Ich werde am 11. September wieder bei der Freiheit statt Angst Demonstration mitlaufen. Wie bereits 2008 und 2009 auch schon. Nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern weil ich diese Demonstration für extrem wichtig halte und weil ich mich insgesamt sowohl repräsentiert, als auch verstanden fühle.
Das mag den einen oder anderen verwundern. Immerhin schreibe ich doch dauernd vom Ende des Datenschutzes und so. So zum Beispiel Julius Endert, der sich über meine Bannerunterstützung für die Demo auf meinem Blog mokiert. mspro, der alte Datenschutzverweigerer auf einer Datenschutzdemo?
In der tat bin ich nicht mit allen Zielen und Einstellungen, die die Demo transportiert hundertprozent einverstanden. Aber erstens ist es keinesfalls so, dass ich nicht auch Probleme bei der Datennutzung sehe, dass es da Gefahren gibt, die wir überwinden müssen. Zweitens bin ich aus dem Alter raus, dass ich bei wichtigen Themen einen auf Prinzessin mache, wenn mir das eine oder andere nicht passt, wie man das zuhauf bei der Pro-Netzneutralitätskampagne bei einigen Bloggern beobachten konnte.
Dass der netzpolitische Diskurs heute unter einigen innerlichen Spannungen leidet, ist offensichtlich. Der Mythos, man könne die Vorteile der Transparenz und mit den Erfordernissen des Datenschutzes unter einen Hut bringen, dekonstruiert sich an allen möglichen Themen selber. Sehr hörenswert in diesem Zusammenhang das letzte Chaosradio, bei dem – ich glaube es war Nibbler dazu aufrief doch Kameras mitzubringen und auf der Demonstration zu filmen. Aber bitte nur wen Polizisten Probleme machen und nur online stellen, wenn man vorher alle Gesichter außer die der Polizisten geblurt hat. Das alles kurz nachdem man sich aufgeregt hat, dass der Berliner Polizeipräsident angekündigt hat, bei der Demo auch filmen zu lassen.
Transparenz und Technik sind toll, so lange nur die richtige Seite sie einsetzt. Der nicht zu ende gedachte Wunsch eines semipermeablen Überwachungsfilters wirkt bis heute in der Netzpolitischen Szene, obwohl er immer absurdere Blüten treibt. Der Diskurs um die eine wünschenswerte und realistische Zukunftsvision hat gerade erst begonnen. Ich versuche diesen Diskurs zu forcieren, indem ich auf die Stellen drücke bei denen es weh tut, weshalb ich sicher nicht nur Freunde in der Szene mache. Aber damit kann ich leben, denn ich sehe die Demonstration in einem viel größeren Kontext.
Wir leben in einer sich zunehmend digitalisiernden Welt, die uns immer mehr über den Kopf wächst. Die technische Entwicklung ist so schnell, dass die Diskurse – sogar hier an der fordersten Front der Internetenthusiasten – kaum mehr mitkommen. Die Politik und der allgemeine gesellschaftliche Diskurs sind indes völlig abgehängt, wie man an der Street View Debatte deutlich gemerkt hat. Und doch sind es genau diese Leute, die die Gesetze für unsere Zukunft machen.
Ich glaube, wir leben in einer Achsenzeit, einer Zeit, in der sich die Weichen in eine neue Welt stellen. Das was der Buchdruck mit der Gesellschaft in 200 Jahren gemacht hat, macht das Internet gerade jetzt mit uns – und zwar innerhalb von 20 Jahren. Wir haben ein relativ kurzes Zeitfenster unsere Gesellschaft darauf vorzubereiten. Für innergesellschaftliche Notlügen ist da keine Zeit. Ja, es gibt die Gefahren, die durch eine transparente Gesellschaft entstehen, aber die gibt es nicht durch die Transparenz selbst, sondern durch Menschen, die mit Wahrheit nicht umgehen können. Sei es, weil intolerant sind, sei es, weil sie böse Dinge tun, sei es, weil sie um ihren Besitz oder ihre Macht fürchten, die in unserer Gesellschaft oft genug auf Intransparenz aufgebaut ist.
Wenn wir nicht unsere Freiheitsrechte aufgeben wollen, müssen wir auch die Freiheit im Zeitalter ihrer technischen Ausnutzbarkeit verteidigen. Und statt aus Angst die Freiheit zu beschränken, sollten wir lieber schleunigst lernen, wie wir einen Umgang miteinander pflegen können, der Geheimhaltung so weit es geht obsolet macht. (Davon abgesehen, dass das sowieso die bessere Welt wäre)
Diese Ziele scheinen utopisch, aber wir haben es auch mit einem utopischen Medium zu tun. Und so utopisch wie die Vision, ist die Gefahr dystopisch. Die Überlegung, irgendjemanden (vielleicht sogar den Staat) die Position und die Technik anzuvertrauen, um entscheiden zu dürfen, welche Informationen legitim und welche illegitim sind – egal ob es um Filesharing, Leistungsschutzrecht, Internetsperren oder Datenschutz – schwört ein Szenario herauf, das vor Machtasymmetrie kaum mehr laufen kann.
