Zunächst dachte ich, dass ich mich dazu nicht äußern brauche. Ich hab die Wired gekauft und gelesen. Und dann habe ich überall mit dem Kopf genickt, wenn ich die Kritiken dazu las. Der Grundtenor von fast allen Rezensionen war – wenn ich das mal zusammenfassen darf: nett, aber harmlos.
Dem konnte ich mich zunächst anschließen, bis ich mir das Heft gestern Abend ein zweites Mal zur Hand nahm. Ich ging die Artikel durch und fragte mich, was genau sie mir gegeben haben. Information, Aufregung, Erkenntnis, Widerspruch, irgendwas? Aber da war fast überall: nichts. Und ich dachte mir: Nee, die Wired ist nicht nur harmlos, sie ist langweilig.
Die amerikanische Wired ist vor allem deswegen ein wichtiges Medium, weil von dort die steilen Thesen ausgehen, die die großen Diskurse auslösen. Aber da ist nichts dergleichen in der deutschen Wired. Nicht mal der Versuch dazu. Es ist ein einziges Schwimmen im Common Sense. Dabei hat man doch mit Günther Dueck jemanden an Board gehabt, der zu einer steilen These fähig gewesen wäre.
Dann hätte ich mir definitiv zumindest einen Erklärbärartikel über irgendeine Cutting Edge Technologie gewünscht. Ein Artikel der tief in die Materie einsteigt und aus dem man leicht kognitiv überfordert wieder aufblickt und das Gefühl hat, die Zukunft gesehen zu haben. Sowas gehört einfach zu einer Wired. Aber inhaltliche Tiefe sucht man vergebens.
Stattdessen?
Krasse Zuspitzung auf Personen. Da baut eine Frau an einem Verschlüsselungsverfahren durch Laser! LASER!!!EINSELF Aber wie das geht, davon erfahren wir nichts. Überall werden in erster Linie Personen porträtiert. Das was sie machen, interessiert anscheinend kaum. Wie eine Gala für Geeks.
Und die Themen: Autos, Sex und Fußball. Und Deutschland. Klar, mit einer Technologieperspektive aber die, wie gesagt, nicht sehr tief ausgeführt. Man hat die ganze Zeit das Gefühl, dass sich jedes Technologiethema durch einen Mainstreamthemabezug rechtfertigen muss.
Wenn man die Punkte zusammenrechnet: die Mutlosigkeit der Agenda, die Fokussierung auf Personenberichterstattung, die Gefälligkeit der Themenauswahl und die geringe Tiefe der Artikel fällt es schwer, sich nicht eine Marketingabteilung vorzustellen, die statt einer Redaktion das Heft macht. Die Leitfrage der Heftmacher scheint gewesen zu sein: Wie können wir den durchschnittlichen GQ-Leser an Technologiethemen heranführen? Das Bundle war nicht nur die Plastiktüte, die man einfach abreißen konnte. Das Bundle bleibt auch inhaltlich.
Die erste deutsche Wired ist kein Nerd-Magazin (Und nein, auch kein Geek-Magazin, was immer das sein soll.). Es ist ein Magazin, dass sich aggressiv an Nicht-Nerds richtet. Und weil es das selber merkt, hat es mit dem albernen „Nerd/Geek“-Gefuchtel und einer offensiven Anschleimattacke versucht das wett zu machen. Man soll die Welt also den Geeks geben? Condé Nast will ihnen ja nicht mal das ihnen gewidmete Magazin geben!
Die Zielgruppenansprache der Wired ähnelt etwa dem, was die SPD unter Netzpolitik versteht: allseits hofieren aber inhaltlich das Gegenteil machen, was aus der Szene gefordert wird.
Ich würde mir wünschen, dass man – falls man das nächste Heft macht – den Mut aufbringt, ein echtes Nerd-Magazin zu machen. Und bitte kein Geek-Magazin! Jedenfalls nicht, wenn die aktuelle Ausgabe ein Geek-Magazin ist.
Printmedien erreichen mich nicht mehr. Und nach Lektüre Deines Beitrags bin ich darüber auch schon wieder sehr froh.
