aber dennoch in seinen Worten steckt? Ist gesellschaftlicher Fortschritt möglich, wenn wir nicht Aussagen gegen sich selber wenden, wenn wir nicht tiefer analysieren, was jemand implizit meint, ohne es zu meinen – zum Beispiel welche Abmachungen man implizit signiert, wenn einen Begriff wie den des „Datenmißbrauchs“ verwendet?
Eric Fischer hat im Juni alle Geodaten von Bildern, die in einigen Städten aufgenommen wurden aus Flickr gezogen und diese Daten dann „mißbraucht“. Entgegen der Intention ihrer Urheber hat er geschaut, welche „Urheber“ über einen langen Zeitraum in einer Stadt fotografieren und welche nur mal so sporadisch. So konnte er zwei Gruppen identifizieren: Locals und Tourists. Die Orte der Fotos von Touristen färbte er rot, die Orte der Fotos von Locals blau und trug sie auf Karten ab. So manch einen schönen Ort habe ich dadurch in New York gefunden.
(Eric Fischer cc via Spreeblick)
Ich könnte viele weitere wunderbare Beispiele nennen, in denen Daten entgegen ihrer ursprünglichen Intention zu etwas tollem „mißbraucht“ werden. Und selbst wenn es im Falle von Eric Fischer unstrittig ist, dass so etwas nur mit Mühe „Mißbrauch“ zu nennen ist, ist dieser Begriff im Fall von Google Streetview immer wieder im Gespräch, obwohl auch Google nur etwas vergleichbares tut.
Ich bezweifle, dass es einen „Mißbrauch“ von Daten geben kann, ich halte diesen Begriff sogar für weit gefährlicher, als das, was er vorgibt zu bezeichnen. Wenn wir erst anfangen Regeln aufzustellen, wie man Daten richtig zu verwenden und zu interpretieren hat, dann zentralisiert man eben das, was das Internet gerade erst verteilt und demokratisiert hat. Die Deutungsmacht. In der Tat, wir sind wieder mitten drin, in dem was ich „Kontrollverlust“ nenne: das Ende der Hoheit über die Daten und was sie aussagen. Dieses Ende der Kontrolle, das dem „Mißbrauch“ (manchmal nur in Form eines einfachen Mißverständnisses) Tür und Tor öffnet, gibt dem Nutzer alle Werkzeuge in die Hand, die Daten auf seine Weise, oft auf ganz ungeahnte Weise zu verarbeiten und zu interpretieren und ja, manchmal auch gegen den Autor selbst zu richten.
Ich will nicht leugnen, dass das Probleme mit sich bringt. Ich habe das immer wieder thematisiert. Aber den „Mißbrauch“ von Daten anzugehen ist der falsche Weg, einer der uns wieder zurück führt, in Zeiten, in denen Menschen an Schaltstellen sitzen, um zu definieren, wie man einen Text „richtig“ liest, wie man mit einer Software „richtig“ umgeht, wie man einen Datensatz „richtig“ zu interpretieren hat. (Kleine Reminiszenz an Frank Rieger: ist dies nicht der Kern dessen, was der CCC immer als „Hacken“ hoch hält? Das Verwenden von Dingen entgegen der Intention ihrer Erschaffer? Kämpft der CCC nicht auch die Freiheit die Dinge (und damit auch die Daten) gegen den Strich bürsten zu dürfen? Und jetzt will er allgemeine Regeln aufstellen, als wären nicht die Verbote das Problem, sondern dass es nur die „Kompetenz“ der Hacker selber gebraucht hätte, um die „richtigen“ Verbote aufzustellen? Hallo Selbstreflektion?)
Als ich mir an anderer Stelle über das Problem des Datenschutzes Gedanken gemacht habe, habe ich den „Mißbrauch“ und dessen positive Möglichkeit explizit mit bedacht. Ich glaube, das Problem liegt nochmals tiefer. Es liegt nicht in der Interpretation, sondern in dem darauf oft folgenden „Urteil“. Urteil meint hier mehr als nur die Meinungsbildung, sondern auch das darauf basierende Handeln. Wenn Antje Schrupp wegen ihrer Scheidungsparty den Job bei einem evangelischen Pressedienst nicht bekommt, dann ist das ein Urteil. Antje wurde als moralisch fragwürdige Person (im Wertesystem der evangelischen Kirche von damals) verurteilt und als Strafe der Karriereweg verbaut.