Ja, der Kontrollverlust ist total. Wir verlieren alle die Kontrolle. Und in dieser Hinsicht ist er zutiefst demokratisch. Er nivelliert alle Machtgefüge, er baut alle Kompetenzvorsprünge ab, er zerstört Deutungs- und Diskurshoheiten. Der Versuch, den Kontrollverlust aufzuhalten – so temporär er auch wäre – würde ein brachiales Regime heraufbeschwören, denn nur durch Gewalt könnte man – kurzfristig – die Illusion von Kontrolle wieder herstellen.
Es gibt Kräfte, die das versuchen und diese Kräfte sind extrem finanzstark und politisch vernetzt. Es sind Regierungen aller Länder, riesige Branchen mit Milliardenumsätzen und publizistische Schwergewichte mit Millionenpublikum, denen wir immer doller in die Suppe spucken. Der Kontrollverlust hat die mächtigsten Gegner, die man sich vorstellen kann. Die Kämpfe werden derzeit noch moderat und nicht offen ausgetragen. Aber das muss nicht so bleiben.
Die Kämpfe gegen SWIFT, ACTA, der Angriff auf die Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren verstehe ich nicht als dräuende Datenschutzprobleme, sondern als Kampf gegen einzuführende Kontrollstrukturen einer zunehmend hilflosen Politik und Wirtschaft, die mit brachialen Mitteln die Regierbarkeit und finanzielle Ausschlachtbarkeit der Leute und ihrer Daten zurück gewinnen möchte.
Wenn ich am 11. also auf der Demo spaziere, bringe ich zum Ausdruck, dass ich das nicht zulassen werde. Ich werde klar machen, dass Angst nicht die Lösungen für die Probleme der Zukunft diktieren darf. Dass die Freiheit, die wir heute haben, nicht verhandelbar ist, dass wir ganz im Gegenteil noch viel mehr Freiheit brauchen, um in einer zunehmend transparenten Welt nicht erpressbar zu sein. „Freiheit statt Angst“ – das kann ich jederzeit unterschreiben.
/unterschrieben!
Großartiger Text. 🙂
Hat mich zum Nachdenken angeregt, vielen Dank dafür!
Das Spannungsverhaeltnis Transparenz ./. Privatsphaere ist ohnehin interessant — fuer eine Demo, die durch moeglichst hohe mediale Aufmerksamkeit auch gesehen werden moechte, sowieso.
Egal, welche Position man innerhalb der unheimlich heterogenen Privatsphaere/Datenkontrolle/Transparenz/whatever-Interessensgruppe einnimmt, scheint aber alle ein wesentlicher Aspekt zu vereinigen: Der Anspruch, bei der Neubestimmung der Spielregeln als gestaltende Kraefte mitzuwirken und als solche auch ernstgenommen zu werden.
Umso wichtiger, das unter diesem gemeinsamen Nenner _alle_ als geschlossene Einheit mitmarschieren. Intern zoffen kann man sich dann immer noch 😉
Ein beeindruckender, klärender Artikel, ich werde mich noch öfter damit beschäftigen und auch Links nachsehen. (Nennt man sie „Link“ in Nerd-Sprache? Die unterlegten Textstellen?)
‚Freiheit statt Angst‘ beschäftigt sich mit einigen menschlichen Themen, das gefällt mir auch. Zur Demo fahre ich dennoch nicht, es ist mir zu gefährlich, ich bin lieber vorsichtig.
Da hoffe ich mal, dass es zu keiner gewalttätigen Eskalation kommt am 11.09. . Hoffentlich kommen alle Beteiligten – Polizisten wie Demonstranten unverletzt wieder nach Hause. – Übrigens bin ich ziemlich sicher, dass unter den zivilen Demonstranten auch Privatpersonen unterwegs sind, die von Beruf Polizeibeamte sind. Frieden und Freiheit, statt Angst und Krieg wünschen sich sicher die meisten Menschen.
Zur Frage der Geheimhaltung und Offenheit meine ich, dass wir auf einer Mikro-ebene nicht auf Geheimhaltung verzichten können. Auf dieser Ebene würde ich auch von Vertraulichkeit reden. Da ist eben Datenschutz sehr wichtig, denn niemand möchte beispielsweise seine Krankengeschichte veröffentlicht wissen.
Vielen Dank,
beste Grüße
mar.
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