Es ist wahrscheinlich zu früh, um „Wired“ zu kritisieren. Eine Nullnummer muss immer zuvielen Personen bis zum Zwölffingerdarm hochkriechen, nur leider nie den Lesern. Das hat diverse Gründe. Dass eine sehr starke PR-Lastigkeit für Personen, Produkte und Technologien auch so funktioniert, dass Leser es kaum merken, beweist jedes Mal brandeins. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Medienmacher darauf stolz sein sollen.
Der Kern Deiner Kritik trifft aber vor allem Journalisten und Blattmacher, die sich nicht mehr trauen, steile Thesen und markige Stellungnahmen in ein Heft zu nehmen bzw. zu schreiben, weil Journalisten keine Meinunge transportieren sollen oder gar selber denken. Man wünscht sich hierzulande objektive Berichterstattung und nicht kreative Teilhabe am öffentlichen Meinungsbildungsprozess. Mir deucht auch, dass nicht wenige Schreiber diese neuen Ideen schlicht nicht haben. Ich mag das Heft wegen der vielen grafischen Entgleisungen nicht. Aber warten wir es ab, es kann ein gutes Heft werden. Es muss ein bisschen Geduld der Menge bekommen. Ich mag auch einige Texte wegen der Gefälligkeit nicht, aber das ist Geschmackssache oder Vorgaben (interne Zensur im Kopf wegen des Namens und der Marke), die sicher nicht passiert wären, wenn jemand das einzig Richtige getan hätte:
Mal ein neues Konzept wagen.
Aber das kann man weder der Redaktion noch den Autoren vorwerfen.
Hm, aus der Perspektive betrachtet könnte am Vorwurf der Langeweile sogar etwas dran sein. Das zweite Durchblättern kommt heute Abend dran.
Was ich aber voll und ganz unterschreibe, ist die Portrait-Lastigkeit zu Ungunsten von Tech-Tiefe. Grade die Erklärbär-Artikel sind der Grund, warum ich die WIRED so mag. Ok, wenn wir jetzt festhalten, dass die deutsche Nullnummer nur halb so dick ist, wie die US-Ausgabe, ist eben die Hälfte mit den Tech-Artikeln auf der Strecke geblieben 😉 Einzig Thomas Wiegolds Artikel ging etwas in die Richtung. Das hatte ich aber auch so erwartet 🙂
Meinungsbildene Artikel mit neuen Ideen habe ich in der Ausgabe ganz ehrlich nicht erwartet. Weder in den Kolumnen, noch in den Artikeln. Selbst Jeff Jarvis hat sich schwer zurück gehalten und brav Gutenberg zum historischen Techie der ersten Stunde gemacht. Liest sich aber trotzdem gefällig.
Machen wir uns mal nichts vor. Wenn die Nummer gleich an uns Geeks (welche Interessenrichtung auch immer) adressiert worden wäre, hätte der gemeine GQ-Leser damit mal so gar nichts anfangen können. Da würden mich aber tatsächlich mal die Reaktionen interessieren. Wie fanden die GQ Stammleser, die von WIRED noch nie vorher gehört haben das Heft?
Hat jemand dazu schon Infos?
Danke Michael! Ich fand die Wired ganz nett.
Und jetzt weiß ich auch, was ich damit meinte.
Da fällt der Apfel nicht weit vom Stamm 😉
Stimme voll zu.
Schlimmer noch: die Nähe zum Sherpa GQ ist kaum zu übersehen. Skibrillen mit GPS passen zum DMAX Look and Feel eines MännerMag. Inhaltslose Einblicke in das Dark Web (imagine: Hall und Gruselgeräusche), Fregatten (Penisse), die eine Woche brauchen, um von einem Tisch voll CDs (sic) neu zu booten, wie der Harley fahrende Ex-Türsteher zu berichten weiss …
Klolektüre, oder ein US Kult, der nach zehn Jahren auf dem Containner-Schiff nach D die eigene Exponential-Kurve verpasst hat.
Die nächste les ich zur Probe … im Wartezimmer, wenn es sich ergibt.
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„Die amerikanische Wired ist vor allem deswegen ein wichtiges Medium, weil von dort die steilen Thesen ausgehen, die die großen Diskurse auslösen. Aber da ist nichts dergleichen in der deutschen Wired. Nicht mal der Versuch dazu. Es ist ein einziges Schwimmen im Common Sense.“
Dass die dir dein Erfolgsrezept klauen ist aber auch nicht nett.
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Er heißt übrigens Gunther, wie das dritte Schaf…
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