Ich denke mir dabei zweierlei: Einerseits finde ich es gut und richtig, dass Antje es nicht bereut, die Information, auf der dieses Urteil gefällt wurde, in Umlauf gebracht zu haben. Es gibt viel zu wenig Menschen, die sich das trauen, viel zu viele, die als Duckmäuser ihre Angewohnheiten und Besonderheiten vor der Welt verstecken und sich selbst öffentlich auf Mainstream bürsten und die dadurch denen, mit denen sie eigentlich solidarisch sein sollten – die, die so sind wie sie – einen Bärendienst erweisen. Sich einem Druck zu beugen, ist verwerflich, weil es diesen Druck reproduziert – und zwar für alle. (Das meine ich übrigens mit „Sklavenmoral“ – ich werde zu diesem Begriff, der übrigens von Nietzsche stammt, irgendwann noch mal aufdröseln, weil er viele – noch viel mehr Facetten hat, als hier aufscheinen und die aktueller sind als je.)
ANDERERSEITS, so wird mir immer wieder vorgehalten und ich habe das so zu akzeptieren, hat nicht jeder den Mut, die Stärke, die Macht und die Unabhängigkeit dazu. Es braucht ein gehöriges Maß an Privilegiertheit dazu, sich freizügig zu verhalten – das ist auch ungefähr die Grundaussage von Danah Boyd. Familie, Kinder, Angewiesenheit auf Lohn und andere Abhängigkeiten sind gesellschaftliche Realitäten – und wenn man nicht die FDP ist, muss man denen Rechnung tragen, wenn man ein „Mehr“ an Freiheit will – für alle will.
Und aus diesen Gedanken heraus, habe ich mir das Konzept der Plattformneutralität (Link wird aus bekannten Gründen irgendwann nach gereicht) ausgedacht. Man sollte die Menschen nicht daran hindern freizügig mit Informationen umzugehen. Diese Freizügigkeit wird die Gesellschaft zu einer besseren machen und tut es bereits. Man wird die Menschen aber auch nicht daran hindern, Urteile zu fällen. Deswegen muss man ihnen die Macht über einander aus den Händen nehmen. Jedenfalls so weit es geht.
Darüber hinaus, glaube ich auch daran, dass mit der Freizügigkeit eine neue Schwelle der Toleranz erreicht werden kann und wird. Diese Toleranz wird nie absolut sein und sie wird immer Probleme aufwerfen aber ich glaube tatsächlich an eine gewisse Aufklärung, eine gewisses Maß und eine gewisse Macht der Aufklärung. Ich glaube, dass mehr Wissen immer mehr Gelassenheit bringt – nicht umbedingt „Verstehen“, aber Gelassenheit. Denn Angst haben wir immer nur vor dem Unbekannten.
Pingback: i heart digital life » Die politischen Dimensionen der Daten und Informtionen
Pingback: Datenschutzpendel - Graubrot
Auch hier: Datenschutz hat nichts mit dem was jemand irgendwo schreibt zu tun. Mit Daten sind in dem Fall deine personenbezogenen Daten gemeint, das muss geschützt werden.
Das was du irgendwo auf eine Internetseite lädst, unterliegt keinerlei Schutz, dafür bist du selbst verantwortlich.
Wenn jemand Veröffentlichungen die (technisch) geschützt sind beschafft, ist das Geheimnissverrat oder betrifft das Briefgeheimniss oder es ist eine Straftat nach §202c StGB
Es werden hier also viele Punkte und Begriffe miteinander vermischt.
Struppi Wie vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennbar ist, handelt es sich bei meinem Text nicht um eine juristische Fallprüfung. Es geht hier eher abstrakt um alle Daten, die wir so loswerden, die aufgeschrieben und eben heute um so krasser verarbeitet werden. Davon sind eine ganze Menge (und immer mehr) bewusst veröffentlicht, eine ganze andere Menge eben nicht. Dass der Datenschutz das eine vom anderen versucht zu trennen, ist richtig. Diese Grenze lässt sich aber faktisch nicht ziehen. Auch davon handelt der Text.
Pingback: Die politischen Dimensionen der Daten und Informationen « meta . ©® . com